Straßenbau-Notopfer im Zeichen der schwarzen Null

Geschrieben von: am 22. Apr 2014 um 11:02

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident, Torsten Albig, fordert eine Sonderabgabe für den Erhalt der Verkehrsinfrastruktur. Kritik gibt es von allen Seiten. Die übliche Begründung: der Staat schwimme im Geld. Tut er aber nicht.

Während die SPD in Berlin zusammen mit ihrem Koalitionspartner einen nahezu ausgeglichenen Haushalt bejubelt, bleiben die Löcher in den Straßen bestehen oder werden immer größer. Denn die lassen sich mit einer schwarzen Null im Etat nicht stopfen. Das hat auch die rote SPD erkannt. Der Ministerpräsident Schleswig-Holsteins, Torsten Albig, fordert daher eine pauschale Sonderabgabe von 100 Euro im Jahr für alle Autofahrer. Und täglich grüßt das Murmeltier.

Vielleicht begreift ja jetzt der ein oder andere, dass Ausgaben, die notwendig sind, um ein Gemeinwesen am Leben zu erhalten, auch bezahlt werden müssen. Wenn diese Kosten ein Finanzminister aber nicht übernehmen will, weil ihm die schwarze Null wichtiger ist und er lieber auf Steuereinnahmen verzichtet, muss es jemand anderes tun, unabhängig davon, ob es seine finanzielle Situation zulässt oder nicht.

Eine Sonderabgabe zu fordern, ist nicht sonderlich populär, die Reaktionen zeigen es, aber der übliche Weg, um aus der Sackgasse einer bloß fortgesetzten falschen Haushaltspolitik herauszukommen. Der Plan: Die Rechnung bestimmten Teilen der Gesellschaft vorlegen, während andere geschont werden. Der Begriff Kopfpauschale ist da durchaus passend. Sie sieht irgendwie gerecht aus, ist es aber freilich nicht, weil Gebühren, die einkommensunabhängig erhoben werden, jene begünstigen, die es sich leisten können.

Beliebte Floskeln hüben wie drüben

Das Ansinnen Albigs regt deshalb Freund und Feind gleichermaßen auf. Aber nicht, weil ein Staat dazu da ist, Aufgaben wie eine funktionierende Infrastruktur bereitzustellen, sondern weil es der Politik offensichtlich nicht gelingt, in Zeiten sprudelnder Steuereinnahmen, genug Geld für Straßen im Haushalt zu finden. Der Staat müsse lernen, mit den bestehenden Einnahmen auszukommen, lautet eine beliebte Floskel. Denn noch immer herrscht der Glaube vor, hohe Steuereinnahmen seien hohe Steuereinnahmen nur weil sie höher sind als im Jahr davor. Diese Perspektive verstellt aber den Blick auf die Kürzungspolitik, die im Geiste der schwarzen Null längst Realität geworden ist und in den Debatten beständig an Schärfe hinzugewinnt.

Jeder sieht, dass die Straßen bundesweit im Eimer sind. Leugnen ist zwecklos. Enorme Investitionen sind nötig. Albig hat das noch einmal vorgerechnet. Doch, so der mediale Kurzschluss, 620 Milliarden Euro Steuereinnahmen im Jahr müssten doch reichen. Auch wird immer wieder die Frage gestellt, warum die Einnahmen aus Kfz-Steuer und Mineralölsteuer nur zu einem Teil in den Erhalt und Ausbau von Straßen fließen, der weit größere Batzen aber im Bundeshaushalt für andere Zwecke verwendet wird. Nur auf die einfache Antwort kommt niemand.

Die Einnahmen des Staates reichen eben nicht aus, damit er seine Aufgaben erledigen kann. Im Wahlkampf hatte die SPD das noch erkannt und höhere Steuern gefordert. Doch damals wie heute wehren sich Teile der Politik, Medien und eine Mehrheit in der Bevölkerung dagegen mit dem Scheinargument der bereits vorhandenen hohen Steuern. Sie wollen nicht akzeptieren, dass ein absolut steigender Wert eben real betrachtet auch zu wenig sein kann. Ein genauer Blick auf die berechnete Steuerquote zeigt aber, dass gemessen am Bruttoinlandsprodukt die Einnahmen in diesem Jahr sogar zurückgehen sollen, mittelfristig mindestens stagnieren oder nur langsam steigen.

Steuerschätzung

Quelle: Arbeitskreis Steuerschätzung (via Bundesfinanzministerium)

Die Wahrheit ist, dass der Staat auf Steuereinnahmen in Milliardenhöhe verzichtet und im Gegenzug riesige Finanzlöcher bei den Gebietskörperschaften akzeptiert bzw. als Vorwand benutzt, um notwendige Ausgaben zum Beispiel im sozialen Bereich noch weiter senken zu können. Allein durch Steuerhinterziehung gehen dem Staat schätzungsweise 50 bis 100 Milliarden Euro jährlich verloren. Große Konzerne wie Apple, Google und Amazon fahren hohe Gewinne ein, zahlen aber so gut wie keine Steuern. Die Gewinne beim Verkauf von Unternehmensteilen und Beteiligungen sind immer noch steuerfrei. Eine Vermögenssteuer wird nicht erhoben und die unter der letzten Großen Koalition reformierte Erbschaftssteuer begünstigt den Nachwuchs einer vermögenden Bevölkerungsschicht.

Verschiebung von Kosten

Dennoch steht die schwarze Null, ob theoretisch oder praktisch, spielt dabei keine Rolle. Die Politik meint, so für Generationengerechtigkeit sorgen zu können. Verschuldung dürfe den Kindern und Enkeln nicht hinterlassen werden, heißt es gebetsmühlenartig. Vermögen für wenige und Schlaglöcher für alle hingegen schon. Der Preis für einen relativ gesehen verarmenden Staat mit ausgeglichenem Haushalt ist die Verschiebung von allgemeinen Kosten in den privaten Sektor. Viele sehen daher in Albigs Vorschlag ein worst case Szenario, das sich mit einem Mautsystem vielleicht abmildern lässt.

Deutlich wird dabei nur eins. Straßen werden auf Seiten der Politik und weiten Teilen der Öffentlichkeit schon lange nicht mehr volkswirtschaftlich, sondern rein betriebswirtschaftlich betrachtet. Trotz Widerspruchs der Rechnungshöfe werden sie zunehmend als Investitionsobjekte angeboten. Nicht ohne Absicherung für den privaten Investor einer solchen Öffentlich-Privaten-Partnerschaft ÖPP/PPP. Ein Teil der künftigen Mauteinnahmen fließt ja nicht mehr dem Staatshaushalt zu, sondern wandert als feste Einnahme auf das Konto des privaten Partners, der die Straße einen Zeitraum lang betreibt.

Dass die Infrastruktur zerfällt, ist vielleicht Absicht, genau wie die Schuldenbremse, die staatliche Investitionen bald unmöglich macht. Was als “alternativlos” erscheinende Lösung übrigbleibt, ist die Privatisierung von Staatseigentum, das der Staatsbürger, der dann zum Kunden gemacht wird, gegen Gebühr natürlich weiter nutzen darf. Deshalb kommt auch immer nur eine Ausweitung von gebührenpflichtigen Strecken in Betracht oder eine Vergrößerung des gebührenpflichtigen Nutzerkreises, um Finanzierungsbedarfe zu decken und Schlaglöcher zu stopfen. Dabei ist der Ausbau und Erhalt eines Verkehrswegenetzes keine Privatangelegenheit, sondern bleibt eine öffentliche Aufgabe.


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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. tut nichts zur sache  April 22, 2014

    ja ja, der arme staat. alle wollen nur und nichts kommt rein. vielleicht sollte man einfach mal kapital und immobilien ähnlich besteuern, wie die angestellten. ausserdem könnte man mal überlegen als souverän mit finanzhoheit eigenes geld in umlauf zu bringen und nicht gegen teuer zinsen leihen. ganz zu schweigen von esm, bail out etc., das sowieso nur den banken zufliesst. geld ist ausreichend vorhanden. noch mehr steuern und abgaben sind ein witz. früher wurde der lehnsherr bei über einem zehnt eine kopf kürzer gemacht. jetzt ist ein realsteueraufkommen mit massensteuern bei weit über 50%. das ist einfach irre.

    • Wiesenbauer  April 24, 2014

      ja evtl.will die Politik noch schnell vor der PKW-Maut eine Sonderabgabe einführen.(2 Fliegen mit einer Klappe)

  2. Manfred Corte  April 23, 2014

    … wer A sagt – muß auch B sagen: Nach der A-bzocke der Autofahrer kommt sicher auch noch die B-ankenabgabe für Bankkunden! Nur 100 Euro im Jahr? Ein Klacks, wenn man dadruch die Banken und den Staatshaushalt „retten“ kann. Ich wundere mich nur, daß die Bundesbürger sich den frechen Griff in ihre Taschen und auf ihre Bankkonten so widerspruchslos gefallen lassen. Die Straßen sind längst über Steuergelder, Kafz-Steuer, Mineralölsteuer,k Maut-Steuer mehrfach bezahlt – und sollen immer wieder neu bezahlt werden?

  3. jordanowitsch  April 28, 2014

    Der gute spezialdemokratische Arbeiter Albig(SAA) macht antizipativ die Vorarbeit für unseren Verkehrsminister. Der hat ja die undankbare Aufgabe, eine Autobahnabgabe von allen zu kassieren und den zu Unrecht von guten Deutschen erhobenen Betrag wieder zu erstatten. Das ist natürlich sehr verwaltungsaufwendig. Da hatte unser guter SAA die blendende Idee, das ganze in einem Aufwasch zu machen; er spart die Rückerstattung der Vignette, er spart die Erhebung der Sonderabgabe- das Geld bleibt gleich bei Gevatter Dobrindt.

  4. Jenny  Mai 5, 2014

    der neoliberale Staat ist eine Mogelpackung. Statt Steuern werden dann eben Mauten, Abgaben, Gebühren erhoben, nur leider sind diese noch blinder für die finanzielle Leistungsfähigkeit der Zahler, behandeln sie doch alle gleich, egal wie hoch das Einkommen ist.

    es ist so, dass bestimmte Ökonomen schon lange dafür plädieren, doch Einkommensbezogene Steuern, Vermögen und Anderes zu entlasten und stattdessen stärker über Mauten und Gebühren den „Konsumenten“ heranzuziehen. Die gesamte Politik wird doch schon lange daran ausgerichtet.

    1. Einkommenssteuern gesenkt, insb. auch bei Besserverdienern

    2. Vermögenssteuern nicht mehr erhoben

    3. Mehrwertsteuern und Versicherungssteuern angehoben, aus 0 und 2 mach 3% (letzte GroKo)

    4. Sozialkassen: Beitragsbemessungsgrenzen, Rentenkürzungen mit Nachhaltigkeitsfaktoren, Abgesang auf paritätische Finanzierung mit Arbeitgebern, keine Mindestrenten für Geringverdiener

    DE betreibt seit Jahren Politik nur noch für höhere Einkommensbezieher und Vermögensbesitzer, aber nicht für Bevölkerungsmehrheiten.

    Man predigt Reallohnzurückhaltung, belastet aber immer stärker die restliche Mittelschicht.

    sollen sie nur neue Abgaben einführen, der Binnenmarkt wird so weiter ausgetrocknet. Ich hab dann erst Recht kein Geld mehr um zu konsumieren. Ich schneide mir schon jetzt meine Haare selber und gehe seit Jahren in keine Restaurants.

    irgendwo hört es dann auch auf. Kindermangel in DE ist auch keine Überraschung.