Über „große Fortschritte“ der „Angstmacher und Schwarzmaler“

Geschrieben von: am 31. Dez. 2025 um 15:39

Die Fortschrittskoalition ist bekanntlich Geschichte. Das Bündnis aus SPD, Grünen und der FDP zerbrach vor über einem Jahr. Neuwahlen waren die Folge. Die sollten nach dem späteren Kanzler möglichst schnell stattfinden, um eine vor allem in Deutschland als immer so dramatisch empfundene Unklarheit zu beseitigen und für stabile Verhältnisse zu sorgen. Seinen Willen bekam der zu groß geratene Zukurzgekommene nicht sofort, sondern erst später, was dann auch wieder nicht so schlecht war, da Friedrich der Gernegroß die alte Unklarheit noch einmal dringend brauchte, um Ausgaben (nur der Himmel ist das Limit) für den Krieg und seine Maschinerie von den Fesseln der Schuldenbremse zu befreien.

Die Operation ist gelungen, doch das Geld reicht nicht, wie wir zum Ende dieses Jahres erfahren mussten. Der Zugriff auf russische Vermögenswerte bei einem belgischen Anbieter für die Verwahrung und Abwicklung von Wertpapieren (Euroclear) sollte das Finanzierungsproblem lösen. Das klappte aber nicht, weshalb man nun auf einen Mechanismus kam, der unter deutschen Angstmachern und Schwarzmalern bislang als größter anzunehmender Sündenfall gilt (Länder wie Deutschland, Österreich, die Niederlande und Finnland werfen Ländern wie Frankreich, Italien, Spanien, Portugal und Griechenland mangelnde Disziplin in der Haushaltsführung vor und weigern sich, für deren Schulden zu haften). Eurobonds oder so etwas Ähnliches. Nun werden für die Ukraine gemeinsame europäische Schulden gemacht. Tschechien, die Slowakei und Ungarn machen bei den Kriegskrediten zwar nicht mit, dennoch ist das ein großer Fortschritt, pardon, großer Erfolg, wie der Kanzler sagte, obwohl diese Lösung so gar nicht seinem ursprünglichen Vorschlag entsprach.

Er klammert sich an die Behauptung, dass Russland mit seinem Vermögen für die Rückzahlung des Kredits schon einstehen werde. Die Milliardenüberweisung als Geschenk zu bezeichnen, wie es der Realität ganz sicher mehr entsprechen würde („Berücksichtigt man die Realitäten, haben wir es nicht mit einem Kredit, sondern mit einem Geschenk zu tun.“), wäre dagegen zu viel der großen Fortschrittlichkeit für einen Politiker, der mit der Agitation gegen staatliche Schulden Wahlkampf betrieb und als Oppositionsführer sogar ein Urteil vor dem obersten deutschen Gericht erstritt. Karlsruhe habe „die Selbstbedienungsmentalität der Ampel-Regierung gestoppt“, frohlockte damals der zu groß geratene Zukurzgekommene. Und weiter: Damit breche die „Haushalts- und Finanzplanung der Bundesregierung in sich zusammen“. Sein Vorgänger nutzte noch Begriffe wie „Bazooka“ und „Doppel-Wumms“. Doch die verblassen angesichts dessen, was sich Friedrich der Gernegroß inzwischen leistet. So nach dem Motto: „Viele Lichtjahre von der Erde entfernt, dringt der Kanzler in Galaxien vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat.“

Er entwickelt dabei neue Formate wie jüngst die „Berliner Gruppe“, die nicht zu verwechseln ist mit dem ungleich bedeutenderen Berliner Format oder der unterhaltsameren Berliner Runde. Dabei greift Friedrich der Gernegroß auch oft zum Telefonhörer, um beispielsweise dem ukrainischen Präsidenten aufzutragen, beim amerikanischen Präsidenten nachzufragen, was der russische Präsident unter diesen oder jenen Umständen zu tun gedenke. Denn auch nach dem Treffen zwischen Trump und Selenskyj sei unklar, wie sich Russland etwa zu Gebietsfragen positioniere. „Regierungssprecher Hille verwies auf eine »gewisse Differenz« zwischen dem, was Putin angeblich in Gesprächen äußere, und den offiziellen Verlautbarungen des Kreml.“

Diese Unklarheit (und hierzulande hasst man das ja, siehe oben) ließe sich sicherlich ausräumen, wenn man das Spiel Stille Post einmal ließe und direkt in Moskau anriefe. Dann könnte man vielleicht auch gleich die Modalitäten zur verpflichteten Rückzahlung jenes Kredits (Geschenk) klären, den die Europäische Union der Ukraine gerade gewährt hat. Vielleicht ist das ja eine Aufgabe für das nächste Jahr. „Hören wir nicht auf Angstmacher und Schwarzmaler“, sagt der Kanzler in seiner ersten Neujahrsansprache. Dabei liegt seine Rede auf dem Parteitag der CSU gerade ein paar Wochen zurück. Dort berichtete er in einem besorgten Ton über tägliche Angriffe auf Europa und behauptete, Putins Ziel sei „die Wiederherstellung der alten Sowjetunion.“ Er verglich die Lage mit 1938 und sagte, wenn die Ukraine falle, dann werde ihm (also Putin, nicht Merz) das nicht reichen, genauso wenig wie 1938 Hitlerdeutschland das Sudetenland gereicht habe (also Hitler, nicht Merz oder Putin). Was will der große Kanzler damit eigentlich sagen?

Velten Schäfer schrieb Ende November in der Freitag: „Doch immer wieder sieht es so aus, als versuche man eigentlich, den Krieg hinzuziehen, bis jemand in Washington ihn wieder führen und gewinnen will. Warum sonst schreibt man Bedingungen auf, die teils klingen, als stünde Russland am Rande einer militärischen Niederlage?“ Die USA wollen in der Ukraine aber keinen Krieg mehr führen, sondern vielleicht lieber vor der eigenen Haustür gegen Venezuela. Sie zeigen sich daher von der Idee des Friedens in Europa ganz angetan und sprechen inzwischen von „großen Fortschritten“ auf den Weg dorthin, obwohl überhaupt nicht klar ist, worin diese Fortschritte denn nun eigentlich bestehen. Der durch Kiew und seine Unterstützer abgeänderte Friedensplan ist offenbar im Winterpalais des US-Präsidenten in Florida sang- und klanglos durchgefallen. Die Europäer sind nun unsicher und laden Trump, obwohl sie gleichzeitig vor ihm warnen, im Januar zum nächsten Gipfel ein.

Und täglich grüßt das Murmeltier: Laut einem Bericht wollen die Europäer zur Überwachung eines Waffenstillstands schon wieder oder immer noch Soldaten in die Ukraine schicken, auch ohne UN-Mandat. Frankreich und Großbritannien planen das schon länger, ohne sonderlich konkret zu werden und ohne eine Antwort auf die Frage zu geben, wie sie Russlands Zustimmung dafür erhalten wollen. Die Antwort ist relativ einfach. Das alles ist nicht wirklich ernst gemeint, sondern Ausdruck der Hilflosigkeit von Gernegroßmächten, die seit vier Jahren lediglich so tun, als würden sie für die Ukraine in den Krieg ziehen wollen. Da es in Florida für die Ukraine keine belastbare Zusage für Sicherheitsgarantien gab, erfinden die Europäer einfach flugs wieder selbst welche, in dem sie behaupten, dass Pläne nun ausgearbeitet seien und einen „robusten“ Charakter aufweisen, nur um hinterher wieder eingestehen zu müssen, dass es ohne die Amerikaner natürlich nicht geht.

Zu einem deutschen Truppenkontingent in der Ukraine sagt der Kanzler in seiner Neujahrsansprache übrigens nichts, wie schon vor ein paar Tagen im ZDF (außerdem hier), als er noch dachte, die USA hätten den Ukrainern ein großes Zugeständnis gemacht („Dass die Amerikaner eine solche Zusage gegeben haben, also die Ukraine für den Fall eines Waffenstillstandes so zu schützen, als ob sie Nato-Territorium wäre, das finde ich ist eine beachtliche neue Position der Vereinigten Staaten von Amerika“). So kann es gehen, wenn man im eigenen Berliner Format gar nicht Koch, sondern nur Kellner ist, der zwar das Essen und die Getränke servieren darf, bei den Gesprächen am Tisch aber zu verschwinden hat. Offenbar muss Deutschland als Teil der albernen Koalition der Willigen die strategische Ambiguität wahren. „Hören wir nicht auf die Angstmacher und auf die Schwarzmaler“, sagt der Kanzler. Deutschland habe sich immer wieder neu erfunden und sei aus Krisen gestärkt hervorgegangen. Angela Merkel hätte es wohl ganz ähnlich formuliert.


Bildnachweis: KI generiertes Bild via Grok

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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