
Die Reihe haltloser Ultimaten geht munter weiter. Aus dem gestrigen Montag und der Nacht von Montag auf Dienstag ist inzwischen diese Woche geworden, in der es zu einem wirklichen Fortschritt kommen müsse. Denn alles schaut auf Donnerstag. Putin hatte den Tag für direkte Gespräche zwischen Russland und der Ukraine vorgeschlagen, als Reaktion auf das Treffen von Macron, Starmer, Tusk und Merz sowie Selenskyj am Wochenende in der Ukraine, das ja dann immerhin Bewegung in den Prozess brachte, allerdings abermals um den Preis der eigenen Glaubwürdigkeit. Denn die forsch vorgetragenen Drohgebärden haben sich allesamt als hohl erwiesen.
Vielmehr erklären Russland und die USA, wo es langgeht. Die Europäer bleiben Statisten ohne einheitliche Linie. Aus Sicht der Ukraine geht die Sprachregelung jetzt so: Sollte Putin nicht persönlich zu den Verhandlungen in Istanbul erscheinen, wäre dies das endgültige Zeichen dafür, dass Russland diesen Krieg nicht beenden wolle und zu keiner Art von Verhandlungen bereit sei. Die gerade düpierten europäischen Partner formulieren hingegen vorsichtiger. Der Donnerstag sei „ein wichtiges Datum“ mit Blick auf ein mögliches Ende des Ukraine-Krieges. Russland dürfe daher keinen leeren Stuhl in Istanbul hinterlassen, sondern müsse erscheinen, „wenn es ernsthaft an einem Frieden interessiert ist“, so der Bundesaußenminister Wadephul.
Ist die Teilnahme von Putin nun eine notwendige Bedingung für Verhandlungen oder genügt es, wenn Unterhändler beider Seiten aufeinandertreffen? Jedenfalls ist das Ultimatum von Mitternacht Geschichte. Konsequenzen werden nun für den Fall angedroht, dass sich Russland dem Gesprächsangebot der Ukraine in Istanbul verweigert. Doch danach sieht es nicht aus. Der Kreml erklärte, dass Putin es ernst meine mit den Verhandlungen in der Türkei. Bleibt die Frage, ob die Ukraine den diplomatischen Normalfall einer für solche Zwecke autorisierten Delegation akzeptiert. Denn derzeit ist auch hierzulande viel davon die Rede, dass das Gelingen oder Scheitern der Gespräche davon abhänge, ob Putin auch persönlich erscheine, um mit Selenskyj zu sprechen. Doch das ist Schwachsinn.
Gespräche auf höchster Ebene stehen in der Regel immer am Ende eines ohnehin komplizierten Verhandlungsprozesses. Insofern könnte man genauso gut argumentieren, dass Selenskyj ein konstruktives Verfahren absichtlich zu behindern sucht, wenn er ankündigt, die Gespräche nur persönlich mit Putin führen zu wollen. Doch das Gegenteil ist der Fall, ergänzt um reichlich Bewunderung für einen angeblich mutigen Schritt des ukrainischen Präsidenten. Doch dieselben Leute, die das so sehen, dürften sehr verwundert darüber gewesen sein, als Donald Trump in seiner ersten Amtszeit Kim Jong-un direkt traf, um Händchen haltend über eine der sensibelsten Grenzen dieses Planeten zu schlendern. So oder so, Verhandlungen auf höchster Ebene zwischen zwei verfeindeten Staaten bleiben ein ungewöhnlicher Vorgang.
Wer das bestreitet, sollte noch einmal seine Haltung zu den Konferenzen überprüfen, die unter Ausschluss Russlands beispielsweise auf dem Bürgenstock in der Schweiz stattfanden. Was hat man da alles für Erklärungen gefunden, die die Sinnhaftigkeit solcher Veranstaltungen betonten, weil sie als eine Art Vorbereitung auf ein späteres direktes Aufeinandertreffen der Kriegsparteien verstanden werden sollten. Wenn das damals richtig war, kann man heute schwerlich behaupten, dass ein mögliches Fernbleiben Putins Ausdruck mangelnder Verhandlungsbereitschaft wäre. Nein, die Reaktionen aus Politik und Medien bestätigen daher nur eines. Eine große Hilflosigkeit. Man beklagt die Folgen eines Krieges, den man offenbar billigend in Kauf genommen hat.
Denn man erinnere sich bitte an den Vorabend des Einmarschs, als der amerikanische Präsident im Beisein des stummen Kanzlers Scholz Russland vor einem Angriff auf sein Nachbarland warnte. Das würde das Ende für die Gaspipeline Nord Stream 2 bedeuten. Der Kanzler erklärte später, dass man auf den Kriegsfall vorbereitet sei, mit Sanktionen, die als Strafe schnell und direkt wirken sowie zu hohen Kosten führen würden. Damals glaubte man wie heute, dass eine solche Strategie einen Angriff abschrecken und einen Krieg verhindern könne. Heute sind 16 Sanktionspakete verabschiedet und ein 17. in Vorbereitung, das man nur noch als Karikatur bezeichnen kann. Insbesondere dann, wenn als Verschärfung erwogen wird, die noch vorhandene Nord-Stream-2-Pipeline, die nie in Betrieb gegangen ist, zu sanktionieren. Strafen gegen das Nord-Stream-2-Konsortium beträfen am Ende auch die fünf europäischen Investoren, die zwar nicht mehr Teil der Gesellschaft sind, aber immer noch Großgläubiger des Projekts, das sie in Form von Krediten finanziert haben.
Bildnachweis: Screenshot, Tagesschau vom 13. Mai 2025
MAI
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.