Die Pflege-Impfpflicht bleibt unwirksam

Geschrieben von: am 20. Mai 2022 um 7:51

Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts im Hauptsacheverfahren zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht liegt es nun am Gesetzgeber, das Gesetz wieder abzuschaffen. Denn ein entscheidendes Kriterium bei der Ablehnung der Verfassungsbeschwerden wird bei der allgemeinen Empörung, die nun wieder herrscht, übersehen. Die fehlende Wirksamkeit des Gesetzes.

Der erste Senat wie auch seine Kritiker gehen davon aus, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht auch umgesetzt würde. Tatsächlich aber geht von den Regelungen allenfalls ein nicht näher spezifiziertes Drohpotential aus. Die Disziplinarverfahren gegen Betroffene selbst, die den geforderten Nachweis nicht erbringen wollen, sind so schwammig formuliert und langwierig gestaltet, dass eine Entscheidung über etwaige Bußgelder oder berufliche Konsequenzen erst dann final fallen dürften, wenn das Gesetz schon wieder ausgelaufen ist, also Ende 2022.

Die Impfquote in den betroffenen Bereichen war, wie vielfach betont, schon vor dem Inkrafttreten der einrichtungsbezogenen Impfpflicht hoch. Berichtet wird, dass fehlende Nachweise inzwischen auch nachgereicht worden sind und die Gruppe derer, die sich bislang weigern, immer kleiner wird. Doch was mit diesem Kreis passiert, ist weiterhin unklar. Zu Personalausfällen infolge der Impfpflicht sei es jedenfalls noch nicht gekommen, was prompt der Wirksamkeit des Gesetzes zugeschrieben wird.

Dabei wird in dem Bericht klar gesagt, dass Personalausfälle eben nicht automatisch drohen. Ungeimpfte Beschäftigte erhalten zunächst die Gelegenheit, zu ihrem Impfstatus Stellung zu nehmen oder sich nachträglich impfen zu lassen. Wenn nach Ablauf einer individuell gesetzten Frist kein Impfnachweis vorgelegt wurde, erwartet die Beschäftigten ohne Impfnachweis ein Verwaltungsverfahren. Diese Verfahren laufen derzeit, so dass überhaupt noch nicht absehbar ist, ob es zu Konsequenzen kommt. Jedenfalls schützt das Gesetz die vulnerablen Gruppen auch im unterstellten Sinne, den das Bundesverfassungsgericht annimmt, im Augenblick jedenfalls nicht. Denn bis der jeweilige Einzelfall geklärt ist, darf die Pflegekraft ihrer Arbeit weiterhin nachgehen.

Und auch bei einer Entscheidung über Abmahnungen oder Betretungsverbote hat die jeweilige Einrichtung die Personallage zu prüfen. Das heißt, zunächst gilt es, Einschränkungen in der Versorgung zu vermeiden, was im Prinzip das Ziel einer Durchsetzung der Impfpflicht auch aushebeln kann, da Beschäftigte in der Pflege nun einmal nicht beliebig ersetzt werden können. Pflegewissenschaftlerin Renate Stemmer sagt im Interview mit dem Magazin Makroskop:

Seit Einführung der Fallpauschalen 2003 wurden 33.000 Vollzeitstellen in der Pflege gestrichen, obwohl schon vorher nicht genügend Pflegekräfte in den Kliniken gearbeitet haben. Der Aderlass war riesig. Der Abbau von damals wird durch die steigenden Zahlen jetzt nicht ansatzweise wett gemacht. Dazu kommt, dass die Patientenzahlen in den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen sind. Schätzungen zufolge fehlen in den Kliniken 100.000 Pflegefachkräfte. Der Mangel bleibt groß. […]
2009 war die Lage in der Altenpflege desolat. Trotz der Steigerung der Beschäftigungszahlen bleibt der Fachkräftemangel enorm. Zudem muss man wissen: Die Zahl der Pflegebedürftigen hat sich seit 2009 fast verdoppelt. Dadurch ist der Bedarf an professioneller Pflege deutlich gestiegen. Ja, es gibt mehr Pflegekräfte, zum Glück. Aber dadurch wird der Mangel bei weitem nicht abgedeckt.

Einschränkend wird darauf hingewiesen, dass eine Weiterbeschäftigung Ungeimpfter zwar möglich, aber nur unter Auflagen und möglichst ohne direkten Kontakt mit den vulnerablen Gruppen stattfinden könne. Nur ist das praktikabel und wer soll das überprüfen bzw. welche Folgen hat das für Betriebsklima und Arbeitsabläufe? Das Gesetz lässt an diesem Punkt diejenigen, die es umsetzen sollen mit großen Gestaltungsspielräumen allein zurück. Im Ergebnis ist die einrichtungsbezogene Impfpflicht damit wirkungslos, egal was das Bundesverfassungsgericht zu deren Rechtmäßigkeit und den Schutz vulnerablen Gruppen sagt.

Karlsruhe hat bloß eine theoretische Diskussion über eine Wirklichkeit geführt, die es in der Praxis gar nicht gibt. Das Problem bleibt damit die Umsetzung eines Gesetzes, das sich nicht umsetzen lässt. Folglich wird es der Gesetzgeber zurücknehmen müssen oder mit allen Problemen, die mit ihm verbunden sind, auslaufen lassen. Letzteres ist wahrscheinlich, da sich, wie die Reaktionen der Politik bereits zeigen, das gesetzgeberische Versagen mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts als Erfolg kaschieren lassen. Dem Gesundheitswesen, das vor allem mit personellen Mängeln auch in Zukunft zu kämpfen haben wird, hilft das nur herzlich wenig.


Bildnachweis: Udo Pohlmann auf Pixabay

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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