Die Richter zweifeln, weil eine Analyse der Krise fehlt

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Das Bundesverfassungsgericht hält das Anleihekaufprogramm der EZB für rechtswidrig, will darüber aber selbst nicht entscheiden, sondern dem EuGH den Vortritt lassen. Die Entscheidung der Karlsruher Richter wird hierzulande allgemein begrüßt. Die Mehrheitsmeinung in Deutschland ist der Auffassung, dass die EZB ihre Kompetenzen mit dem 2012 beschlossenen OMT Programm überschritten habe. Überschritten vielleicht, nur falsch war das nicht.

Es sind jene Politiker und Experten, die sich selbst lobend auf die Schulter klopfen, weil sie glauben, dass ihre Krisenpolitik seit einiger Zeit zu wirken beginne. Diese angenommene wie falsche Wirklichkeit würde es aber nicht geben, hätte Mario Draghi auf seine Ankündigung verzichtet, im Notfall Staatsanleihen in unbegrenzter Höhe aufkaufen zu wollen. Ohne OMT hätten die Spekulanten, die auf die Pleite ganzer Staaten wetteten, gewonnen und damit den Zerfall der Eurozone erreicht.

Allein die Ankündigung Draghis beendete das Chaos an den Finanzmärkten. Wohlgemerkt, nur die Ankündigung. Denn das Programm ist bis heute nicht zum Einsatz gekommen. Die Richter in Karlsruhe wie auch Bundesbanker, Politiker und Mainstream-Ökonomen geißeln also etwas, dass bisher nur in der Theorie existiert. Die Justiz, die zur Ökonomie selten etwas Vernünftiges zu sagen hat, lässt aber immerhin die in den Medien unterschlagene Möglichkeit offen, das bestehende Vertragswerk der EU entsprechend zu ändern.

Eigentlich geht es um die Frage, ob ein regelkonformes Nichtstun dem vorzuziehen ist, was vernünftig war, als die Politik jämmerlich versagte. Die Regierungen wollten den Euro retten, taten aber nichts und trieben die Währungszone mit unbedarften Äußerungen an den Rand eines Kollapses. Draghi musste reagieren und die Politik akzeptierte das auch, weil sie ganz genau um die brisante Lage wusste, dies aber öffentlich nicht zugeben wollte.

Doch die Luft, die der EZB-Chef den Regierungen verschaffte, nutzten diese nicht für eine ehrliche Analyse der Krise, sondern für ein absurdes Diktat. Kredite nur gegen Auflagen oder anders ausgedrückt, Hilfen nur gegen die Bereitschaft zum wirtschaftlichen Selbstmord. Inzwischen steht der Euro nicht mehr für Wohlstand, sondern für wachsende Armut. Im Süden Europas übersteigt die Arbeitslosigkeit jedes nur erträgliche Maß. Die Wirtschaft schrumpft und die Deflation ist längst Realität. Im Norden hält die Selbsttäuschung weiter an. Haushaltskonsolidierung und Sparpolitik, das ist das Modell, dem sich alle anschließen sollen.

Deflationsgefahr wird systematisch unterschätzt

Das OMT-Programm der EZB kritisierten die Wahrnehmungsgestörten aus Deutschland vor allem mit der Furcht vor einer galoppierenden Inflation. Das Gegenteil ist seit 2012 der Fall. Die Preisstabilität ist nicht durch Inflation, sondern durch Deflation in Gefahr. Diese wird hierzulande aber weiterhin unterschätzt, da sich Verbraucher über fallende Preise doch freuen müssen. Aus Sicht der meisten Deutschen sei es eben viel gefährlicher, wenn die EZB direkte Staatenfinanzierung betreiben und die Schulden der einzelnen auf alle in der Eurozone übertragen würde.

Die Wirtschaftsredaktionen bagatellisieren deshalb die Deflationsgefahr und begrüßen das Stillhalten der EZB, die auf eine weitere Zinssenkung in der vergangenen Woche verzichtet hat. Dass die Zentralbank angesichts der desolaten Wirtschaftspolitik in der Eurozone ihr Pulver längst verschossen haben könnte, kommt den Redakteuren indes nicht in den Sinn. Sie sehen sicherlich noch etwas anderes. Eine niedrige Inflationsrate hilft nämlich dabei, die relative Wettbewerbsposition der Eurozone gegenüber dem Rest der Welt zu verbessern. Und nichts anderes hat die Mutti als Ziel ihrer Kanzlerschaft bekanntlich ausgegeben.

Um das zu erreichen, muss der Anstieg der Lohnstückkosten dramatisch gebremst werden. Eine Forderung, die auch der Zentralbankchef Mario Draghi offen unterstützt und damit belegt, dass er eben nicht wie allenthalben kolportiert, eine eigene und damit verbotene Wirtschaftspolitik betreibt, sondern sich vielmehr den irrsinnigen Ansichten der Finanzminister beugt, die das kollektive Sparen als Klassenziel ausgegeben haben. So wirken die vielen Arbeitslosen in der Eurozone, deren Hoffnungslosigkeit und der dramatische Zustand ganzer Volkswirtschaften hierzulande als notwendiges Übel auf dem Weg zurück ins Paradies.

Wenn man sich also die Diskussion seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts anschaut, verfestigt sich der Eindruck, dass der ungeordnete Zerfall des Euro für einige weit weniger dramatisch wäre, als ein möglicher Verstoß der EZB gegen EU-Vertragsrecht. Die Lösung muss daher lauten, der Zentralbank auch politisch eine aktivere Rolle zuzugestehen, damit diese unser aller Währung auch beschützen kann. An den grundsätzlichen Problemen ändert das freilich nichts. Denn eine vernünftige Wirtschaftspolitik zu betreiben, bleibt Aufgabe der gewählten Regierungen, die aber bisher, wie oben schon erwähnt, jämmerlich versagt haben.


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Kein Widerspruch im Weiter so

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Vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wird das Vorgehen der EZB in der Eurokrise verhandelt. Einige Klageführer werfen der Zentralbank vor, dass sie mit dem bestehenden Staatsanleihen-Aufkaufprogramm OMT gegen ihr Mandat verstoßen habe. Dies könne zu unkalkulierbaren Risiken für den Bundeshaushalt und damit für die Steuerzahler führen. Der Chef der Deutschen Bundesbank Weidmann bläst ins selbe Horn und warnt mal wieder vor einer Vergemeinschaftung von Risiken, die Deutschland teuer zu stehen kommen könnten.

Auf der anderen Seite verteidigt die Bundesregierung das Vorgehen der EZB. Ein Widerspruch? Nein, denn wie Weidmann lehnt auch die Bundesregierung eine Vergemeinschaftung von Schulden weiterhin ab. Sie kann aber gleichzeitig für das OMT-Programm der EZB sein, weil sie bei dessen Präsident Mario Draghi Bedingungen durchsetzen konnte. Den Aufkauf von Anleihen gibt es nämlich nur, wenn die betroffenen Staaten Auflagen aus den sogenannten Programmen erfüllen und sich einer strikten Haushaltskontrolle unterwerfen.

Darüber spricht aber keiner, sondern nur darüber, ob Gelddrucken für eine Währungsunion nun schädlich ist oder nicht. Dabei sind es die Auflagen und die Verpflichtung zur Austeriät, die ein unkalkulierbares Risiko darstellen und die Eurozone in die bisher längste Rezession ihrer kurzen Geschichte geführt haben. Die Ankündigung Draghis, im Notfall jede Anleihe aufzukaufen, war richtig und hat die Finanzmärkte beruhigt, ohne dass die EZB tatsächlich eingreifen musste. Doch die Kopplung an nicht zu erfüllende Bedingungen war falsch. Das bietet weiterhin ein Einfallstor für Spekulanten, die auf einen Ausfall der Bonds wetten.

Die Risikoaufschläge steigen wieder und das desaströse Euro-Rettungskarussell dreht eine weitere Runde.

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Ziemlich gewagt

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Die Union beklagt sich über den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, der in Hintergrundgesprächen die künftige Linie / Rechtsauffassung in Sachen Homo-Ehe preisgegeben haben soll. Ein beispielloser Vorgang sei das, meinen Volker Kauder und Horst Seehofer. Letzterer sagte auch, dass nicht das Verfassungsgericht, sondern Bundestag und Bundesrat gesellschaftspolitische Grundsatzentscheidungen zu fällen hätten. Doch zumindest die CDU denkt gar nicht daran, irgendetwas zu fällen, wie Seehofer selbst zugibt:

„Es gibt jetzt und auch bis zum Sommer überhaupt keine Veranlassung, die steuerliche Behandlung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften gesetzlich neu zu regeln.“

Quelle: Zeit Online

Eben, und daher muss das Verfassungsgericht das übernehmen. Da kann Volker Kauder noch so viele vermeintliche Therapeuten ins Feld führen, die meinen, dass vor allem „Buben“ unter gleichgeschlechtlichen Eltern zu leiden hätten.

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Eine Sensation, die mal wieder keine ist

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Die CDU habe bei ihrer Haltung zur Homo-Ehe eine neuerliche Kehrtwende vollzogen, heißt es in den Nachrichten. Doch bei näherer Betrachtung hat sich nichts geändert. Die CDU kann vielmehr darauf vertrauen, dass einer ihrer Koalitionspartner mal wieder offen Widerstand gegen vermeintliche Neuregelungen ankündigt. Trotz der durchschaubaren Strategie, die unter anderem schon zu der falschen Behauptung geführt hat, die CDU habe sich sozialdemokratisiert, steht Angela Merkel als Gewinnerin da. Sie will scheinbar etwas verändern, kann aber nicht, weil ihre Regierung, mit der sie ja nie in Verbindung gebracht wird, dagegen ist.

Worin besteht eigentlich der “Kurswechsel”, den die hysterischen Medien glauben erkannt zu haben? Ein paar CDU Leute sagten so Sachen wie, die Partei müsse in der Frage Homo-Ehe beweglicher werden, oder: “Wir prüfen, welche Konsequenzen aus dem Urteil zu ziehen sind.” Mit diesen eher vagen Andeutungen verbinden die Medien nun eine bedeutende politische Wende, ohne dass erkennbar würde, wie diese konkret aussehen soll. Doch so läuft das Geschäft innerhalb der besten Bundesregierung seit der Wiedervereinigung. Jeder darf sich bis zu seinem Wahltermin profilieren. Die Sensation bestehe allein schon darin, dass sich die Regierungsparteien über ein Thema lang und breit unterhalten, bei dem die Fronten bisher klar waren.

Dass diese schreckliche Regierung dazu aber schlichtweg gezwungen ist, weil Gesetze nach und nach für verfassungswidrig erklärt werden, die Regierung also eine Vereinigung ist, die das Grundgesetz aus ideologischen Gründen konsequent mit Füßen tritt, findet bei all der Bewunderung über einen “Kurwechsel” keinen Platz. Wie sagte Gerda Hasselfeld (CSU) als Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts so schön: “Ich habe persönlich Verständnis für diese Entscheidung. Das ist allerdings keine Öffnung in Richtung auf ein generelles Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften.”

Für Urteile des Bundesverfassungsgerichts muss man in den Reihen der Union nur Verständnis haben und den üblichen “Respekt” heucheln, keinesfalls aber einen Auftrag zum Handeln ableiten. Das kennt man ja vom Kruzifix, dem Wahlrecht oder den Hartz IV Regelsätzen. Als einen Meilenstein wertete auch die FDP das Urteil zum Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Paare. Als aber das Lebenspartnerschaftsgesetz 2001 beschlossen wurde, stimmten die ach so liberalen Blender nicht nur gegen eine rechtliche Anerkennung, sondern auch explizit gegen Verbesserungen beim Steuerrecht. Nun fordert die FDP, namentlich ihr Vorsitzender Philipp Rösler, mit dem Hinweis auf eine offene und tolerante Gesellschaft die völlige Gleichstellung homosexueller Paare. Damit wendet der Vizekanz-Nicht und Wirtschaftsminister exakt die gleiche Strategie an, die auch Angela Merkel fährt. Er tut so, als gehöre er nicht zu dieser Regierung.

Die große Leistung der Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in Sachen Gleichstellung bestand bisher darin, in Gesetzestexten die Begriffe Lebenspartner und Lebenspartnerin neben die bereits vorhandenen Worte Ehegatte und Ehegattin hinzuzufügen. An der Diskriminierung von Schwulen und Lesben hat das freilich nix geändert. Nun behauptet die FDP Politikerin forsch, ein fertiges Gesetz zur vollständigen Gleichstellung in der Schublade liegen zu haben. Das müsste man ja dann Unterschlagung nennen. Fakt ist, dass die bisher erreichten Gleichstellungen im Erbschafts- und Schenkungssteuerrecht sowie im Grunderwerbssteuerrecht aufgrund erfolgreicher Klagen zustande gekommen sind und nicht weil die Bundesregierung von sich aus aktiv geworden wäre.

Dass die Union nun ankündigt, irgend etwas zu prüfen oder zu überdenken, ist keine Neuigkeit, sondern folgt der Logik des abwartenden Reagierens. Bereits in der Antwort auf eine kleine Anfrage der Linkspartei im Deutschen Bundestag zum zehnjährigen Jubiläum des Lebenspartnerschaftsgesetzes im August 2011 ist das nachzulesen.

Die Frage der Anpassung weiterer steuerlicher Normen wird – auch mit Blick auf die Rechtsprechung – geprüft. Im Hinblick auf die Stellung eingetragener Lebenspartner im Einkommensteuerrecht spielen dabei auch die beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahren zur Anwendung des Ehegattensplittings auf eingetragene Lebenspartner eine Rolle.

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Was wurde eigentlich aus dem Neuner-Gremium

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Das neue Politbüro, in dem Vertraulichkeit herrschen sollte, hätte bereits vor einem Jahr mit dem sogenannten Neuner-Gremium verwirklicht werden können. Schäuble hatte dieses Modell in Karlsruhe leidenschaftlich verteidigt. Das Bundesverfassungsgericht sah es bekanntlich anders, war aber nicht grundsätzlich gegen die Delegation von Beteiligungsrechten des Bundestages an ein Sondergremium. Deshalb wurde es auch relativ unbemerkt von der Öffentlichkeit im vergangenen Juni als Unterabteilung des Haushaltsausschusses gegründet.

Damit reiht sich das Sondergremium, das unter bestimmten Bedingungen über den Ankauf von Staatsanleihen geheim entscheiden darf – wenn die Bundesregierung das für richtig hält – nahtlos neben das ebenfalls geheim tagende Finanzmarktgremium ein, das über das bereits in Vergessenheit geratene 480 Milliarden Euro schwere Banken-Rettungspaket wacht. Dort sitzen auch nur neun Abgeordnete, die sich regelmäßig durch das Finanzministerium über die Verwendung der Gelder informieren lassen und zur Verschwiegenheit verpflichtet sind.

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So kann man sich täuschen

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Die Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist getroffen und nun geht es an die Arbeit. Butter bei die Fische, haben sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble wohl gedacht. Da das Gericht zum Thema Fiskalpakt nicht viel gesagt hat (7 von 85 Seiten), wird hier der nächste Angriff auf demokratische Grundrechte gefahren. Der Währungskommissar soll gestärkt werden und bei Defizitverfahren ein alleiniges Entscheidungsrecht erhalten.

Hier rächt sich wohl die schwammig vorgetragene Einschätzung der Bundesrichter, wonach der Fiskalpakt im großen und ganzen der deutschen Schuldenbremse entspreche. Einen unmittelbaren Durchgriff der Organe auf die nationale Haushaltsgesetzgebung sei im Fiskalpakt laut Auffassung der Richter nicht vorgesehen. So kann man sich täuschen. Sollte sich die deutsche Position nun durchsetzen, müsste das BverfG noch einmal gründlich nachdenken. Doch so wie es aussieht, haben die die Verfassungsrichter nichts gegen ein Schuldenbremsenregime.

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Nur noch ein Nischenprodukt

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Das Grundgesetz ist zum Schirmständer des ESM geworden. So karikiert Klaus Stuttmann das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. In dieser Woche als Medien-Event angekündigt, entpuppt sich die alles-oder-nichts Entscheidung des BverfG bei genauerer Betrachtung doch als wenig spektakulär. Sicherlich dürfen jetzt nach oben hin begrenzte Mittel über den ESM an Staaten ausbezahlt werden. Doch welchen Sinn hat der begrenzte ESM überhaupt noch, wenn daneben die EZB damit droht, die Bazooka mit unbegrenzter Feuerkraft auszupacken? Hinter der Zentralbank verkommt der ESM zum reinen Nischenprodukt. Viel Lärm um Nichts, könnte man sagen.

Vielleicht will Bundesfinanzminister Schäuble ja deshalb gegen die EZB klagen, weil er um die Bedeutung eines hart erkämpften Mechanismus bangt, in dem die Bundesregierung noch das Sagen hat. Dabei will auch die EZB Staatsanleihen nur dann wirklich aufkaufen, wenn sich die Krisenländer an eine wie auch immer geartete Austeritätspolitik halten. Hier geht es doch nur um Spielchen, die den Wähler beeindrucken sollen. 

Man könnte ja auch zu der spannenden Frage kommen, wie ein verfassungskonformer Rettungsschirm mit Zahlungsverpflichtung zu einer ebenfalls verfassungskonformen Schuldenbremse passt. Die Antwort darauf liegt wie immer im Sozialetat, den zu kürzen bis jetzt noch jede Regierung als alternativlos betrachtet hat.

Das Grundproblem wird bei all dem Geschnatter über ESM und Fiskalpakt schlichtweg ausgeblendet. Wenn sich keiner an die vereinbarte Zielinflationsrate hält, funktioniert auch die Eurozone nicht. Wer Überschüsse für erstrebenswert und richtig hält, muss auch die Defizite der anderen akzeptieren. Doch der starre Blick auf nationale Haushalte und die Inlandsverschuldung, die, wenn man wollte, ja beherrschbar wäre, führt zu einer substanziellen Wahrnehmungsstörung.

Die Defizite der Krisenstaaten sind durch den Transfer von Auslandskapital ja überhaupt erst entstanden. Der freie Waren- und Kapitalverkehr gehört zu den Grundpfeilern der Europäischen Union. Innerhalb der Eurozone sind dann aber nicht nur die Kreditnehmer, sondern auch die Kreditgeber als Teil derselben Gleichung zu betrachten. Das ist sicher schlecht für deutsche Arbeitnehmer, denen jahrelang weisgemacht wurde, ihr Konsumverzicht hätte irgendeinen tieferen Sinn. Um die Illusion aber aufrecht zu erhalten, wonach ein Schuldschein mehr wert sei, als reale Waren und Güter, betreibt die Bundesregierung die größte Gläubigerrettungspolitik aller Zeiten.

Die Forderungen müssen ihren Wert behalten, damit der deutsche Michel am eingeschlagenen Irrweg ja nicht zweifelt und artig seinen Gürtel noch ein Stückchen enger schnallt. Immer in der Hoffnung, irgendwann einmal dafür belohnt zu werden. Bundespräsident Gauck faselte neulich bei starker Sonneneinstrahlung: „Wir stehen vor Unsicherheiten, aber nicht vor dem Abgrund“. Er kann das freilich behaupten, er stand ja nicht, sondern saß auf dem Podium.

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Eine Katastrophe nach der anderen

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Es gibt Formulierungen, da fasst man sich an den Kopf. Eigentlich braucht man die Hände von dort gar nicht mehr wegzunehmen. 

Im Grundgesetz steht unter Artikel 87a, Abs. 2, Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt. Und da steht nicht, dass in “Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes” militärische Mittel eingesetzt werden dürfen, sondern eine Mobilisierung der Streitkräfte im Rahmen der Amtshilfe nur bei Naturkatastrophen und Unglücksfällen erlaubt sei. Mit der schönen Formulierung “Ausnahmesituation katastrophischen Ausmaßes” stehen den neoliberalen Hohlköpfen nun sämtliche Interpretationsebenen offen. Deshalb begrüßten de Maizière und Friedrich die Entscheidung umgehend.

Denn plötzlich erscheint es ja auch im Bereich des Möglichen, eine Bombe präventiv auf ein Haus im Sauerland zu schmeißen, weil dort nach geheimdienstlichen Erkenntnissen eine vermeintliche Gruppe von Terroristen einen Anschlag geplant haben soll, dessen geglückte Durchführung zu einer “Ausnahmesituation katastrophischen Ausmaßes” geführt hätte. Möglicherweise werden aber auch die im Zusammenhang mit der Eurokrise immer wieder bemühten “unabsehbaren Folgen” künftig als “Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes” bezeichnet. Demzufolge könnte die Bundesregierung jetzt schon Panzer nach Karlsruhe schicken, da die Entscheidung der Verfassungsrichter zum ESM und Fiskalpakt negativ auszufallen droht.

Der Unglücksverlauf muss aber bereits begonnen haben und der Eintritt eines katastrophalen Schadens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unmittelbar bevorstehen.

Quelle: BverfG

Dieser Satz trifft doch exakt Schäubles Warnungen vor den “unabsehbaren Folgen” und der Bestrafung durch die Finanzmärkte. Über die beinahe sichere Wahrscheinlichkeit werden sich dann, wenn es mal soweit ist, wieder Juristen das Hirn zermartern müssen. Wichtig ist, die Tür steht offen, man braucht sie nur noch aufzustoßen und einen entsprechenden Einsatz im Innern als alternativlos zu erklären. 

Der Einsatz der Streitkräfte wie der Einsatz spezifisch militärischer Abwehrmittel ist zudem auch in einer solchen Gefahrenlage nur als ultima ratio zulässig.

Viele begnügen sich ja damit, dass auch in Zukunft keine “Ferienflieger” abgeschossen werden dürfen. Puh, da atmet der Michel wieder auf. Doch kaum einer, Heribert Prantl und Wolfgang Lieb einmal ausgenommen, beschäftigt sich mit dem Sondervotum des Richters Gaier, der in dem Plenarbeschluss des Gerichts eine Verfassungsänderung erkennt, die Spielraum für subjektive Einschätzungen, wenn nicht gar voreilige Prognosen zulasse.

Fakt ist aber auch, dass die Bundeswehr im Innern bereits verfassungswidrig eingesetzt wurde, etwa als dutzende Tornados zu Aufklärungszwecken über Demonstranten in Heiligendamm hinwegdonnerten. Das solle in Zukunft nicht mehr passieren, hielten die Verfassungsrichter fest, doch was oder wer sollte eine Bundesregierung daran hindern, die mit Blick auf das Grundgesetz nach dem Motto verfährt, Gesetze erst einmal zu beschließen und abzuwarten, ob jemand dagegen klagt?

Pausenlos wird durch die Bundesregierung gegen die Verfassung verstoßen. Hartz-IV-Regelsätze und das Wahlrecht sind nur einige Beispiele von vielen. Mich wundert ehrlichgesagt die Haltung der Verfassungsrichter. Bei Bundeswehreinsätzen wird mal eben eine neue Rechtslage geschaffen, wohingegen bei existenziellen Entscheidungen wie über die Höhe des Regelsatzes oder einem gültigen Wahlrecht regelmäßig der Schwanz eingezogen und auf den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers verwiesen wird. Gleichzeitig gelten großzügige Fristen, die dennoch tatenlos verstreichen. Und dann? Nichts. Eine Kodifikation wie jetzt im Falle der Bundeswehr im Innern findet nicht statt.

Dafür wird sich der Gesetzgeber jetzt daran machen, die neu geschaffene Rechtlage mit Leben zu füllen und die “Ausnahmesituation katastrophischen Ausmaßes” für ihre Zwecke zu definieren.

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Generationenfolge bietet ein schlechtes Programm

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Ein CSU-Politiker, der auf den Namen Norbert Geis hört und in der Vergangenheit schon mehrfach durch bedenkliche Äußerungen unangenehm aufgefallen ist, lehnt die steuerliche Gleichbehandlung von homosexuellen Partnerschaften neuerdings aus “naturwissenschaftlichen Gründen” ab. Die Privilegierung der Ehe zwischen Mann und Frau liege, so Geis,  darin begründet, dass sie die Generationenfolge sichere. Ja, leider, möchte man angesichts dieses Herrn und dessen geistlos aus dem Gesicht gefallenen Worte sagen.

Was genau befürchtet denn Herr Geis? Dass sich mit einer Gleichstellung vermehrt heterosexuelle Frauen und Männer nun spontan für eine andere Form der Partnerschaft entscheiden, weil es steuerlich günstiger für sie ist?

Da spricht wohl ein treues Schäfchen der katholischen Kirche, dessen Überzeugung, gleichgeschlechtliche Partnerschaften seien wider Gott und die Natur, um den Aspekt marktkonformer Irrationalität erweitert wurde. Dass das Bundesverfassungsgericht die bisherige Regelung für grundgesetzwidrig hält, kümmert ihn nicht.

“Hier will nun die Fraktion oder will ein Teil der Fraktion dem Verfassungsgericht gewissermaßen zuvorkommen. Ich halte das für falsch, ich bin der Meinung, wir müssen gerade in einer solchen Auseinandersetzung klar machen, auf welcher Seite wir stehen”

Und auf dieser geistlosen Seite steht jedenfalls nicht das Grundgesetz, wie das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung zur Ungleichbehandlung von Ehegatten und eigetragenen Lebenspartnern im Grunderwerbssteuerrecht heute mitteilte. Aber das scheint dem Herrn Geis egal zu sein, obwohl ihm Egalität grundsätzlich missfällt.

“Wenn etwas egalisiert wird, dann ist beides egal. Also da muss man schon ein bisschen mehr aufpassen, und da muss man schon auch in der Gesetzgebung den Unterschied wahren.”

Ah ja. Der G(r)eis fürchtet sich also davor, das eine vom anderen nicht mehr unterscheiden zu können. Nur wen interessieren die Wahrnehmungsschwierigkeiten eines Darstellers, der in einer ziemlich schlechten Generationenfolge spielt? Auf das gebotene Programm kann man gut und gerne verzichten. Nur schalten sie alle – ich auch – mal wieder ein statt ab.

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Die Entscheidung ist so leicht

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Karlsruhe hat heute abzuwägen, ob die Folgen bei einer einstweiligen Anordnung schwerwiegender sind als bei einem Inkrafttreten eines völkerrechtlich bindenden Vertrages, den keine parlamentarische Mehrheit in diesem Land mehr kündigen kann. Dabei geht es noch gar nicht um die Verfassungsmäßigkeit. Diese soll erst im Hauptsacheverfahren geklärt werden, verkündete Gerichtspräsident Voßkuhle vor Verhandlungsbeginn.

Wenn das aber gilt, müsste die Entscheidung leicht sein und zu Gunsten jener ausfallen, die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit eines geltenden Gesetzes haben, das später nicht mehr zurückzunehmen ist, selbst dann nicht, wenn die Richter im Hauptsacheverfahren dessen Verfassungswidrigkeit feststellen würden.

Das einzige, was die Regierung nun als Begründung für ihre Position vorzubringen hat, ist bloß eine weitere Verunsicherung der Märkte, die im Falle einer ausgesprochenen einstweiligen Anordnung – also dem vorübergehenden Stopp des Gesetzes – ausbrechen würde. Es drohen erhebliche wirtschaftliche Verwerfungen mit unabsehbaren Folgen, heißt es vom Mitarchitekten von ESM und Fiskalpakt, Wolfgang Schäuble.

Als Jurist könnte man das Argument leicht mit dem Hinweis zerflücken, dass “unabsehbare Folgen” sowohl etwas Schlimmes wie auch etwas Gutes bedeuten könnte, mit Sicherheit aber eine gewisse Ahnungslosigkeit desjenigen, der sich in diese absurde Begründungsstrategie flüchtet. Doch sollte man Ahnungslosen vertrauen?

Die Unfähigkeit der handelnden Akteure, in der Finanzkrise und bei der Rettung eines Währungssystems etwas absehen zu können, sollte die Alarmglocken bei den Verfassungsrichtern schrillen lassen.

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