Politik will Luft anhalten bis es besser wird

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Die Bundesregierung plant zur Abwendung der sich verschärfenden Krise nichts und glaubt mit einer Mischung aus Kürzungen, Neuverschuldungsverbot und Sanktionen die Wende zum Guten schaffen zu können. Eine verrückte Einstellung.

Die verschärften Sanktionen haben deutsche Exporte nach Russland einbrechen lassen. Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, sanken die Ausfuhren im August im Vergleich zum Vorjahresmonat um mehr als 26 Prozent. Auch die EU rechnet mit einer dämpfenden Wirkung, allerdings seien die Auswirkungen auf die russische Wirtschaft immer noch stärker. Deshalb, so die Überzeugung der Brüsseler Kommission, machen die Sanktionen auch weiterhin ökonomisch Sinn. Eine verrückte Einstellung.

Sanktionen schaden der Wirtschaft hüben wie drüben. Das steht fest. Wie aus einem Prozedere, das alle Beteiligten in einen Abwärtsstrudel reist, ein positives Ergebnis entstehen soll, ist nicht nur unklar, sondern auch unlogisch. Vor allem die vom Export abhängige deutsche Wirtschaft leidet. Nach Auffassung der Bundesregierung muss sie das aber in Kauf nehmen, damit Russland seine Haltung ändert. Mit anderen Worten: Wir halten solange die Luft an, bis Putin einlenkt.

Keine Impulse mehr

Dieses infantile Gehabe funktioniert schon im Sandkasten nicht. Auf großer politischer Bühne ist es sogar gefährlich. Denn Europa inklusive Deutschland taumelt in die nächste Rezession. Wer neben verordneter Kürzungspolitik und Neuverschuldungsverbot auch noch den Handel mit verbliebenen Partnern aussetzt, darf sich über konjunkturelle Einbrüche nicht wundern. Die deutsche Wirtschaft braucht bisher 200 Milliarden Euro Auslandsverschuldung, um nur ein bisschen zu wachsen.

Das allein hat mit solider Wirtschaftspolitik schon nichts zu tun. Aber bricht auch dieser Impuls weg, bleibt in Deutschland nichts mehr übrig, das für Impulse sorgen könnte. Die ständig gefeierte Binnennachfrage? Ein Witz, in Wirklichkeit stagniert sie seit Jahren. Da würde nicht mal das bevorstehende Weihnachtsgeschäft helfen, das uns von den Medien auch in dieser Adventszeit wieder als Zugpferd mit Bildern voller Einkaufspassagen präsentiert werden wird.

Nach allen vorliegenden Prognosen ist es vielmehr so, dass private Haushalte auch im kommenden Jahr versuchen wollen, 150 Milliarden Euro neu zu sparen. Das kann man ihnen nicht vorwerfen, werden sie ja permanent damit traktiert fürs Alter vorzusorgen. Zuletzt auch wieder vom Sparkassenverband, der sich darüber wunderte, dass vor allem Menschen mit geringen Einkommen die Vorsorge vergessen.

Fehlschlag und fehlende Einsicht

Nur werden auch diese Sparversuche nichts bringen, wenn auf der anderen Seite die Schuldner fehlen. Das wird auch der Bundesfinanzminister erkennen müssen, der noch immer an den Erfolg einer Strategie glaubt, die sich „wachstumsfreundliche Konsolidierung“ nennt. Kurz: Schwarze Null. Was in der theoretischen Vorstellung schon unvernünftig ist, wird ohne Wachstum auch in der Praxis wieder zu einem Fehlschlag werden.

Die angebliche Wachstumslokomotive stockt. Neben dem Handelskrieg mit Russland, bleibt auch die Investitionstätigkeit in Deutschland weiterhin schwach, trotz der hohen Gewinne, die in den vergangenen Jahren auf der Kapitalseite entstanden sind. Unternehmen schwimmen förmlich im Geld und investieren trotzdem nicht, weil es eben keine Nachfrage gibt. Auch das ist eine Wahrheit, die bei politischen Entscheidungsträgern zu keinerlei Erkenntnis führt.

Sie halten weiterhin an dem Dogma fest, die Investitionsbedingungen nur verbessern zu müssen, etwa durch Steuererleichterungen oder ganz neu, durch das Versprechen, höhere Renditen für privates Kapital zu zahlen, falls dessen Besitzer das Geld zur Verbesserung der maroden Infrastruktur zur Verfügung stellen. Schäuble hat mal gesagt, er wolle ein guter Kaufmann sein. Da er öffentliche Schulden billiger haben kann als einen privaten Fonds, wird er nicht mal diesem falschen Anspruch gerecht.

Die Bundesregierung braucht keine echten und keine falschen Kaufleute, sondern Menschen mit volkswirtschaftlichem Sachverstand. Die würden erkennen, das die bisherige Politik einen enormen Schaden anrichtet, statt diesen zu vermeiden, wie es eigentlich in der Verfassung steht und mit Amtseiden geschworen wird.


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Europa in der Dauerkrise

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Nach den Personalentscheidungen in Brüssel dürfte die Wirtschaftspolitik in der kommenden Woche wieder eine Rolle spielen. Das neoliberale Weltbild ist erschüttert, denn die versuchte Sparsamkeit ist teuer. Neue Schulden wären billiger.

Am Donnerstag tagt der Rat der EZB. Thema ist die Dauerkrise in der EU. Denn deren Wirtschaftsleistung stagniert im zweiten Quartal, was am Mittwoch durch die offizielle Schätzung der Statistiker noch einmal deutlich werden dürfte. Deutschlands BIP ist im zweiten Quartal sogar geschrumpft. Die selbsternannte Wachstumslokomotive hat den Rückwärtsgang längst eingelegt.

Allein die Lokführerin Angela Merkel will es nicht wahrhaben und stellte vergangene Woche den EZB-Präsidenten Draghi am Telefon zur Rede. Der hatte nämlich auf einer Konferenz der Notenbanker vorsichtig angedeutet, dass Investitionsprogramme helfen könnten, die lahmende Konjunktur in der Eurozone wieder anzukurbeln.

Ordnungsruf für die Wirklichkeit

Solche spalterischen Gedanken ärgern die Berliner Eisenbahngesellschaft, die trotz Irrtums an ihren Sparversuchen festhalten will. Dazu gebe es keine Alternative, heißt es (t)rotzig. Und obwohl die Arbeitslosenquote in der Eurozone im Juli bei 11,5 Prozent verharrt und die Inflationsrate inzwischen nur noch 0,3 Prozent beträgt, lautet die einfache Formel durchhalten statt umdenken.

Wer auch nur in die Nähe eines vernünftigen Gedankens wankt, erhält sofort einen Ordnungsruf. In Frankreich wird gar eine ganze Regierung ausgetauscht. Minister mit eigener Meinung werden durch Minister mit der Meinung des Regierungschefs ersetzt. In Deutschland empfiehlt ein sozialdemokratischer Wirtschaftsminister die Schaffung eines lukrativen Fonds, der private Gelder für öffentliche Investitionen einsammeln soll.

Die schwarze wie heilige Haushaltsnull darf nicht umfallen und die Schuldenbremse nicht reißen. Wer genau hinschaut, stellt aber fest, dass das Ziel der Sparversuche krachend gescheitert ist. Gemessen an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit haben die Schulden, die mit strikter Austerität ja reduziert werden sollten, in der Eurozone neue Rekordstände erreicht. Gebremst wurde hingegen nur das Wachstum und damit jene Einnahmequelle, die Staaten in die Lage versetzt, ihre Schulden überhaupt zu bedienen.

Schulden so billig wie nie

Im August meldete das statistische Bundesamt, dass die öffentlichen Schulden der Bundesrepublik das erste Mal seit 64 Jahren gesunken sind. Die Medien erweckten daraufhin den Eindruck, dass Deutschland erstmals Schulden zurückbezahle oder tilge.

Das ist natürlich grober Unfug, da ein Land ständig seine Schulden zurückzahlt und zwar immer dann, wenn die Laufzeit von Anleihen abgelaufen ist, der Gläubiger also seine Kohle zum vereinbarten Termin nach ein paar Monaten oder zehn Jahren wiedersehen will. Woher nimmt der Staat das Geld? Er leiht es sich. In letzter Zeit geht das zu sehr günstigen Konditionen, weil die EZB mit Draghi an der Spitze notfalls für alle Anleihen bürgt.

Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die Refinanzierung dieser Schulden deutlich billiger ist, als vor der Krise. Die laufenden Kreditkosten, also Zinsen, die aus dem Haushalt bezahlt werden müssen, sinken. Im Fall Deutschlands ist das der Grund für die schwarze Null. Schäuble hat nicht gut gewirtschaftet, sondern profitiert vielmehr vom Zinsvorteil, den ihm die EZB gewährt. Er tilgt alte Schulden mit günstigeren neuen Schulden. Mehr nicht.

Gewollte Sparsamkeit kann teuer werden

Gleichzeitig maulen er und Merkel aber herum, dass die lockere Geldpolitik der Zentralbank die Sparabsicht aller konterkariere und zum Schuldenmachen einlade. Nur, wer seine alten Schulden zurückzahlen will, muss neue Schulden machen. Wer darüber hinaus investieren will, muss noch mehr neue Schulden machen, bekommt im Gegenzug aber eine Zunahme der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, weil sich die gesamtwirtschaftliche Nachfrage insgesamt erhöht. Das heißt, der Schuldenstand sinkt in Relation zum BIP. Eine expansive Fiskalpolitik wie von Draghi sachte empfohlen, wäre die günstigste und eine nachhaltige Alternative.

Berlin lehnt das aber ab, weil es dem eigenen Weltbild widerspricht. Nur wer gar keine neuen Schulden machen und auch gar nicht investieren will, hat den Kapitalismus nicht verstanden und muss am Ende noch viel mehr neue Schulden machen, nur um die Substanz zu erhalten. Wirklich sparen kann also nur der, der Schulden regelmäßig macht und das Geld sinnvoll investiert. Stattdessen wollen Teile der Politik lieber der Finanzindustrie mit der absurden Idee höherer Zinsversprechen im Rahmen eines Fonds zu einem Geschäft verhelfen, nur um den Anschein zu vermeiden, eigene Schulden aufnehmen zu müssen.

Der Vorteil beim Weg über einen Fonds liegt natürlich auf der Hand. Seine vergleichsweise hohen Kosten taugen als Begründung für kommende Kürzungsrunden, die dem Mantra der Sparsamkeit und damit dem zerbröselten Weltbild wieder entsprechen. Dass dafür Ressourcen sinnlos verplempert bzw. Geld von unten nach oben umverteilt werden müssen, geschenkt. Wer übrigens Schulden abbauen will, muss das Vermögen reduzieren. Steuern zu erhöhen, wäre da ein probates Mittel, das aber seit der letzten Wahl quasi ausgeschlossen ist. Über Steuererhöhungen redet man nicht mehr. Damit ist an dieser Stelle eines sicher: Die Krise bleibt von Dauer.

Noch ein Lesetipp: Heiner Flassbeck fasst die Lage sehr viel besser zusammen.

http://www.flassbeck-economics.de/was-im-august-wichtig-war/


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Die große Enttäuschung

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Europa taumelt ökonomisch nicht am, sondern im Abgrund vor sich hin. Stimmen der Vernunft werden vom lauten Chor fanatischer Dogmatiker weiterhin nieder gebrüllt.

In der vergangenen Woche ist etwas bemerkenswertes passiert. Zahlreiche Ökonomen verschiedener Schulen, darunter viele Nobelpreisträger, kritisierten auf einer Tagung in Lindau die Austeritätspolitik von Kanzlerin Merkel. Die verteidigte sich mit der üblichen wie falschen Behauptung, Deutschland habe bewiesen, durch Konsolidierung seiner Haushalte Wachstum zu erzielen. Das könnten andere auch, wenn sie nur die gleichen Reformen umsetzten, wie einst Deutschland mit der Agenda 2010.

Hinzu kam der Vorstoß des inzwischen geschassten französischen Wirtschaftsministers Arnaud Montebourg, der im Interview mit Le monde vor einer dauerhaften Rezession warnte und deshalb einen Politikwechsel forderte. Paris müsse sich vom dogmatischen Berlin lösen und eine wirtschaftspolitische Alternative anbieten. Das ging den geschröderten Sozialisten zu weit und die Regierung trat zurück.

Das Ergebnis: Die deutschen Medien spotten über den vermeintlich kranken Mann Europas. Hollande habe nun gar keine Wahl mehr. Er müsse den Rezepten folgen, die in Deutschland angeblich schon einmal erfolgreich waren. Damit könne er sich wenigstens noch Respekt verdienen, denn zur Wiederwahl wird es nicht mehr reichen, urteilt Michael Strempel in den Tagesthemen.

Er macht sich für uns alle sorgen um Frankreich, das nicht nur Hollande, sondern auch Deutschland als Partner zu entgleiten drohe. Überall Hiobsbotschaften, stellt Strempel fest. „Arbeitslosigkeit stabil zweistellig, Unternehmen verlassen das Land und die Staatsausgaben laufen aus dem Ruder“, kurzum: Die Wirtschaft geht den Bach runter.

Und dann noch orthodoxe Linke wie dieser Montebourg, die immer nach der gleichen Therapie rufen würden, also den Geldhahn aufdrehen und bloß keine Zumutungen für die Bürger. Genau so sei Frankreich dahin gekommen, wo es heute stehe, analysiert Strempel völlig ahnungslos.

Die Wahrheit sieht freilich anders aus und ist von jenen Ökonomen beschrieben worden, denen Merkel vergangene Woche in Lindau begegnete. Sie halten das deutsche Gefasel über Reformen für blanken Unsinn. Jeder kann übrigens sehen, dass der Austeritätskurs in Europa gescheitert ist. Trotzdem wird so getan, als sei der nicht die Ursache für die Misere, sondern die Lösung.

So eine Nulpe wie Strempel meint daher auch, dass echte Wirtschaftsreformen sowie eine Schlankheitskur für den krakenhaften Staatsapparat und ein Arbeitsmarkt, der nicht einbetoniert ist in Besitzstandswahrung, Frankreich aus der Depression hinaus führen könne. Wer fordert denn hier eigentlich die immer gleiche Therapie?

Ist es nicht so, dass genau diese vermeintlichen Reformen eine Abwärtsspirale in Gang setzten, die das Wachstum in Europa einschließlich das Deutschlands nunmehr zum erliegen gebracht hat? Steigt Frankreich in den Wettlauf sinkender Lohnstückkosten ein, um seine Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, was macht dann Deutschland, dass seine Wettbewerbsanteile und seine Exportüberschüsse mit aller Macht verteidigen will?

Wie kam Deutschland eigentlich zu seiner relativen Wettbewerbsfähigkeit? Lag es an den Reformen? Oder wohl eher daran, dass den Überschüssen entsprechende Defizite gegenüberstanden. Falls Marine Le Pen die nächste Präsidentin Frankreichs werden sollte, hat nicht Hollande allein diese Katastrophe zu verantworten, sondern vielmehr der Glaube an eine falsche Wirtschaftspolitik.

Beim Treffen in Lindau sagte Merkel einen verräterischen Satz. Sie beschwerte sich über falsche Prognosen der Ökonomen und forderte von ihnen mehr Ehrlichkeit ein. Doch was zwingt die Kanzlerin eigentlich dazu, die falschen Prognosen weiterhin als Wahrheit zu verkaufen? Hat sie etwa selbst ein Problem damit, Fehler einzugestehen?


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Wer mehr Zinsen will, muss mehr Schuldner akzeptieren

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Sparkassenkleinhirne kritisieren die Zinspolitik der Zentralbank und jammern über niedrige Zinsen, die keinen Anreiz zum Sparen böten. Dabei sind Sparer das Letzte, was die Welt jetzt braucht.

Morgen entscheidet die EZB über weitere Schritte in Sachen Zinspolitik. Beobachter halten eine erneute Senkung des Leitzinses für möglich. Da schrillen die Alarmglocken, vor allem beim Präsidenten des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Fahrenschon. Er spricht von falschen Signalen, verlorenen Zinseinnahmen für Sparer und deren Enteignung, insbesondere mit Blick auf die so schön ausgedachten Altersvorsorge-Konzepte auf Kapitalmarktbasis. Niedrige Zinsen gäben keinen Anreiz mehr zum Sparen, ruft er in die Welt hinaus. Dabei sind Sparer das Letzte, was die Welt jetzt braucht.

Sparer hat die Welt genug, was fehlt, sind die Schuldner. Und genau deshalb arbeiten sich die Währungshüter seit Bestehen der Krise, welche von deutschen Kleinsparhirnen wie Fahrenschon offenbar kaum zur Kenntnis genommen wird, an der Frage ab, wie es zu höheren Investitionen in die Realwirtschaft kommen kann. Denn nur wenn die Investitionstätigkeit anspringt und mehr Kredite nachgefragt würden, gäbe es auch mehr Schuldner und damit höhere Zinsen für Sparer.

Allerdings plagt sich Europa mit einer eklatanten Nachfrageschwäche herum. Es lahmt die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen und es lahmt die Nachfrage nach Krediten. Alle Sektoren der Volkswirtschaft sparen oder verfolgen die Absicht weniger Geld auszugeben. Staat, Unternehmen und private Haushalte wollen ihre Bilanzen bereinigen. Die Folgen sind fatal, aber nicht unbekannt. Japan hat das in den 1990er Jahren durchgemacht. Der Wirtschaftswissenschaftler Richard Koo analysierte die Epoche und fand den Begriff „Bilanzrezession“ (Unter anderem nachzulesen in „Handelt Jetzt!„). Auf die steuert auch Europa zu.

Der brutale Austeritätskurs, den die Bundesregierung zum tugendhaften Leitbild einer höchst seltsamen Wirtschaftspolitik erklärt hat, trägt Früchte, die den Sparern nicht schmecken können. Nur wird dies als Ursache schlichtweg übersehen. Auch Fahrenschon wie viele Sparkassen-Banker unter ihm verweigern eine Analyse der Krise und begnügen sich damit, die Zentralbank für ihr Handeln zu kritisieren. Sie jammern nur herum: Wegen der laschen Regulierungen, die auch sie betreffen und wegen der niedrigen Zinsen, die ihre Kunden betreffen. Gleichzeitig besitzen sie aber die Chuzpe, für die Kontoüberziehung mehr als zehn Prozent vom Schuldner zu verlangen, der bei ihnen in der Regel Gläubiger ist.

Vielen ist das ja gar nicht bewusst. Ein Guthaben bei der Bank heißt nichts anderes, als dass sich die Bank in der Höhe des Guthabens beim Kontoinhaber verschuldet. Verschuldet der sich aber umgekehrt bei der Bank, weil sein Konto ins Minus rutscht, sind unerhörte Zinsen fällig. Hier wäre der erste Ansatz für eine Korrektur. Zum zweiten richtet sich die Kritik der Banker an die falsche Adresse. Die Zentralbank reagiert mit ihrer Zinspolitik (ja fast hilflos) auf eine Gefahr. Und die heißt Deflation. Für einige ist das nur überhaupt nicht dramatisch. Sie finden, wenn die Preise um lediglich 0,7 Prozent steigen, stärke das die Einkommen insgesamt. Ein fataler Irrtum.

Denn die Wirtschaft wird geschwächt. Die Wachstumsrate der Eurozone liegt nur noch bei 0,2 Prozent. Vor allem im Süden Europas brechen die Ökonomien unter der Last des Spardiktats zusammen. Und jetzt kommt die spannende Frage.

„Warum sollten die Unternehmen in den Euro-Krisenländern Kredite aufnehmen, wenn sie weiterhin flaue Umsätze erwarten? Unternehmen fragen nur dann Kredite für Investitionen nach, wenn sie davon ausgehen, dass die von ihnen produzierten Konsum- oder Kapitalgüter von privaten Haushalten und anderen Unternehmen gekauft werden. Es ist aber wenig wahrscheinlich, dass sie aus einer Situation der Unterauslastung der Kapazitäten heraus ihre Investitionen erhöhen, wenn der vorhandene Kapitalstock vollständig ausreicht, die aktuelle (rückläufige) Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen zu befriedigen.“

(siehe Günther Grunert, via NachDenkSeiten)

Die Kritik der Sparkassen sollte sich daher weniger an die Adresse der Zentralbank richten, als vielmehr an die Adresse der Kanzlerin, die zusammen mit ihrem Finanzminister und einer zum bloßen Schoßhund degradierten SPD den gescheiterten Austeritätskurs in Europa weiter fortsetzen will. Die Kanzlerin, die einst in lächerlicher Weise eine Garantie auf alle Spareinlagen abgab, sorgt mit ihrer Politik für jene Enteignung, die Banker und Sparer jammernd beklagen. Gleichzeitig singen alle brav das hohe Lied der privaten Altersvorsorge weiter, die nicht erst jetzt, im Angesicht niedriger Zinsen, sondern schon viel früher als fataler Irrweg hätte identifiziert werden müssen.

Doch das Geschäft mit der privaten Altersvorsorge ist inzwischen auch zum Geschäft der Sparkassen geworden, weshalb gerade sie bei der anhaltenden Niedrigzinsphase um einen Verlust ihrer Glaubwürdigkeit fürchten. Nur hilft das alles nichts: Wer höhere Zinsen will, braucht mehr Schuldner und diese Schuldner brauchen wiederum eine funktionierende Wirtschaft, in der die Nachfrageentwicklung ernst genommen wird. Aber das kann es nur geben, wenn eine Regierung auch etwas von Ökonomie versteht. Die Zentralbank allein wird das Ruder nicht herumreißen können. Soviel ist schon jetzt klar.

Im Übrigen: Wer sparen und Verschuldung abbauen will, kann das nur, wenn spiegelbildlich auch das Vermögen schrumpft. Denn das Vermögen des einen sind die Schulden der anderen. Insofern ist die beklagte Enteignung nur die logische Konsequenz einer verordneten Entschuldungspolitik in allen Sektoren.


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Die Richter zweifeln, weil eine Analyse der Krise fehlt

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Das Bundesverfassungsgericht hält das Anleihekaufprogramm der EZB für rechtswidrig, will darüber aber selbst nicht entscheiden, sondern dem EuGH den Vortritt lassen. Die Entscheidung der Karlsruher Richter wird hierzulande allgemein begrüßt. Die Mehrheitsmeinung in Deutschland ist der Auffassung, dass die EZB ihre Kompetenzen mit dem 2012 beschlossenen OMT Programm überschritten habe. Überschritten vielleicht, nur falsch war das nicht.

Es sind jene Politiker und Experten, die sich selbst lobend auf die Schulter klopfen, weil sie glauben, dass ihre Krisenpolitik seit einiger Zeit zu wirken beginne. Diese angenommene wie falsche Wirklichkeit würde es aber nicht geben, hätte Mario Draghi auf seine Ankündigung verzichtet, im Notfall Staatsanleihen in unbegrenzter Höhe aufkaufen zu wollen. Ohne OMT hätten die Spekulanten, die auf die Pleite ganzer Staaten wetteten, gewonnen und damit den Zerfall der Eurozone erreicht.

Allein die Ankündigung Draghis beendete das Chaos an den Finanzmärkten. Wohlgemerkt, nur die Ankündigung. Denn das Programm ist bis heute nicht zum Einsatz gekommen. Die Richter in Karlsruhe wie auch Bundesbanker, Politiker und Mainstream-Ökonomen geißeln also etwas, dass bisher nur in der Theorie existiert. Die Justiz, die zur Ökonomie selten etwas Vernünftiges zu sagen hat, lässt aber immerhin die in den Medien unterschlagene Möglichkeit offen, das bestehende Vertragswerk der EU entsprechend zu ändern.

Eigentlich geht es um die Frage, ob ein regelkonformes Nichtstun dem vorzuziehen ist, was vernünftig war, als die Politik jämmerlich versagte. Die Regierungen wollten den Euro retten, taten aber nichts und trieben die Währungszone mit unbedarften Äußerungen an den Rand eines Kollapses. Draghi musste reagieren und die Politik akzeptierte das auch, weil sie ganz genau um die brisante Lage wusste, dies aber öffentlich nicht zugeben wollte.

Doch die Luft, die der EZB-Chef den Regierungen verschaffte, nutzten diese nicht für eine ehrliche Analyse der Krise, sondern für ein absurdes Diktat. Kredite nur gegen Auflagen oder anders ausgedrückt, Hilfen nur gegen die Bereitschaft zum wirtschaftlichen Selbstmord. Inzwischen steht der Euro nicht mehr für Wohlstand, sondern für wachsende Armut. Im Süden Europas übersteigt die Arbeitslosigkeit jedes nur erträgliche Maß. Die Wirtschaft schrumpft und die Deflation ist längst Realität. Im Norden hält die Selbsttäuschung weiter an. Haushaltskonsolidierung und Sparpolitik, das ist das Modell, dem sich alle anschließen sollen.

Deflationsgefahr wird systematisch unterschätzt

Das OMT-Programm der EZB kritisierten die Wahrnehmungsgestörten aus Deutschland vor allem mit der Furcht vor einer galoppierenden Inflation. Das Gegenteil ist seit 2012 der Fall. Die Preisstabilität ist nicht durch Inflation, sondern durch Deflation in Gefahr. Diese wird hierzulande aber weiterhin unterschätzt, da sich Verbraucher über fallende Preise doch freuen müssen. Aus Sicht der meisten Deutschen sei es eben viel gefährlicher, wenn die EZB direkte Staatenfinanzierung betreiben und die Schulden der einzelnen auf alle in der Eurozone übertragen würde.

Die Wirtschaftsredaktionen bagatellisieren deshalb die Deflationsgefahr und begrüßen das Stillhalten der EZB, die auf eine weitere Zinssenkung in der vergangenen Woche verzichtet hat. Dass die Zentralbank angesichts der desolaten Wirtschaftspolitik in der Eurozone ihr Pulver längst verschossen haben könnte, kommt den Redakteuren indes nicht in den Sinn. Sie sehen sicherlich noch etwas anderes. Eine niedrige Inflationsrate hilft nämlich dabei, die relative Wettbewerbsposition der Eurozone gegenüber dem Rest der Welt zu verbessern. Und nichts anderes hat die Mutti als Ziel ihrer Kanzlerschaft bekanntlich ausgegeben.

Um das zu erreichen, muss der Anstieg der Lohnstückkosten dramatisch gebremst werden. Eine Forderung, die auch der Zentralbankchef Mario Draghi offen unterstützt und damit belegt, dass er eben nicht wie allenthalben kolportiert, eine eigene und damit verbotene Wirtschaftspolitik betreibt, sondern sich vielmehr den irrsinnigen Ansichten der Finanzminister beugt, die das kollektive Sparen als Klassenziel ausgegeben haben. So wirken die vielen Arbeitslosen in der Eurozone, deren Hoffnungslosigkeit und der dramatische Zustand ganzer Volkswirtschaften hierzulande als notwendiges Übel auf dem Weg zurück ins Paradies.

Wenn man sich also die Diskussion seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts anschaut, verfestigt sich der Eindruck, dass der ungeordnete Zerfall des Euro für einige weit weniger dramatisch wäre, als ein möglicher Verstoß der EZB gegen EU-Vertragsrecht. Die Lösung muss daher lauten, der Zentralbank auch politisch eine aktivere Rolle zuzugestehen, damit diese unser aller Währung auch beschützen kann. An den grundsätzlichen Problemen ändert das freilich nichts. Denn eine vernünftige Wirtschaftspolitik zu betreiben, bleibt Aufgabe der gewählten Regierungen, die aber bisher, wie oben schon erwähnt, jämmerlich versagt haben.


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Die Gaga Politik

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Kurz zusammengefasst, läuft der Wahlkampf im Augenblick ja so:

Union und FDP loben die rot-grüne Ära, weil unter Schröder die Agenda 2010 und zahlreiche Steuererleichterungen für die Kapitalseite beschlossen wurden. Dagegen sehnen sich SPD und Grüne augenscheinlich die Regierungszeit Helmut Kohls zurück, da während seiner Regentschaft ein aus ihrer Sicht sozialverträglicher Spitzensteuersatz von über 50 Prozent und die Vermögenssteuer gegolten haben.

Das ist aber noch nicht alles. Streitereien gibt es auch innerhalb der sogenannten politischen Lager. Die Gurkentruppe aus Union und FDP zankt sich zum Beispiel darüber, ob sie regieren oder weiter reagieren soll. Die Grünen verlangen eine Korrektur der Agenda 2010 und schlagen ein Sanktions-Moratorium vor. Das passt wiederum den Spezialdemokraten nicht. Sie sehen ihr wichtigstes „Reformprojekt“ der vergangenen 150 Jahre in Gefahr. Mit der SPD sei so etwas nicht zu machen, diktiert der SPD-Chef Sigmar Gabriel den Journalisten in den Block. Er weist auch die Behauptung Jürgen Trittins zurück, wonach die SPD während der rot-grünen Regierungszeit die Einführung eines Mindestlohns verhindert habe.

Nicht in die Irre führen lassen

Der Wähler sollte sich allerdings durch diese absurden Scharmützel nicht in die Irre führen lassen. Ihm muss klar sein, dass Union, FDP, SPD und Grüne trotz des öffentlich vorgetragenen Theaters in den wichtigen Fragen natürlich einer Meinung sind. Dazu gehört auch, das absurde deutsche Wirtschaftsmodell weiter zu verteidigen. Bundeskanzlerin Angela Merkel tat das vergangene Nacht erneut auf einem Treffen der Eurozonen-Regierungschefs in Brüssel. Die Konferenz brachte natürlich keine Ergebnisse, dafür wieder einen Satz für die Nachrichten.

Schuld an der heutigen Arbeitslosigkeit in einigen Euro-Ländern sei eine über viele Jahre anhaltende Fehlentwicklung in der Produktivität und bei den Löhnen, sagte Merkel am Freitagmorgen. Sie meinte aber nicht die Fehlentwicklung auf deutscher Seite wie diese Grafik zur Performance der Lohnstückkosten eindrucksvoll belegt.

Entwicklung Lohnstückkosten
Quelle: Heiner Flassbeck via NachDenkSeiten

In dem Maße, wie die südeuropäischen Länder das Inflationsziel der EZB nach oben überschritten haben, hat Deutschland die Zielmarke deutlich unterschritten. Beide Verläufe hängen miteinander zusammen. Ohne diese Fehlentwicklung, und das ist der Witz, könnte sich Deutschland heute nicht als europäischer Musterknabe abfeiern lassen. Mit anderen Worten: Deutschlands Wirtschaftsmodell, an dem Merkel ja ganz klar festhalten möchte, braucht die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte, um überleben zu können. Das heißt, dass der Export von Arbeitslosigkeit zum Mantra der deutschen Wettbewerbsfähigkeit hinzu gehört.

Wenn die Kanzlerin daran tatsächlich etwas ändern wollte, müsste sie eine Politik verfolgen, die den Abbau der Ungleichgewichte zum Ziel hat. Deutschland müsste seine Binnenkonjunktur durch höhere Löhne stärken und ganz gezielt an Wettbewerbsfähigkeit verlieren, um anderen Volkswirtschaften eine Chance zu geben, sich zu entfalten. Wer aber andere zu Kürzungsprogrammen zwingt und gleichzeitig die eigene Wettbewerbsfähigkeit mit allen Mitteln verteidigt, der will auch in Zukunft seine Handelspartner über die Stellschraube Lohnstückkosten niederkonkurrieren. Wer so vorgeht, nimmt steigende Arbeitslosigkeit und Verschuldung billigend in Kauf.

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Kieler Nachrichten zum Tarifabschluss

Geschrieben von:

Die Kieler Nachrichten meinen zum Tarifabschluss im öffentlichen Dienst:

Kieler Nachrichten

Quelle: dradio Presseschau, 11.03.2013, 7:05 Uhr

„Mehr als Nullrunden sind nicht zu finanzieren, eigentlich müssten die Gehälter sogar gekürzt werden, um die Sanierung der öffentlichen Kassen kurzfristig voranzutreiben.“

Eigentlich müsste der Kommentierende mal zu einer Schulung über simple Zusammenhänge der Volkswirtschaft. Dann würde er vielleicht verstehen, dass pauschale Gehaltskürzungen das Loch in den öffentlichen Kassen nicht kleiner, sondern größer werden lassen. Denn wer kommt denn für den Nachfrageausfall und die damit verbundene Schwächung der Wirtschaftsleistung auf?

Ich begreife solche Aussagen einfach nicht. An den Beispielen Griechenland und Spanien muss doch auch für Journalisten der Kieler Nachrichten erkennbar sein, falls sie ihre Augen auch benutzen, wohin eine blinde Sparwut führt. Auf keinen Fall zu einem Sparerfolg, nicht einmal kurzfristig. Der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst liegt mit 2,65 Prozent für 2013 und 2,95 Prozent für 2014 ohnehin weit entfernt von einer vernünftigen Lohnpolitik.

Solche Kommentare wie oben passen allerdings zur gängigen Voodoo-Ökonomie.

umFAIRteilen

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Wenn der Herrenwitz um sein Überleben kämpft

Geschrieben von:

Wie sieht die Schwerpunktsetzung bei den überregionalen Themen im Augenblick aus. Auf vielen Blättern konnte man beispielsweise am Dienstag die winkende niederländische Königin als Aufmacher sehen. Was hat die da zu suchen? So royales Zeugs wird halt gelesen, könnte man meinen. Schließlich sind die Livesendungen der öffentlich-rechtlichen und der Privaten mit dauerquasselnden Adelsexperten der Renner im Fernsehen. Weiter geht es dann mit der Sexismus-Debatte, bei der der Herrenwitz offenbar um sein Überleben kämpft. Seit beinahe einer Woche wird das Thema episch behandelt und in den Gazetten ausgebreitet. Lustig fand ich in diesem Zusammenhang einen Kasten des Bonner General-Anzeigers am heutigen Mittwoch, mit der Überschrift, Diskutieren sie mit. Der stand auf einer ganzen Brüderle Seite unten rechts in der Ecke.

General-Anzeiger

Tja, ob diese Story so viel Aufregung wert ist, scheint zumindest fraglich. Inzwischen schreiben Journalisten ja über Journalisten. Es gibt weitaus wichtigere Themen als Brüderles Verhältnis zu Journalistinnen des Stern. Zum Beispiel Brüderles Haltung zur Finanzkrise oder zur Rede von Angela Merkel auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos.

Schreiben sie dazu mal ne kurze Meldung, lautete die Aufgabe auf einem Seminar für Journalisten, an dem ich in Bonn zurzeit teilnehme. Heraus kam erwartungsgemäß die Erkenntnis, dass Reden von Politikern im Allgemeinen und von Merkel im Besonderen sehr schwer zu verstehen seien. Viel heiße Luft eben. Die erkannte Nachricht bestand nun darin, dass Merkel Rückhalt für anstehende “Strukturreformen” erbat. Dabei war sie in Davos ausnahmsweise einmal konkret geworden und hat nicht weniger als einen “Pakt des Schreckens” gefordert, verbunden mit der Drohung, Europa dafür nach deutschem Vorbild umbauen zu wollen. Es stünde nicht weniger als die Sicherung von weltweiten Wettbewerbsvorteilen auf dem Spiel. Die Finanzkrise habe diesbezüglich ein Zeitfenster eröffnet, um Druck aufzubauen, der aus Merkels politischer Erfahrung heraus für die Umsetzung jener “Strukturreformen” unerlässlich sei. Mein Einwand bezüglich der Brisanz der gehaltenen Rede wurde von den Kollegen nicht geteilt und eher als zu harte Interpretation meinerseits bewertet.

Kein Wunder, dass sich die Medien in ihrer Mehrheit lieber mit Brüderle und dem Herrenwitz beschäftigen als mit der Merkel-Rede. Von Regierungsseite trägt der Text übrigens die Überschrift “Die Besten als Vorbild”, was für sich genommen schon eine unverschämte Anmaßung ist. Wenn man bedenkt, wohin der von Merkel gelobte und maßgeblich vorangetriebene Konsolidierungskurs in Europa geführt hat, kann man der Kanzlerin sogar eine Falschbehauptung nachweisen. Sie sagte, dass Konsolidierung und Wachstum zwei Seiten derselben Medaille seien. Dabei hat nicht nur die sichtbare und brutale Realität in den Südländern, sondern inzwischen auch der IWF diese kühne These sehr deutlich widerlegt.

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Von der geistigen Klippe springen

Geschrieben von:

Lustig am US-Haushaltsstreit ist ja die spezielle Reaktion deutscher Meinungsmacher. Komme es zu keiner Einigung zwischen Demokraten und Republikanern vor Jahresfrist folgen automatische Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen, die zu einer Schwächung der amerikanischen Binnenkonjunktur beitrügen und damit die Weltwirtschaft insgesamt gefährden. Doch wie kann das sein? Halb Europa ächzt doch unter der deutschen Sparwut, die nichts anderes als Steuererhöhungen (vor allem auf Konsum) und Ausgabenkürzungen vorsieht. In diesem Fall sprechen dieselben Meinungsmacher aber nicht von einer Gefahr für die Weltwirtschaft, sondern von gemachten Hausaufgaben.

Es muss natürlich auch weiterhin einen solventen Schuldner geben, der die deutschen Exporte finanziert. Wenn die USA auf einmal ganz ohne Zwang Ausgaben kürzen, führe das unweigerlich in eine Rezession. Wenn aber Südeuropa zu Austeritätsprogrammen gezwungen wird, spricht man von einer schmerzlichen aber notwendigen Strategie, die, so die deutschen Klippenlogiker, zu irgend einer ökonomischen Besserung der Gesamtsituation beitragen würde.

Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken sagt im Interview mit dem Deutschlandradio:

“Sie müssen sehen, die Exporte in die USA sind sehr gut gelaufen: In den ersten neun Monaten des Jahres 2012 gab es da eine Steigerung um 21 Prozent auf 65 Milliarden Euro, das heißt, das ist schon ein gravierender Betrag, und wenn es hier Störungen gibt, das heißt, wenn die Binnenkonjunktur in den vereinigten Staaten massiv abstürzt – und das würde sie sicher tun, wenn die über dieses Fiscal Ciff runterfallen. Dann hätte das unmittelbare Auswirkungen auf Deutschland und auf Europa.”

Quelle: dradio

Aha, mich wundert nur, dass dem Banker der ungleich höhere Batzen von 310 Milliarden Euro, der im gleichen Zeitraum aus Exporten in die Eurozone erzielt wurde, keinerlei Erwähnung wert ist. Bei diesen Ausfuhren hat es in den ersten drei Quartalen einen Einbruch um 2,2 Prozent gegeben. Ist die Eurozone für die deutsche Exportwirtschaft und deren Berater etwa schon abgeschrieben? Es scheint so, denn, so der Banker:

“Natürlich muss man weiterhin Druck auf Griechenland und auf die anderen Peripherieländer richten, damit die ihre Reformen weiter durchziehen, was bei Griechenland nicht ganz einfach ist.”

Demagogie ist das Gebot der Stunde. Innerhalb der Eurozone hat man einen brutalen Anpassungskurs eingeschlagen und glaubt, dadurch die bestehenden Leistungsbilanzdefizite abbauen zu können, ohne auf die eigenen Überschüsse verzichten zu müssen. Kemmer behauptet im Gespräch mit dem Deutschlandradio, die Strukturreformen hätten zu einem tatsächlichen Abbau der Leistungsbilanzdefizite in den Südländern geführt. Beim genauen Blick auf die Zahlen des statistischen Bundesamts wurden von Januar bis Oktober Waren und Dienstleistungen im Wert von 347,8 Milliarden Euro in die Eurozone ausgeführt, dagegen schlugen die Importe aus der Eurozone mit 339,4 Milliarden Euro zu Buche.

Das macht immer noch einen Bilanzüberschuss von 8,4 Milliarden Euro auf deutscher Seite und logischerweise ein zusätzliches Defizit in Höhe von 8,4 Milliarden Euro auf Seiten der übrigen Eurozone, das über Kredite finanziert werden muss. Im Vergleich zu 2011 betrug der Überschuss bzw. das Defizit zu diesem Zeitpunkt noch 17,3 Milliarden Euro. Was sich geändert hat, ist also die Höhe des nach wie vor bestehenden Ungleichgewichts. Mit einem Ausgleich der Leistungsbilanz wäre zudem überhaupt nichts gewonnen, da die über Schulden finanzierten Defizite ja auch zurückgezahlt werden müssen. Das wiederum kann nur gelingen, wenn die jetzigen Schuldnerländer ihrerseits Überschüsse erwirtschaften dürfen, aus denen sie ihre Verbindlichkeiten bedienen können.

Konkret heißt das, dass insbesondere Deutschland eine Zeit lang Defizite hinnehmen müsste, um den Schuldnerländern überhaupt die Chance zu verschaffen, aus der Krise herauszuwachsen. Allein von 1999 bis 2011 hat Deutschland gegenüber den sogenannten PIGS-Staaten (Portugal, Italien, Griechenland und Spanien) einen Leistungsbilanzüberschuss von rund einer halben Billion Euro angehäuft. Um diesen Berg wieder abzutragen, ist eine ganz andere Strategie notwendig als die gegenwärtig gefahrene brutale Anpassung durch neoliberale Reformen, unter denen die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit in den betroffenen Ländern immer weiter zurückgeht.  

Doch zurück zur geistigen Klippe, über die man so manchen Zeitgenossen gern stoßen würde. Die Leistungsbilanz mit den USA scheint Kemmer egal zu sein, wie auch Zusammenhänge der Finanzkrise insgesamt. Die Rettung der Banken beschreibt er als Abwägungsprozess mit abscheulicher Begründung:

“Ich kann das gut verstehen, dass die Leute sagen, das kann doch nicht wahr sein, dass man den Banken das Geld in den Rachen wirft und ansonsten für Sozialausgaben und Ähnliches keine Mittel hat. Aber das ist nur auf den ersten Blick richtig, es gilt immer abzuwägen, was ist das geringere Übel, und das Problem der Bankenbranche ist natürlich, dass sie eben systemrelevant ist.”

Menschen sterben zu lassen, ist das geringere Übel. Sie sind ja nicht so systemrelevant wie Banken, deren Schieflage nicht hausgemacht, sondern durch die Staaten heraufbeschworen worden sei. Und das ist wirklich der Gipfel der Kemmerschen Unverschämtheiten:

“Und die Staatsschuldenkrise ist natürlich etwas, was letztlich aus den Ländern heraus selbst gekommen ist, und das hat die Banken mit nach unten gezogen. Und in der Staatsschuldenkrise war es schon so, dass einige Staaten die Banken in Schwierigkeiten gebracht haben, denn es gab ja schon das unausgesprochene Versprechen, dass die Staatsanleihen sicher sind – die mussten ja auch nicht mit Eigenkapital unterlegt werden, sodass die Banken hier in der Tat sehr eng auch an den Problemen der nationalen Volkswirtschaften hängen.”

Zum Glück haben die Banken ja das Gröbste hinter sich und stehen so gut da wie nie. Dank der Umschuldungsstrategie halten nicht mehr sie, sondern öffentliche Gläubiger die kritischen Staatsanleihen. Damit muss der Steuerzahler zusehen, wie er zu seinem Geld kommt. Die Schuldscheine könnte der ja prima zu jenen toxischen Papieren packen, die noch immer in den Bad Banks lagern, also in jenen Abfallverwahrungsinstituten unter ebenfalls öffentlicher Schirmherrschaft, in die die armen systemrelevanten Banken ihre Tripple A Schrottpapiere aus der geplatzten Immobilienblase hineinschmeißen durften, um ihre Bilanzen zu bereinigen.

Aber um diese geistige Klippe schippert schon längst kein Bankerhirn mehr.

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Bildungsausgaben steigen nur nominal nicht real

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Die nächste Jubelmeldung des statistischen Bundesamts betrifft die öffentlichen Bildungsausgaben. Sie steigen im Jahr 2012 auf über 110 Milliarden Euro. Damit gaben Bund, Länder und Gemeinden 4,7 Milliarden Euro mehr aus als 2011. In den Nachrichten wird die Meldung aus Wiesbaden durchweg positiv bewertet und von einer Rekordsumme gesprochen, obwohl das schwache Abschneiden Deutschlands im internationalen Vergleich der Bildungsbudgets gleichwohl bekannt ist.

Doch keinem scheint aufgefallen zu sein, dass sich auch gemessen am Bruttoinlandsprodukt rein gar nichts verändert hat. Laut Aussage der Statistiker hat es im Vorjahr öffentliche Bildungsausgaben in Höhe von 105,6 Milliarden Euro gegeben, die gemessen am BIP von 2011 (2592,6 Mrd. Euro) 4,1 Prozent ausmachten. Nun werden 110,3 Milliarden Euro veranschlagt. Legt man nun die Wachstumsprognose der Bundesregierung in Höhe von 1 Prozent für 2012 zugrunde, würde ein BIP von 2618,5 Milliarden Euro herauskommen. Damit lägen die veranschlagten Bildungsausgaben bei 4,2 Prozent des BIP. Was für ein Sprung.

Nimmt man nun in einem zweiten Schritt Merkels berühmten Satz nach dem nicht minder berühmten Bildungsgipfel in Dresden aus dem Jahr 2008 zum Maßstab, der da lautete, die öffentlichen Bildungsausgaben bis zum Jahr 2015 auf mindestens 10 Prozent des BIP anzuheben, scheint es ja geradezu in einem Affentempo voranzugehen. In Wahrheit wird nicht mehr ausgegeben, sondern weiterhin gespart.

Rekordausgaben hin oder her, nominal ist nicht real. 

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