Es bleibt beim „Weiter so“

Geschrieben von: am 26. Sep 2021 um 12:22

Wie wird die Bundestagswahl wohl ausgehen? Ein bisschen Kaffeesatzleserei gefällig? Nun, die Union wird gewinnen, deren Trend zeigte zuletzt wieder leicht nach oben und Jörg Schönenborn baut bereits vor mit der Feststellung, dass Umfragen keine Vorhersagen seien. Damit will er wohl deutlich machen, dass das tägliche Feuerwerk der Meinungsforscher zunächst nur Blendwerk ist, das für reichlich Stimmung sorgt. Auf den Rausch folgt bekanntlich die Ernüchterung. Kann natürlich trotzdem sein, dass alles so kommt wie die Demoskopen in ihren Umfragen erfühlt haben, klar bleibt aber. Es ändert sich nichts, es geht einfach weiter so.

Der Wahlgewinner, hieße er nun Scholz oder Laschet, wird kaum die Initiative ergreifen können, um ein neues Regierungsbündnis zu schmieden. Vielmehr werden sich FDP und Grüne zunächst darauf verständigen, mit wem sie beide zusammen besser zurecht kämen. Umgekehrt, und falls rechnerisch möglich, käme auch wieder eine Große Koalition in Betracht, wenn sämtliche Verhandlungen zu Jamaika oder Ampel scheitern. Der Schaden mit einem angekündigten Rücktritt von Kevin Kühnert als Parteivize der SPD wäre überschaubar. Was sicherlich keinesfalls eine Option ist, auch wenn das immer wieder behauptet wird, ist Rot-Rot-Grün. Linke Mehrheiten werden auf Bundesebene aus den immer selben Gründen nicht genutzt. Da kann der französische Präsident noch so oft rufen, die NATO sei hirntot, es hilft nichts.

Religiös anmutender Daueralamismus

Der Aufbruch, von dem alle reden, er wird nicht stattfinden, dass kann man schon an dem Applaus für die größte Wahlwerbeveranstaltung erkennen, die am Freitag stattgefunden hat. Alle sind fürs Klima. Alle versprechen Veränderungen. Ganz dick trägt die größte Fehlbesetzung auf, die sich je um das höchste Regierungsamt beworben hat. Annalena Baerbock. Sie sagt: „Die nächste Regierung ist die letzte, die noch aktiv Einfluss auf die Klimakrise nehmen kann“. Natürlich, sonst bräuchte sie ja gar nicht anzutreten. In vier Jahren ist es wohl aber auch noch nicht zu spät und in vier weiteren Jahren vermutlich auch noch nicht. So ist das halt, wenn man gewählt werden will. Man muss sich als Lösung präsentieren. Das ginge schlecht, wenn die Katastrophe schon eingetreten und unumkehrbar wäre.

Das Problem mit dem religiös anmutenden Daueralarmismus ist nur, er nutzt sich irgendwann ab, vor allem dann, wenn man weniger den Frieden, als die Konfrontation im Sinn hat. Die grüne Baerbock mag viel fürs Klimaabkommen von Paris übrig haben, für die sicherheitspolitischen Klimaabkommen zwischen den Atomgroßmächten aber nicht. Die Grünen, die mittlerweile auch gern einmal in Militäruniformen schlüpfen, sind die größten Antreiber, wenn es darum geht, den Ost-West-Konflikt, inklusive kriegerischer Auseinandersetzungen, weiter anzuheizen. Entgegen der Verträge wollten Baerbock und die Grünen erreichen, dass Nord Stream 2 nicht weiter gebaut wird. Die Gasleitung kommt nun aber und Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, die sich dafür vehement eingesetzt hat, darf heute wohl mit einem Ergebnis für die SPD von um die 40 Prozent rechnen.

Pandemie nach der Wahl erledigt

In Deutschland wurden durch Investitionen in Nord Stream 2 über 24.000 Arbeitsplätze geschaffen (Stand: 2019) – insbesondere in den Bereichen Umweltdienstleistungen, Logistik und Rohrherstellung, berichtet das Portal Statista. Das spült man nicht einfach so im Klo herunter, weil man sich bei den falschen Freunden in den USA anbiedern will, die den Umweltschutz stets ausklammern, wenn es um die eigenen Interessen oder Kriege in fremden Ländern geht. Man setzt sich für Jobs und Menschen ein, wie Schwesig das getan hat. Das wird nun honoriert. Leider nur ein Einzelfall. Denn das Abwälzen von Streitfragen hat weiterhin Konjunktur, das zeigt die Pandemie. Für die Politik ist Corona ab heute wohl erledigt. Sie hat das Problem mehr oder weniger erfolgreich an die Gesellschaft ausgelagert, quasi privatisiert. Die 2 und 3G-Regeln sind eine Angelegenheit der Betreiber vor Ort.

Die letzte große Drohung mit der Streichung der Entschädigung bei Quarantäne ist nicht mehr als eine Nötigung der Arbeitgeber zur Nötigung ihrer Arbeitnehmer. Die Sozialdemokraten klatschen dazu Beifall, während die Gewerkschaften etwas pikiert die Nase rümpfen. Wie lange dauerte es doch gleich, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu erstreiten? 114 Tage Streik, der längste, den es in Deutschland je gab. Arbeitgeber und Arbeitnehmer werden das Angebot der Gesundheitsminister vermutlich in solidarischer Eintracht dankend ablehnen und eine Quarantäneanordnung der immer noch heillos überforderten Behörden im beiderseitigen Einvernehmen einfach ignorieren. Warum sollte man das auch noch ernst nehmen, wenn die Eindämmung des Virus gar keine Rolle mehr spielt.

Zurecht verzichtet der Verordnungsgeber ja darauf, Geimpfte zu testen, weil die Pandemie sonst nicht enden würde, wie Jens Spahn kürzlich erklärte. Mit anderen Worten. Man kann es nun auch laufen lassen und die Ungeimpften haben halt Pech. So darf es aber nicht aussehen, wegen der in Panik versetzten Eltern vielleicht, die glauben, ihre Kinder würden schwer an Covid erkranken, dabei sind es inzwischen andere Erreger und Störungen der Psyche, die nun immer mehr Probleme bereiten und ganz klar im Zusammenhang mit den Maßnahmen stehen, die die an den Parlamenten vorbei verordnenden Regierungen als notwendig und erfolgreich betrachten.

Erkenntnisvakuum in Regierungszentralen

Der Altbundespräsident Christian Wulff prangerte in der vergangenen Woche an, dass der Umgang mit Kindern und Jugendlichen inzwischen unzumutbar sei. „Die Schulen sind strenger geregelt als die Erwachsenenwelt – das ist empörend!“ Das saß, auch wenn das natürlich ebenso Wahlkampf und gegen die bei der Kommunalwahl mäßig erfolgreichen niedersächsischen Sozialdemokraten gerichtet war. Deren Kultusminister steht nun als Kinderquäler da, ein Vorwurf, den er nicht auf sich sitzen ließ. „Der Vorstoß des Altbundespräsidenten ist höchst irritierend“, sagte Minister Grant Hendrik Tonne. Und weiter: „Herr Wulff scheint zu vergessen, dass es für Kinder unter zwölf Jahren kein Impfangebot gibt und dass viele Jugendliche über zwölf Jahren noch nicht geimpft sind. Daher sind Sicherheitsmaßnahmen zur Absicherung des Präsenzunterrichts nach wie vor notwendig.“ Die Begründung des Ministers ist kompletter Unfug und von dem beseelt, was sich seit 18 Monaten durch diese Pandemie zieht. Komplettes Regierungsversagen.

Denn Kinder und Jugendliche mit Maßnahmen zu traktieren und dabei auf eine Impfung zu verweisen, die sie nicht brauchen, ist unverhältnismäßig und überzogen, um nicht zu sagen, im höchsten Maße niederträchtig. Und das nur, weil es nie gelang, die wirklich gefährdeten Alten zu schützen. Begleitet wird das Versagen durch ein sicheres Auftreten bei maximaler Unwissenheit. Das nennt man neuerdings Erkenntnisvakuum. Die Welt am Sonntag berichtet heute darüber, was die Richter des Bundesverfassungsgerichts beim Dinner im Kanzleramt mit der Bundesregierung besprochen haben. Der Justizministerin soll dabei Gelegenheit gegeben worden sein, über die Entscheidungen in der Pandemie zu berichten. Sie seien von einem Erkenntnisvakuum geprägt gewesen. Das alles wäre nicht weiter schlimm, wenn diese Einschätzungen bei einer mündlichen Verhandlung in Karlsruhe zusammen mit den Argumenten derer ausgetauscht worden wären, die gegen die Bundesnotbremse klagen. Doch dazu heißt es nun vom höchsten Gericht, das sei nach vorläufiger Einschätzung entbehrlich. Dieses richterliche Verhalten nährt nun den Verdacht der Befangenheit, es zeigt aber auch, dass sich die bestehenden Verhältnisse kaum ändern werden, egal wer nach heute regiert.


Bildnachweis: FelixMittermeier auf Pixabay

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Jens Stieckenroth  September 26, 2021

    Hallo Herr Tautenhahn,
    herzlichen Dank für Ihren mal wieder sehr treffenden Kommentar. Auch wenn der Inhalt vermutlich mal wieder nicht bei den „Richtigen“ ankommt, so hilft er mir doch ein wenig besser mit der Situation klarzukommen und mich mit meinen Gedanken nicht so alleine zu fühlen.
    Besten Gruß
    Jens Stieckenroth

  2. Dieter  September 26, 2021

    Meine Voraussage war, keine Partei wird 20 % Stimmen der Wahlberechtigten erhalten.
    Voraussagen von 25 % bei 76 % Wahlbeteiligung wie 2017 entsprechen 19 % der Wahlberechtigten.
    Das heißt wir bekommen einen Kanzler der eine kleine Minderheit hinter sich hat.

  3. Arnold  September 27, 2021

    Nun hat Rot-Grün-Rot nicht einmal die Mehrheit erhalten, die ihr in den Sonntagsfragen prophezeit wurde. Tröstlich empfinde ich, dass die Linke, als einzige humanistisch orientierte Partei im Bundestag, dank dreier Direktmandate, mit einem blauen Auge davonkam.
    Für mich als Bereicherung empfinde ich, dass zwei Vermutungen, die ich schon hegte, durch diese Wahl bestätigt wurden:
    1. Die Wahl stellt für den Wähler eine totale Überforderung dar. Angesichts der Vielzahl der Themen ist es völlig unmöglich sachlich fundiert eine Stimme abzugeben.
    2. Mangels fachlichem Überblick entscheidet die Sympathie zu den Spitzenkandidaten welche Partei gewählt wird. Hierbei sind die fachlichen Qualifikationen der Spitzenkandidaten unwichtig. Scholz‘ strahlendes lächeln übertüncht, dass er stets glühender Verfechter der Agenda 2010 war und Lindners Eloquenz scheint wichtiger als die Tatsache, dass er volkswirtschaftlich betrachtet nur Unsinn redet. Letzteres merkt ohnehin kaum jemand.

    Wir brauchen ein besseres System, wir brauchen die Demokratie, die die alten Griechen erdachten statt dem was wir Heute „repräsentative Demokratie“ nennen. Die Gesetze müssen vom Volk gemacht werden; aber nicht in diesen unseligen Volksabstimmungen die irrtümlich als „direkte Demokratie“ bezeichnet werden und die statt der Weisheit der Vielen deren Dummheit zum Ausdruck bringen.
    Unter 80 Millionen Bürgern gibt es zu jedem Thema sachkundige Bürger und umgekehrt, hat jede/r Bürger/in Themen in denen er/sie sich wirklich auskennt. Und so könnten die sachkundigen und betroffenen Bürger in Internetforen Gesetze entwerfen und am Abstimmungstag über diese Gesetze abstimmen.