Das Grundrecht ist im Weg

Geschrieben von: am 23. Apr 2016 um 12:01

160422 de MaizièreDer Bundesinnenminister, der ja mal Verteidigungsminister war, hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz in dieser Woche kritisiert. Es sei nicht Aufgabe der Richter, „ständig dem Gesetzgeber in den Arm zu fallen“, wird der Minister im Spiegel zitiert.

Die Entscheidung des Gerichts erschwere seiner Meinung nach den Kampf gegen den Terrorismus. Mit anderen Worten: Die Grundrechte sind im Weg. Denn über nichts anderes, als deren Wahrung befindet das Bundesverfassungsgericht, wenn es um die Prüfung von Gesetzen angerufen wird.

Das scheint der Minister, wie übrigens auch einer seiner Amtsvorgänger, Wolfgang Schäuble, noch immer nicht begriffen zu haben. Schäuble führte seinerzeit sogar ein Streitgespräch mit dem ehemaligen und inzwischen verstorbenen Verfassungsrichter Winfried Hassemer. Schäuble im O-Ton:

„Wer Gesetze gestalten will, sollte sich bemühen, Mitglied des Deutschen Bundestages zu werden.“

Beide, Schäuble wie auch de Maizière erwecken damit den Eindruck, Karlsruhe hätte den Drang, an der Gesetzgebung mitgestalten zu wollen. Doch das ist eine böswillige Unterstellung, um davon abzulenken, dass die Regierung am laufenden Band Fehler produziert. Es ist eigentlich noch schlimmer, da regelmäßig vor der Verabschiedung eines Gesetzes, das Grundrechte berührt – und im Falle des BKA-Gesetzes war es genauso – alle fachlichen und rechtlichen Bedenken einfach beiseite gewischt werden.

Dabei geht es hier schlicht um einen Anspruch des Grundrechtsträgers auf Beseitigung einer Beeinträchtigung des durch das betreffende Grundrecht geschützte Rechtsgut. Mit anderen Worten: Da gibt es keinen Gestaltungsspielraum für Minister, auch nicht für solche mit juristischem Staatsexamen. Die sollten es eigentlich besser wissen und keine fadenscheinigen Argumente erfinden.

Grundrechte können auch nicht hinter einer diffusen Gefährdungslage, die immer nur behauptet wird, zurücktreten. Das aber wünscht sich der Bundesinnenminister, dessen Antworten wie hier auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts tatsächlich einen Teil der Bevölkerung verunsichern müssen. Irgendwie scheint diese Regierung nichts von der Verfassung zu verstehen, die sie zu verteidigen geschworen hat.

Die Kanzlerin hebelt den Rechtsstaat mit der Begründung aus, dass nicht sie, sondern die Gerichte über die mutmaßliche Beleidigung eines ausländischen Staatschefs befinden sollen, obwohl das Gesetz eindeutig vorsieht, dass sie eine Entscheidungsbefugnis hat. Der Innenminister hingegen greift das Urteil der tatsächlich unabhängig agierenden Karlsruher Richter an, mit dem Vorwurf des ungerechtfertigten Eingriffs in die Regierungsarbeit.

Da fragt man sich, warum die immer wieder öffentlich zur Schau getragene Missachtung des Grundgesetzes nicht unter Strafe steht. Vielleicht passt ja Paragraph 90a StGB:

Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole

(1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3)

1. die Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder oder ihre verfassungsmäßige Ordnung beschimpft oder böswillig verächtlich macht […]

wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Ludwig  April 23, 2016

    Schön verdeutlicht wie ich finde. Immer wieder heulen Politiker rum, wenn die Verfassungsrichter etwas ändern. Das auch wenn Kritiker diverser Gesetze immer wieder Bedenken äußern. So beschränkt und über die Köpfe der Bürger hinweg hat selten eine Regierung regiert wie diese. Nur im Fall Böhmermann sehe ich die Sache anders. Schließlich ist das Gesetz völlig veraltet und gehört wie Merkel schon sagt, abgeschafft.

    • André Tautenhahn  April 23, 2016

      Im Fall Böhmermann stimme ich Wolfgang Nešković zu.

      „Es gilt der Grundsatz: Regeln, die einem nicht gefallen, werden so lange angewandt, bis sie abgeschafft werden. Sie dürfen jedoch nicht (im Vorgriff auf eine Regeländerung) durch Nichtanwendung faktisch abgeschafft werden. An diesen rechtsstaatlichen Grundsatz hat sich die Bundeskanzlerin nicht gehalten. Dabei gelingt ihr sogar das rabulistische Kunststück, einen Bruch des Rechtsstaatsprinzips mit eben diesem Prinzip zu rechtfertigen.“

      Quelle: Cicero

  2. Digger66  April 24, 2016

    Demokratie? Ist das BVG nicht demokratisch? Herr DM hält ein demokratisches Organ fur nicht hilfreich? Sollte vielleicht Herr DM nicht demokratisch argumentieren? Ist Herr DM noch haltbar in der freiheitlich demokratischen Grundordnung?

  3. Josch  April 24, 2016

    Unsere Gesetzgebung ist von mehr als einer Seite bedroht. So plant Washington mittels TTIP weitere Einschränkungen gesetzgeberischer Souveränität in Europa. Aufgedeckt wurde diese Ungeheuerlichkeit von LobbyControl, die einen entsprechenden Leak freigesetzt hatten.

    Dazu die grüne Europaabgeordnete S. Keller: „US-Behörden werden nach diesem Vorschlag die Möglichkeit haben, auf europäische
    Gesetze Einfluss zu nehmen, noch bevor die Europaabgeordneten diese überhaupt zu Gesicht bekommen. Damit werden die Grundprinzipien der Demokratie umgangen und Lobbyisten erhalten Vorzug vor Parlamentariern.“