Zur allabendlichen Traumtänzerei

Geschrieben von: am 23. Mrz 2022 um 11:40

Eine wesentliche Erkenntnis des russischen Überfalls auf die Ukraine scheint hierzulande zu sein, dass sich der Grundsatz Wandel durch Handel nicht bewährt habe und man so schnell wie möglich so eine Art Isolation des größten Landes der Erde organisieren müsse, flankiert durch eine massive Aufrüstung, bei der nicht ganz klar ist, was mit ihr eigentlich bezweckt werden soll. Hier kommt eine atemberaubende Traumtänzerei zum Vorschein, die da in Talkshows und Sondersendungen Abend für Abend verbreitet wird. Bei der Frage der Substitution wird es dann auch scheinheilig und lächerlich.

Man hört immer wieder, dass sich Demokratien im Westen dadurch auszeichnen, in Freiheit zu leben, Menschenrechte zu achten und diese zu verteidigen (gern auch auf fremden Territorien). Über Putin wird erzählt, er fürchte diese Demokratie und die Freiheit seines Nachbarlandes, weshalb er es kurzerhand überfallen habe. Dabei gibt es diese Freiheit in der Staatskunst gar nicht. Sie endet in der Regel immer da, wo amerikanische Interessen berührt oder bedroht sind. Kein anderes Land der Welt ist in der Lage, per Kongressbeschluss Sanktionen gegen jeden x-beliebigen Staat oder jedes x-beliebige Unternehmen und deren Geschäftspartner zu verhängen. Inzwischen ist es aber so, dass diese Art des ökonomischen Terrors auf die Urheber selbst zurückfällt. Denn mittlerweile muss die Großmacht, deren Vorrangstellung schon längst zu bröckeln angefangen hat, bei denen um Öl nachfragen, die sie selbst seit Jahren sanktioniert, bedroht oder beputschen lässt.

Interessen bestimmen die Realpolitik

Daneben gibt es noch die Variante, die Beziehungen zu den guten Schurkenstaaten zu vertiefen. Länder wie Katar oder Saudi-Arabien halten zwar noch weniger von Menschenrechten und bürgerlichen Freiheiten nach westlichem Muster, sie führen auch brutalere Kriege, sogar mit deutschen Waffen, aber das ist den Doppelmoralisten hierzulande gerade mal egal. Über den grünen Bückling im Wirtschaftsministerium hat Jens Berger auf den NachDenkSeiten schon das Notwendige gesagt. Man kann das aber auch so verstehen, dass Realpolitik immer noch viel wichtiger ist als irgend eine Moralapostelei in Parteigliederungen, Parlamenten oder sozialen Netzwerken. Robert Habeck stellt sich deshalb gern wie ein Bundestrainer neben Palmen, um die Taktik für das nächste Spiel zu erklären. Doch wenn das so ist, muss auch Russland immer ein Verhandlungspartner bleiben, egal was der Schauspieler in Kiew und sein unerträglicher Botschafter in Deutschland meinen, über Videoansprachen, Talkshowauftritte und Twittertrollerei einfordern zu dürfen.

Sollen sie doch endlich Frieden schließen, statt immer mehr Waffen an die eigene Bevölkerung zu verteilen. Sie können natürlich auch einfach weiterkämpfen lassen und das für heldenhaft erklären, aber dann nicht erwarten, dass man das in Deutschland auch so sieht. Die blau-gelbe Besoffenheit weicht im Angesicht immer größerer Flüchtlingsströme und Teuerungen bei Energie, Lebensmitteln und eigentlich allem, was die Freiheit so verlockend macht, allmählich einer trübseligen Ernüchterung. Mit der Moral und dem Gerede über einen Freiheitskampf für irgendwelche Werte ist es dann auch irgendwann vorbei, wenn der ukrainische Botschafter immer häufiger wie ein anklagender Rüpel auftritt. Man möchte ihm diplomatisch antworten.

In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.

Egon Bahr

Die Feststellung von Egon Bahr hat sich bis heute nicht verändert. Aus dieser Grundüberlegung heraus, entstand der Gedanke des Wandels durch Annäherung, nicht Wandel durch Handel. Annäherung! Doch wo war die Annäherung derer, die nun stets behaupten, nur Russland habe der Diplomatie mit seinem Angriffskrieg eine Abfuhr erteilt? Was hat der Westen inklusive der Ukraine eigentlich getan, außer zu verurteilen und sich permanent zu distanzieren? Hat Bundeskanzler Olaf Scholz geglaubt, in Moskau einen Witz über die Dauer von Amtszeiten reißen zu können und damit einen Krieg zu verhindern, der sich aus der herbeigeführten Konfrontation ergeben konnte? Hat er vielleicht gedacht, Joe Biden meint es nicht so ernst, als er in Washington auf die Frage nach Nord Stream 2 sagte, wir, die Amerikaner, werden dafür sorgen, dass das Projekt gestoppt wird? Was ist die deutsche Position? Sie drückt sich im Gesicht von Olaf Scholz aus. Er schweigt, nachdem er von Zeitenwende sprach und mit einer Ankündigung, 100 Milliarden Euro fürs Militär ausgeben zu wollen, die deutsche Innenpolitik ins anhaltende Deutungschaos stürzte.

Rückkehr zu normalen Beziehungen

Immerhin erteilte er der Forderung nach einer Flugverbotszone eine Absage. Weil er und die NATO die noch schrecklicheren Folgen eines solchen Schritts erkannt haben. Doch welchen Sinn haben dann noch Waffenlieferungen? Vielleicht um das schlechte Gewissen zu beruhigen, weil man die Ukraine in Wirklichkeit im Stich lässt? Deren Kampf wird nun zu einem Freiheitskampf hochstilisiert, den man gern aus der Ferne beklatscht. Dass das zu Enttäuschungen auf ukrainischer Seite führen muss, ist nachvollziehbar. Zwischen den Zeilen des pathetischen Geplappers ist ja längst klar, so wichtig ist dem Westen die Ukraine eben nicht. Die Hoffnung auf Teilhabe war nur inszeniert. Ihre Funktion bestand wohl immer nur darin, die Interessen der („Fuck the EU“) Amerikaner in Europa zu wahren. Sie haben von der Konfrontation zwischen Ost und West mehr als von einer Einigung Europas unter Einschluss Russlands.

Darüber könnte man mal diskutieren, doch in der Ermangelung an tragfähigen Antworten unter all dem überflüssigen moralischen Geschwätz und der Einengung von Debattenräumen, kommen dann eben eher Äußerungen zustande, wie die, dass man es nun ein paar Jahre mal ertragen könne und müsse, für die Freiheit zu frieren. Mit Realpolitik hat dieser verlogene Fatalismus natürlich nichts zu tun. Gleichzeitig beklagen die Doppelmoralisten nun auch, dass es irgendwie widersprüchlich und verächtlich sei, andere kriegführende Autokraten stärker zu hofieren, während man an Putin die strengsten Maßstäbe anlegt. Die Welt ist eben ungerecht. Doch nüchtern betrachtet, ist eine Rückkehr zu normalen Beziehungen mit Russland geboten und zwar egal, wer im Kreml das Sagen hat. Wie auch sonst sollten die anspruchsvollen ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Ziele, die sich diese Ampelregierung auf die Fahnen geschrieben hat, je verwirklicht werden? Der Ökonom Heiner Flassbeck sagt im Interview mit Telepolis:

Man muss nach dem akuten Konflikt wieder zu normalen Beziehungen zurückfinden. Es gibt einen weltweiten, gewaltigen Ölmarkt, da spielt Russland eine wichtige Rolle und man wird auch keine weltweite Klimastrategie entwickeln können ohne diesen großen Player. Jenseits der heutigen Emotionen muss man dafür sorgen, dass es wieder friedliche Beziehungen gibt und dass alle relevanten Akteure miteinander kooperieren.

Und noch etwas anderes. Während weitgehend Einigkeit darüber besteht, die Etats für Verteidigung dauerhaft mit deutlich mehr finanziellen Mitteln aufzublähen, wird auch klar, wo Einsparungen vorgenommen werden sollen. So findet sich im aktuellen Haushaltsentwurf der Ampel unter anderem kein Verweis auf die groß angekündigte Kindergrundsicherung mehr. Laut Lars Feld, dem Wirtschaftsberater von Finanzminister Christian Lindner (FDP), werde man wegen des geplanten Sondervermögens für die Bundeswehr „das ein oder andere in der Legislaturperiode…nicht realisieren“ können, z.B. strukturelle Mehrausgaben im Sozialbereich (Quelle: ZDF heute journal). Dass nur auf die Frage, wer genau da künftig unter dem Stichwort Zeitenwende friert und die hohen Preise für vermeidbare Kriege bezahlt.


Bildnachweis: André Tautenhahn

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Hans-Jürgen Herzberg  März 24, 2022

    Sie haben vollkommen recht mit ihrer Analyse.
    Wer hat das gößte Interesse, das es zu keiner Einigung de Europäischen Staaten kommt, nur die USA.
    Man stelle sich vot Europa gesmt würde soch über strategische Ziele zur Verringerung des Klimawandels einigen.
    Ohne diese gemeinsamen Wege ist der Klimawandel überhaupt nicht zubewältige.
    Was für eine Kraft in Europa entstehen könnte. Der Euro würde an Stärke und Kraft gewinnen.
    Der Dollar würde verlieren. Die USA müßten ihre ungebremste Geldmachine ,zu lasten andere Staaten, drosseln.
    Die USA könnte nicht weiter so ungebremst iher Rüstungsausgaben steigern.
    Die Chipfabrik in Magdeburg und die Tesla Ansiedlung kommen doch nicht einfach so daher.
    Die USA will Europa spalten und damit Ihre Machtposition festigen. Und wir fallen darauf rein. Diese Politik wird sch noch bitter rechen.

  2. StefanFriedrich  März 24, 2022

    Hallo zusammen
    Ich denke ,Selensky u. seine korrupte Bande sind nicht
    in der Lage diesen Krieg selber zu beenden. Sie dürfen
    nicht kapitulieren . Auf keinenFall. Dafür sorgen sicherlich reaktionäre Kräfte der USA , welche Wirtschafts -und Finanzinteressen verfolgen .
    Europa bleibt dabei auf der Strecke . Sie merken es
    einfach nicht .
    MfG Stefan Friedrich