Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts im Hauptsacheverfahren zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht liegt es nun am Gesetzgeber, das Gesetz wieder abzuschaffen. Denn ein entscheidendes Kriterium bei der Ablehnung der Verfassungsbeschwerden wird bei der allgemeinen Empörung, die nun wieder herrscht, übersehen. Die fehlende Wirksamkeit des Gesetzes.
Beim nur mäßig lustigen Pandemiespiel, wer hat es verbockt, haben sich die Länder am Montag noch einmal eine Abfuhr geholt. Sie hätten gern noch strengere Coronaregeln, können diese aber selbst nicht begründen, weshalb sie den Bund nun für Lockerungen kritisieren. Der hat aber nur die Irrlehre einer politischen Virologie mit parlamentarischer Mehrheit in die Schranken gewiesen, die fälschlicherweise immer noch mit Wissenschaft in Verbindung gebracht wird.
Das Erheben von Daten und deren Auswertung hat während der gesamten Coronazeit nicht sonderlich gut geklappt. Zudem interpretieren die politisch Verantwortlichen das, was an Material vorliegt, gekonnt falsch. Es wird zum Beispiel über Impflücken geklagt, obwohl der konkrete Impfstatus der Bevölkerung weiterhin unbekannt ist oder davon abhängig, was auf den Fluren des RKI oder des PEI zur Gültigkeit eines Impfschemas entschieden wird. Hinzu kommt die Zahl der Genesenen, die konsequent ausgeblendet werden, obwohl sie zur Grundimmunität der Population entscheidend beitragen. Unter diesen Bedingungen ist eine konstatierte Impflücke vollkommen nichtssagend mit Blick auf die eigentlich relevante Immunitätslücke, die es zu ermitteln gilt. Nach einer Durchseuchung, wie sie im Augenblick stattfindet, verändert sich die Lage ja fundamental.
Die Rücknahme der Corona-Beschränkungen ist unvermeidlich. Das hat nun auch die Politik hierzulande erkannt, was zunächst einmal zu begrüßen ist. Der verbalen Kehrtwende folgt allerdings kaum etwas von Belang. Es werden Maßnahmen zurückgenommen, an die sich ohnehin niemand gehalten hat, geschweige denn gewusst hätte, dass sie noch existieren.
Politiker lassen sich in der Regel immer eine Hintertür offen, wenn sie beispielsweise sagen, dass sie grundsätzlich nichts ausschließen können, aber Stand heute, sicher so oder so entscheiden würden. Nur trifft das bei der Impfpflicht gerade nicht zu. Hier hatte sich die Politik klar festgelegt, komme was will. Nun wird im Geiste einer neuen politischen Virologie erklärt, dass sich ja wissenschaftliche Erkenntnisse ständig ändern – vor allem nach Wahlen – somit auch politische Einstellungen und Überzeugungen. Das kann man natürlich machen, hat dann aber auch unangenehme Konsequenzen.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat am Montag angekündigt, dass die epidemische Lage von nationaler Tragweite aufgrund der Impffortschritte nicht noch einmal verlängert werden müsse. Allerdings sollten bestimmte Maßnahmen fortbestehen, wie AHA+L-Regeln und die 3G-Regel plus 2G-Option. Jetzt geht es also darum, eine pikante gesetzgeberische Notlage zu kitten, die mitten in die Zeit einer Regierungsbildung fällt. Wird keine Nachfolgeregelung geschaffen, droht die Aufarbeitung eines politischen Versagens. Daran haben vor allem die Länder kein Interesse.
Man habe die Lage falsch eingeschätzt. So lautete in etwa die Ausrede angesichts des außenpolitischen Desasters in Afghanistan. Wann kommt diese Einsicht bei der Bekämpfung der Pandemie? Es ist erstaunlich, welche Verrenkungen unternommen werden, um das kolossale Scheitern nicht eingestehen zu müssen. Anhand der Impfkampagne lässt sich das sehr gut beschreiben. Hier geht es nämlich gar nicht mehr um Fragen der Gesundheit, sondern einzig und allein darum, dass jeder Piks einer unglaubwürdig gewordenen Politik aus deren selbst verschuldeten Patsche helfen soll.
Lauterbach: Impfungen wirken nur im Zusammenhang mit Lockdown!? (Tagesschau 06.07.2021)
Karl Lauterbach sagt hier etwas vollkommen Richtiges. Infektionen lassen sich nun einmal im normalen Alltag und beim normalen Umgang miteinander auch mit Impfung nicht vermeiden. Es muss also immer noch die Frage beantwortet werden, wie man nun damit umgeht, ob man Infektionen akzeptiert oder nicht. Lauterbach spricht sich dafür aus, Einschränkungen beizubehalten, andere fordern Stufenpläne auf Grundlage verlässlicher Daten in Abhängigkeit zum Alter, also den besonders gefährdeten Gruppen (Stöhr, Antes und Co.), wieder andere, das sind die meisten Landesregierungen, wollen der Frage auch weiterhin ausweichen, indem sie nun Ungeimpfte schikanieren. Das ist populär und soll, so die Hoffnung, zu einem guten Wahlergebnis beitragen.
Zwischen Geimpften und Ungeimpften zu unterscheiden, ist diskriminierend, vor allem dann, wenn die eine Gruppe bewusst besser und die andere bewusst schlechter gestellt werden soll. Das Ziel, die Impfquote zu erhöhen, darf nicht über direkten oder indirekten Zwang erfolgen. Das ist verfassungswidrig und nur im äußersten Ausnahmefall als letztes Mittel unter sehr strengen Auflagen zulässig. Der Staat muss zunächst selbst Überzeugungsarbeit leisten, also einen Dialog mit den Bürgern führen und auf diese Weise die Bereitschaft zu einer freiwilligen Impfung erhöhen. Das tut er aber nicht. Das Gegenteil ist sogar der Fall. Das Pandemiemanagement sowie die Krisenkommunikation der Regierung sind zutiefst widersprüchlich und im Ergebnis ein Desaster. Das hat zu einem massiven Vertrauensverlust beigetragen, der nun nicht durch die Androhung einer Impfpflicht, ob nun direkt oder indirekt, oder die Stigmatisierung von Teilen der Bevölkerung geheilt werden kann. Die Regierung hat nicht das Recht, laufend schwere Fehler zu begehen und dann die Bürger für die Konsequenzen verantwortlich zu machen. Sie muss das verlorene Vertrauen wiederherstellen.
Maske auf oder Maske ab. Es steht zu befürchten, dass nun die nächste epische Endlosdiskussion die deutsche Öffentlichkeit erreicht. Die Bundesjustizministerin hat erkannt, dass bei einem stark abflauenden Infektionsgeschehen die Rechtsgrundlage für Anordnungen nicht mehr gegeben sein könnte, die bei Verstößen ein Bußgeld vorsehen. Der Bundesgesundheitsminister sieht es ähnlich, schlägt aber ein stufenweises Vorgehen vor. Auf Nachfrage, wie das konkret aussehen soll, kommt aber nichts. Virologen und Lehrerverbände wollen die Maskenpflicht dagegen beibehalten, da das Virus noch nicht von der Bildfläche verschwunden sei. Nur das wird es nie, womit das Argument dann auch vollkommen sinnlos ist.