Verschärfungen sind sinnlos

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Wenn heute die Länderchefs und die Bundeskanzlerin virtuell zusammenkommen, um über die Corona-Politik zu sprechen, wird es natürlich auch um Verschärfungen gehen. Die Infektionszahlen steigen ja und alle sind besorgt. Angela Merkel sieht sogar das Weihnachtsfest in Gefahr und der Bayern-Trump, in dessen Land sich die Neuinfektionen weiter häufen, wie sonst nirgendwo, fordert „drastische Maßnahmen“ und will unbedingt eine Corona-Warnampel schalten. Diese Dramatik ist aus Imagegründen notwendig, um die Öffentlichkeit von der Notwendigkeit einheitlicher Regelungen zu überzeugen, die auch dieses Mal nicht kommen werden, weil es schlicht keinen Anlass dafür gibt.

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Die dunkle Seite der Macht

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Jeder kennt die AHA-Regel. Abstand, Hygiene, Alltagsmaske. Sie ist der Garant dafür, dass sich das Coronavirus nicht weiter ausbreitet. Die Reihenfolge ist übrigens auch bewusst nach Wichtigkeit gewählt. Am stärksten wirken Abstand und Hygiene, am schlechtesten die Maske, die immer nur als zusätzlicher Schutz gedacht war. Ihre Bedeutung nimmt aber zu, je mehr die anderen beiden Vorgaben gelockert werden, was der Fall ist, da es weniger Kontaktbeschränkungen gibt und beim Händewaschen sowieso niemand hinschaut. Sich nun aber nur auf die Maske zu fokussieren, ist falsch, weil sie eben immer noch am schlechtesten wirkt. Genehm ist das den Regierenden trotzdem, da sie so keine Antwort darauf geben müssen, wie es gelingen kann, Risikogruppen besser zu schützen. Dafür müsste man Grundüberzeugungen des neoliberalen Denkens endlich beerdigen und zu einem wirklich solidarischen und damit nachhaltigen Politikkonzept zurückkehren.

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Richter urteilen über Tarifeinheitsgesetz

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Ein typischer GroKo-Deal hat zu dem Tarifeinheitsgesetz geführt, über das heute das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden hat. Damit die SPD von der Union die Zustimmung zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns bekam, erklärten sich die Sozialdemokraten im Rahmen der Koalitionsverhandlungen 2013 bereit, den Arbeitnehmern mit einem Tarifeinheitsgesetz in den Rücken zu fallen. Glauben Sie nicht, steht aber so im Tagesspiegel.

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Vernunft muss einkehren

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Vernunft muss einkehren: So verkündet es ein Bahnsprecher zurzeit. Er meint damit die streikenden Mitglieder der GDL, die Millionen Menschen am Reisen über Pfingsten hindern würden. Sie sollen aufhören, an den Verhandlungstisch zurückkehren und einen Schlichter akzeptieren. Das aber würde auch bedeuten, die GDL akzeptiert, dass das Bahnmanagement die geltende Rechtslage weiterhin missachtet. Kann das vernünftig sein?

In der Süddeutschen Zeitung schreiben Detlef Esslinger und Heribert Prantl heute folgendes:

Das Argument Weselskys, „Wir lassen nicht über Grundrechte schlichten“, klingt gut, ist womöglich aber hohl; jede Schlichtung entscheidet auch über die Auslegung des Grundrechts. Der Arbeitsrechtler Michael Kittner, ehemals Justitiar der IG Metall, kritisiert daher ein „autistisches Grundrechtsverständnis“ der GDL. Sie missachte die Forderung des großen Senats des Bundesarbeitsgerichts von 1971, dass vor jedem Streik ein Schlichtungsverfahren stattfinden müsse. Fazit: Es könnte vor Gericht eng werden für die GDL.

Diese Bemerkung ist irreführend, weil sie über entscheidende Urteile des Bundesarbeitsgerichts (BAG) von 2010 hinweg geht, auf die sich die GDL immer wieder und zurecht beruft. Das BAG schaffte in mehreren Entscheidungen die jahrzehntelang geltende Regel der Tarifeinheit ab. Seitdem gilt arbeitsrechtlich das Prinzip „Ein Betrieb – eine Gewerkschaft“ nicht mehr. Der Bahnvorstand missachtet diesen Richterspruch aber konsequent und weigert sich, mit der GDL über Tarifverträge für alle ihre Mitglieder zu verhandeln.

Es geht also nicht um die Frage von Macht oder ein wenig mehr Kompromissfähigkeit, sondern schlichtweg darum, ob ein Arbeitgeber damit durchkommt, geltendes Recht solange zu umgehen, bis der Gesetzgeber, der auch noch Eigentümer des betroffenen Unternehmens ist, die Rechtslage nachträglich und zugunsten der Arbeitgeberseite angepasst hat. Die Frage lautet also, ob wir den Rechtsstaat achten oder es vorziehen in einer Bananenrepublik zu leben, in der die tatsächlich Mächtigen unter dem Applaus der Medien offenbar Gesetze bestellen und bis zur Lieferung geltendes Recht biegen und brechen können.

An die Vorgeschichte denken

Zur Erinnerung: Der Streit um die Tarifpluralität, der 2010 durch das BAG entschieden wurde, hat eine Vorgeschichte. Und zwar gerade die Abschaffung der Tarifeinheit durch die Unternehmen selbst. Sie fanden es eine Zeit lang chic oder opportun, die Tarifeinheit aufzubrechen, um einen Keil zwischen die Arbeitnehmer zu treiben. Die Politik hat die Arbeitgeber dabei tatkräftig unterstützt durch Privatisierung öffentlichen Eigentums, die Zulassung von Öffnungsklauseln, die Lockerung der Leiharbeit und nicht zuletzt durch den Ausbau des Niedriglohnsektors. Kurzum: Alles was unter dem Label „Flexibilisierung des Arbeitsmarktes“ lief, hat zur Entsolidarisierung der Arbeitnehmerschaft beigetragen. Ganz im Sinne der Arbeitgeber, die so leichtes Spiel bei der Umsetzung von innerbetrieblicher Kostenoptimierung hatten. Zunächst.

Denn die Folge sind nun Spartengewerkschaften, die nur noch ihre eigenen Interessen vertreten und zwar nach dem neoliberalen Grundsatz der freien Konkurrenz. Übrigens haben das auch die Arbeitgeber versucht für sich auszunutzen, indem sie selber Spartengewerkschaften gründeten und zum Nachteil der Beschäftigten Tarifverträge vereinbarten. Allerdings flog das perfide System auf. Der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personal-Service-Agenturen (CGZP) ist 2010 – ebenfalls vom BAG – die Tariffähigkeit abgesprochen worden. Konsequenz: Die betroffenen Arbeitnehmer konnten Nachzahlungen einklagen und die geprellten Sozialkassen Beiträge nachfordern.

Über diese skandalöse Entwicklung, die zur Vorgeschichte aktueller Tarifkonflikte hinzu gehört, wird aber kaum nachgedacht oder berichtet, dafür aber über einen mutmaßlich durchgeknallten Ossi, der etwas von Grundrechten erzählt und – ganz schlimm – auch noch auf deren Einhaltung pocht. Manchmal frage ich mich, ob das vereinigte Deutschland, für das so viele auf die Straße gegangen sind und das sich als Sieger über den gescheiterten Osten immer noch feiert, die gepredigte demokratische Grundordnung wirklich ernst nimmt oder nur dekorativ ins Schaufenster gestellt hat.

Vernunft würde herrschen, wenn sich das Bahnmanagement an die geltende Rechtslage hielte. Es liegt nicht im Ermessen der Bahn, der GDL das Recht einzuräumen, über Tarifverträge verhandeln zu dürfen. Die Bahn ist nicht das Gericht, das diese Frage schon entschieden hat. Ein Schlichter ist deshalb überflüssig. Gebraucht wird aber eine Bundesregierung, die das Ausmaß des Versagens ihrer Vorgänger erkennt und die notwendigen Schlüsse daraus zieht. Das wiederum setzt aber voraus, dass die Mehrheitsfraktionen im deutschen Bundestag den Mut finden, jene politischen Zöpfe abzuschneiden, die damals schon gestaltet haben und es jetzt wieder tun.


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Lahmgelegter Verstand

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Die GDL will sechs Tage lang streiken. Eigentlich ein ganz normaler Vorgang, um auf das abwartende Bahnmanagement den Druck weiter zu erhöhen. Doch obwohl Arbeitsgerichte das Vorgehen der Lokführer als verhältnismäßig und gerechtfertigt anerkannten, rollt eine weitere Empörungswelle durch das Land.

Nach der Streikankündigung der GDL rollt eine weitere Welle der Empörung durch das Land. Das Thema ist auf fast jeder Titelseite zu finden. Daneben wie üblich ein Kommentar mit klarer Aussage contra GDL. Denn die kleine Gewerkschaft, die alle anderen nur in Geiselhaft nehmen wolle, bleibe stur, während der, offenbar durch Vernunft geleitete Bahnvorstand, angeblich nur Kompromisse suche. Beides ist falsch.

Misserfolg wird belohnt

Bahn-Vorstände (be)schimpfen nicht, sondern wählen ihre Worte fein. Ihnen geht es ja auch gut. Zuletzt genehmigten sich die Spitzenmanager eine Gehaltserhöhung um 174 Prozent, schrieb das Handelsblatt kürzlich. Trotz verfehlter Umsatz- und Gewinnziele kassieren die Vorstände des Staatsunternehmens doppelte Erfolgsprämien und kurzfristige Boni. Finanziell gut abgefedert, macht der Tarifkonflikt mit der GDL offensichtlich Spaß.

Denn auch aus der Politik kommt Unterstützung für das (Miss)Management der Bahn. Nicht der Vorstand des Konzerns, sondern die GDL stelle eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort dar, heißt es aus der parlamentarischen Ecke. Und die Regierung spricht gar von Maßlosigkeit und einem nicht mehr zu vertretenden Schaden, angerichtet durch Streik. Der Schaden, den die Konzernführung seit Jahren anrichtet – Stichwort Börsengang, Stichwort Tarifsystem, Stichwort Verschleiß, Stichwort Unpünktlichkeit, Stichwort Rückzug aus der Fläche – bleibt nebensächlich.

Wer darüber hinaus über maßlose Vorstandsgehälter reden möchte, wird schnell mit dem Schlagwort Neiddebatte konfrontiert. Um Geld geht es der GDL nur an zweiter Stelle. Zentral ist für sie die Anerkennung eines Grundrechts, was die empörte Öffentlichkeit nur noch langweilt. Sie hat sich mehrheitlich schon damit abgefunden, dass Regierung und Bahnmanagement die Tarifeinheit durchsetzen wollen. Ein Verstoß gegen das Grundgesetz, natürlich. Aber bis Karlsruhe darüber entscheidet, vergeht Zeit, die sich einplanen lässt. Absehbare Urteile des Bundesverfassungsgerichts werden als Erbe an die Nachfolgeregierung weitergereicht.

Missbrauch der Regierungsgewalt

Missbrauch des Streikrechts? Es wäre an der Zeit über den Missbrauch der Regierungsgewalt zu diskutieren. Seit Jahren kassiert oder beanstandet Karlsruhe Gesetze, bei denen man schon vorher wusste, dass sie gegen das Grundgesetz verstoßen. Konsequenz: Wenig Einsicht bei den Gestaltern, dafür viel Gejammer über eine dritte Gewalt, die angeblich mitregieren wolle. Was ist schon eine Verfassung im Vergleich zu einem mühsam ausgehandelten Koalitionsvertrag. Letzterer muss abgearbeitet werden.

Deshalb kriegt die CSU ihre verfassungswidrige Maut, die CDU ihre verfassungswidrige Vorratsdatenspeicherung und die SPD, ja die Spezialdemokraten bekommen ein verfassungswidriges Tarifeinheitsgesetz, weil das wohl dem DGB gefällt, mit dem man schon beim viel zu niedrigen Mindestlohn gut zusammenarbeitet hat, und der kleinere Gewerkschaften gern vom kuscheligen Markt der geheuchelten Koalitionsfreiheit verdrängen möchte. Schließlich heißt es “Einigkeit und Recht und Freiheit” und nicht “Zu den Waffen, Bürger, Formt eure Truppen”.

Schön wäre es ja, wenn die GDL ein Land lahmlegen könnte. Das passiert aber nicht. Denn die durch Bahnreformen mehr oder weniger kaputt geschrumpfte Bahn hat es geschafft, ihre Kunden weitgehend zu vergraulen. Der Bund als Eigentümer hat es sogar zugelassen, dass alternative Verkehrsmittel immer attraktiver werden, obwohl es eigentlich andersherum sein müsste. Lahmgelegt wird nur der Verstand, der nicht merkt, dass er sich einspannen lässt für Interessen, die niemals die seinigen sein können.


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Innehalten statt groß abfeiern

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Ausgerechnet zum Jubiläum des Mauerfalls stehen die Züge still. Rücksichtslos oder ein falscher Zeitpunkt, wie viele denken, ist das aber nicht.

Einige Stimmen meinen, die GdL mache mit ihrem Streik die toll vorbereitete Sause vom 7. bis zum 9. November in Berlin kaputt. Denn hunderttausende Menschen wollten am kommenden Wochenende mit dem Zug in die Hauptstadt fahren, um ein großes Fest, anlässlich des Falls der Mauer vor 25 Jahren zu feiern und eine imposante Lichtinstallation zu sehen.

Doch eine verhinderte Party ist aus meiner Sicht gar nicht so schlecht. Denn der 9. November ist kein Feiertag, an dem ausgelassen gejubelt werden sollte, sondern ein Tag des Nachdenkens über Deutschland und seine Geschichte, die selten von glücklichen und friedlichen Momenten erzählt.

Gerade der 9. November mahnt zum Innehalten. Die Inszenierung eines fröhlichen Events hingegen, dessen Eintrittskarte offenbar ein vorbehaltloses Bekenntnis zum Wort „Unrechtsstaat“ ist, wirkt seltsam. Nachdenken über die Vergangenheit geht auch von zu Hause aus oder bei einem Spaziergang, zum Beispiel durch die jüdische Geschichte des Ortes, in dem man lebt.

Denn diese Geschichte geht der deutschen Teilung unmittelbar voraus und ist mit dem Datum 9. November 1938 untrennbar verknüpft. Vielleicht ist es deshalb gar nicht verkehrt, wenn an diesem denkwürdigen Tag die Züge einmal stillstehen und an eine Zeit zurückgedacht wird, als Synagogen brannten und Eisenbahnen fuhren, um Millionen Menschen in den Tod zu schicken.


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Niederlegung der Gedankenarbeit

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Der Deutsche hat nur einen Wunsch. Er will mit der Bahn, die schon lange nur noch voraussichtliche Ankunftszeiten in ihre Fahrpläne schreibt, zu seiner Arbeit gelangen können, von der er selbst kaum noch leben kann.

Wer streikende Lokführer vermeiden will, muss die Bahn als öffentlichen Dienst organisieren, mehr Personal beschäftigen, für ordentliche Arbeitsbedingungen sorgen und eingestehen, dass es falsch war, ein Unternehmen der Daseinsvorsorge privaten Kapitalmarktinteressen auszuliefern. Nicht die Lokführer oder die GdL sind Schuld an der Misere, sondern ein auf den Profit ausgerichtetes Unternehmen, das nun darauf hofft, dass ihm die Politik mit einem Gesetz zur Einschränkung des Streikrechts zu Hilfe kommt.

Wer angesichts der Bahnstreiks einmal zurückblickt, wird sich vielleicht noch an den Flächentarifvertrag und starke Gewerkschaften erinnern, die auf Augenhöhe mit den Arbeitgebern verhandelten und deshalb, unter anderem von Guido Westerwelle, zum Grundübel der Gesellschaft erklärt wurden. Das Ziel war damals, betriebliche Bündnisse und Öffnungsklauseln zu schaffen, die es besser ermöglichen sollten, für einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen zu sorgen.

Folgen des neoliberalen Deals

Das war freilich nur ein Feigenblatt im anbrechenden Agendazeitalter, in dem die Arbeitgeber als Sieger vom Platz gehen sollten. Schluss mit Umverteilung, Schluss mit Arbeitnehmerrechten und Schluss mit dem Sozialstaat. Die Aufweichung des Flächentarifvertrags bot die Chance zur Kostenreduktion. Eine kleine Gruppe von Lobbyisten, Beratern und Berufsaufsichtsräten sah eine günstige Gelegenheit, ihren eigenen neoliberalen Deal in die Tat umzusetzen.

Die Arbeitskämpfe der GdL-Mitglieder sind nun ein Ergebnis dieses Prozesses. Die kleine Spartengewerkschaft war jahrelang ein friedlicher Partner in der Tarifgemeinschaft rund um die Deutsche Bahn, ja beinahe unauffällig. Doch dann kamen die üblichen Zumutungen neoliberaler Arbeitgeberlogik. Personalabbau, Mehrarbeit und weniger Gehalt. Die Berufsgruppe der Lokführer wehrte sich. Sie begriff sehr schnell ihre Schlüsselposition.

In den Jahren 2007/2008 folgte ein bis dahin unbekannter Schlagabtausch zwischen dem Chef der GdL, Manfred Schell, und der zu diesem Zeitpunkt amtierenden Arbeitsdirektorin bei der Bahn, Margret Suckale, von der man heute noch sagt, sie hätte etwas mit dem Datenskandal zu tun. Die Bahn trickste, schaltete teure Anzeigen in Zeitungen und verschwendete Ressourcen für Anwälte, die ein Verbot von Arbeitskämpfen gerichtlich erzwingen sollten. Die Bahn drang auf die Einhaltung der Tarifeinheit, die den damaligen Chef von Transnet, Norbert Hansen, übrigens direkt in den Vorstand der Deutschen Bahn spülte.

Empörte Öffentlichkeit

Die Öffentlichkeit war empört. Nein, nicht über den Wechsel von Hansen, sondern über eine kleine Gewerkschaft, die der gesamten Volkswirtschaft vermeintlich auf der Nase herumtanzte und dadurch einen beträchtlichen Schaden anrichtete. Dabei sind diese Schäden vergleichsweise gering als jene, die eine kleine Gruppe von Lobbyisten, Beratern und Berufsaufsichtsräten zu verantworten hat, die sich nicht nur für arbeitgebernahe Tarifpolitik interessiert, sondern nebenbei auch auf gut bezahlten Posten in anderen Branchen hockt. Bei Banken zum Beispiel, die der Steuerzahler später mit Milliarden Euros retten musste.

Doch zurück zum Grundsatz der Tarifeinheit. Er schließt das wirk­sa­me Be­ste­hen meh­re­rer, mit­ein­an­der kon­kur­rie­ren­der Ta­rif­ver­trä­ge überhaupt nicht aus. Die Rechtsauffassung ist da ziemlich eindeutig. Es kann aber auch ein gültiger Tarifvertrag einen anderen verdrängen, sofern die Belange der Beschäftigten darin Berücksichtigung finden. Das strebt die GdL in diesem Jahr an. Sie will auch für die Zugbegleiter verhandeln und über ein besseres Ergebnis sicherlich auch Mitglieder hinzugewinnen. Dieses Konkurrenzprinzip müsste ja gerade den marktliberalen Vordenkern gefallen.

Tut es aber nicht. Sie sprechen weiter von einer Aufsplitterung der Tarifverträge, die sie in der Theorie einst ganz toll gefunden haben. Streng genommen setzt sich die GdL aber für die Tarifeinheit ein, in dem sie Beschäftigte anderer Berufsgruppen ebenfalls vertreten will. Dennoch fordern die Gegner nun ein Gesetz zur Tarifeinheit, das in Wahrheit ein Gesetz zum Verbot von zulässigen Arbeitskämpfen werden soll. An der Bahnsteigkante findet so eine verfassungswidrige Position offensichtlich breite Unterstützung.

Solidarität weicht der Gleichgültigkeit

Zumindest legt es die Berichterstattung nahe, die wie immer verärgerte Reisende einspielt, statt aufzuklären, warum es zu Tarifkonflikten kommt, welche Funktion Streiks haben und warum der Organisationsgrad von Arbeitnehmern in Deutschland in Wirklichkeit erschreckend gering ist. Wo ist die gesellschaftliche Solidarität geblieben? Sie ist offenbar längst der neoliberalen Gleichgültigkeit gewichen, die alle, die an der Bahnsteigkante zurückbleiben, miteinander verbindet.

Die fühlen sich aber kollektiv im Stich gelassen und wenden ihre Wut gegen Streikposten oder Servicekräfte der Bahn, die informieren wollen. Die GdL scheint ohnehin unten durch, weil sie es wagt, Streiks vom Zaun zu brechen, die andere unmittelbar zu spüren bekommen. Damit müsse Schluss sein, wie mit der Umverteilung, den Arbeitnehmerrechten und dem Sozialstaat. Was ist erfolgreicher? Der Streik der Lokführer oder die Niederlegung der Gedankenarbeit?

Der Deutsche hat nur einen Wunsch. Er will mit der Bahn, die schon lange nur noch voraussichtliche Ankunftszeiten in ihre Fahrpläne schreibt, zu seiner Arbeit gelangen können, von der er selbst kaum noch leben kann. Er hat schließlich viel zu tun, nachdem Mitarbeiter, Weihnachtsgeld und bezahlte Pinkelpausen über die Jahre hinweg gestrichen worden sind. Und weil das so ist, dürfen es andere auch nicht besser haben, so scheint es.


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