Eine Regelungslücke

Geschrieben von: am 27. Sep 2021 um 19:50

Dank der Pandemie haben wir inzwischen für alles Regeln, nur für die Regierungsbildung gibt es keine. Wer nun wann mit wem spricht, keiner weiß es so genau, auch nach zig Pressekonferenzen am heutigen Tage nicht. Klar scheint nur zu sein, dass viel miteinander geredet werden soll, allen voran Grüne und FDP. Wann, das wird gerade vorbereitet. Die MPK ist Geschichte, es lebe die Sondierung. Vielleicht bilden Grüne und FDP eine Minderheitsregierung, die sich wechselseitig von SPD und Union tolerieren lässt oder sie schließen sich nach den gegenseitigen Harmoniebekundungen gleich zu einer Fraktionsgemeinschaft zusammen. Es wäre dann die stärkste im Bundestag. Aber Spaß beiseite. Die Medien präsentieren wieder allerhand Zahlensalat, mitunter aufschlussreich, die Inzidenz gehört jedenfalls nicht dazu und das ist gut.

Die Pandemie ist vorbei, was nun zählt sind Schnittmengen, Mehrheiten und vor allem Albernheiten, aber das wäre schon wieder eine Gemeinsamkeit mit der gescheiterten Virusverfolgungspolitik. So sagte der CDU-Vorsitzende Armin Laschet heute, dass aus dem Wahlergebnis keine Partei einen Regierungsauftrag ableiten könne. Na sowas. Hat das Volk umsonst gewählt oder Armin Laschet einfach nur die parlamentarische Demokratie nicht verstanden? Er schob dann noch nach, dass eine Regierung unter Führung der Union das Beste für Deutschland wäre. Er erhebe keinen Regierungsanspruch, will aber als Kanzler regieren. Puh, gerade noch die Kurve gekriegt. Oder auch nicht. Denn so langsam wird es mit den Peinlichkeiten zu viel, erste Rücktrittsforderungen werden laut und ein möglicher Showdown in der Fraktion am morgigen Dienstag könnte lustig werden.

Nur wäre das zum jetzigen Zeitpunkt taktisch unklug, da noch nicht klar ist, ob gegen die Union überhaupt eine Koalition zustande kommt. Die SPD hat heute gerade noch erkannt, dass sie die Wahl gewonnen und einen Regierungsauftrag als Preis erhalten hat. Allerdings: „Wir werden sehr schnell mit den anderen Parteien, mit denen wir eine Regierung bilden wollen, uns abstimmen über Gesprächsverläufe“, sagte Olaf Scholz. Man wolle sich darüber abstimmen, wie man ein Gespräch zu führen gedenkt. Was soll das heißen? Du Christian und du Robert, wie machen wir das eigentlich, wenn wir miteinander sprechen wollen? Reicht ein Anruf oder muss es ein offizielles Schreiben sein? Falls letzteres gewünscht wird, dann bitte nicht per Fax, wir wollen schließlich die „Fortschrittserzählung“ nicht gleich zu Beginn wieder ad absurdum führen.

Der Schlumpf von der SPD hat ein Problem. Inhalte. Die decken sich so gar nicht mit denen der FDP. Mehr Mindestlohn, nö. Mehr Steuern für Spitzenverdiener, nö. Weniger Schuldenbremse und weniger Altersarmut, nö. Da passt halt nicht viel zusammen, auch wenn Scholz – sonst von Lücken im Gedächtnis geplagt – an sozialliberale Traditionen erinnerte. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans war da schon deutlicher. Er warf den Liberalen vor, eine Form von Voodoo-Ökonomie betreiben zu wollen, was nüchtern betrachtet, vollkommen zutreffend ist. Nur wusste man das auch schon vorher. Man hätte sich also auf ein anderes Bündnis im Wahlkampf konzentrieren müssen. Das Problem ist nun, dass Voodoo nach dem neuerlichen Rechtsruck eine Mehrheit im Bundestag hat. Union und AfD ticken nämlich ähnlich, arbeiten aber offiziell nicht zusammen. Gefahr besteht eher darin, dass sich FDP und Grüne in die Arme einer inhaltsleeren Union begeben, was für die prinzipiell attraktiv wäre, da dann kaum strittige Themen aus dem Weg geräumt werden müssen und vielleicht auch mehr als sonst vereinbart werden könnte. Die Aussicht auf den Machterhalt macht die Union spendabel.

Robert Habeck soll schon einmal Vizekanzler werden. Sein Stern gehe gerade auf, der neue starke Mann sozusagen. Wer unter ihm und Christian Lindner nun Kanzler wird, bleibt abzuwarten. Sollte es zur Ampel kommen, wäre es jedenfalls wünschenswert, gleich zu Beginn der Legislaturperiode das Wahlrecht zu ändern, um den Murks zu beseitigen, den die GroKo zuletzt noch angerichtet hatte. Die 735 Abgeordneten sind zwar weniger als befürchtet, aber immer noch deutlich zu viel. Gut wäre es daher auch, wenn das neue Wahlrecht eine Mandatsentzugsklausel für die CSU enthielte. Das wäre erstens allemal gerecht für die Schäden, die Andi Scheuer in nur vier Jahren als Verkehrsminister straflos anrichten durfte und zweites auch geboten. Denn mit diesem schlimmen Wahlrecht, das am Sonntag galt, ist die CSU im Bundestag wie erwartet überrepräsentiert und zwar gleich um sieben Prozent. Was ist das eigentlich für eine undemokratische und verfassungswidrige Regel? Wird Zeit, dass diese unverschämte Kaspertruppe aus Bayern zur Strafe vielleicht mal in einen außerparlamentarischen Lockdown ohne Lohnfortzahlung geht. So eine Demokratieerhaltungsmaßnahme müsste sich doch auf dem Verordnungswege realisieren lassen. Bitte sondieren!


Bildnachweis: Free-Photos auf Pixabay

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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