
Das Manifest „Friedenssicherung in Europa durch Verteidigungsfähigkeit, Rüstungskontrolle und Verständigung“ des Erhard Eppler Kreises sorgt für Aufsehen. Einer der Initiatoren, Ralf Stegner, sagt: „Dieses Manifest ist keine Forderung an die Bundesregierung, sondern ein Diskussionspapier für die Debatte in der Sozialdemokratie, die die einzige Partei ist, die sich ernsthaft mit politischen Fragen der Friedenspolitik beschäftigt. Es soll dazu beitragen, dass wir klug darüber nachdenken, wie wir in Zukunft handeln sollten.“ Der ordentliche SPD Bundesparteitag findet vom 27. bis 29. Juni in Berlin statt. Hier soll ein neues Grundsatzprogramm verabschiedet werden. Das Manifest kommt damit zur richtigen Zeit.
Das zeigen die scharfen Angriffe auf das Manifest, die wegen des schrillen Tons inzwischen selbst zum Thema geworden sind, sogar im Mainstream der Medienlandschaft, wobei die demonstrative Verächtlichmachung des Debattenbeitrages der Friedenskreise bei Weitem noch überwiegt, vor allem auch wieder in den öffentlich-rechtlichen Medien, die sich redlich bemühen (weitere Beispiele hier), dem prominenten Unterstützerkreis einige Hinterbänkler und ehemalige Abgeordnete entgegenzustellen. Angetrieben werden sie auch von den einschlägig bekannten Lautsprechern, die mit sehr viel Tagesfreizeit in den sozialen Netzwerken unterwegs und für ein Interview immer telefonisch erreichbar sind. Für sie bedeutet staatspolitische Verantwortung übersetzt, den Krieg nach Russland zu tragen.
Das hilflose Gebrüll ist wohl nötig. Denn viele bekannte Sozialdemokraten haben das Manifest unterzeichnet und nicht nur aus dem linken Flügel. Die Namen haben immer noch einen Klang, in dem Verdienste und Lebensleistung nicht nur für die Partei, sondern für Land und Gesellschaft mitschwingen. Ohne die stünde die SPD wohl noch schlechter da. Zu behaupten, dass ausgerechnet deren Engagement für Frieden und Diplomatie nun die Partei noch weiter ruinieren würde, ist daher eine merkwürdige Verdrehung der Wirklichkeit.
Es gehört zu den großen Missverständnissen dieser Zeit, dass leider auch viele Genossen glauben, ein Boris Pistorius im Kampfanzug wäre die Rettung der Sozialdemokratie. Der beliebteste Politiker Deutschlands erklärt: „Das Papier der SPD-Friedenskreise verweigert sich der Realität. Es nutzt den Wunsch der Menschen in unserem Land nach Ende des furchtbaren Krieges in der Ukraine aus. Nach Frieden.“ Und weiter: „Mit diesem Putin können wir nur aus einer Position der Stärke verhandeln. Nur so werden wir ihn an den Verhandlungstisch bringen.“ Einen Sinn für diese, seine, die derzeit konforme Realität, vermisse er bei den Verfassern des Papiers. Doch was ist im Fall der Erschöpfung? Aus einer Position der Stärke will man verhandeln, tatsächlich aber gehen die Soldaten auf dem Schlachtfeld aus. Welche Realität folgt also aus dem Satz, die Ukraine so lange weiter zu unterstützen, bis Russland zu ernsthaften Verhandlungen bereit ist? Mehr Männer, Frauen und Kinder an der Waffe oder Erschöpfung durch Abnutzung? Das Gequatsche von einer Position der Stärke beendet den Krieg nicht, sondern verlängert ihn.
Putin könne das Blutvergießen sofort beenden, er will es nicht, entgegnet Pistorius und wiederholt damit ein Mantra, das seit Jahren die Realität auf dem Schlachtfeld sowie die mangelnde Bereitschaft ignoriert, für die Ukraine dann auch in den Krieg zu ziehen. Die Position der Ukraine wird daher nicht besser, wenn der Minister, der schon einmal Grünkohlkönig in der niedersächsischen Provinz war, auf Facebook ein Bild postet, auf dem er entschlossen am Fotografen vorbei in eine Richtung blickt, so als wollte er sagen, er hätte eine Strategie. Die hat er nicht. Der Minister beschönigt nur sich selbst, während ein Manifest dieses nutzlose Gehabe stört.
„Wir müssen verteidigungsfähig sein. Dafür brauchen wir Geld, Material und Personal“, sagt der Minister, obwohl die NATO – sowohl in Europa als auch insgesamt – Russland deutlich überlegen ist. Die NATO insgesamt gibt etwa das Zehnfache von Russland für Verteidigung aus. Die europäischen NATO-Staaten investieren zusammen etwa dreimal so viel wie Russland. Wenn das nicht reicht, um verteidigungsfähig zu sein, warum sollte man dann glauben, dass es mit noch mehr Geld und Zwang zur gesellschaftlichen Militarisierung gelingt?
Der Krieg in der Ukraine zeigt, dass vergleichsweise günstige Lösungen wie Drohnen im Kommen sind und zugleich eine fatale Wirkung auf dem Schlachtfeld haben, vor allem dann, wenn damit sehr teure Gerätschaften außer Gefecht gesetzt werden. Das ist nicht im Interesse einer Waffenindustrie, die an Milliardenaufträge und den Verkauf von schwerem Hightech-Zeugs gewöhnt ist. Die Strategie, diesen nutzlos gewordenen militärischen Komplex noch mehr zu finanzieren, kann daher mit Blick auf den befürchteten Kriegseinsatz zum Ende dieses Jahrzehnts nicht funktionieren. Pistorius und Kollegen werden trotzdem auf die Werbesprüche der Rüstungsindustrie hereinfallen, viel Geld ausgeben und hinter der Entwicklung zurückbleiben, nur damit Rheinmetall in zehn Jahren einen Käfig entwickelt, der Drohnen abwehren kann.
Bildnachweis: KI generiertes Bild via Grok.
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Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.