Kriegskredite statt Enteignung

Geschrieben von: am 19. Dez. 2025 um 8:56

Die EU hat in der Nacht beschlossen, gemeinsame Kriegskredite aufzunehmen, statt eine Enteignung russischen Staatsvermögens vorzunehmen. Bei den deutschen Medien hat sich das allerdings noch nicht herumgesprochen. Sie übernehmen zu gern die Sprachregelung des grandios gescheiterten Gernegroß aus Deutschland.

Beim SPIEGEL klingt das zum Beispiel so.

Der Kompromiss, den EU-Ratspräsident António Costa an diesem Morgen um kurz vor drei Uhr verkündet, wird nun als »Brückenlösung« bezeichnet. Das soll bedeuten: Man hat ein Konstrukt gefunden, bei dem sowohl De Wever als auch Merz behaupten können, sich durchgesetzt zu haben. So werden für die Ukraine bis zu 90 Milliarden Euro an gemeinsamen EU-Schulden aufgenommen, wie es Belgien forderte. Diese werden abgesichert mit den russischen Milliarden.

Diese Darstellung ist falsch, weil der Spiegel offenbar zu gern die Sprachregelung von der Brückenlösung übernehmen möchte, um den auf ganzer Linie gescheiterten Bundeskanzler, einen notorischen Gernegroß, wohlwollend zur Seite zu springen. Der 90 Milliarden Euro Kredit wird über freie Mittel im EU-Haushalt abgesichert, nicht über russische Vermögenswerte. In Wirklichkeit haben sich Frankreich und Italien mit ihrem langfristigen Ziel gemeinsamer europäischer Anleihen durchgesetzt. Das ist eine Tatsache, bei der die deutschen Haushaltsfetischisten, die ihren Wählern immer gern das Märchen von der Schwäbischen Hausfrau erzählen, sprichwörtlich im Strahl kotzen werden müssen.

Natürlich muss der Kanzler und der Spiegel nun erzählen, dass Russland doch irgendwie zur Kasse gebeten wird. Die Vermögenswerte bleiben eingefroren und sollen angeblich später als Reparationen verwendet werden, wenn der Krieg vorbei ist. Im Spiegel-Text klingt das dann so: „Die Ukraine soll das Geld an die EU zurückzahlen, sobald der Krieg beendet ist und Russland Reparationen leisten muss.“ Das ist eine lustige Formulierung, die offenbar von dem Gedanken getragen wird, dass die 90 Milliarden Euro reichen, um der Ukraine zum erhofften Sieg über Russland zu verhelfen. Denn erst dann wäre sie ja in der Lage, Moskau Bedingungen in Form eines „muss leisten“ diktieren zu können.

Dem steht freilich die bittere Realität auf dem Schlachtfeld gegenüber. Und so befindet sich der Kanzler mit seinen großspurigen Ankündigungen genau da, wo er vor Beginn des Gipfels auch schon war. Bei leeren Drohungen. Im SPIEGEL lautet das so: „Sollte sich Moskau weigern und die Ukraine den Kredit nicht tilgen können, dann soll die EU doch noch auf eingefrorene russische Vermögenswerte zugreifen – mit allen Risiken, die damit einhergingen.“ Das ist doch genau der Punkt, der in der Nacht eben nicht gelöst werden konnte. Das heißt, sollte es so weit sein, werden sich die Europäer wieder in ein großes Selbstgespräch über die unvermeidliche Frage der Risikoteilung begeben müssen.

Daran ist ein Zugriff auf das russische Vermögen schließlich gescheitert. Moskau wird einen derartigen Diebstahl auch nicht unbeantwortet lassen und mit Vergeltungsmaßnahmen reagieren. Dieses Risiko ist den Europäern bewusst und einigen Ländern zu hoch, egal, was der zu groß geratene Zukurzgekommene aus Deutschland an moralischen Appellen auch anzubieten hat. Er, der so gern Führung in Europa übernehmen möchte, scheitert auch daran. Denn selbst der Plan des 90 Milliarden Kredits, den er plötzlich als seinen eigenen verkauft, ist weiterhin vom Dissens geprägt. Tschechien, Ungarn und die Slowakei machen dabei nämlich nicht mit und haben sich zusichern lassen, dass ihnen keine finanziellen Verpflichtungen auferlegt werden, weil sie die Verwendung von EU-Geldern zur Finanzierung der Ukraine für falsch halten.

Teil zwei der Kanzler-Schlappe ereignete sich übrigens noch vor den Verhandlungen zum russischen Vermögen. Hier setzte Italien durch, dass das Mercosur-Abkommen erst einmal nicht unterzeichnet wird. Friedrich Merz, der auch dieses Thema im Bundestag zur großen Frage der europäischen Handlungsfähigkeit aufgeblasen hat, erklärte am Morgen kleinlaut, dass es auf zwei weitere Wochen auch nicht mehr ankäme. Offenbar ist das die Quittung für seine anmaßenden und maßregelnden Worte in Richtung Paris und Rom. Es wirkt fast so, als zeigten die europäischen Staats- und Regierungschefs dem in Regierungsangelegenheiten gänzlich unerfahrenen deutschen Kanzler, der sich in der Selbstwahrnehmung für einen ganz großen Rambo-Zambo-Typen hält, wo sein Platz ist. Vielleicht hatte Olaf Scholz doch recht, als er sagte, „Fritze Merz erzählt gern Tünkram.“


Bildnachweis: KI generiertes Bild via Grok

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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