„You don’t have the cards“

Geschrieben von: am 29. Juli 2025 um 14:42

Der Schock über das Ergebnis der Zollverhandlungen zwischen den USA und der EU während einer Pause im Golfclub sitzt tief. Der Eindruck, dass Kommissionspräsidentin von der Leyen von Donald Trump über den Tisch gezogen wurde, hält an. Beklagt wird vor allem die Schwäche der EU. Europa müsse eigenständiger – vor allem auch militärisch – und wirtschaftlich unabhängiger werden. Hohle Worte von Leuten, die die EU seit dreieinhalb Jahren dazu drängen, es gleichzeitig mit Russland, China und den USA aufzunehmen. So gesehen müsste einem die groteske Person von der Leyen fast schon leidtun.

Koppschüttelnd wird beispielsweise zur Kenntnis genommen, dass von der Leyen auf das Leistungsbilanzdefizit Amerikas verwies, als sie gefragt wurde, warum Europa bei dem Deal im Gegenzug nichts erhalten habe. Sie übernahm damit bloß die Position Trumps, wird kritisiert, ohne dass näher analysiert wird, was an der Darstellung der US-Seite eigentlich zutreffend, was abwegig ist. Der US-Präsident hatte während des Handelsstreits immer wieder darauf gedrungen, dass sich an den Ungleichgewichten etwas ändern müsse. In der deutschen Presse war dagegen zu lesen, dass eine negative Handelsbilanz nicht unbedingt schlecht für ein Land sein müsse und im Falle der USA sogar ein Zeichen von besonderem Wohlstand sei.

Dass aber die negativen Salden zu steigenden Staatsdefiziten führen und die Verschuldung deutlich höher ausfällt, als sie tatsächlich sein müsste, wenn die Handelsbilanz ausgeglichener wäre, fällt unter den Tisch. Dabei muss man sich nur einmal vorstellen, was hierzulande los wäre, wenn der Finanzminister bei einem wachsenden Defizit noch mehr Schulden aufnehmen wollte, um die Konjunktur am Laufen zu halten. Der Punkt ist doch, dass die bisherige Bereitschaft der USA, die Exportüberschüsse Deutschlands zu finanzieren, kein Naturgesetz ist. Viele US-Präsidenten und deren Finanzminister haben darauf hingewiesen und beispielsweise erklärt, Deutschland möge mehr im Inland investieren, statt Arbeitslosigkeit in andere Länder zu exportieren. Die Antwort fiel immer gleich aus: Die gute Qualität deutscher Produkte sei eben unschlagbar.

Das war allerdings immer nur die halbe Wahrheit. Denn unschlagbar war der relative Wettbewerbsvorteil, den sich Deutschland auf Kosten anderer Länder erschlich. Darauf wies ein Faktenblatt des Weißen Hauses hin, das dem Handelsstreit zugrunde liegt und eine treffende Analyse dessen bietet, was ausgehend von der Agenda-Politik der rot-grünen Bundesregierung bis heute an falscher Wirtschaftspolitik andauert. Politisch verordnetes Lohndumping.

Countries including China, Germany, Japan, and South Korea have pursued policies that suppress the domestic consumption power of their own citizens to artificially boost the competitiveness of their export products. Such policies include regressive tax systems, low or unenforced penalties for environmental degradation, and policies intended to suppress worker wages relative to productivity.

Der Druck auf die Lohnstückkosten hat zu einer deutlichen Verbesserung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der Europäischen Union geführt, ohne dass die Partnerländer mit Währungsabwertung reagieren konnten. Es gibt ja nur noch den Euro. Das Ergebnis: dauerhafte Leistungsbilanzüberschüsse.

Dabei verstößt Deutschland gegen die europäischen Fiskalregeln, die es selbst vehement verteidigt. Mit dem EU-„Six-Pack“ hat sich Deutschland nämlich auch zum Abbau oder einer Korrektur makroökonomischer Ungleichgeweichte verpflichtet, weil diese zu unfairen Handelsbeziehungen beitragen. Dabei geht es eben nicht nur um Bilanzdefizite, sondern auch um Überschüsse. Geschehen ist das aber nie, gerade weil hierzulande die Vorstellung vorherrschend ist, dass Leistungsbilanzüberschüsse per se etwas Gutes und Ausdruck von wirtschaftlicher Stärke seien. Sie sind es aber nicht. Und jetzt ist es zu spät. Dass nun ein unorthodox auftretender amerikanischer Präsident auf ebenso unfaire Weise zurückkeilt, hat daher nur bedingt etwas mit dessen spezieller Art zu tun, als vielmehr mit der Borniertheit deutscher Finanz- und Wirtschaftspolitik.

Die Verwunderung darüber, dass sich Europa nun wehrlos ergeben habe, hängt dann auch mehr mit dem fehlenden ökonomischen Sachverstand zusammen. Was hätte von der Leyen denn anders machen sollen? Den Zollkrieg aufnehmen? Dabei kann die EU nur verlieren. „Wenn der Handel auf null geht, hat die Überschussregion einen Wachstumseinbruch und die Defizitregion einen Wachstumsimpuls“, so der Ökonom Heiner Flassbeck. Oder, um es mit Trump zu sagen: „You don’t have the cards“. Daher ist es nicht verwunderlich, dass der Sprüche klopfende und zu groß geratene Zukurzgekommene offenbar hinter den Kulissen bei der Kommission darauf drang, den 15 Prozent Deal anzunehmen. Er hatte damit ja eine Senkung der Zölle auf deutsche Autos (25 Prozent vorher) erreicht. Vielleicht war er ja deshalb zunächst ganz zufrieden, bis ihm einer erklärt hat, welche Folgen der Deal wirklich hat und dass es ja neben Deutschland auch noch 26 andere EU-Länder gibt.


Bildnachweis: Grok – Ein mit künstlicher Intelligenz erstelltes Symbolbild.

0

Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
  Verwandte Beiträge

Schreibe einen Kommentar


Unsere Datenschutzerklärung klärt Sie über die Art, den Umfang und Zweck der Verarbeitung von personenbezogenen Daten innerhalb unseres Onlineangebotes auf.

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.