Ich will ja die Feierlaune nicht verderben, aber es gibt wichtigere Nachrichten

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Den ganzen Tag wird nun schon vom heiteren Tag des Mauerfalls berichtet, obwohl das Wetter wirklich beschissen ist. Die Volkskanzlerin stand in der Bornholmer Straße ziemlich im Regen. Das konnte man auf mindestens vier Kanälen gut erkennen. Ich habe zum „glücklichsten Tag der jüngeren deutschen Geschichte“ bereits gestern etwas geschrieben. Wenigstens der Bundeshorst erinnerte auch daran, dass der 9. November 1989 mit dem 9. November 1938 untrennbar verbunden ist. Den „Tag der Freude“ wollte er sich aber nicht ausreden lassen und behauptete, die deutsch-deutsche Teilung hätte vor allem deshalb überwunden werden können, „weil wir Deutsche die nötigen Lehren aus unserer Geschichte zwischen 1933 und 1945 gezogen haben.“

Darüber lässt sich streiten. Die Franzosen waren zunächst einmal nicht der Auffassung, als hätten die Deutschen ihre Lehren gezogen und wollten der Wiedervereinigung nicht zustimmen. Erst unter der Bedingung, die Stärke der Bundeswehr auf 370.000 Soldaten zu reduzieren, gab François Mitterrand in den Zwei-plus-Vier-Gesprächen sein Einverständnis. Und Großbritannien gab seine Zustimmung erst, nachdem klar war, dass Deutschland auch die Oder-Neiße-Linie als Ostgrenze anerkennen würde. In Kohls 10-Punkte-Programm war davon nämlich noch keine Rede.

Überhaupt findet am heutigen Tag und im Vorfeld viel Verklärung statt. Vor allem die Konservativen stilisieren einmal mehr ihre zufällige geschichtliche Anwesenheit zu einer heldenhaften Stunde empor, obwohl es gerade die Union und namentlich Franz-Josef Strauß war, die den wirtschaftlichen Niedergang der DDR durch großzügige finanzielle Hilfen verhinderten und das ideologisch immer bekämpfte System in seinem Bestehen somit wissentlich verlängerten. Aber sei es drum. Die Volkskanzlerin griff gleich zu großen Worten und forderte eine neue globale Weltordnung ein, unter der die Nationalstaaten nach und nach aufgehen sollten.

Das würde dem ostdeutschen Mädsche wohl prima in den Kram passen. Denn so müsste sie nicht mehr fürchten, der politischen Unfähigkeit doch noch überführt zu werden, sondern könnte unter dem Verweis auf das globale Ganze gemütlich ihrer Rolle als beliebte Überdeutsche nachgehen, die zwischen den internationalen Regierungspalästen hin und her jettet. Den wahrhaft Mächtigen in diesem Land wäre das sehr angenehm. Die Allianz AG müsste zum Beispiel nicht erklären, warum sie heute für das dritte Quartal einen Überschuss von 1,3 Mrd. Euro ausweist, obwohl wir in einer sehr tiefen Krise stecken.

Lesen sie mal den Eingangssatz des heutigen Berichts dazu im Handelsblatt:

Befreit von der Dresdner Bank zeigt die Allianz operativ Stärke. Im dritten Quartal übertraf Europas größter Versicherungskonzern mit einem Überschuss von 1,3 Mrd. Euro die Erwartungen der meisten Analysten.

Nun raten sie mal, wer die Allianz von der Dresdner Bank befreit hat? Richtig. Sie waren das mit ihrem Geld und Merkel hat für sie stellvertretend ihre Zustimmung erteilt.

Oder haben sie gelesen, dass die Bundesregierung Merkel I bereits im August darüber Bescheid wusste, dass General Motors Opel behalten will, aber heute so tut, als sei sie von der Entscheidung der Amerikaner überrascht worden (siehe The Economist)? Kennen sie auch die spezielle Rolle des feinen Herrn zu Guttenberg, der in seiner Funktion als Bundeswirtschaftsminister dafür sorgte, dass sich General Motors den Deal mit Magna noch einmal durch den Kopf gehen ließ (siehe Spiegel Online)? Und wussten sie, dass immer mehr Experten mit einem rassanten Anstieg der Arbeitslosigkeit rechnen (siehe Handelsblatt)?

Mich würde brennend interessieren, wie die neue Bundesregierung zu diesen aktuellen Fragestellungen Position bezieht. Als ich hörte, dass das neue Wachstumsbeschleunigungsgesetz, welches heute im Kabinett verabschiedet wurde, bereits als Konjunkturprogramm bezeichnet wird, habe ich mir vorgestellt, wie es wäre, wenn man das Bundeskabinett hinter einer Mauer einsperren würde. Verdient hätten es einige ja wohl.

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Allgemeine Vergesslichkeit: Am 9. November fiel doch nicht nur die Mauer

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Vor gut zwanzig Jahren hatte der Dicke im Bundekanzleramt einen riesen Bammel davor, den 9. November als nationalen Feiertag und Tag der Deutschen Einheit auszurufen. Damals erinnerte man sich noch daran, dass der 9. November, ein wirklich deutscher 9/11 war. Heraus kam dann der 3. Oktober, mit dem keine Sau, außer vielleicht Dr. Wolfgang Opfer-Schäuble, etwas verbindet. Die Verlegenheitslösung 3. Oktober kam nur deshalb zu Stande, weil man sich davor fürchtete, am 9. November nicht nur der friedlichen Revolution feierlich gedenken zu können, sondern auch mit dem Hitler-Ludendorff-Putsch von 1923 und vor allem der Reichspogromnacht von 1938 an die tiefste Schattenseite der deutschen Geschichte miterinnern zu müssen. Die Wahl des 3. Oktobers war aus meiner Sicht ein Akt der Feigheit vor der wahren deutschen Geschichte.

Nun aber, 20 Jahre nach dem „Mauerfall“, scheint die problematische Debatte von damals längst verschwunden zu sein. Seit gut einer Woche hört man nur noch etwas über den 9. November als den Tag der friedlichen Revolution. So als ob die Geschichte erst 1989 begonnen hätte. Den ganzen Sonntag wird von den Vorbereitungen in Berlin zum morgigen Jahrestag berichtet. Dagegen gibt es kein einzigen Hinweis auf die Geschichte des 9. November 1938, als der Mord an den Juden zum läppischen Zeitvertreib einer ganzen Gesellschaft wurde. Dafür erleben wir morgen in Berlin einen heiteren Domino-Day, ganz nach dem Motto, aus unsere Geschichte können andere noch viel lernen.

Besonders widerlich tut sich da die christliche Kirche hervor, die für sich einen Teil der friedlichen Revolution in der DDR beansprucht. In der Wochenendausgabe der Leinezeitung, ein Beiblatt zur Neuen Presse Hannover sowie der Hannoverschen Allgemeinen, lese ich einen Beitrag vom Superintendenten des Kirchenkreises Neustadt-Wunstorf Michael Hagen. Sein Wort zum Sonntag ist mit der Überschrift „Richtige Zeit, um Mauern zu überwinden“ versehen. In dem Text ruft er die konfliktbeladene Welt dazu auf, sich an der gloreichen deutschen Geschichte des 9. November 1989 ein Beispiel zu nehmen.

„Der gewaltfreie Verlauf dieser friedlichen Revolution auf den Straßen und Plätzen der DDR hatte etwas mit der Friedensarbeit der Kirchen zu tun. Sie war eine Wegbereiterin der friedlichen Revolution der Kerzen und Gebete.

Vor dem Hintergrund des Mauerfalls vor 20 Jahren ruft die Ökumenische Friedensdekade in diesem Jahr dazu auf, den Blick auch auf die heute weltweit bestehenden Mauern zu richten. Mauern, deretwegen auch heute Menschen ausgegrenzt und isoliert werden. Da sind zum Beispiel die Mauern zwischen dem besetzten Westjordanland und Israel, zwischen den USA und Mexiko, zwischen Nord- und Südkorea, auf Zypern oder in der Westsahara. Aber auch die unsichtbaren Mauern, Mauern um die Festung Europa, zwischen Arm und Reich und in unseren Köpfen, richten viel Leid an. Doch sie müssen nicht bleiben. Das hat uns die Geschichte des deutschen Mauerfalls gelehrt.

Deutschland als Lehrmeister in Sachen Vorurteilsüberwindung und Integration. Dieses realitätsferne pathetische Gehabe muss man erst einmal verdauen und vielleicht noch einmal daran erinnern, dass erst kürzlich der neue deutsche Rassenbeauftragte Thilo Sarrazin (SPD) von der Bundesbank meinte, dass ein Großteil der arabischen und türkischen Einwanderer weder integrationswillig noch integrationsfähig sei und rund 51 Prozent der Deutschen dieser Aussage in einer emnid-Umfrage auch noch zustimmten.

Am morgigen 9. November täte uns allen eine Erinnerung an den Mechanismus der „pathischen Projektion“ gut, von dem wir wirklich aus gesellschaftlicher Erfahrung wissen, dass die Menschen nur ihr eigenes Spiegelbild wahrnehmen,

„anstatt das Menschliche gerade als das Verschiedene zurückzuspiegeln. Der Mord ist dann der Versuch, den Wahnsinn solcher falschen Wahrnehmung durch größeren Wahnsinn immer wieder in Vernunft zu verstellen: was nicht als Mensch gesehen wurde und doch Mensch ist, wird zum Ding gemacht, damit es durch keine Regung den manischen Blick mehr widerlegen kann.“ (Theodor W. Adorno, Menschen sehen dich an, in: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben.)

Der Bielefelder Konfliktforscher Professor Wilhelm Heitmeyer hat in seiner Langzeitstudie über die Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit festgestellt, dass durch geschichtslose Kampagnen über Leitkultur, Nationalstolz und falsche identitätsstiftende Happenings, wie den morgigen Mauerfalltag zum Beispiel die Grundsteine gelegt werden für wieder anwachsende Fremdenfeindlichkeit in diesem Land. Das Ganze korreliert dann mit den Abstiegsängsten der Menschen, die ihren Hass und ihre Wut über ihre persönliche wirtschaftliche Situation auf jene Gruppen der Gesellschaft lenken, die außerhalb zu stehen scheinen. Statt die politisch Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, sie aus ihren Ämtern zu jagen und sie anzuklagen, folgt die befriedigende Verlagerung von Schuld auf die an den Rand gedrängten Minderheiten, die sich nicht weiter wehren können.

Noch einmal Adorno:

„Es gehört zum Mechanismus der Herrschaft, die Erkenntnis des Leidens, das sie produziert, zu verbieten, und ein gerader Weg führt vom Evangelium der Lebensfreude zur Errichtung von Menschenschlachthäusern so weit hinten in Polen, daß jeder der eigenen Volksgenossen sich einreden kann, er höre die Schmerzensschreie nicht. Das ist das Schema der ungestörten Genußfähigkeit.“ (Aufforderung zum Tanz, in: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben.)

Das freudige Gedenken an den Mauerfall soll nicht etwa verboten werden. Ganz im Gegenteil. Es sollte nur auch dazu führen, zu begreifen, welchen Zweck solche Feierlichkeiten aus der Sicht der Herrschenden erfüllen. Die selbsternannte „Kanzlerin aller Deutschen“ hat ja kein Interesse daran, eine Debatte der Aufarbeitung in Gang zu setzen, die sich mit der Geschichte einer Gesellschaft befasst, die nicht immer friedlich war. Ihr Interesse liegt ja vornehmlich darin, die Folgen der ökonomischen Krise so zu beherrschen, dass ihr Fehlverhalten und dass ihrer Regierungen ungesühnt bleibt. Die Story vom Mädsche aus dem Osten, welches zur Kanzlerin eines vereinigten Deutschlands aufstieg, dient dabei nur als hübscher Rahmen, der sich passgenau um die Chiffre des 9. November 1989 zu legen scheint und den Eindruck einer perfekten Symbiose zu vermitteln sucht, der die Menschen auch künftig vertrauen sollen.

Die weiter zunehmende Spaltung der Gesellschaft aber, die ökonomisch begründet ist, bleibt politisch im Verborgenen. Zur Kompensation der Verwerfungen bedienen sich die Mächtigen völkischer Symbole, die ganz gezielt die Ausgrenzung von Minderheiten in Kauf nehmen und gegen die sich dann der Zorn der ökonomisch vom Abstieg bedrohten entfalten kann. Ein Mechanismus eben, der nicht neu ist und an den man sich an einem 9. November doch erinnern sollte, um zu begreifen, dass es ein Unterschied gibt zwischen dem Gedenken der schuldig Gewordenen und ihrer Nachkommen sowie der Opfer und ihrer Nachkommen. An die Adresse des oben zitierten Superindendenten gerichtet, sollte man an dieser Stelle an den Aufruf des Arbeitskreises „Israel und Kirche” der Evangelischen Kirche Hessen Nassau aus dem Jahre 2005 erinnern, in dem ein offizieller kirchlicher Gedenktag am 9. November gefordert wurde.

Der 9. November ist durch keinen anderen Gedenktag zu ersetzen. Am 27. Januar, dem staatlichen Gedenktag, wird aller Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gedacht.

Das Gedenken der schuldig Gewordenen und ihrer Nachkommen unterscheidet sich vom Gedenken der Opfer und ihrer Nachkommen. Es muss Gewissen treffendes Gedenken sein, sonst droht die Gefahr, der eigenen Geschichte auszuweichen, indem man sich unberechtigt auf die Seite der Opfer stellt.

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Die FDP bricht weiteres Wahlversprechen: Gesundheitsminister Rösler lässt elektronische Gesundheitskarte passieren

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Bisher hat die FDP den Stopp der elektronischen Gesundheitskarte gefordert, weil ihrer Meinung nach die hohen Anforderungen des Datenschutzes nicht eingehalten würden (siehe Deutschlandprogramm der FDP). Helmut Metzner, Abt.-Leiter Strategie und Kampagnen in der Bundesgeschäftsstelle der FDP antwortete auf eine Anfrage des Aktionsbündnisses „Stoppt die e-Card!“ im Mai 2009 wie folgt:

„Weder staatliche Stellen noch Kassen, Unternehmen oder andere „Dritte“ dürfen Zugriff auf die sensiblen Gesundheitsdaten der Bürger erhalten. Deshalb fordert die FDP, die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte zu stoppen.“

Doch kaum ist ein neuer FDP-Gesundheitsminister im Amt hat sich das mit dem populistischen Wahlkampfgetöse bereits erledigt. Herr Rösler beruhigt alle Beteiligten, die mit der neuen Karte richtig Geld verdienen wollen. Die Gesundheitskarte kommt, weil die von der FDP beanstandete Online-Funktion, mit der Dritte auf die Daten der Karte zugreifen könnten, zunächst noch nicht aktiviert wird. (Quelle: u.a. Tagesspiegel). Denken sie sich ihren Teil, ich denke mir meinen und bleibe dabei, dass die FDP jede Sauerei bzgl. des Abbaus von Bürgerrechten mitmachen wird.

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Zur Steuerschätzung und zur gestörten Wahrnehmung der Medien

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Der Arbeitskreis Steuerschätzung hat seine Prognose bekannt gegeben. Und? Es geistert die Zahl 2,9 Mrd. Euro weniger Einnahmen durch alle Schlagzeilen. Doch da stimmt etwas mit der journalistischen Wahrnehmung nicht. Denn bei den 2,9 Mrd. handelt es sich um den Rückgang zur letzten Steuerschätzung vom Mai diesen Jahres. Für 2010 wird dann auch mit einem Plus von 1,1 Mrd. gerechnet. Also wieder im Vergleich zur Mai-Schätzung. Das ist doch Volksverarsche ersten Ranges, wenn man sich beispielsweise die FAZ anschaut. Warum vergleicht man Steuerschätzung mit Steuerschätzung und nicht Steuerschätzung mit den tatsächlich eingenommenen Steuern des Vorjahres?

Wenn man das nämlich tut, sieht es ziemlich katastrophal aus, auch für 2010. Im Vergleich zum Vorjahr würde der Staat laut aktueller Schätzung 37 Mrd. Euro weniger an Steuern einnehmen und 2010 12,6 Mrd. weniger als 2009. Die Netzeitung berichtet darüber z.B. korrekt. Vielleicht will man ja der neuen Koalition in ihrem Steuersenkungswahn nicht die totale Unsinnigkeit ihrer Vorhaben vor Augen führen oder dem rollenden Schwarzgeld-Schäuble die Unsinnigkeit von beabsichtigten Sparaktionen. Zum begehrten Sparhammer soll die Regierung nämlich zurückkehren, weil das in der Vergangenheit immer so prima geklappt hat. Schließlich hätte Steinbrück beinahe den so lang ersehnten ausgeglichenen Haushalt vorlegen können, ja wenn die blöde Finanzkrise nicht vom Himmel gefallen wäre.

Das Mantra deutscher Journalisten wie Hobbyhaushaltspolitiker lautet: Ausgeglichener Haushalt, koste es, was es wolle. Seit 1991, als das Haushaltsdefizit erstmalig bei drei Prozent des BIP lag, wurde der ausgeglichene Haushalt zur wichtigsten Aufgabe deutscher Finanzminister. Doch was war die Folge? Stagnierende Inlandsnachfrage, steigende Arbeitslosigkeit, höhere Staatsverschuldung und ein Haushaltsdefizit, das sich kaum von jenen drei Prozent des BIP entfernte. Dafür hat man es geschafft die Staatsquote vor Ausbruch der Krise auf einen historischen Tiefstand zu reduzieren. Selbst in kurzen Aufschwungphasen würgte man durch prozyklische Ausgabenpolitik die Konjunktur einfach ab. Jörg Bibow, Ökonomieprofessor am Skidmore College im US-Bundesstaat New York, sagte dazu in der Financial Times Deutschland:

„Das Grundmuster der deutschen Makropolitik ist klar erkennbar: sinnloses Drosseln der heimischen Nachfrage durch Sparmaßnahmen, kombiniert mit der Hoffnung, bei den Exporten schmarotzen zu können.“

Dabei wäre eine Sparpolitik in der jetzigen Lage fatal. Doch die Schuldenbremse wirft ihre Schatten auch schon voraus. Aber wie ich gerade auf NDR 2 höre, glaubt Schäuble an die verabredeten Steuersenkungen, weil die Schätzung mit den 2,9 Mrd. Euro weniger ja nicht so schlimm ausfiel wie erwartet. Da kann man nur mit dem Kopf schütteln. Über NDR 2 meine ich jetzt. Den Schäuble können sie komplett vergessen. Hören sie lieber auf Leute wie den Ökonomen Jörg Bibow, die von der Sache auch was verstehen.

„Offensichtlich war die derzeitige Krise noch nicht schlimm genug, damit Deutschland das Modell des exportorientierten Wachstums einer gründlichen Korrektur unterzieht. Das tatsächliche Problem ist, dass das Land zu einer Politik neigt, die Importe drosselt. Handelsbilanzüberschüsse dienen dabei dem geradezu moralischen Kreuzzug für einen ausgeglichenen Staatshaushalt. Die nächste Gelegenheit, diese dringend nötige öffentliche Debatte zu führen, kommt vielleicht in naher Zukunft. Hoffentlich ist dann eine Bundesregierung im Amt, die nicht auf Kollisionskurs zur europäischen Integration liegt.“

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Die FDP will die Rente mit 60 und die Neue Presse Hannover nutzt das für Propaganda

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Ja richtig, die Rente mit 60 ist eine Schnappsidee, weil sich das keiner leisten kann. Schließlich müsse derjenige, der mit 60 in Rente gehen will, nach derzeitiger Lage mit einem Abschlag von rund 25 Prozent rechnen. Das könne man mit Zusatzjobs, wie im FDP-Modell vorgesehen, nicht dauerhaft ausgleichen. Der PR-Agent Christoph Slangen ist also durchaus auf der richtigen Spur, wenn er den FDP-Vorstoß kritisiert. Doch Slangen wäre nicht der, der er ist, wenn er die Gelegenheit verstreichen lassen würde, die bisherige Rentenpolitik und insbes. die Rente mit 67 zu verteidigen.

„Die Senioren von heute leben glücklicherweise länger, was allerdings die Rentenkassen belastet. Dieser Rechnung kann sich niemand entziehen. Die Rente mit 67 war deshalb ein unpopulärer, aber richtiger Schritt. Taugliche Regelungen für flexible Übergänge werden zwar benötigt, aber keine Rente mit 60.“

Wieder einmal lügt Christoph Slangen dreist in seinem Kommentar. Die Rentenkassen werden nicht durch eine höhere Lebenserwartung belastet, sondern durch eine falsche Rentenpolitik. Wer deckelt denn die Beiträge zur Rentenversicherung? Und wer entlässt bestimmte Gruppen aus der solidarischen Gemeinschaft? Wer betreibt denn eine Wirtschaftspolitik, die auf Lohndumping und prekäre Beschäftigungsverhältnisse setzt, so dass die Einnahmen der Sozialversicherungen immer geringer werden? In diesem Zusammenhang gibt es heute zum zweiten Mal in diesem Blatt eine zynische Kommentarbemerkung zu lesen.

„Schmalspurrente plus Zusatzjob könnten vielleicht ausreichen, solange man noch fit ist.“

Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt die Rente mit 67 ab. Aus sehr guten Gründen. Und der Wichtigste dabei ist, dass die meisten Menschen in diesem Land längst wissen, dass sie ihre reguläre Arbeit, wenn sie denn noch eine haben, nicht bis zum Renteneintrittsalter verrichten können. Die Statistik belegt das auch. Im Schnitt gehen die Menschen mit 63 Jahren in den Ruhestand.

Durchschnittsalter beim Renteneintritt
Quelle: Böckler-Boxen

Die willkürliche Erhöhung des Renteneintrittsalters war demnach kein richtiger Schritt, wie Slangen mal wieder gegen jedes Gebot der Sachlichkeit behauptet, sondern eine brutale Rentenkürzung, mit dem Ziel, die Menschen in die geldgeilen Hände der Privatvorsorge zu treiben. Doch zurück zum zynischen Satz. Der Zusatzjob ist genau das, was die FDP will. Es soll für die Unternehmen weiterhin möglich sein, ältere Menschen aus dem Arbeitsmarkt legal hinauszudrängen, um sie dann als billige Arbeitskräfte wieder einzustellen, damit sie ihre gekürzte Rente aufpolieren können und müssen. Asoziale Klientelpolitik ist das, nichts anderes.

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Die Chefsache Opel ist ja mal gründlich in die Hose gegangen

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Eigentlich fast wie auf Bestellung kommt die Nachricht von GM, dass Opel nun doch nicht verkauft werden soll. Ein Jahr nach dem vollmundigen Bekenntnis der Kanzlerin, Opel helfen zu wollen, steht sie und die Bundesregierung nun vor einem Scherbenhaufen. Erst die monatelange Verzögerungstaktik, um dann im Wahlkampf mit dem Thema ordentlich punkten zu können. Dann ein zu Guttenberg als Wirtschaftsminister, der beinahe zurück getreten wäre, weil er die Opel-Rettung nie wollte, sondern schon immer ein Fan der geordneten Insolvenz war, deren angeblich heilsame Wirkung für einen Neuanfang gerade am Beispiel Quelle sehr schön studiert werden kann.

Vergessen war auch schon wieder, dass die Einigung zwischen der Bundesregierung und GM vom Juni 2009 auf der Grundlage eines Memorandum of Understanding fußte, zu deutsch, einer Absichtserklärung. Für beide Seiten war somit ein toller Kompromiss zu Stande gekommen. Merkel und Steinmeier konnten im Wahlkampf die angebliche „Opel-Rettung“ auf ihre jeweiligen Fahnen schreiben. Und GM hatte es auch nach der Insolvenz in der Hand, wie mit Opel verfahren werden könne. Nun kommt es für die Opel-Beschäftigten knüppeldick. Der Autobauer GM, der sich in den USA gesund insolvenziert hat, plant nun ein radikales Steichkonzert. Rund 10.000 Stellen sollen wegfallen und Claudia Brebach kommentiert das heute in der Neuen Presse Hannover dann so…

GM bleibt die bessere Wahl

GM bleibt die bessere Wahl. Denn es hilft niemandem, allein nach dem Prinzip Hoffnung auf eine wackelige Zukunft mit Magna zu setzen. GM bietet nach seiner Insolvenz neue Stärke, hat finanzielle Potenz und mit Fritz Henderson einen Chef, der Opel wohl kaum niederwirtschaften will. Auch markttechnisch ist GM die bessere Wahl – weil die Amerikaner erfahrene Autobauer sind.

Die Opelaner müssen ihren Wert als Technologieschmiede jetzt selbstbewusst gegenüber der neuen alten Mutter vertreten. Trotzige Empörung ist da wenig zielführend.

Man kann sich ja darüber streiten, welche Lösung nun tatsächlich besser sei, doch eines sollte man sich verkneifen. Eine arrogante Bemerkung an die Adresse der Opelaner zu richten, die nicht erst seit einem Jahr immer wieder um ihre Jobs bangen müssen. Den Beschäftigten eine trotzige Empörung vorzuwerfen, wie Claudia Brebach das in ihrem letzten Satz macht, ist nicht nur zynisch, sondern auch ziemlich dumm. Denn Frau Brebach erkennt mal wieder nicht, wie mitten in der Krise international gepokert und erpresst wird. Das konnte sie schon bei den Banken nicht durchschauen und bei Opel nun noch weniger.

Der nach einer Riesenpleite in den Augen von Brebach immer noch erfahrene Autobauer GM sitzt nun am längeren Hebel. In Europa werden Regierungen und Opelstandorte nun erpressbar. Hinter Brebachs Aufforderung an die deutschen Opelaner den „Wert als Technologieschmiede“ herauszustreichen, steckt nicht weniger, als das immer gleiche anbiedernde Motiv, welches sich aus einer abartigen Vorstellung von Wirtschaft speist. Es geht nämlich gar nicht um irgendwelche Qualitäten, das ist Volksverdummung, sondern um Lohnverzicht und Zumutungen, die die Opelaner akzeptieren sollten, statt trotzig Empörung zu schieben. Nichts anderes meint Frau Brebach. Sie hätte ja auch zum Protest aufrufen können, angesichts des quälend langen Martyriums, das die Beschäftigten von Opel seit wenigstens einem Jahr zu ertragen haben. Der Frau Brebach scheint das aber völlig egal zu sein.

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Zu Guttenbergs angebliche Kehrtwende

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Bereits gestern hatte ich über das Bild-Zeitungs-Interview von zu Guttenberg berichtet. Und natürlich ist es so gekommen, dass die Neue Presse Hannover den Bild-Müll einfach übernimmt. Von „Kurskorrektur“ ist die Rede und davon, dass zu Guttenberg vom Krieg spräche. Ganz toll ist natürlich die Überschrift des Kommentars zum Thema „zu Guttenberg“ und nicht etwa zu Afghanistan, von „NP-Hardcore-Horst“ Horst Schmuda:

„Entschlossene Kehrtwende des Neuen“

„Nun haben wir einen Neuen, und dessen bekannte, lobenswerte Neigung, die Dinge deutlicher beim Namen zu nennen, hat in die regierungsamtliche Abwehrfront – um Himmels willen, redet nicht von Krieg – eine ziemliche Bresche geschlagen.

Zwar nähert sich auch zu Guttenberg nur scheibchenweise der Wahrheit, für die Soldaten sei es Krieg, aber er trifft damit das Herz der Truppe, weil es als Einleitung für den Kurswechsel in der Beurteilung des Einsatzes gelten kann.“

Zwei aufeinander folgende sich widersprechende Sätze, die einmal mehr zeigen, wie in diesem Land Meinungsmache betrieben wird. Wie kann man von Entschlossenheit eines Ministers faseln, wenn dieser sich nur scheibchenweise der Wahrheit nähert? Und nähert er sich überhaupt der Wahrheit? Zu Guttenberg spricht doch gar nicht vom Krieg, sondern von kriegsähnlichen Zuständen in Teilen Afghanistans. Sicher, im Begleittext aus dem PR-Büro Slangen & Herholz wird das zwar erwähnt, dennoch ist von Abrgrenzung zum Amtsvorgänger Jung die Rede. Dabei sagt zu Guttenberg nichts anderes. Die Bundeswehr führt keinen Krieg, sondern die Taliban. So hat das Jung auch immer gesagt. Es gibt also keine Kehrtwende, sondern vielmehr eine entschlossene Fortführung der Manipulationshaltung zu Guttenbergs.

Ob als Wirtschaftsminister oder neuerdings als „BE-kämpfungsminister“. Er bleibt der Liebling der Medien – egal wie seine Bilanz auch aussehen mag. Er hat Opel und Quelle überlebt, da werden ihm ein paar tote Soldaten mehr sicher auch nichts anhaben können. Denn laut Schmuda trifft zu Guttenberg das Herz der Truppe. So stirbt es sich sicherlich leichter. Einfach widerlich.

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Merkels Rede vor dem Kongress

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Wie ich gerade meiner Tageszeitung, der Neuen Presse Hannover, entnehme, sei der Auftritt der Bundeskanzlerin vor dem Kongress ganz gut gelaufen. Udo Harms hält aber in seinem heutigen Leitkommentar auf Seite 1 scheinbar kritisch fest:

„Merkel ist den komplizierten Fragen lieber aus dem Weg gegangen. Mehr Hilfe für die USA in Afghanistan? Im Anti-Terror-Kampf? Der Druck der Amerikaner auf Deutschland ist gewachsen, seit mit Obama ein Friedensnobelpreisträger regiert, der Unterstützung für seine Visionen fordern kann.“

So wie immer, nüchtern und ausweichend sei die Kanzlerin gewesen. Doch so ganz ausweichend schien sie dann doch nicht gewesen zu sein, wie die Presse uns Glauben machen will. Wolfgang Lieb von den NachDenkSeiten hat sich die Rede der Kanzlerin genauer angeschaut und kommt zu dem Ergebnis, dass sie ausgerechnet zur militärischen Ausrichtung der nun sicheren Reformvertrags-EU konkreter Stellung bezog als zu Hause.

Merkel gibt ein uneingeschränktes Bekenntnis zur NATO ab, ohne ein Wort darüber zu sagen, wie die Weiterentwicklung des Sicherheitskonzeptes dieses Militärbündnisses aussehen soll. Sie gibt eine Blankovollmacht, dass Europa sich militärisch noch stärker engagieren wird. Es ist schon bemerkenswert, dass sie ein heikles Thema, das im Rahmen der Diskussion über den EU-Verfassungsvertrag stets verschwiegen wurde, nun gerade im Ausland anspricht: nämlich dass dieser Vertrag militärische Kampfeinsätze zum integralen Bestandteil künftiger europäischer Außenpolitik macht (Art. 42 EUV). Merkel sagte unverblümt: „Wir Europäer können dazu (zur NATO) in Zukunft sogar noch mehr beitragen. Denn wir Europäer sind in diesen Wochen im Begriff, unserer Europäischen Union eine neue vertragliche Grundlage zu geben.“

Beim Thema Iran griff Merkel sogar zu unsinnigen Drohgebärden, obwohl sich doch nun endlich eine fruchtbare Dialogbereitschaft auch von Seiten Irans abzuzeichnen begann, die gerade von Deutschland unter Merkel 1.0 auch immer wieder eingefordert wurde. Nun also andere, schärfere Töne. Das hätte man schon mal ansprechen können in der Berichterstattung. Für die Neue Presse berichtete, na sie dürfen raten, richtig, das PR-Büro Slangen und Herholz. Andreas Herholz war mit in Washington und fand nichts Wichtigeres als die rührselige „American Dream-Story“ eines ostdeutschen Mädchens, das nach dem Mauerfall zur Kanzlerin aller Deutschen aufstieg, wiederzukäuen. Okay, ihr Image als Klimaretterin musste auch wieder aufgewärmt werden.

Hier noch mal das Foto mit Merkel vor den Gletschern Grönlands im Jahr 2007, damit wir das vor lauter Krieg und Krise auch ja nicht wieder vergessen.

Die Klimakanzlerin auf Grönland 2007

Jedenfalls dürfen wir auf die erste Regierungserklärung von Merkel am kommenden Dienstag gespannt sein. Ob es da dann auch so viel Freiheitsgebrabbel ohne den Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ zu benutzen geben wird oder ein klares Bekenntnis zur neuen Militärmacht Europa?

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Ein Jahr "Écrasez l’infâme!"

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Seit einem Jahr schreibe ich nun hier in diesem Blog. Am 3. November 2008 eröffnete ich noch fröhlich mit einem Beitrag „Der November rockt…„, in der Hoffnung, dass sich vielleicht mal was ändert. Damals konnte man noch mit einer gewissen Heiterkeit an die Verarbeitung des alltäglichen Wahnsinns herangehen. Heute aber weiß man schon gar nicht mehr, was man schreiben soll. So absurd ist die Realität inzwischen geworden.

Nehmen sie das Beispiel zu Guttenberg. Zum Nato-Bericht will er ja nix sagen. Da hat er erstmal jemanden mit beauftragt, den genau zu studieren. Dass die Bundesregierung Druck ausgeübt hat, was den Inhalt betrifft, sei’s drum. Zu Guttenberg hat Wichtigeres zu tun. Zum Beipsiel medienwirksam via Bild-Zeitung zu verkünden, was alle bereits wissen, nur die bisherige Bundesregierung nicht wahrhaben wollte.

„In Teilen Afghanistans gibt es fraglos kriegsähnliche Zustände“.
Quelle: Bild-Interview

Da werden jetzt aber wieder mit einem großen Nichts Punkte gesammelt und die staunende Öffentlichkeit klatscht reflexhaft Beifall, weil sie sich in ihrer wahrscheinlich unsicheren Annahme nun endlich bestätigt sieht.

Der Bundeswehrverband reagierte umgehend positiv auf Guttenbergs Äußerung. Verbandschef Ulrich Kirsch sagte der „Mitteldeutschen Zeitung“ (Halle/Mittwoch): „Wir sind dem Minister sehr dankbar, dass er die Dinge beim Namen nennt. Dadurch wird der Ernst der Lage deutlich. Unsere Frauen und Männer, die täglich dort im Kampf stehen, sagen, das ist Krieg.“ Der „Leipziger Volkszeitung“ (Mittwoch) sagte Kirsch, Guttenberg sei „eine Chance für die Bundeswehr“. Der Minister zeige, “dass er den Puls der Truppe fühlt“. Dazu gehöre die Erkenntnis, „dass die Soldatinnen und Soldaten, die in Kundus jeden Tag im Kampf stehen, dabei Tod und Verwundung erleben und selber töten müssen, diese Situation als Krieg empfinden“.

Quelle: Focus

Geht’s noch? Aber lesen sie mal das Statement von zu Guttenberg im Wortlaut bis zum Ende.

„Ich will ganz offen sein: In Teilen Afghanistans gibt es fraglos kriegsähnliche Zustände. Zwar ist das Völkerrecht eindeutig und sagt: Nein, ein Krieg kann nur zwischen Staaten stattfinden. Aber glauben Sie, auch nur ein Soldat hat Verständnis für notwendige juristische, akademische oder semantische Feinsinnigkeiten? Und: Manche herkömmliche Wortwahl passt für die Bedrohung von heute nicht mehr wirklich. Ich selbst verstehe jeden Soldaten, der sagt: „In Afghanistan ist Krieg, egal, ob ich nun von ausländischen Streitkräften oder von Taliban-Terroristen angegriffen, verwundet oder getötet werde.“ Der Einsatz in Afghanistan ist seit Jahren auch ein Kampfeinsatz. Wenigstens in der Empfindung nicht nur unserer Soldaten führen die Taliban einen Krieg gegen die Soldaten der internationalen Gemeinschaft.“

Stabsunteroffizier der Reserve zu Guttenberg sagt ziemlich deutlich versteckt, dass die Bundeswehr in Afghanistan keinen Krieg führt, sondern nur die Taliban. Das hat vorher der Jung doch auch gesagt? Nur zu Guttenberg spielt sich als Schein-Intellektueller auf, der in die Niederungen des Alltagsverständnisses hinabsteigt und uns wie den Soldaten eigentlich sagen will, ihr seid alle einfach zu doof, um die juristischen, akademischen oder semantischen Feinsinnigkeiten auch nur ansatzweise zu kapieren. Es ist zwar kein Krieg, aber wenn euer Gefühl halt was anderes sagt, weil ihr nunmal im Gefecht nicht in der Lage seid, den deutlichen Unterschied zwischen schießenden regulären Feindstreitkräften und Taliban-Teroristen zu erkennen, hat von nun an keiner mehr was dagegen. Haften bleibt nun aber die große Geste des telegenen Politstars.

Ist das nun ein Paradigmenwechsel, wie die Bild-Zeitung behauptet und in ihrem Namen zahlreiche andere Medien wohl auch? Sicher nicht. Wie schrieb Egon W. Kreutzer doch so treffend in seinem letzten Paukenschlag:

Da ist er wieder, der windelweiche Abwäger und OPEL-Rettungs-Insolvenz-Prüfer Karl Theodor von und zu Guttenberg, der mit wohlgesetzten Worten solange alles sagt, was das Publikum daraus zu hören glaubt, bis die hinter den Kulissen herangepäppelte normative Kraft des Faktischen „alternativloses“ Regierungshandeln erzwingt – die Aufstockung des deutschen Truppenkontingentes in Afghanistan, zum Beispiel.

Und wie Kreutzer möchte ich im November 1 nach Start dieses Blogs sagen. Mich gruselt.

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Schwarz-gelber Sozialstaat bei Anne Will

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Gestern konnte man bei Anne Will sehr schön die hässliche Fratze der schwarz-gelben Sozialpolitik bestaunen. Ich hoffe, dass sich viele CDU und FDP Wähler die Sendung angeschaut haben. Am Widerlichsten war dabei der Vergleich der Kfz-Versicherung mit der gesetzlichen Krankenversicherung. Da fühlte man sich gleich an den Wahlkampf 2005 erinnert. Der FDP-Schmierlappen Martin Lindner und die CSU Frau Haderthauer reagierten auf einen Einspieler, in dem Autofahrer die Höhe ihre Kfz-Prämie nannten und provokativ gefragt wurden, warum sie denn nicht auch Geld in eine Krankenvericherung investieren würden.

Lindner und Haderthauer meinten dann auch unverblümt, dass derjenige, der viel Geld im Jahr für die Versicherung seines Autos übrig hat, auch einen Beitrag abführen könne, um sich selbst vor den Krankheitsrisiken abzusichern. Da fiel dann auch das zu Beginn geheuchelte Sozialausgleich-über-Steuern-Getue der beiden. Besonders amüsant fand ich Martin Lindners Argument. Der wollte doch den Zuschauern allen Ernstes weißmachen, dass das alte Bismarcksche Sozialsystem deshalb nicht mehr zeitgemäß sei, weil sich die Bevölkerungspyramide verändert habe. Zu Bismarcks-Zeiten hätte es viel mehr Jüngere Menschen gegeben, die mit 17 Jahren angefangen hätten zu arbeiten und weniger ältere Menschen, die mit 60 gestorben seien. Heute hätten wir dagegen eine Alterspyramide, die sich umdrehe. Darauf müsse man dann halt „radikal positiv“, wie er es selbstlobend nannte, reagieren.

Bei so einem wirren Scheiß von jemanden, der als bekennender, bereits einmal geschiedener, Katholik einmal vorschlug, ein Sitzrecht für Kirchensteuerzahler in Weihnachtsgottesdiensten zu gewähren, dreht sich mir der Magen um. Zu Bismarcks Zeiten muss es den Menschen ja richtig gut gegangen sein, weil die Bevölkerungspyramide so toll aussah. Aber nein, in dieser Zeit herrschte große Armut, es gab noch Kinderarbeit. Erst 1904 trat das Kinderschutzgesetz in Kraft, das gewerbliche Arbeit für Kinder unter 12 Jahren verbot. Und 60 Jahre alt wurden die damaligen Beitragszahler auch nicht, wie Märchenonkel Lindner uns erzählen will. Die meisten starben mit 40. Das Renteneintrittsalter lag unter Bismarck aber bei 70. Und eine Rente bekam nur der, der auch 30 Jahre eingezahlt hat, bei einer 60 Stunden Arbeitswoche.

Die Veränderung der Bevölkerungspyramide scheidet als Argument für eine Privatisierung der Sozialversicherung aus, weil nicht eine höhere Anzahl jüngerer Menschen im Vergleich zu den Alten entscheidend für das Generationensystem ist, sondern die Frage, wie viel von der volkswirtschaftlichen Leistung, ugs. Kuchen, verteilt wird. Wenn es aber dann so ist, dass sich Reichtum zunehmend in den Händen weniger ansammelt, während der Mehrheit Verzicht gepredigt wird, sollte man doch eher nach der wirklichen „Hirnverbranntheit“ der FDP fragen, als diesen gelben Versicherungsvertretern in ihrem „radikalen Zerstörungswillen“ auch noch freudig zuzujubeln. Angesichts der Wirtschaftskrise bleibt mir die Reaktion des Publikums ein Rätsel.

Aber sehen sie sich die Sendung selbst an.
http://daserste.ndr.de/annewill/videos/annewill1428.html

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