Konkret unkonkret

Geschrieben von:

Die EU lässt sich von Poroschenko am Nasenring durch die Manege ziehen.

Gestern ist das Ultimatum der EU an Russland abgelaufen. Das Land hätte konkrete Schritte zur Deeskalation des Konflikts in der Ostukraine unternehmen sollen. Nach Meinung des ukrainischen Präsidenten hat es das nicht. Die einseitig erklärte Waffenruhe ist auf innenpolitischen Druck für beendet erklärt worden. Poroschenko machte unter anderem Russland dafür verantwortlich. Nun ist die EU am Zug, die in den letzten Tagen versucht hatte, mit Lob für Russland auf eine Verlängerung der Waffenruhe hinzuwirken. Jetzt muss sie den von Kiew eingeschlagenen Eskalationskurs aber weiter unterstützen und nach Gründen suchen.

Doch in Brüssel wie auch in Berlin bleibt es erst einmal ruhig und die neuerliche Pleite für den deutschen Außenminister Steinmeier unkommentiert. Das war abzusehen. Denn schon die Formulierung des Ultimatums auf dem EU-Gipfel am vergangenen Freitag kann nur als Farce bezeichnet werden. Die EU fordert von Russland konkrete Schritte und droht im Gegenzug eine Verschärfung der Sanktionen an, die aber nicht näher erläutert werden, also unkonkret bleiben. Das ist keine Außenpolitik, sondern eine Lachnummer. Es wird immer deutlicher, dass ein Regime in Kiew unbedingt Krieg führen und einen Flächenbrand entfachen will.

Noch am Montag hatte es eine große Telefonschalte zwischen allen Beteiligten gegeben und die Einigung darauf, einen Fünf-Punkte-Plan auszuarbeiten. Demnach habe Russland nach der Freilassung der OSZE-Beobachter auch einer stärkeren Kontrolle der russisch-ukrainischen Grenze zugestimmt. Außerdem sollte Russland „substanzielle Verhandlungen“ über den Friedensplan Poroschenkos aufnehmen. Dies wird durch das Ende der Waffenruhe konterkariert. Poroschenko lässt lieber feuern als zu verhandeln. Gegenüber dem Westen spricht er aber weiter von einem Friedensplan, während er das eigene Volk auf einen Kampf gegen Terroristen, Freischärler und Marodeure einschwört.

Die EU lässt sich vom ukrainischen Präsidenten am Nasenring durch die Manege ziehen. Brüssel muss reagieren und den unkonkreten Drohungen Taten folgen lassen. Dass Russland zur Deeskalation beigetragen und Forderungen erfüllt hatte, wird entweder ignoriert oder weiter geleugnet. So fordert der Vorsitzende des Auswärtigen Bundestagsausschusses, Norbert Röttgen, weitergehende Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Die EU müsse, wenn sie glaubwürdig bleiben wolle, nun neue Strafmaßnahmen gegen Russland verhängen. Das Land habe nach einer inzwischen ausgelaufenen nochmaligen Verlängerung der Waffenruhe nicht die von der EU gestellten Forderungen erfüllt, so Röttgen im Deutschlandfunk.

Tolle Einstellung: Die Glaubwürdigkeit von Institutionen, die sich mit falschen Entscheidungen in eine missliche Lage manövriert haben, ist wichtiger als die Vernunft.


Den Beitrag bequem ausdrucken unter:

https://storify.com/adtstar/konkret-unkonkret.html

1

Glosse: Bild blockiert Diäten-Erhöhung

Geschrieben von:

Überraschende Ankündigung dient offenbar der Verbesserung des angeschlagenen Images.

Das Boulevard-Blatt Bild blockiert die bereits durch den Bundestag beschlossene Diäten-Erhöhung. Wie das Gesicht der Zeitung Joachim Gauck (Yes, We Gauck) heute verkünden ließ, soll das Gesetz erst einmal nicht unterzeichnet werden. Bild erhofft sich dadurch eine Verbesserung des eigenen Images. Das hatte zuletzt unter dem Vorwurf der Kriegshetze arg gelitten.

Wie bei der Aufstellung der DFB-Auswahl, ist auch bei der Bezahlung von Abgeordneten die Zustimmung von Bild grundsätzlich erforderlich. Dabei bedient sich das Blatt eines bewährten Tricks, um von sich selbst abzulenken. “Spitzen-Juristen” im Bundespräsidialamt seien mit der Prüfung des Gesetzes beauftragt und hätten Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit geäußert. 

Konstruierte Gründe sind: Jede Diäten-Erhöhung müsse öffentlich beschlossen werden. Mit dem neuen Gesetz wäre das aber nicht mehr der Fall, da hier ein Automatismus zum Tragen komme, welcher sich an der Entwicklung der Löhne und Gehälter von Normalbürgern orientiere. Die “Spitzen-Juristen” haben aber noch ein weiteres Detail entdeckt, und zwar die grundgesetzlich verankerte Unabhängigkeit der Abgeordneten.

Die sei durch das Gesetz gefährdet, da es die bisherige Parlamentsordnung völlig auf den Kopf stellen würde. Jeder wisse schließlich, dass der Abgeordnete frei und unabhängig entscheiden können muss, wie das etwa beim Umgang mit Lobbyisten oder bei der Auswahl von Arbeitgebern, für die er Nebentätigkeiten ausübt, üblich ist.

Wie lange Bild die Blockade aufrecht erhalten will, ist noch unklar. Das hängt offenbar von der “genauen” Prüfung der “Spitzen-Juristen” ab, die bei anderen Gesetzen, wie beispielsweise dem Euro-Rettungsfonds ESM, dem Fiskalpakt oder der Änderung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union nicht erforderlich war. Dieses Gesetzespaket wollte Bild-Sprecher Gauck bereits unmittelbar nach Verabschiedung im Bundestag unterzeichnen, wurde seinerzeit aber vom Bundesverfassungsgericht, das mehrere Klagen prüfte, vorsorglich eingebremst.


Den Beitrag bequem ausdrucken unter:

https://storify.com/adtstar/bild-blockiert-diaten-erhohung.html

1

Ist Europa noch zu retten?

Geschrieben von:

Die Europäer sind sich einig. Kein Herumgerede, kein Ringen um windelweiche Formulierungen. Der Konflikt in der Ukraine taugt zum Schulterschluss unter den gleichsam Empörten, die bisher in kaum einer Frage etwas Verbindendes zu Stande brachten.

Zurzeit wird ein Konflikt an der europäischen Peripherie weiter befeuert und billigend in Kauf genommen, um von der ökonomischen Krise abzulenken, die man seit fünf Jahren nicht in den Griff bekommt. So einig Europa gegenüber Russland auftritt, so gespalten ist es im Innern. Trotz aller Beschönigungen und Lobeshymnen auf eine durch und durch gescheiterte Rettungspolitik hat der Zerfall längst begonnen. Daran wird auch das militärische Säbelrasseln im Osten nichts ändern. Es stellt sich daher die bedrückende Frage, ist Europa überhaupt noch zu retten?

Die Europäer sind sich einig. Kein Herumgerede, kein Ringen um windelweiche Formulierungen. Der Konflikt in der Ukraine taugt zum Schulterschluss unter den gleichsam empörten Europäern, die bisher in kaum einer Frage etwas Verbindendes zu Stande brachten. So nutzt der Zerfall der Ukraine den Europäern, den bereits begonnenen Zerfall ihrer Union zu überspielen. Denn nach wie vor demonstrieren auch in europäischen Städten Menschen gegen ihre Regierungen, gegen Spardiktate und gegen Bevollmächtigte, die weder gewählt noch auf eine andere Art und Weise demokratisch legitimiert worden sind und dennoch über die materielle Existenz von Millionen entscheiden dürfen.

Die Krise in der Ukraine wirkt auf absurde aber bekannte Weise stabilisierend. Ein Konflikt an der Peripherie und ein klares Feindbild auf der Gegenseite, das schweißt die Elite zusammen und lenkt von den inneren Problemen ab. Die Krise innerhalb der Europäischen Union, ihre Zerrissenheit zwischen Nord und Süd und das sichtbare Erstarken nationalistischer Parteien, die bei der Wahl des Europaparlaments im Mai eine mächtige Stimme erhalten könnten, all das verliert an Bedeutung durch den äußeren Konflikt. Der Schauplatz Ukraine soll offenkundig herhalten, um das Image einer europäischen Elite aufzupolieren, die sich seit Ausbruch der ökonomischen Krise auf ganzer Linie blamiert und einen Misserfolg nach dem anderen abliefert.

Deshalb sitzen die europäischen Staatschefs freudestrahlend an einem Tisch mit dem Friedensnobelpreisträger Barack Obama, dessen Administration nicht müde wird, Öl ins Feuer zu gießen. Seine Geheimdienste spionieren auch weiterhin überall auf der Welt und denken nicht daran, die Verletzung nationaler Gesetze und allgemeiner Grundrechte einzustellen. Es wird auch weiter so sein, dass NSA und GCHQ wie selbstverständlich alles sammeln, was die Bürger „befreundeter“ Staaten am Telefon besprechen, in E-Mails schreiben oder sonst wo posten. Der Konflikt in der Ukraine stellt nur alles in den Schatten und führt die „Koalition der Willigen“ wieder zusammen. Doch bei diesem Säbelrasseln kann Europa, das sich eine eigene vernünftige Haltung spart, wie Ausgaben im Haushalt, nur verlieren.

Und Deutschland, so schreibt Heiner Flassbeck, verkraftet seine Rolle als „starkes Land“ in Europa nicht. „Man spricht an der Spitze des Staates von militärischem Engagement als sei es ein Spaziergang, man verweigert jedes Eingeständnis einer Mitschuld an der europäischen Krise und man beschwört die deutsche Rolle als Führungsmacht. Und das gilt querbeet für die Parteien und ihre Führungspersonen, die insgesamt etwa drei Viertel der Abgeordneten im Deutschen Bundestag stellen. Da muss jedem, der noch seine fünf Sinne beisammen hat, Angst und Bange werden.“

Die zunehmende Radikalisierung hat also vor allem unsere Eliten erfasst, die euphorisch, chauvinistisch und selbstüberschätzend wie vor 100 Jahren auftreten und offenbar einen Krieg herbeisehnen, von dem sie annehmen, ihn im Spaziergang gewinnen zu können. Noch immer ist in den Nachrichten von gefangen gehaltenen OSZE Beobachtern die Rede, die zwar inzwischen mit dem Zusatz „Militär“ versehen worden sind, aber immer noch als Beobachter gelten, die angeblich in legitimer Mission unterwegs gewesen waren. Doch stimmt das überhaupt? Entgegen der Darstellung in den meisten Medien scheint die „Sightseeing Tour“ eben nicht durch das Wiener Dokument gedeckt zu sein. Es fehlen nicht nur Antworten, sondern auch die Fragen von Journalisten, die vorgeben, den Mächtigen auf die Finger zu schauen.

Ich fürchte, dass wir auf eine schreckliche Katastrophe zusteuern. Das liegt aber nicht daran, weil ich häufiger als andere pessimistisch denke, sondern weil sich etwas verändert hat, dass eigentlich selbstverständlich geworden war. Kabarettisten beklagen das hin und wieder in ihren Programmen. Das Verschwinden der Demokratie. Ohne sie ist Europa definitiv nicht zu retten.


Den Beitrag bequem ausdrucken unter:

https://storify.com/adtstar/die-woche.html

2

Spaßbremse

Geschrieben von:

Und während das Volk freudetrunken und zunehmend gedankenlos in den Mai tanzen wird, verschließen wir alle die Augen vor der Radikalisierung unserer Eliten, die euphorisch, chauvinistisch und selbstüberschätzend wie vor 100 Jahren auftreten und offenbar einen Krieg herbeisehnen, von dem sie annehmen, ihn im Spaziergang gewinnen zu können.

Früher reichte ein erschossener Habsburger, um das Fass zum Überlaufen zu bringen, heute sind es wohl festgehaltene OSZE Beobachter, von denen man inzwischen weiß, dass sie gar nicht für die OSZE beobachten, sondern für die deutsche Bundeswehr. Aber dafür müssen sie die Artikel der Kollegen auf Tagesschau oder Spiegel Online bis zum Ende lesen.

Tagesschau: Bei den festgehaltenen OSZE-Beobachtern handelt es sich um ein sogenanntes „Military Verification Team“. Es ist nicht offiziell von der OSZE entsandt, aber offenbar auf Einladung der Regierung in Kiew im Land.

SPON: Die OSZE sei aber nicht der Verhandlungspartner für die prorussischen Kräfte, da es sich bei den Festgehaltenen nicht um Mitglieder der eigentlichen Beobachtermission handle. Es sei eine bilaterale Mission unter Leitung des Verifikationszentrums der Bundeswehr auf Einladung der ukrainischen Regierung.

Übrigens melden die Nachrichtensprecher folgendes:

“Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums sollen gestern wiederholt russische Militärflugzeuge in den ukrainischen Luftraum eingedrungen sein.”

Quelle: Deutschlandradio

Ich wusste gar nicht, dass das Pentagon, welches sich rund eine Erdhalbkugel von der ukrainisch-russischen Grenze entfernt befindet, so genau Bescheid wissen kann. Viel schlimmer ist aber, dass diese Propaganda, ob sie nun stimmt oder nicht, ungefiltert und unkommentiert in unseren Medien wiedergegeben wird.

Zum Glück bleiben ja alle im Gespräch. Klaus Stuttmann hat das mal in einem Bild festgehalten.

Quelle: Klaus Stuttmann

Quelle: Klaus Stuttmann


Beitrag bequem ausdrucken unter:

https://storify.com/adtstar/spa-bremse.html

2

Es wird Zeit für die Anstalt

Geschrieben von:

Die SPD will sich nach den Worten von Parteichef Gabriel im anstehenden Europawahlkampf klar vom Koalitionspartner Union abgrenzen. Denn gerade in den Bereichen Arbeit und soziale Gerechtigkeit gebe es unterschiedliche Vorstellungen, so der SPD-Chef zum Abschluss einer zweitägigen Klausurtagung in Potsdam. Gabriel nahm auch Stellung zu einer umstrittenen Bürgschaft seines Wirtschaftsministeriums für ein Rüstungsgeschäft mit Saudi-Arabien. Die rund 100 bestellten Patrouillenboote dienten zum Schutz von Erdölplattformen und nicht zur Unterdrückung der Bevölkerung, betonte er.

Das muss man wohl so verstehen: Im Wahlkampf gibt es Unterschiede, in der Regierung nicht. Denn selbstverständlich trete der SPD-Chef nach wie vor für eine Begrenzung von Rüstungsexporten ein und bleibe damit seiner Meinung nach auch glaubwürdig. Als Bundeswirtschaftsminister muss er hingegen umsetzen, was lange vor seiner Amtsübernahme beschlossen worden sei. Eine Abgrenzung zur alten Regierung ist in der neuen Regierung also leider nicht möglich. Glücklicherweise sind es ja nur Patrouillenschiffe und keine Panzer, die man einem despotischen Regime samt Bürgschaft zur Verfügung stellen will.

Das Ansinnen der saudischen Machthaber sei legitim, so Gabriel weiter. Ob diese unter demokratischen Gesichtspunkten selbst Legitimität besitzen, interessiert den Minister eher weniger. Er sei ja auch nicht als SPD-Chef eingestellt worden, sondern als Vorsteher eines Superressorts, in dem staatspolitische Verantwortung unter Beweis gestellt werden müsse. Diese Haltung würde der SPD-Chef im Wahlkampf sicherlich kritisieren, so Gabriel in Gedanken weiter, ihr im Amt aber nicht widersprechen.

Das wäre doch ein Fall für die Anstalt. Mal gucken, was die beiden Neuen von Wagner und Uthoff am Dienstag, 4. Februar, um 22:15 Uhr im Zweiten daraus machen. Bei Lanz gab es am vergangenen Donnerstag, 30. Januar, einen kleinen Vorgeschmack.

2

Mit dem Firmenjet in die Freiheit

Geschrieben von:

Es ist schon erstaunlich, was alles außerhalb des Protokolls für einen verurteilten Kriminellen möglich ist. Ein schnelles Visum, ein Privatjet und offenbar eine gesicherte Eskorte vom Flughafen Schönefeld nach nirgendwo. Chodorkowski, der hierzulande von den Medien als politisch Verfolgter betrachtet wird, dem die Menschenrechte aberkannt worden seien, hat deutschen Boden betreten. Gleich nach seiner Entlassung hat ihn ein von Hans-Dietrich Genscher organisierter Privatjet nach Berlin geflogen, angeblich, so vermuteten es die Medien, damit er seine kranke Mutter besuchen könne. Die befindet sich aber gar nicht mehr in Deutschland, sondern in Moskau. Aus der rührseligen Story wird also erst einmal nix.

Wieso denke ich jetzt bloß an Edward Snowden, der ja wirklich ein politisch Verfolgter ist und, so irre das auch klingen mag, ausgerechnet beim Putin Asyl bekommen hat? Nicht in Deutschland. Da ließ das Außenministerium nach Rücksprache mit dem Innenministerium vermelden, dass Snowden kein politisch Verfolgter sei, damit die Voraussetzungen für eine Aufnahme fehlen würden und wenn überhaupt, er nur Asyl beantragen könne, wenn er sich im Land befände.

Hätten wir also den alten Kämpfer für Freiheit, Genscher, fragen sollen? Wohl kaum, denn der deutsche Oberliberale Christian Lindner meinte damals: “Die Gewährung von Asyl wäre das Kündigungsschreiben für die transatlantische Partnerschaft mit den USA.” Und die SPD, im November noch nicht in der Regierung, sondern in Verhandlung mit der Union, lieferte einen typischen Merkelsatz nach dem Muster: “Wir müssen auf europäischer Ebene eine gemeinsame Lösung finden.”

Ein Whistleblower ist eben etwas anderes als ein Kreml-Kritiker. Gregor Gysi hatte in seiner – inzwischen vom Seminar für Allgemeine Rhetorik der Eberhard Karls Universität Tübingen ausgezeichneten – Rede vor dem Deutschen Bundestag am 18. November wohl Recht, als er Christa Wolf zitierte:

“Und dass wir lieber den bestrafen, der die Tat benennt, als den, der sie begeht.”

Gregor Gysi, Deutscher Bundestag, 18. November 2013

Letzteren, einen verurteilten Straftäter, empfangen wir sogleich mit offenen Armen, weil er besser zu unserer Vorstellung einer marktkonformen Demokratie passt und zu unseren Interessen an Rohstoffen, die uns nicht gehören, die wir aber gerne hätten. Das kann der andere nicht bieten. Der hat nur brisante Informationen, unangenehme Informationen, mit denen er sich auch in Russland strafbar machen könnte, wenn er sie denn weiter preisgebe. Aber da haben wir ja kein Problem mit der zweifelhaften Menschenrechtslage in Putins Land, die wir im Fall Chodorkowskis so beklagen.

In den Tagesthemen wird Genscher nachher sagen, dass er zwar kein russisch verstehe, aber die Telefongespräche von Chodorkowski mit seinen Angehörigen ihm eine anrührende Szene im Auto bot. Er habe den Anwälten Chodorkowskis geholfen, weil es um eine humanitäre Maßnahme ging, die man immer und überall unterstützen müsse.

Jens Berger weist auf den NachDenkSeiten darauf hin, dass Chodorkowski nicht ausschließlich wegen Steuerhinterziehung, sondern wegen gewerbsmäßigen Betrugs, Unterschlagung und Geldwäsche eine lange Haftstrafe zu verbüßen hatte. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sah übrigens keine politische Motivation im Fall Chodorkowski und wies dessen Klage ab. Das russische Vorgehen gegen ihn sei allenfalls ungerecht gewesen, was auch bedeuten kann, dass gegen andere Oligarchen, die auf ähnliche Weise wie Chodorkowski zu Schürfrechten, Geld und Macht gekommen sind, keine Anklage erhoben wurde.

Unser neuer Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) scheint das alles nicht zu wissen oder öffentlichkeitswirksam auszublenden. Er sagte in Berlin zur Entlassung des Oligarchen: „Das ist eine gute Nachricht. Das ist aber auch eine Nachricht, die uns darauf hinweist, dass wir die Gespräche mit Russland über Rechtsstaat und Menschenrechte auch in den nächsten Jahren mit Engagement weiterführen müssen.“

Sehr interessant. Was will Steinmeier damit erreichen? Eine Haftverschonung für Leute, die nach unseren Gesetzen genauso hart bestraft worden wären, wie Chodorkowski für seine Vergehen in Russland? Steinmeier reklamiert Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Das sagt der Außenminister, der auch schon mal Kanzleramtschef war und eine zumindest zweifelhafte Rolle im Fall Murat Kurnaz spielte. Vielleicht sind wir auch nur, wie Albrecht Müller schreibt, auf den Weg zurück in den Kalten Krieg. Dann müsste man die Freilassung des Oligarchen als Art Agententausch verstehen. Jetzt müssen die USA nur noch sagen, den Snowden dürft ihr behalten.

Das wird aber nicht passieren. Wenn überhaupt sind wir in einem klimagewandelten Krieg, in dem sogar der Pilot der Maschine, die Chodorkowski ausflog, in den Online-Medien dieser Republik für sich und sein Unternehmen werben darf. Mit dem Firmenjet in die Freiheit, wenn man erstens die richtige Einstellung und zweitens die richtigen Kontakte hat. So etwas fehlt eben Leuten wie Snowden und Kurnaz.

2

Perverse Weltbilder

Geschrieben von:

Die EU hält an ihrer Flüchtlingspolitik fest. Dazu Bundeskanzlerin Angela Merkel:

“Wir müssen angesichts solcher tragischen Ereignisse trotzdem schauen, dass wir nicht jedes Mal alle die Arbeit, die wir gerade jahrelang in die ganzen Fragen gesteckt haben wieder infrage stellen.”

Dass die Menschen an unseren Grenzen jämmerlich ersaufen, ist tragisch, aber tragischer wäre es, wenn die EU die Ergebnisse einer Politik korrigieren müsste, die sie nach einem mühsamen Prozess auf zahlreichen Gipfeln und in endlosen Sitzungen zusammengetragen hat. Also, ein paar tote Afrikaner sind schlimm, aber noch viel schlimmer wäre es, wenn die EU zugeben müsste, eine in allen Punkten gescheiterte Flüchtlingspolitik betrieben zu haben.

Das erinnert mich irgendwie an das perverse Weltbild des Dr. Wolfgang “Opfer”-Schäuble, der mal über den Irak-Krieg sagte. Dieser Krieg sei eine schlechte Lösung, aber eine noch schlechtere Lösung wäre eine gedemütigte Weltmacht USA. Ein paar tausend Tote Iraker sind schlimm, aber noch schlimmer wäre es, wenn die Regierung Bush zugeben müsste, dass sie gelogen hat, interpretierte damals Volker Pispers die Aussagen Schäubles.

Das perverse Weltbild des Dr. Wolfgang Schäuble

Mit Blick auf Merkel muss man die Amerikaner aber echt mal loben. Denn trotz der unsäglichen Äußerungen, die öffentlich zugänglich sind, machen sie sich die Mühe, auch noch das Mobiltelefon der Kanzlerin heimlichen abzuhören. Soviel Leidensfähigkeit ist bewundernswert.

2

Taktische Spielchen gehen nach hinten los

Geschrieben von:

Der Linken wirft man vor, kein verlässlicher Partner in der Außenpolitik zu sein. Daher sei eine Regierungsbeteiligung auf Bundesebene stets abzulehnen. In den letzten Tagen vor der Bundestagswahl bekräftigen vor allem Sozialdemokraten ihre Absage an ein rot-rot-grünes Bündnis.

Hannelore Kraft: „Im Bund brauchen wir insbesondere mit Blick auf die Außenpolitik verlässliche Mehrheiten im Parlament. Ich kann mir das auch rein technisch im Bundestag nicht vorstellen.“

Quelle: Spiegel Online

Wer sich allerdings die Chronologie des G20-Treffens und die anschließende Konferenz der EU-Außenminister vom vergangenen Wochenende anschaut, dazu die Reaktionen von SPD und Grünen, muss sich fragen, worin die verlässliche Außenpolitik Deutschlands eigentlich besteht oder nach dem Willen eines Teils der Opposition bestehen soll.

Taktische Spielchen um Erklärungen, die sich inhaltlich nicht unterscheiden und dennoch offen lassen, was die Bundesregierung eigentlich will, sind das Ergebnis der Verhandlungen. Deutschland wolle sich nicht an einem Militärschlag gegen Syrien beteiligen, heißt es vermeintlich klar. Im nächsten Satz fordert die Bundesregierung aber eine starke internationale Antwort. Wie die aussehen soll, darüber schweigt man sich aus.

Merkel verteidigt ihr Vorgehen, da sie eine gemeinsame europäische Position schmieden wollte. Die Opposition, die im Vorfeld genau das von der Regierungschefin verlangte, jammert nun über den Zickzackkurs der Kanzlerin. Statt in der Sache zu kritisieren, monieren die Sozialdemokraten einmal mehr den Stil der Kanzlerin, die sich düpieren ließ oder besser gesagt, bei taktischen Spielchen den kürzeren zog.

Unterm Strich hat sich aber nichts an der Merkel geändert, die als Oppositionsführerin im Jahr 2003 in einem Gastbeitrag für die Washington Post ihre bedingungslose Solidarität mit den USA bekundete, die zu diesem Zeitpunkt mit einer Lüge als Begründung den Waffengang gegen Saddam Hussein vorbereiteten. Damals hat ihr Bild in der deutschen Öffentlichkeit gelitten. Daran im Wahlkampf 2013 noch einmal erinnert zu werden, will sie vermeiden.

Der Wähler soll nicht merken, wo Angela Merkel als Kanzlerin steht oder besser gesagt, er soll denken, ihre Position sei mit seiner irgendwie vereinbar. Dass den USA die Erklärung von St. Petersburg, die Merkel nachträglich unterschrieb, reichen dürfte, um notfalls allein in den Krieg zu ziehen, ist nebensächlich, solange es dem Ansehen der Kanzlerin nicht schadet. Für alle Seiten geht es wie immer nach solchen Gipfeln nur darum, dass Gesicht vor der eigenen Bevölkerung zu wahren.

Um die Menschen in Syrien geht es deshalb schon lange nicht mehr. Das Versagen der westlichen Außenpolitik spielt zudem Putin in die Hände, der auf Vorlage der Strategen in Washington und Berlin und in Absprache mit Assad nun einen diplomatischen Erfolg präsentieren kann. Das gefällt wiederum den deutschen Medien nicht, die dem lupenreinen Demokraten nur all zu gern böse Absichten und Methoden nicht nur unterstellen, sondern auch beweisen wollen. Auf die Idee zu kommen, dass mit der Außenpolitik der Bundesregierung und von Teilen der Opposition sowie des Westens insgesamt etwas nicht stimmt, kommen die wenigsten.

2

Verlogene Haltung

Geschrieben von:

Die Kommentatoren beschäftigen sich heute morgen mit Syrien und einem bevorstehenden Militärschlag aus humanitären Gründen. Das mit den humanitären Gründen hat der britische Außenminister William Hague erfunden, wahrscheinlich weil ihm genauso wenig Beweise für einen vom Assad-Regime aus gesteuerten Chemiewaffeneinsatz vorliegen wie den USA. In den Medien wird bagatellisiert, um die erneut nicht vorhandene Haltung der Bundesregierung zu stützen.  

Die Süddeutsche unterstellt der Linken gar “Moralische Großmannssucht”, weil die klar von einem militärischen Eingreifen in Syrien abrät und Luftschläge für Wahnsinn hält. Daniel Brössler schreibt an die Adresse der anderen beiden Merkel-Flügel im Parlament: 

“SPD und Grüne sollten sich hüten, dem Beispiel der Linkspartei zu folgen. Der Antikriegswahlkampf 2002 lebte von der Überzeugung, Deutschland habe sich richtig, also gegen Bush, positioniert. Auf diese einfache Formel lässt sich der Fall Syrien nicht reduzieren. Das verbieten die Fakten – und die Bilder aus Damaskus

Nur welche Formel greift im Fall Syrien? Hilft eine Bombardierung, die ja offenbar nur kurz und als Bestrafung gedacht sein soll, den Menschen in Syrien, die ja nicht erst seit dem mutmaßlichen C-Waffen-Einsatz zu leiden haben. In Neues aus der Anstalt brachte Kabarettist Christian Springer die Lage im Nahen Osten und die Rolle des vor Humanität triefenden Westens auf den Punkt.

Die syrischen Flüchtlinge sagen: ‘Wir beten jeden Tag zu Gott, dass er uns ein Erdbeben schickt. Dann hätten wir morgen Hilfe. Aber wir haben nur einen Krieg.’

Und in diesem Krieg sei eine rote Linie überschritten worden. Von wem, wissen offenbar nicht einmal die Geheimdienste, die ihren globalen Bruch von Grundrechten ja immer damit begründen, böse Menschen mit bösen Absichten rechtzeitig zu erkennen. Ein Militärschlag ohne oder mit konstruierten Beweisen, das kommt nicht nur bekannt vor, es ist dieselbe Strategie, genauso wie die Heuchelei über einen “Zivilisationsbruch”, einen Begriff, den neuerdings der deutsche Außenminister in den Mund nimmt. Wo bleibt der Aufschrei der Intellektuellen? Westerwelle setzt den Einsatz von C-Waffen in Syrien mit Auschwitz gleich.

Die Humanität der westlichen Demokratien, die ihre Werte inzwischen nur noch mit Mitteln der Diktatur verteidigen können, ist kaum noch zu ertragen. Erwin Pelzig stellte gestern in der Anstalt der Sorge der Bundesregierung um die Menschen in Syrien jene Flüchtlinge gegenüber, die zu Tausenden im Mittelmeer ersaufen, bei dem Versuch die Grenzen der durch und durch verlogenen europäischen Wertegemeinschaft zu erreichen.

3

Merkels Allzweckwaffe streut mal wieder

Geschrieben von:

Thomas de Maizière ist Merkels Allzweckwaffe. Er war Innenminister, Kanzleramtsminister und Minister für Besondere Aufgaben. Er erledigte seine Jobs immer unauffällig. Doch als Verteidigungsminister haut er einen Brüller nach dem anderen raus. Erst rückte er das moderne Bild des deutschen Soldaten zurecht, wonach das Sterben inzwischen wieder zum Job gehöre. Dann überraschte de Maizière mit der Einschätzung, dass die Bundeswehr sehr viel häufiger und länger in Krisengebieten und selbstverständlich auch für wirtschaftliche Interessen kämpfen würde. Und nun bezeichnet er seine Soldaten als Jammerlappen, die bloß nach Anerkennung gieren.

Und dann waren da noch die Rüstungslieferungen, über die nach Ansicht von de Maizière aus sicherheitspolitischen Interessen entschieden werde. Menschenrechtsüberlegungen spielen zwar eine Rolle, doch müssten die zurücktreten. Und jetzt stehen Patriots an der türkisch-syrischen Grenze, damit Zitat: „Niemand auf dumme Gedanken kommt“. Wer solche Minister hat, braucht sich vor der Regierungschefin nicht fürchten. Wo ist die eigentlich? Ach ja, an der türkisch-syrischen Grenze. Die Reise sei unabhängig von der des Bundesverteidigungsministers geplant worden. Und so erlebten die Soldaten vor Ort ein Déjà-vu. Denn sowohl de Maizière als auch Merkel warnten die Konfliktparteien in Syrien vor einer Ausweitung des Bürgerkrieges auf den Nachbarstaat.

Doch ist die Türkei durch den innersyrischen Konflikt überhaupt bedroht? Gibt es Raketen, die von syrischer Seite auf die Türkei abgefeuert werden könnten? Minister de Maizière meint ja, weil er über dieselben Hinweise aus sicheren Geheimdienstquellen verfügt wie einst Colin Powell. Militärisch machen die deutschen Patriots keinen Sinn. Es sei denn man nimmt die gesamte Nahost-Region zum Gegenstand strategischer Überlegungen. Schließlich rüstet Deutschland die Golfregion weiter südlich massiv auf. Da könnten noch ganz andere Konflikte entstehen, die eine Präsenz der deutschen Patriots in der Türkei rechtfertigen. Bleibt die Frage, wer hier welche dumme Gedankenspiele verfolgt.

2
Seite 12 von 25 «...1011121314...»