Debatte um die Nachfolgeregelung

Geschrieben von: am 19. Okt 2021 um 16:01

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat am Montag angekündigt, dass die epidemische Lage von nationaler Tragweite aufgrund der Impffortschritte nicht noch einmal verlängert werden müsse. Allerdings sollten bestimmte Maßnahmen fortbestehen, wie AHA+L-Regeln und die 3G-Regel plus 2G-Option. Jetzt geht es also darum, eine pikante gesetzgeberische Notlage zu kitten, die mitten in die Zeit einer Regierungsbildung fällt. Wird keine Nachfolgeregelung geschaffen, droht die Aufarbeitung eines politischen Versagens. Daran haben vor allem die Länder kein Interesse.

Die epidemische Lage von nationaler Tragweite läuft am 25. November aus. Damit entfällt auch die Rechtsgrundlage für zahlreiche Maßnahmen wie beispielsweise die Mundnasenbedeckung, Abstandsregeln oder die Vorlage von Impf-, Genesenen- oder Testnachweisen, um in zugangsbeschränkte Bereiche zu gelangen. Der Bund wie auch die Länder wollen aber an bestimmten Regelungen über den Winter festhalten, die in der Zielsetzung nichts mehr mit Eindämmung des Infektionsgeschehens zu tun haben, sondern allein mit Stigmatisierung des Teils der Bevölkerung, der sich noch nicht hat impfen lassen. Das ist wiederum notwendig, um vom Scheitern bei der Pandemiebekämpfung abzulenken und eine notwendige Aufarbeitung dieses Versagens hinauszuzögern.

Um weiter Vorschriften auf dem Verordnungswege erlassen zu können, ist aber weiterhin eine Rechtsgrundlage erforderlich, die es so noch gar nicht gibt. Ein solches Gesetz könnte der Bund für alle oder jedes Land für sich selber schaffen. Letzteres würde sich dann aber einreihen in den bereits bestehenden Flickenteppich aus unterschiedlichen Landesverordnungen. Dass nun die Gesundheitsminister der Länder zusammen mit dem Bundesgesundheitsminister das Auslaufen der epidemischen Lage verkünden, hat ganz simple Gründe. Nach der Bundestagswahl hat die Regierungsbildung gerade erst begonnen. Mit einer Kanzlerwahl wird frühestens im Dezember gerechnet. Die Koalitionäre in spe müssten also diese Frage noch während der Verhandlungen diskutieren. Eine Positionierung zum Corona-Komplex sucht man aber im Sondierungspapier wie auch in den Äußerungen vergebens.

Natürlich ist der neue Bundestag nach seiner Konstituierung am 26. Oktober voll beschlussfähig. Das Parlament könnte also ein Gesetz verabschieden, das regelt, was sich der amtierende Bundesgesundheitsminister und seine Länderkollegen als Anschlusslösung wünschen. Ganz einfach wäre es dann, wenn man genau diese bestehende Notlage noch ein weiteres Mal verlängerte. Dass nun aber der Vorschlag des Auslaufens im Raum steht, ist in erster Linie der Regierungsbildung geschuldet. Die alte Mehrheit aus Union und SPD könnte ja klar beschließen, was nicht gut bei FDP und Grünen ankäme, die sich bereits beim letzten Mal dagegen ausgesprochen hatten. Deshalb nimmt man nun Rücksicht, was eben nicht heißt, dass es gar keine Regelung mehr geben wird. Denn in den Ländern, wo alle irgendwie mitregieren und bei der Pandemiebekämpfung mehr oder weniger versagen, wird danach verlangt.

Katastrophale Kommunikation

Ein weiterer Punkt ist die Profilierungssucht des Bundesgesundheitsministers, der mit positiven Schlagzeilen seine Karrierechancen innerhalb der CDU wahren will. Das konnte man sehen, als er vor ein paar Tagen überraschenderweise von einer höheren Impfquote sprach, über die in den Ländern aber niemand so recht reden will. Dort herrscht weiterhin das Narrativ vor, dass es bei den Impfungen noch nicht reicht, um die Maßnahmen zu beenden. Das ist insofern bemerkenswert, weil überhaupt nicht mehr klar ist, wie viele Menschen nun tatsächlich geimpft sind und es auch gar nicht mehr möglich sein wird, das im Nachgang irgendwie in Erfahrung zu bringen. Man bezieht sich gewissermaßen auf den amtlich sortierten Datenmüll einer Bundesbehörde, die zwar eine Korrektur der eigenen Zahlen anbietet, denen man aber auch wieder misstraut, weil schon die Originaldaten fehlerhaft sind.

Das bleibt nur dann erklärbar, wenn das Ziel der Landesregierungen eben nicht mehr die Eindämmung eines Infektionsgeschehens ist, sondern das Unterbinden einer unangenehmen Aufarbeitung des eigenen politischen Versagens sowie des Scheiterns bei der Pandemiebekämpfung. Diese Frage, die sich auch in Sondierungspapieren nicht findet, soll aus dem Diskurs so lang wie irgend möglich herausgehalten werden. Die Öffentlichkeit wird eher damit beschäftigt, wie das Glühweintrinken auf Weihnachtsmärkten unter 3G-Bedingungen in der Praxis ablaufen könnte und welche Schuld die Ungeimpften an diesem Wirrwarr haben. Auf sie soll sich der Frust konzentrieren. Die „Pandemie der Ungeimpften“ verlängert den Rest an Maßnahmen, der nun gar nicht mehr als so umfangreich beschrieben wird, obwohl die Regierung seitenlange Texte dafür immer noch für erforderlich hält.

Fakt ist aber, dass einzig und allein auf der Grundlage fehlerhafter Annahmen und Vermutungen weiter Grundrechte eingeschränkt werden sollen. Dabei wäre es an der Zeit, dass die übergriffige Verordnungspolitik der Exekutive, die von einer katastrophalen Kommunikationsstrategie über widersprüchliche Impfeffektiviäten begleitet wird, ein Ende hat und die Parlamente ihre Aufgabe als Kontrollinstanz endlich wieder wahrnehmen. Es braucht keine Einschränkung der Grundrechte mehr, sondern eine Beschränkung der Ermächtigungsgrundlage für Landesregierungen, die es je versäumt haben, eine brauchbare Exit-Strategie zu entwickeln und deshalb immer neue Zielvorgaben erfinden müssen, nur um nicht über das eigene Versagen sprechen zu müssen. Die Pointe wird letztlich sein, dass das Erreichen des Ziels mit der Akzeptanz einer beliebigen Impfquote einhergeht, deren Zustandekommen bereits als vage und unbrauchbar überführt worden ist.


Bildnachweis: Gerd Altmann auf Pixabay

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Helmut Härle  Oktober 19, 2021

    Lieber Herr Tautenhahn,
    vielen Dank für Ihren Beitrag! Wir benötigen viel mehr Journalisten, die den Finger in die Wunde des politischen Versagens aber vor allem der bewussten Irreführung der Menschen durch die aktuell regierenden und bestimmenden Politiker legen. Vor allem aber benötigen wir viel, viel mehr wache Bürger, die sich unabhängig informieren und sich gegen den Machtmissbrauch zur Wehr setzen und die derzeit noch regierenden Parteien abstrafen (leider war das bei der letzten Wahl nicht geschehen). Erst wenn es noch viel viel schlimmer wird, werden die Menschen aufwachen. Hoffentlich ist es dann nicht schon zu spät.
    Ein Bürger, der die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat,
    Helmut