
Deutschland hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2045 klimaneutral zu werden, manche Regionen und Landkreise wollen es schon vorher schaffen. Der Punkt ist, dass dieses Vorhaben auch einen Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energieträger wie Erdgas bedeutet. Das ist eine Kampfansage an produzierende Länder. Auch deshalb werden Kriege geführt, fliegen Pipelines in die Luft oder werden kuriose Handelsdeals geschlossen. Eine Betrachtung.
Im Juli war im Handelsblatt die Schlagzeile zu lesen: „Norwegen pocht auf langfristige Gasverträge mit Deutschland“. Der Erdgasproduzent Equinor fordert demnach klare Zusagen. Norwegen sprang nach der Sprengung der Nord Stream Pipelines in die Versorgungslücke und entwickelte sich zu Deutschlands wichtigsten Lieferanten von Erdgas. Böse Zungen behaupten, dass darin sogar ein Motiv gelegen haben könnte, die Nord Stream Pipelines zu zerstören. Und in der Tat deutete der amerikanische Enthüllungsjournalist Seymour Hersh seinerzeit eine Komplizenschaft an.
Langfristige Lieferverträge widersprechen allerdings dem erklärten Ziel der Klimaneutralität und sind daher hierzulande umstritten. Während Förderländer wie Norwegen, USA oder Katar Einnahmen aus dem Gasgeschäft langfristig sichern wollen, ist das Ziel der deutschen Energiewende gerade die Dekarbonisierung und Diversifizierung. Deutschland ist die größte Volkswirtschaft Europas und nach den USA und China aktuell die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Die wirtschafts- und energiepolitischen Entscheidungen sind also sehr relevant. Abgesehen von der Frage, ob Klimaneutralität überhaupt realistisch ist, sind doch die weltweiten Machtverhältnisse ein sehr realer Faktor. Energetische Diversifizierung ist daher ein Wunschtraum. Das belegen nicht zuletzt die Zollverhandlungen der EU mit den USA, die auch eine irre Verpflichtung zum Bezug von Energie im Volumen von 750 Milliarden Dollar beinhalten.
Ein weiterer Lieferant von Energie, Katar, drohte zuletzt sogar mit einem LNG-Lieferstopp, weil die EU strengere Umwelt- und Klimaschutzvorgaben durchsetzen will, die über die Ziele des Pariser Klimaabkommens hinausgehen. Da geht es um Vorschriften, die Unternehmen verpflichten, auch in Drittstaaten wie Katar Umwelt- und Menschenrechtsstandards zu überwachen und einzuhalten. Da macht das Emirat nicht mit. Und nun: Norwegens Erdgasprozent pocht auf eine dauerhaft kalkulierbare Gasnachfrage aus Deutschland, in Form langfristiger Lieferverträge über das Jahr 2035 hinaus. Das erinnert an die Zeit nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. Bundeskanzler Olaf Scholz reiste nach Norwegen, um über eine Ausweitung der Erdgaslieferungen zu verhandeln. Der Besuch fand im August 2022 statt und war Teil einer diplomatischen Offensive zur Diversifizierung der deutschen Energieversorgung.
Das Ergebnis des Besuchs: Keine zusätzlichen Mengen, keine langfristigen Verträge. Der Premierminister Norwegens machte bei dem Treffen deutlich, dass sein Land die Gasproduktion bereits „bis zum Maximum“ ausgereizt habe und keine zusätzlichen Mengen liefern könne. Die norwegischen Gasfelder seien ausgelastet, und eine kurzfristige Ausweitung sei nur durch die Erschließung neuer Vorkommen möglich – ein Prozess, der Jahre dauert. Schon damals war erkennbar, dass Norwegen auf langfristige Vereinbarungen abzielte, die Deutschland aber nicht bereit war einzugehen. Das widersprach schließlich dem Ziel der Energiewende samt Klimaneutralität und dem neuen Prinzip der Diversifizierung. Man wollte schließlich keine neuen Abhängigkeiten schaffen. Es folgte noch der Bückling in Katar und die ernstgemeinte Nachfrage des dort zuständigen Energieministers, warum man lieber die weltweiten Handelsbeziehungen durcheinanderbringen wolle, statt das benachbarte Gas aus Russland zu nutzen.
Im Grunde genommen ist das Prinzip der Diversifizierung eine naive Vorstellung, angesichts der Lage und der physischen Begrenztheit fossiler Vorkommen. Kurzfristige Versorgungssicherheit und langfristige Klimapolitik bilden zudem ein Spannungsfeld. Auch jetzt wieder beim Deal mit Trump. Während das Weiße Haus verbindlich erklärt: „The EU will purchase $750 billion in U.S. energy“, also eine klare Zusage aus der Vereinbarung herausliest, spricht die EU im Gegenzug von einer politischen Einigung, der ein rechtlich verbindliches Abkommen erst noch folgen müsse. Konkret: „Die politische Einigung vom 27. Juli 2025 ist nicht rechtsverbindlich.“ Man will also flexibel bleiben und der Einkauf von Energie sei ohnehin die Sache von Unternehmen in den jeweiligen Mitgliedsstaaten. Das Ergebnis: Die Spannungen bleiben, die Versorgungssicherheit gefährdet und die politisch gewollte Flexibilität teuer.
Bildnachweis: Grok – Ein mit künstlicher Intelligenz erstelltes Symbolbild.
AUG.
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.