Unsere Art zu übersehen

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Nichts ist klar, aber die Reflexe funktionieren bis hin zur gedanklichen Mobilmachung. Der französische Präsident spricht von Krieg, der Bundespräsident von einer neuen Art des Krieges und Springer-Chef Döpfner wünscht sich eine Radikalisierung der gesellschaftlichen Mitte. Schwups ist auch eine Diskussion um den NATO-Bündnisfall oder einen Dritten Weltkrieg (Papst) entbrannt. Besonders klug ist das nicht.

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Der Ausnahmezustand

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„Unser freies Leben ist stärker als der Terror“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel an diesem Samstag. Doch in Frankreich (einschl. Korsika) herrscht seit heute der Ausnahmezustand. Den hat der von Präsident Hollande einberufene Ministerrat erklärt. Das Gremium hat auch Sonderregelungen für die Île-de-France (Ballungsraum Paris) beschlossen. Sie erlauben laut Communiqué die Festnahme von Menschen, die Bewaffnung von Sicherheitskräften, eine Ausweitung der Fahndungsmethoden und die Schließung von öffentlichen Orten mit viel Publikum sowie Schulen und Hochschulen.

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Kurz notiert: Panzer nur anschauen, nicht benutzen

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  • Die Lieferung von Kampfpanzern an Katar ließ sich leider nicht verhindern. Ein formaler Akt auf Referatsleiter-Ebene, wie es im Bericht der Süddeutschen heißt. Sigi-Pop hat da wenig Einfluss, wenn die Automatismen des Regierungsalltags greifen. Dafür drängt der Vizekanz-Nicht (SPD) beim Bundesverteidigungsministerium, dem Kanzleramt und dem Auswärtigen Amt nun darauf, dass sich die Kollegen von Katar eine Zusicherung vorlegen lassen. Darin soll stehen, dass das Land darauf verzichtet, die Kampfpanzer im Jemen einzusetzen. Also so eine Art Endverbleibserklärung. Hat ja mit den Gewehren im Irak auch prima funktioniert. Interessant wäre natürlich die Frage, was Katar mit Panzern – Made in Germany – noch anstellen könnte. Ein Krauss-Maffei Wegmann-Museum wird das Land damit vermutlich nicht bestücken. Also ist die Strategie, Panzer nur anschauen, aber nicht benutzen, klar zum Scheitern verurteilt und Sigmar Gabriel, ja, der Sigi, er bleibt der ganze Stolz der SPD.
 

Ergänzung der Bundesregierung: Verträge müssen halt eingehalten werden

Quelle: Jung & Naiv via YouTube

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Alle wollen nur bomben

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Syrien-Russland

Quelle: HAZ, 01.10.2015, Seite 3

Putin lässt in Syrien bomben, lauten heute die Schlagzeilen in den Medien. Dazu gibt es Bilder von zerstörten Häusern und die Information, dass die russischen Kampfjets IS-Stellungen mehr oder weniger verschont hätten. Die US-Regierung und Oppositionsgruppen seien davon überzeugt. Putin schmeiße also böse Bomben, weil er ein Verbündeter Assads ist und insgeheim unehrenwerte Ziele verfolgt. Es gibt aber keine guten und bösen Bomben und: Auch Obama lässt in Syrien bomben. Auch Erdogan lässt in Syrien bomben und demnächst Hollande lässt in Syrien bomben.

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Allgemeine Herbstbelebung

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Was für eine Herbstbelebung: Die Arbeitslosenzahlen sinken, die VWs stinken und der Springer Konzern muss Jörg Kachelmann ein Rekordschmerzensgeld zahlen. Das kurbelt die Berufsfälscher von Springer aber mal richtig an. Sie wollen in Berufung gehen: Begründung: „da wir unsere umfassende Berichterstattung über das Strafverfahren gegen Jörg Kachelmann nicht auf diese Weise diskreditiert sehen möchten“. Das ist interessant. Denn in einem anderen Verfahren, an dem der Springer-Konzern diesmal als Kläger beteiligt ist, dient der Journalismus offenbar nur als Mittel zum Zweck.

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Prominente wollen ins Fernsehen: Kerner hilft!

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Johannes B. Kerner macht das, was er am besten kann. Kübelweise Emotion über die TV-Zuschauer ausgießen. Am Donnerstag sendete das ZDF eine Spendengala für Flüchtlinge. Ihr Arbeitstitel lautete: „Die Menschen auf der Flucht: Deutschland hilft!“. Eigentlich hätte es aber heißen müssen: „Prominente wollen ins Fernsehen: Kerner hilft!“

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Koalitionsgipfel: Erwartbares Ergebnis

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Der Koalitionsgipfel von gestern hat das erwartete Ergebnis gebracht. Die Hardliner haben sich durchgesetzt. Hinter der hübschen Zahl von sechs Milliarden Euro, die für die Versorgung und Unterbringung von Flüchtlingen bereitgestellt werden soll und die heute als Schlagzeile dient, verschwindet die beabsichtigte Verschärfung und Ausweitung bestehender Regeln beim Umgang mit Asylbewerbern. Die Regierung setzt sogar noch eins drauf und erklärt Länder wie das Kosovo, Albanien oder Montenegro zu sicheren Herkunftsländern, was die Abschiebung von Menschen in katastrophale Verhältnisse weiter erleichtert.

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Glosse: Mängelbericht

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Die Bundeswehr hat nach einem Zeitungsbericht nun auch Ärger mit dem neuen Maschinengewehr MG5. Die geplante Auslieferung sei wegen Mängeln von Juni dieses Jahres auf 2016 verschoben worden, berichtet die «Bild am Sonntag». Demnach habe sich herausgestellt, dass diese Waffe potenziell auch Menschen töten könnte. Sollte das zutreffend sein, wäre das ein gravierender Mangel, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums.

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Wer ist „Wir“ Herr Ischinger?

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Der Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, hat sich gestern in den Tagesthemen zu Wort gemeldet und einen erstaunlichen Plan verkündet, bei dem ich mich frage, was diesen Mann eigentlichen als gefragten Experten auszeichnet. Er sprach von einer langfristigen wirtschaftlichen Hilfe für die Ukraine, damit sich auch die militärische Lage stabilisiere. Aus verhandlungstaktischer Sicht sei es klug die Option möglicher Waffenlieferungen nicht vom Tisch zu wischen. Ischinger begründet das dann so:

„Wir alle wollen keine Waffenlieferungen des Westens, weil wir die Eskalationswirkung fürchten. Wir wollen doch eigentlich eine doppelte Nulllösung. Genau wie vor 30 Jahren, als es noch die Sowjetunion gab. Wir wollen, dass Russland aufhört, Waffen zu liefern , was es seit einem Jahr tut. Und im Gegenzug sind wir natürlich dann auch bereit, auf solche Maßnahmen unsererseits zu verzichten. Aber dazu hilft es vielleicht schon, wenn dieses Thema auf der Tagesordnung bleibt und den Gegner, sag ich jetzt mal, die Separatisten im Unklaren darüber lässt, ob es vielleicht zu solchen Lieferungen eines Tages kommen könnte. Das führt vielleicht dort auch zu einer gewissen Zurückhaltung.“

Ich fasse das mal zusammen: „Wir“ (wer ist das eigentlich) drohen mit Waffenlieferungen, die „wir“ (wer ist das eigentlich) natürlich nicht vornehmen werden, weil „wir“ (wer ist das eigentlich) eine Eskalation vermeiden wollen. Dann verkünden „wir“ (wer ist das eigentlich) diesen Plan im Ersten Deutschen Fernsehen und hoffen, dass der „Gegner“ (wer ist das eigentlich) nichts mitbekommt. Ich muss schon sagen, das „wir“ (wer ist das eigentlich) ziemlich blöde sein muss, wenn es glaubt, das wäre eine vernünftige Strategie.

Im übrigen hält der EU Botschafter der Ukraine in Brüssel, Konstantin Jelissejew, eine EU-Militäroperation im Donbass, wie sie Präsident Poroschenko gestern forderte, für eine „innovative Idee“. Da fällt mir jetzt nichts mehr ein, aber vielleicht dem „wir“ (wer ist das eigentlich).

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Ziemlich dick aufgetragen

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Die Morde von Paris seien ein Angriff auf die ganze freie Welt, heißt es. Doch so frei, wie die freie Welt tut, ist sie schon lange nicht mehr.

Die Reaktionen auf den Anschlag in Paris sind aus meiner Sicht übertrieben. In der FAZ spricht Berthold Kohler zum Beispiel von einer Kriegserklärung an die ganze freie Welt und Klaus-Dieter Frankenberger meint beipflichtend, der Mord an Journalisten der Zeitschrift „Charlie Hebdo“ ziele auf das Herz der Demokratie – die freie Presse. Das ist ziemlich dick aufgetragen.

Pressefreiheit steht schon längst unter Terrorverdacht

Das Herz der Demokratie, schlägt es denn überhaupt noch? In Sachen Pressefreiheit rangiert Frankreich in der Rangliste von Reporter ohne Grenzen auf Platz 39 und Deutschland auf Platz 14. Diese Ergebnisse zeigen, so Reporter ohne Grenzen, „wie stark die Dominanz der Sicherheitsbehörden die Arbeit von Journalisten in vielen Ländern erschwert. Besonders besorgniserregend ist, dass diese Entwicklung sogar traditionelle Demokratien erfasst hat.“

Whistleblower wie Edward Snowden stammen aus diesen Demokratien. Deren politische Führer halten ihn aber für einen Verräter, dem im Namen des Volkes der Prozess gemacht und die Freiheit genommen werden müsse. Der Journalist Glenn Greenwald, dem Snowden sein brisantes Material anvertraute, sah sich ebenfalls Repressionen ausgesetzt. Sein Lebenspartner wurde zudem am Londoner Flughafen Heathrow stundenlang festgehalten und verhört.

Die britische Regierung rechtfertigte das Vorgehen auf der Grundlage von Anti-Terror-Gesetzen und die Richter in einem späteren Verfahren folgten dieser Einschätzung. Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung sowie die Pressefreiheit wogen in diesem Fall nicht so schwer, wie der Terrorism Act der Regierung. Wer sich also auf Pressefreiheit beruft und seine Quellen schützt, ist im Zweifel auch des Terrors verdächtig, so die Botschaft oder sollte man Drohung sagen.

So frei, wie die freie Welt tut, ist sie also nicht. Das kommt schon allein dadurch zum Ausdruck, dass permanent von Werten, statt von Rechten gesprochen wird. Menschen zu erschießen, verstößt aber nicht gegen irgendwelche Werte, die mit allerhand Ideologie bloß aufgeblasen werden, sondern gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Bei uns steht das im Artikel 2 des Grundgesetzes.

Mit Gewalt muss gerechnet werden

Verstöße dagegen werden in einem Rechtsstaat verfolgt und mit Strafen belegt. Dabei ist es egal, an welche Religionen Mörder und Extremisten glauben. Vor dem Gesetz sind sie alle gleich oder sollten es sein. Doch tun wir gerade so, als hätten die Morde von Paris nun eine besondere Qualität. Dabei ist die Gewalt eine Größe, mit der man rechnen muss. Dass es Vororte von Paris gibt, in denen Menschen zum Teil schwer bewaffnet sind, ist schließlich keine Neuigkeit.

Was läuft da schief, wäre eine Frage, die es zu stellen gilt. Sind tatsächlich der Glaube und verletzte religiöse Gefühle die Auslöser für Gewalt? Was ist mit der Perspektivlosigkeit, die eine Demokratie produziert, die offenbar nur noch marktkonform zu sein hat? Was werden wohl die vielen jungen Menschen tun, die in Südeuropa dank Spardiktat keine Chance mehr sehen, jemals wieder Arbeit zu finden? Werden sie ihr Schicksal einfach nur ertragen oder rekrutiert?

Wem folgen die Pegida-Anhänger hierzulande und wohin? Diese Bewegung dürfte nach den Morden von Paris weiteren Zulauf erhalten. Die ersten Wirrköpfe beginnen die Ereignisse bereits, für ihre Zwecke zu missbrauchen. Und Kohler von der FAZ bläst ins selbe Horn wenn er schreibt, dass sich niemand mehr über die Furcht vor dem Islam zu wundern bräuchte, weil in dessen Namen Angst und Schrecken verbreitet würde.

Besonnenheit sieht anders aus. Nach den Anschlägen in Norwegen 2011 sagte der damalige Ministerpräsident Jens Stoltenberg: „Unsere Antwort lautet: mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit.“ Die Antwort nach Paris lautet offenbar: Wiederaufnahme des Kampfes gegen den Terror und Erneuerung politisch versagender Bündnisse, denen oft auch nicht mehr einfällt, als zur Waffe zu greifen.


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