Schwarze Null statt Solidarität

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In dieser Woche haben die Haushaltsberatungen im Deutschen Bundestag begonnen. Die Bundesregierung setzt dabei alles auf die Schwarze Null. Zweieinhalb Stunden betete die GroKo gestern das große Nichts an, twitterte Harald Petzold (MdB, Die Linke)

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Straßenbau-Notopfer im Zeichen der schwarzen Null

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Schleswig-Holsteins Ministerpräsident, Torsten Albig, fordert eine Sonderabgabe für den Erhalt der Verkehrsinfrastruktur. Kritik gibt es von allen Seiten. Die übliche Begründung: der Staat schwimme im Geld. Tut er aber nicht.

Während die SPD in Berlin zusammen mit ihrem Koalitionspartner einen nahezu ausgeglichenen Haushalt bejubelt, bleiben die Löcher in den Straßen bestehen oder werden immer größer. Denn die lassen sich mit einer schwarzen Null im Etat nicht stopfen. Das hat auch die rote SPD erkannt. Der Ministerpräsident Schleswig-Holsteins, Torsten Albig, fordert daher eine pauschale Sonderabgabe von 100 Euro im Jahr für alle Autofahrer. Und täglich grüßt das Murmeltier.

Vielleicht begreift ja jetzt der ein oder andere, dass Ausgaben, die notwendig sind, um ein Gemeinwesen am Leben zu erhalten, auch bezahlt werden müssen. Wenn diese Kosten ein Finanzminister aber nicht übernehmen will, weil ihm die schwarze Null wichtiger ist und er lieber auf Steuereinnahmen verzichtet, muss es jemand anderes tun, unabhängig davon, ob es seine finanzielle Situation zulässt oder nicht.

Eine Sonderabgabe zu fordern, ist nicht sonderlich populär, die Reaktionen zeigen es, aber der übliche Weg, um aus der Sackgasse einer bloß fortgesetzten falschen Haushaltspolitik herauszukommen. Der Plan: Die Rechnung bestimmten Teilen der Gesellschaft vorlegen, während andere geschont werden. Der Begriff Kopfpauschale ist da durchaus passend. Sie sieht irgendwie gerecht aus, ist es aber freilich nicht, weil Gebühren, die einkommensunabhängig erhoben werden, jene begünstigen, die es sich leisten können.

Beliebte Floskeln hüben wie drüben

Das Ansinnen Albigs regt deshalb Freund und Feind gleichermaßen auf. Aber nicht, weil ein Staat dazu da ist, Aufgaben wie eine funktionierende Infrastruktur bereitzustellen, sondern weil es der Politik offensichtlich nicht gelingt, in Zeiten sprudelnder Steuereinnahmen, genug Geld für Straßen im Haushalt zu finden. Der Staat müsse lernen, mit den bestehenden Einnahmen auszukommen, lautet eine beliebte Floskel. Denn noch immer herrscht der Glaube vor, hohe Steuereinnahmen seien hohe Steuereinnahmen nur weil sie höher sind als im Jahr davor. Diese Perspektive verstellt aber den Blick auf die Kürzungspolitik, die im Geiste der schwarzen Null längst Realität geworden ist und in den Debatten beständig an Schärfe hinzugewinnt.

Jeder sieht, dass die Straßen bundesweit im Eimer sind. Leugnen ist zwecklos. Enorme Investitionen sind nötig. Albig hat das noch einmal vorgerechnet. Doch, so der mediale Kurzschluss, 620 Milliarden Euro Steuereinnahmen im Jahr müssten doch reichen. Auch wird immer wieder die Frage gestellt, warum die Einnahmen aus Kfz-Steuer und Mineralölsteuer nur zu einem Teil in den Erhalt und Ausbau von Straßen fließen, der weit größere Batzen aber im Bundeshaushalt für andere Zwecke verwendet wird. Nur auf die einfache Antwort kommt niemand.

Die Einnahmen des Staates reichen eben nicht aus, damit er seine Aufgaben erledigen kann. Im Wahlkampf hatte die SPD das noch erkannt und höhere Steuern gefordert. Doch damals wie heute wehren sich Teile der Politik, Medien und eine Mehrheit in der Bevölkerung dagegen mit dem Scheinargument der bereits vorhandenen hohen Steuern. Sie wollen nicht akzeptieren, dass ein absolut steigender Wert eben real betrachtet auch zu wenig sein kann. Ein genauer Blick auf die berechnete Steuerquote zeigt aber, dass gemessen am Bruttoinlandsprodukt die Einnahmen in diesem Jahr sogar zurückgehen sollen, mittelfristig mindestens stagnieren oder nur langsam steigen.

Steuerschätzung

Quelle: Arbeitskreis Steuerschätzung (via Bundesfinanzministerium)

Die Wahrheit ist, dass der Staat auf Steuereinnahmen in Milliardenhöhe verzichtet und im Gegenzug riesige Finanzlöcher bei den Gebietskörperschaften akzeptiert bzw. als Vorwand benutzt, um notwendige Ausgaben zum Beispiel im sozialen Bereich noch weiter senken zu können. Allein durch Steuerhinterziehung gehen dem Staat schätzungsweise 50 bis 100 Milliarden Euro jährlich verloren. Große Konzerne wie Apple, Google und Amazon fahren hohe Gewinne ein, zahlen aber so gut wie keine Steuern. Die Gewinne beim Verkauf von Unternehmensteilen und Beteiligungen sind immer noch steuerfrei. Eine Vermögenssteuer wird nicht erhoben und die unter der letzten Großen Koalition reformierte Erbschaftssteuer begünstigt den Nachwuchs einer vermögenden Bevölkerungsschicht.

Verschiebung von Kosten

Dennoch steht die schwarze Null, ob theoretisch oder praktisch, spielt dabei keine Rolle. Die Politik meint, so für Generationengerechtigkeit sorgen zu können. Verschuldung dürfe den Kindern und Enkeln nicht hinterlassen werden, heißt es gebetsmühlenartig. Vermögen für wenige und Schlaglöcher für alle hingegen schon. Der Preis für einen relativ gesehen verarmenden Staat mit ausgeglichenem Haushalt ist die Verschiebung von allgemeinen Kosten in den privaten Sektor. Viele sehen daher in Albigs Vorschlag ein worst case Szenario, das sich mit einem Mautsystem vielleicht abmildern lässt.

Deutlich wird dabei nur eins. Straßen werden auf Seiten der Politik und weiten Teilen der Öffentlichkeit schon lange nicht mehr volkswirtschaftlich, sondern rein betriebswirtschaftlich betrachtet. Trotz Widerspruchs der Rechnungshöfe werden sie zunehmend als Investitionsobjekte angeboten. Nicht ohne Absicherung für den privaten Investor einer solchen Öffentlich-Privaten-Partnerschaft ÖPP/PPP. Ein Teil der künftigen Mauteinnahmen fließt ja nicht mehr dem Staatshaushalt zu, sondern wandert als feste Einnahme auf das Konto des privaten Partners, der die Straße einen Zeitraum lang betreibt.

Dass die Infrastruktur zerfällt, ist vielleicht Absicht, genau wie die Schuldenbremse, die staatliche Investitionen bald unmöglich macht. Was als “alternativlos” erscheinende Lösung übrigbleibt, ist die Privatisierung von Staatseigentum, das der Staatsbürger, der dann zum Kunden gemacht wird, gegen Gebühr natürlich weiter nutzen darf. Deshalb kommt auch immer nur eine Ausweitung von gebührenpflichtigen Strecken in Betracht oder eine Vergrößerung des gebührenpflichtigen Nutzerkreises, um Finanzierungsbedarfe zu decken und Schlaglöcher zu stopfen. Dabei ist der Ausbau und Erhalt eines Verkehrswegenetzes keine Privatangelegenheit, sondern bleibt eine öffentliche Aufgabe.


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Klassische Text-Bild-Schere

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Der Umfrageirrsinn geht weiter. Für eine klassische Text-Bild-Schere sorgte heute das ARD-Morgenmagazin. In der Überschrift wird behauptet, “Schlechte Noten für Große Koalition”. Darunter ist eine Abbildung der für diese Art der Wahlforschung üblichen Sonntagsfrage zu sehen. Und was kommt heraus? Richtig. Die große Koalition. So schlecht können die Noten also gar nicht sein. Oder sie sind doch schlecht. Nur glaubt der Wähler fest daran, dass etwas anderes als die Große Koalition in diesem Land gar nicht geht und ändert sein Abstimmungsverhalten kaum.

Text Bild Schere

PS: Bevor sich gleich die Gymnasiallehrer melden. Ja, mir ist bewusst, dass laut dem Ergebnis des DeutschlandTrends sehr wohl auch andere Koalitionen möglich sind, etwa Union und Grüne oder Union und AfD. Nur wären die Noten für Schwarz-Rot tatsächlich schlecht, müssten diese Parteien auch an Zustimmung verlieren und nicht dort landen, wo sie auch bei der Bundestagswahl schon lagen, als alle Experten in dem Ergebnis den offenkundigen Wunsch der Wähler nach einer Großen Koalition herauslasen.


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Fakten und Regeln sind bei Hetzjagden egal

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Wer hat sich im Fall Edathy eigentlich nicht blamiert? Inzwischen ist der schwarze Hans-Peter zurückgetreten, nachdem die Mutti ein intensives Gespräch mit ihm am Telefon führte. Offensichtlich ging es dabei um einen neuen Job, denn Friedrich kündigte an: “Ich komme wieder!” Bei der Bahn dürfte diese Ankündigung für Aufregung sorgen. Die Schaffung eines weiteren Vorstandsposten droht. Was bleibt, sind die Widersprüche in den offen vorgetragenen Äußerungen von SPD-Spitzen und BKA-Präsident. Wer wusste was, zu welchem Zeitpunkt und ließ sich das Gewusste wie bestätigen, obwohl das rechtlich gar nicht erlaubt ist? Die Staatsanwaltschaft Hannover ist „fassungslos“ und hat weiterhin nichts Belastendes gegen Edathy in der Hand.

Die Behörde sieht sich vornehmlich als Opfer vieler undichter Stellen, aus denen Dienstgeheimnisse heraus getropft sein mussten. Nicht einmal die Post (ich weiß nicht welche) spielt mit, wenn ein Brief aus Hannover, am Freitag abgeschickt, erst am Mittwoch in Berlin beim Bundestagspräsidenten angekommen sein soll. Lustig ist aber, dass das Bekannte im Städtchen Rehburg der Staatsanwaltschaft in Hannover ebenfalls völlig fremd gewesen war. In dieser Woche soll sie nämlich einen Tipp bekommen haben, wonach Edathy auch ein Büro direkt neben der zuerst durchsuchten Wohnung unterhalte, weshalb sie dieses mit einem Richterbeschluss bewaffnet ebenfalls durchsuchte. Das sagt viel über die affektierten Ermittlungsmethoden aus.  

Hinzu kommt das verschwurbelte Amtsdeutsch, um die Rechtmäßigkeit des Vorgehens im Nachhinein zu legitimieren. Der Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover, Jörg Fröhlich, verwies darauf, dass das Bundeskriminalamt ja eine Kategorisierung bei kinderpornografischem Material vorgenommen habe. Eindeutige Fälle gehörten der Kategorie eins an, weniger eindeutige Fälle der Kategorie zwei. „Was Edathy zur Last gelegt werden kann, sind Bestellungen der Kategorie zwei“, so Fröhlich. Das heißt also, dass ihm gar nichts zur Last gelegt werden kann, wenn die weniger eindeutigen Fälle nicht zu eindeutigen Fällen hinführen. Es wird ja weiterhin nur vermutet, dass derjenige, der solches Material bestellt, möglicherweise auch im Besitz schlimmeren Materials sei, also die Schwelle zur Strafbarkeit überschritten habe.

Verdacht ist nicht gleich Verdacht

Doch worauf gründet die Annahme, dass das im Fall Edathy zutrifft? Entweder gibt es einen Anfangsverdacht auf Besitz kinderpornografischen Materials oder nicht. Was die Staatsanwaltschaft Hannover, die vorgibt, nur Spezialisten zu beschäftigen, hier aber gemacht hat, sind Beweisermittlungsdurchsuchungen, sagt Monika Frommel, emeritierte Professorin für Strafrecht, im Deutschlandfunk. Das sei ein Verstoß gegen Grundrechte. “Ich kann nicht einfach, um einen Verdacht erst mal zu bekommen, in die Privatsphäre eindringen und dann auch noch unter Einschaltung der Presse. Das ist ja dann noch mal eine Stufe.”

Die Bemerkung ist interessant, weil sie den Blick auf die Medien richtet, die offenbar im Verbund mit den Sicherheitskreisen Informationen und wilde Spekulationen in die Öffentlichkeit getragen haben, über die sich ein Staatsanwalt, der ja Teil der Ermittlungsbehörde ist und nicht Teil der Justiz, dann auch noch beklagen kann. In meinen Unterlagen zum Verfahrensrecht für angehende Journalisten steht zu den Verdachtsarten.

Anfangsverdacht:

Voraussetzung für Einleitung eines staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens. Für Anfangsverdacht genügt die auf Tatsachen gegründete Möglichkeit, dass eine Straftat vorliegt und der Verdächtige an der Tat beteiligt sein kann.

Handschriftlich habe ich hinzugefügt, dass der Anfangsverdacht in den seltensten Fällen berichtenswert ist, da rund 90 Prozent der Ermittlungsverfahren aufgrund dünner Faktenlagen wieder eingestellt werden. Eigene Recherchen des Journalisten wären notwendig. Über die Qualität dieser Recherchen ist schon einiges gesagt und geschrieben worden. Neben dem Anfangsverdacht gibt es aber auch noch den hinreichenden und den dringenden Tatverdacht, die beide eine ganz andere Qualität besitzen, im Fall Edathy aber überhaupt keine Rolle spielen.

Trotzdem erzählt der Leiter der Staatsanwaltschaft, dass Edathy grenzwertiges nicht indiziertes Material gekauft und sich dabei konspirativ verhalten habe. Damit erweckt die Behörde, die rein gar nichts in der Hand hat, dennoch den Eindruck eines höherwertigen Tatverdachtes. Er hätte ebenso korrekt und damit verständlich für alle sagen können, dass Edathy moralisch fragwürdige, aber vollkommen legale Bilder und Fotos gekauft hat, für die er ein eigenes Konto und eine eigene Email-Adresse verwendet hat. Mit den Zuspitzungen “grenzwertig”, “nicht indiziert” und “konspirativ” hilft er aber denjenigen, die mit Vorverurteilungen bereits um sich werfen. Diese scheinen auf einer soliden Grundlage zu stehen und niemand fragt sich mehr, ob es in Ordnung ist, jemanden strafrechtlich zu verfolgen, dem ein legales Verhalten vorgeworfen wird.

Eigene Spielregeln in Berlin

Festzustellen bleibt, dass jeder an dem Verfahren Beteiligte, seine Haut zu retten versucht. Was wir hier aber beobachten können, ist der Einsturz einer Fassade, hinter der Demokratie und Rechtsstaat nur noch vermutet werden können. Natürlich hat es eine Warnung an Edathy gegeben, weil die Clique im politischen Berlin zusammenhält und glaubt, in eigenen Rechtsräumen agieren zu dürfen, wie übrigens auch der Anruf des ehemaligen Richters und jetzigen SPD-Fraktionschefs Oppermann beim BKA-Präsidenten Ziercke beweist. Diese Leute brauchen sich auch nicht vor Strafverfolgung zu fürchten, weil sie dem Establishment bereitwillig dienen und eigene Spielregeln haben.

Deshalb hat Friedrich aus Sigmar Gabriels Sicht auch vollkommen richtig gehandelt, wie er im ARD-Brennpunkt sagt. Ihnen sei es nur darum gegangen, keine Ämter zu beschädigen und die Bildung der GroKo nicht zu gefährden. “Man würde Herrn Friedrich heute den Vorwurf machen, warum hast du damals nichts gesagt, bevor Menschen in ihre Ämter gekommen sind.” Das heißt, die SPD-Führung hat Sebastian Edathy ganz bewusst bei der Vergabe von Posten ausgeklammert. Gleichzeitig behauptet Gabriel aber auch, dass er, Oppermann und Steinmeier nicht mehr mit Herrn Edathy gesprochen hätten.

Es ist schwer zu glauben, dass ein Übergehen Edathys bei der Zusammenstellung des Personaltableaus stillschweigend vonstatten ging. Immerhin hatte sich der Mann als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses einen Namen gemacht. Möglicherweise hat sich ja Edathy die Stille gefallen lassen, der Rest der SPD aber bestimmt nicht. Vor allem aus Niedersachsen dürften Nachfragen gekommen sein, die sicherlich auch beantwortet wurden, was wiederum die Quelle erklären könnte, auf die der Redakteur der “Harke” Anfang der Woche stieß. Was dann aber folgte, war nicht weniger als eine Hetzjagd, die sich weder an Fakten noch an Regeln hielt.


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Armseliges Schwarze Peter Spiel

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Die Ermittlungen gegen den ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy haben inzwischen eine weitere absurde Stufe erreicht. Noch immer hat eigentlich niemand genaue Informationen, diese scheinen aber bereits lange vor den angeordneten Hausdurchsuchungen die Runde gemacht zu haben, was die Staatsanwaltschaft nun dazu veranlasst hat, politischen Volljuristen, besser wäre die Bezeichnung Vollpfosten, vorzuwerfen, sie hätten Geheimnisverrat begangen und damit die Ermittlungen behindert.

Thomas Oppermann, Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel wussten über etwas Bescheid, über das sie hätten nicht Bescheid wissen dürfen, wenn ich es richtig verstanden habe. Den Fehler hat aber offenbar der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich begangenen, als er die SPD-Spitze über den Verdacht der Ermittlungsbehörden unterrichtete. Mit Unterricht kennt sich Lehrer Sigmar Gabriel aus, weshalb er die ungenaue, aber sensible Information an seine Parteikollegen didaktisch weitergab. Oppermann und Steinmeier sind wie Friedrich Volljuristen, haben bis auf Oppermann aber nie praktisch als solche gearbeitet.

Oppermann habe sich nach eigener Darstellung nun die ungenaue, aber brisante Information vom BKA-Chef Jörg Ziercke in einem Telefonat bestätigen lassen, was der gelernte Kriminalpolizist natürlich sofort dementierte. Er will sich am “Schwarze Peter Spiel” nicht beteiligen, schließlich gibt es den ja auch schon, den schwarzen Hans-Peter, der offenbar die Arschkarte nicht mehr loswerden wird. Ach, die Plaudertasche Hans-Peter Friedrich, der zur NSA-Affäre im Bundestag sagte: “Die Verschwiegenheit unserer amerikanischen Partner führt leider zu Verschwörungstheorien.”

Jetzt wissen wir auch, welche Themen für Friedrich in seiner Amtszeit wichtiger waren, als der NSA-Skandal oder das flächendeckende Behördenversagen im Zusammenhang mit den NSU-Morden. Wäre Friedrich schlau, würde er die Unterrichtung seines Hauses ebenfalls als Behördenversagen titulieren, ist doch für die Strafverfolgung nicht der Bundesinnenminister, sondern das Justizministerium zuständig. Als Minister des Innern hatte er sich allerdings um die Gefahrenabwehr zu kümmern. Diese Aufgabe hat er dann wohl auch erfüllt und die gerade im Entstehen befindliche Große Koalition, der alle erwartungsfroh zujubelten, vor Schaden bewahrt.

Zu Edathy selber, kann man immer noch nichts Genaueres sagen. Er soll gewarnt worden sein. Er soll Festplatten zerstört haben und er soll, laut Fernsehberichten (via Klaus Baum), ein lustbezogenes Verhältnis zum Leben gehabt haben. Klaus schreibt und zitiert treffend weiter: “Der Schwachsinn in dieser Gesellschaft besteht in ihrer an den haaren herbeigezogenen Kausalität, die keine ist.” Ich würde sagen, dass es einfach viel Sendezeit für wenige bedeutungslose Fakten gibt und zu wenig Sendezeit für viel wichtigere Themen, deren Fakten darauf warten, endlich einmal einem breiten Publikum mitgeteilt zu werden.


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Über Nacht im Schloss

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Die deutsche Wirtschaft steht eher vor einem Ab- denn vor einem Aufschwung. Wer die Fakten richtig liest, weiß das. Jetzt, da die SPD mit an der Regierung beteiligt ist, hätte es auch aus Sicht der Systemmedien eigentlich keinen Sinn mehr, die Lage weiter zu beschönigen. Noch tun sie es aber, weil das gemeinsame Vorgehen gegen die nüchternen Analysen des Auslandes Lustgewinn verspricht. Dennoch: Dass es bergab geht, lässt sich nicht länger leugnen, weshalb vorsorglich gegen einige Punkte des Koalitionsvertrages wie den Mindestlohn oder die Rentenregelung scharf geschossen wird. Es geht schließlich darum, dem bereits begonnenen und in der Zukunft nicht mehr länger zu verheimlichenden Konjunkturwinter eine genehme Ursache zu verpassen.

Sollte beispielsweise das Job-Wunder, das nie eins war, in “sichtbare” Gefahr geraten (die Arbeitslosigkeit steigt übrigens saisonal bereinigt schon seit Monaten wieder), ist natürlich der Mindestlohn Schuld. Ein Wachstum weiter herbeizureden, wird da zunehmend schwieriger, weshalb sich auch die Regierungs-SPD natürlich daran versucht. Für Andrea Nahles, neue Arbeitsministerin, deuten die Zahlen am Arbeitsmarkt auf eine solide wirtschaftliche Lage hin. Dabei hatte sie als Verhandlungsspitze in den Koalitionsgesprächen noch ihre Unwissenheit in Sachen Ökonomie zugeben müssen, als sie sagte, dass sie die Kritik der EU an den Leistungsbilanzüberschüssen nicht verstehe. Wie kann sie dann wissen, was volkwirtschaftlich solide ist?

Das zweite Beispiel ist die gesetzliche Rente, die eine funktionierende Solidargemeinschaft als Grundlage braucht. In den Medien werden Rentenerhöhungen als “soziale Wohltat” diffamiert, während die unsichere und hochsubventionierte private Altersvorsorge nicht als das bezeichnet wird, was sie ist. Ein asoziales Bereicherungsprogramm für die Versicherungskonzerne. Die Journaille spottet derweil über Blüms Satz, “Die Rente ist sicher”, vergisst aber zu erwähnen oder wenigstens zu erkennen, dass dieser richtige Satz seinen Wahrheitsgehalt nur deshalb verliert, weil gleichzeitig ein anderer aus Sicht der Versicherungen und Banken, an deren Lippen die Politik ja bekanntlich hängt, zu gelten hat. Und zwar: “Die Profite sind sicher”.

Es kann gar nicht oft genug erwähnt werden, dass der Oberguru der Drückerkolonnen, Carsten Maschmeyer, die Privatisierung der Altersvorsorge als Ölquelle für seine Branche bezeichnete. “Sie ist angebohrt, sie ist riesig groß und sie wird sprudeln”, sagte er einmal. Das ist auch so ein Satz, der nur stimmen kann, wenn das Vertrauen in die gesetzliche Rente bewusst zerstört wird und Beitragsgelder wie auch Steuermittel auf die Konten der Finanzinstitute umgeleitet werden. Der andere Guru, der sich Wissenschaftler nennt, aber doch bloß ein schlecht verkleideter Versicherungsmakler ist, Bernd Raffelhüschen, hat mal gesagt. “Aus dem Nachhaltigkeitsproblem der Rentenversicherung ist ein Altersvorsorgeproblem der Bevölkerung geworden. Das müssen wir denen [gemeint ist der dumme Michel, Anm. tau] jetzt erzählen.”

Und was soll man sagen. Sie glauben es auch. Rund 12 Milliarden Euro an Steuergeldern und wahrscheinlich das Dreifache an Sozialbeiträgen sind so bereits auf dem Kapitalmarkt gelandet. Warum? Weil alle von der erfundenen demografischen Katastrophe überzeugt sind, einem Banker von Natur aus Vertrauen schenken und nicht verstehen, dass es immer auf das Verhältnis zwischen berufstätigen und nicht berufstätigen Jahrgängen ankommt. Das schließt die Kinder aber mit ein, die wie die Rentner von den Berufstätigen mitversorgt werden müssen. Die abnehmende Zahl der Kinder fließt in die Berechnungen der Renten-Demagogen aber gar nicht erst ein, wenn sie die Entwicklung der Alterspyramide als sich selbst erklärende Powerpoint-Präsentation an die Wand werfen.

Natürlich geht es auch um den Glauben an den Profit, den aber nur derjenige auch einstreichen kann, der Dumme findet, die dafür bezahlen wie im Falle Prokon, die nun Insolvenz anmelden mussten. Lotto funktioniert ähnlich. Jeder kann Millionär werden, aber nicht alle, sagte Volker Pispers einmal treffend. Sollte Altersvorsorge wirklich als Glücksspiel betrieben werden? Ich denke nicht, denn die Solidargemeinschaft als Ganzes hat andere Erwartungen, die zu erfüllen letztlich auch die Grundlage für eine stabile Wirtschaft bilden, von der alle auch solide profitieren können. An einer funktionierenden Solidargemeinschaft ist die GroKo allerdings nur pro forma interessiert.

Das Kabinettstreffen in Meseberg steht unter der Überschrift Entschleunigung. In der Sache soll nicht viel entschieden werden. Man habe ja noch vier Jahre vor sich, schreibt SpOn. Nicht zu fassen, hieß es doch kürzlich noch, dass die Zeit einer herkömmlichen Legislaturperiode viel zu kurz bemessen sei und unbedingt auf fünf Jahre verlängert werden müsse. Nun wird wieder über Arbeitspläne diskutiert, so als ob die längsten Koalitionsverhandlungen aller Zeiten dringend eine Fortsetzung bräuchten. Über Nacht im Schloss auf Muttis Schoß. Da lacht der Gabriel. Denn auch er sieht die deutsche Wirtschaft wie sein Vorgänger Rösler auf einem soliden Wachstumskurs, egal wie mickrig das Ergebnis auch ausfallen mag.

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Keine Nachspielzeit für politische Versager

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Wie bereits kurz nach dem Start der ersten Großen Koalition unter Angela Merkel beginnt auch jetzt wieder eine Diskussion um die Verlängerung der Wahlperiode von derzeit vier auf fünf Jahre. Viele finden den Vorschlag erneut charmant, weil sie denken, dass sich die Politiker, die ja nur von einem Wahlkampf zum nächsten spurten würden, dann endlich wieder auf die Belange der Wähler konzentrieren könnten. Alles Humbug.

Das Hauptargument für eine Verlängerung der Legislaturperiode ist zu schwach. Es stimmt einfach nicht, dass vier Jahre zu kurz seien, um sinnvolle Politik zu betreiben und Gesetze zu verabschieden. Einen 480 Milliarden Euro großen Rettungsschirm für die Banken setzten die Volksvertreter innerhalb von nur einer Woche per Eilgesetz durch. Und das, obwohl deutlich kleinere Beträge für Dinge wie Bildung, Infrastruktur oder Sozialleistungen zu diesem Zeitpunkt äußerst schwer im Haushalt zu finden waren und längere Debatten und Streitereien darum zur Normalität gehörten.

Wenn die gewählten Abgeordneten meinen, ihnen seien die Hände gebunden, weil sie sich erst einarbeiten und dann schon wieder ein Jahr lang Wahlkampf machen müssten, dann ist das doch nicht das Problem des Souveräns. Was ist, wenn sich die Politik entschlösse, zwei Jahre Wahlkampf zu betreiben, diskutieren wir dann über eine Verlängerung der Wahlperiode auf sechs Jahre? In diesem Fall sollte der Souverän mit seiner Stimme nach vier Jahren jenen die Legitimität einfach entziehen, die sich, statt zu regieren, nur um ihre Wiederwahl kümmern.

Eine Verlängerung der Legislaturperiode hat also einen viel simpleren Grund. Die sich selbst erwählenden Minister und Mitarbeiter würden noch ein Jahr länger im Amt verbleiben. Wahlverlierer, wie Steinmeier, Nahles oder Gabriel fordern ja wie selbstverständlich ihre Pöstchen ein. Andere, wie Dirk Niebel verwandeln ihr Ministerium gar in eine Parteizweigstelle. Will man wirklich diese unverschämte Selbstbedienungsmentalität weiter ausbauen und die staatliche Alimentierung von Politversagern unnötig verlängern?

Die ganze Diskussion lenkt eigentlich nur von der Regierungsunfähigkeit der Regierungen ab, die zwar mit dem Anspruch antreten, gestalten zu wollen, in Wahrheit aber damit zufrieden sind, ein Plätzchen am Tisch der Herrschenden ergattert zu haben. Die Diskussion zeigt aber auch, dass die Große Koalition eben nicht groß darin ist, Probleme zu lösen. Vielmehr blockieren sich die Partner gegenseitig und auf Dauer, wie man bereits ein paar Wochen nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages deutlich erkennen kann. Einig sind sie sich nur, wenn die wirklich Mächtigen in diesem Land in die Bredouille geraten und vom Staat gerettet werden müssen.

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SPD muss schlechten Kompromiss jahrelang verteidigen

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Was die Mindestlohnregelung tatsächlich wert ist, wird schon ein paar Tage nach der freudetrunkenen Unterzeichnung des Koalitionsvertrages deutlich. Medien und politische Gegner arbeiten bereits kräftig an der Desavouierung des Punktes, der den Sozialdemokraten angeblich über alles geht (siehe auch hier im Blog). Die Genossen hätten wissen können, was auf sie zukommt und darauf bestehen müssen, den Mindestlohn sofort zu beschließen, anstatt häppchenweise irgendwann gegen Ende der Legislaturperiode. Stattdessen hat sich die SPD auf einen jahrelangen Abwehrkampf eingelassen, den sie mit der Union an ihrer Seite niemals gewinnen kann und damit die Wähler auch nicht beeindrucken wird.

Für Saisonarbeiter, Praktikanten, Ehrenamtliche und Rentner dürfe der Mindestlohn nicht gelten, so CSU-Chef Horst Seehofer wenig überraschend in der Welt am Sonntag. Seehofer wörtlich: “Ich möchte den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro. Ich werde aber aufpassen, dass er nicht zur Vernichtung von Arbeitsplätzen führt.” Heißt konkret, Seehofer möchte doch keinen Mindestlohn, weil dieser seiner Meinung nach der Lebenswirklichkeit vieler Menschen widerspricht. Diese besteht zum Beispiel darin, dass Rentner ihre aus Seehofers Sicht wohl üppigen Altersbezüge lediglich aufbessern möchten und daher ja gar keinen Mindestlohn bräuchten. Warum aber ein Rentner, der nach Definition eigentlich sein Einkommen ohne Arbeitsleistung erzielen müsste, weil er dafür schließlich auch versichert ist und Ansprüche erworben hat, dennoch arbeiten muss, beantwortet Seehofer nicht.

So normal ist es schon geworden, dass Rentner inzwischen wieder arbeiten gehen. Das müssten die späteren Rentner übrigens auch, wenn der Mindestlohn von 8,50 Euro Wirklichkeit werden würde. Er kommt viel zu spät und ist nach heutigen Maßstäben schon viel zu niedrig bemessen, um der Altersarmut zu entkommen. Ausnahmen wird es nicht geben, kontert Andrea Nahles und spricht von Fluchtfantasien auf Seiten der Union. Sie garantiere, dass ab dem 1. Januar 2017 niemand weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdienen werde. Von dieser Garantie ist in etwa so viel zu halten, wie von ihrem Wahlkampfversprechen, mit der Union kein Bündnis eingehen zu wollen. Das alles war vorhersehbar. Der demoskopisch festgestellten Freude über die Große Koalition dürfte recht bald die Ernüchterung folgen. Viele werden sich dann erinnern und sagen, die machen ja an der Stelle weiter, wo sie vor vier Jahren aufgehört hatten, als wir uns die GroKo zum Teufel wünschten.

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Verdrehte Überschriften

Geschrieben von:

Was fällt Ihnen beim Anblick dieser Überschrift in der FAZ ein?

Mindestohn_Furcht_Ökonomen

Sie ist falsch und müsste richtiger Weise lauten:

Mindestlohn fürchtet Ökonomen ohne Sachverstand

Besser ist natürlich die Überschrift von Arnold.

Ökonomen ohne Sachverstand fürchten Mindestlohn

Was hat der arme Mindestlohn nur getan? Den Ökonomen mit angeblichen Sachverstand gilt er als Massenvernichtungswaffe. “Der hohe Mindestlohn vernichtet Arbeitsplätze.” Schon allein diese Formulierung stößt sauer auf, da nicht der Mindestlohn, sondern der Arbeitgeber das Kündigungsschreiben unterzeichnet. Die “Ökonomen mit Sachverstand” im folgenden nur kurz ÖmS genannt, kritisieren die mangelnde Flexibilität des Mindestlohns. Sie vermissen also die bei Merkel bestellte flexible Lohnuntergrenze, die nach Branchen und Regionen gestaffelt zahlreiche Ausnahmetatbestände zulässt.

Zitat ÖmS: „Die Bundesregierung will ein Mittel verschreiben, von dem sie nicht weiß, wie es wirkt.” ÖmS weiß natürlich wie der Mindestlohn wirkt und führt nicht näher bestimmte theoretische und empirische Literatur zu Mindestlöhnen an. Darin steht, dass hohe Mindestlöhne Arbeitsplätze vernichten. Dann muss es also stimmen, obwohl kein Land dieser Welt, das Mindestlöhne hat, dies bestätigen könnte. Wenn die Arbeitslosigkeit wie im Süden Europas steigt, dann ganz sicher nicht wegen des Mindestlohns, sondern wegen einer Austeritätspolitik, die die Nachfrage rasiert.

Besonders schräg und zugleich menschenverachtend ist die Aussage von ÖmS: „Sie [eine Lohnkommission, Anm. tau) sollte auch einen Gestaltungsspielraum haben, bestimmte Gruppen durch Ausnahmeregeln zu schützen.“ Schutz wovor? Vor dem Vernichtungsfeldzug des Mindestlohns. Bestimmte Gruppen müssen vor allzu hoher Bezahlung beschützt werden, meint ÖmS. Das hat ja wirklich einen edlen Klang, ist aber nichts anderes als ein schäbiges Stück, das auch noch den Anspruch erhebt, wissenschaftlich zu sein. 

Gerade eben hat das Statistische Bundesamt einen Rückgang der Reallöhne verkündet. Und das mitten im Aufschwung und mitten in der alljährlich in den Köpfen von Leuten wie ÖmS stattfindenden Kaufrauschsause vor Weihnachten. Gleichzeitig präsentiert der Paritätische Wohlfahrtsverband eine neue Studie, die belegt, dass jeder siebte Haushalt als arm oder armutsgefährdet gilt. Doch das interessiert ÖmS nicht die Bohne, solange der Arme eine Arbeit hat. Deshalb fordert ÖmS auch ein Stimmrecht für sich und seinesgleichen in der geplanten Lohnkommission. Erst dann wäre die Unabhängigkeit gewahrt und eine vernunftbehaftete Entscheidung über den an sich gefährlichen Mindestlohn erst möglich.

Denn, so ÖmS, die Wissenschaft dürfe nicht von politischen Interessen instrumentalisiert werden. Auf welchem Instrument ÖmS wohl spielt, dürfte klar sein. Die SPD kann sich jetzt schon mal warm anziehen. Denn das Trommelfeuer gegen den Mindestlohn hat längst begonnen. Er wird es nicht überleben, auch wenn die Genossen das in ihre grenzenlosen Naivität, mit der sie am Rockzipfel der Kanzlerin hängen, sicherlich noch anders sehen.

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Verzerrte Wahrnehmung des verzerrten Wettbewerbs

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In ihrer Regierungserklärung sagte Merkel: „Ich sage ganz schlicht und ergreifend: Solange es europäische Länder gibt, in denen der Industriestrom billiger ist als in Deutschland, sehe ich nicht ein, warum wir zur Wettbewerbsverzerrung beitragen. Das werden wir ganz genau so vertreten.“

Diese Botschaft schaffte es in die Nachrichten. Merkel wirft sich schützend vor die deutsche Wirtschaft. Das ist verständlich. Schließlich geht es um die heilige Kuh Wettbewerbsfähigkeit und damit um unsere Arbeitsplätze. Es könne doch nicht im Sinne Europas sein, wenn dessen Musterschüler Jobs abbauen und an Zugkraft, von der angeblich alle profitieren, verlieren würde.

“Deshalb müssen wir, wenn es uns um Arbeitsplätze, um das Wohl der Bürgerinnen und Bürger in Europa geht, den Blick über Europa hinaus lenken. […] Hier geht es um Unternehmen, und wenn es um Unternehmen geht, geht es um Arbeitsplätze. Deshalb werden wir natürlich eng mit der Kommission zusammenarbeiten, aber wir werden auch deutlich machen, dass Europa nicht dadurch stärker wird, dass auch in Deutschland Arbeitsplätze gefährdet werden. Mit diesem Angang werden wir unsere Position dort sehr deutlich darlegen.”

Wie gesagt, die Haltung der Kanzlerin ist verständlich und dennoch im höchsten Maße unvernünftig, weil sie einmal mehr die Logik des internationalen Handels unterschlägt. In Deutschland dürfen keine Arbeitsplätze in Gefahr geraten. Doch warum die Arbeitsplätze in den anderen Staaten der Eurozone in Gefahr geraten sind, darüber klärt die Kanzlerin nicht auf. Sie und die weitgehend unkritische Öffentlichkeit begnügen sich mit der Feststellung, dass diese Staaten lange Zeit über ihren Verhältnissen gelebt und an Wettbewerbsfähigkeit verloren haben. Dass es auf der anderen Seite dann zwangsläufig jemanden geben muss, der unter seinen Verhältnissen gelebt und an Wettbewerbsfähigkeit hinzugewonnen hat, sehen sie nicht.

Der eigentliche Exportschlager der deutschen Wirtschaft sind nicht die Waren und Dienstleistungen, um deren Qualität ein chauvinistischer Hype veranstaltet wird, sondern die Arbeitslosigkeit. Denn die Jobs, die bei uns aufgrund des zunehmenden Exportüberschusses entstanden sind und den relativen Wettbewerbsvorteil begründen, fehlen in den Staaten, die für die entsprechende Nachfrage nach deutschen Gütern sorgen und sich dabei immer weiter verschulden müssen. Das war auch der Kern der amerikanischen Kritik an den anhaltend hohen Leistungsbilanzüberschüssen Deutschlands, die nun nicht mehr die zur Austerität verdonnerten Eurostaaten zu spüren bekommen, sondern Länder wie die USA, Russland und die Türkei.

Die inländische Nachfrage bleibt hinter der inländischen Produktion zurück. Das kümmert die Kanzlerin aber nicht weiter. Schließlich ist sie der Auffassung, dass Überschüsse etwas Gutes sind und sich alle anderen nur kräftig nach dem Vorbild Deutschlands anstrengen und ihre Haushalte in Ordnung bringen müssten, um genauso erfolgreich exportieren zu können wie wir. Das dauerhafte Exportüberschüsse auf der einen Seite auch dauerhafte Importüberschüsse auf der anderen Seite bedeuten, ignorieren die Kanzlerin, ihre Regierung, die deutsche Wirtschaft und große Teile der Öffentlichkeit. Den Defizitsündern stehen Exportsünder gegenüber.

Was hat das nun mit Wettbewerbsverzerrung zu tun, die von der EU-Kommission unterstellt und von Angela Merkel bestritten wird? Über die Sonderregelungen zur Ökostromumlage werden deutsche Unternehmen, die sich bereits durch die langsame Lohnstückkostenentwicklung der letzten Dekade einen relativen Wettbewerbsvorteil in der Eurozone auf Kosten der anderen haben erschleichen können,  noch einmal begünstigt. Wenn Angela Merkel und ihre Einflüsterer aus der Wirtschaft also die noch günstigeren Industriestromtarife in den Südländern als Begründung für die Rabatte hierzulande anführen, müssten sie auch über die auseinanderklaffende Lohnstückkostenentwicklung reden, die zu den Verwerfungen in der Leistungsbilanz geführt haben und eine sehr viel größere Wettbewerbsverzerrung widerspiegeln.

Das Gejammer über den teuren Strom in Deutschland ist unglaubwürdig. Ökostrom ist nämlich nicht teuer, sondern billiger als der herkömmlich produzierte Strom, worunter die Energiekonzerne an der Leipziger Strombörse arg zu leiden haben. Nun ist es aber so, dass der Preisvorteil, der mit Ökostrom am Markt erzielt wird nicht an die Verbraucher weitergegeben wird, die Kosten der per Gesetz festgelegten Ökostromumlage hingegen schon. Statt Brüssel aufs Korn zu nehmen, sollte Merkel die Bosse des Energieoligopols einbestellen und deren Gebahren unter Aufsicht stellen. Eine Strompreisaufsicht wäre dabei der richtigere Weg, als der, immer mehr Verbraucher die steigenden Stromrechnungen ihrer Arbeitgeber bezahlen zu lassen.

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