Regelsatzdiskussion: Die Regierung nimmt sich alle Zeit der Welt

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Allein das ist schon ein Skandal. Nicht Guido Westerwelle, der heute im Bundestag wieder log, ist das Problem, es sind diejenigen, die, wie die Kanzlerin zum Beispiel, so tun, als würden sie dem Vizekanz-nicht zurechtweisen, ihm in Wirklichkeit aber Recht geben. Lesen sie mal die erste Äußerung der Regierungschefin nach der Duktus-Offenbarung vor einer Woche:

In der heutigen Ausgabe der FAZ heißt es:

Bundeskanzlerin Merkel wirft dem FDP-Vorsitzenden und Vizekanzler Westerwelle vor, die Debatte über die Reform des Sozialstaats unnötig erschwert zu haben. „Selbstverständliches sollte selbstverständlich bleiben, damit man in der Sache zu guten Ergebnissen kommen kann“, sagte Frau Merkel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Formulierungen wie „Man muss noch sagen dürfen“, ließen den Eindruck entstehen, „es werde etwas ausgesprochen, was nicht selbstverständlich ist, als gebe es also ein Tabu“. Das treffe bei der Umsetzung des Hartz IV-Urteils und beim sogenannten Lohnabstandsgebot nicht zu, kritisierte die Kanzlerin Westerwelle.

Mit anderen Worten, Westerwelle hätte nicht so auf den Putz hauen sollen, weil man sich in der Sache doch schon längst einig ist. Das ist kein inhaltlicher Widerspruch, sondern lediglich eine Kritik an der äußeren Form. Oder wie es Ulrich Maurer gestern in der Aktuellen Stunde zum „Schweigen der Bundeskanzlerin zur Sozialpolitik der Bundesregierung“ treffend formulierte:

„Ich bin an einem einzigen Punkt derselben Meinung wie der Kollege Kolb. Die Frau Bundeskanzlerin hat nicht geschwiegen, sondern sie hat den Duktus des Herrn Vizekanzlers gegeißelt. Das heißt im Klartext: Sie hat sich wie eine Richterin verhalten, die den Kollegen Westerwelle nicht wegen seiner Tat, sondern wegen mangelnder Eleganz bei der Tatausführung verurteilt.“

Quelle: Deutscher Bundestag (Stenografischer Bericht)

Es lohnt sich übrigens, die kurze Rede Maurers anzuschauen: (gefunden u.a. im Blog Marigny de Grilleau)

Heute nun die Aussprache über den Antrag der Partei die Linke mit dem Titel, „Weg mit Hartz IV – Für gute Arbeit und eine sanktionsfreie, bedarfsdeckende Mindestsicherung“. In den Medien ist aus diesem Antrag nur der Punkt, Erhöhung der Hartz-IV-Sätze auf 500 EUR überliefert. Das kann man ja aus Schlagzeilensicht verstehen, aber der Antrag hat acht Seiten, auf denen mehr steht, als die bloße Anhebung des Regelsatzes. Der für mich entscheidende Absatz darin lautet:

Hartz IV hat die Furcht vor Armut und sozialem Ausschluss bis weit in die Mitte der Gesellschaft hineingetragen. Die Drohung mit dem sozialen Absturz wirkt disziplinierend auf die Beschäftigten, schwächt die Durchsetzungsfähigkeit der Gewerkschaften, begünstigt Untertanenmentalität und unterhöhlt so die gesellschaftlichen Voraussetzungen der Demokratie. Hartz IV stärkt die Arbeitgeber im gesellschaftlichen Verteilungskampf, befördert die Ausweitung des Niedriglohnsektors und die zunehmende soziale Polarisierung bei Einkommen und Vermögen.

Statt diese Fehlentwicklungen grundlegend zu korrigieren und Hartz IV einer Generalrevision zu unterziehen, setzt die neue Bundesregierung aus CDU, CSU und FDP auf die noch stärkere Drangsalierung von Erwerbslosen durch erneut verschärfte Sanktionen und die weitere Ausdehnung des ohnehin schon riesigen Niedriglohnsektors.

Man kann das noch deutlicher formulieren. Die Bundesregierung will, so lang es eben nur geht, gar nichts an dem im Kern verfassungswidrigen Gesetz ändern. Sie will sich erst einmal bis zum Herbst Zeit nehmen, um erneut irgendetwas zu prüfen. Seit Jahren hört man das, ohne Ergebnis. Es war ein großer Fehler der Bundesrichter, die verfassungswidrigen Regelungen bis zum Ende des Jahres formal gelten zu lassen. Spätestens im Mai nach der NRW-Wahl wird die unmögliche Hetzerei ihren Höhepunkt erreichen. Man muss es einfach noch einmal ganz klar sagen.

Für die Banken haben alle Fraktionen des Bundestags, mit Ausnahme der Partei die Linke, binnen einer Woche knapp 500 Mrd. Euro bereitgestellt und ein Ermächtigungsgesetz erlassen, das dem damaligen Finanzminister Steinbrück rechenschaftslose Verfügungsgewalt über Steuergelder zugestand. Damals hieß das Zauberwort „Systemisch“, mit dem sich jede Kritik wegbügeln ließ. Heute geht es um einen verfassungswidrigen Zustand, was die Berechnung der Hartz-IV-Sätze anbelangt und die Regierung nimmt sich alle Zeit der Welt, um die festgestellte Grundrechtsverletzung, die Verletzung der „Menschenwürde“, zu beseitigen.

Was für ein Skandal.

Und dann der Auftritt von Frau von der Leyen zum Schluss. Die hat auch gar nichts begriffen. Sie schwafelt andauernd davon, dass man vor allem Kinder fördern und staatliche Hilfe gerade dort in Form von Sachleistungen verstärkt anbieten müsse. Liebe Frau von und zu Hirnlos, das Bundesverfassungsgericht hat die Regelsätze der Kinder für verfassungswidrig erklärt, weil der Gesetzgeber es schlicht unterlassen hatte, das Existenzminimum eines minderjährigen Kindes überhaupt festzustellen und es stattdessen lieber vorzog, freihändig ins Blaue zu schätzen. Vielleicht schaut die Supermutti erst einmal, welcher Bedarf konkret besteht, bevor sie ins Plenum schreit, den Kindern armer Eltern Nachhilfeunterricht zu ermöglichen. Diese dumme Aristokraten-Pute sollte selbst Nachhilfe nehmen oder einfach mal das Urteil lesen!

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Schneeschipper Westerwelle

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Dr. Guido Westerwelle stellt auch am Wochenende seine geistigen Fähigkeiten unter Beweis. Sie haben es vielleicht gehört, die Geschichte mit dem Schneeschippen (siehe SpOn). Toll. Da freut sich am Montag der Stammtisch wieder. Ich will den Schwachsinn gar nicht weiter kommentieren. Ich habe das ja bereits mit Verweis auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Falle Pinkwart getan (siehe hier im Blog). Auch Westerwelle ruft dazu auf, die höchst richterliche Entscheidung zu den sozialen Hilfeleistungen des Staates mit Füßen zu treten und die Verfassung abermals zu brechen. Westerwelle rechnet wohl damit, dass es wieder fünf Jahre dauern wird, bis das Bundesverfassungsgericht eine im liberalen Sinne durchgesetzte Neuregelung der Hartz-Gesetze für grundgesetzwidrig erklärt.

Nachdem also Westerwelle und seine liberalen Ministerkollegen neue Jobs für Gleichgesindel, äh Gleichgesinnte, geschaffen haben und diese nun ihre Ärsche als zusätzliche Staatssekretäre und Referatsleiter plattsitzen dürfen, will Westerwelle auch in anderen Bereichen für Vollbeschäftigung sorgen. Wenn schon das Straßenfegerpersonal und der Winterdienst in Berlin weggespart wurden oder unter dem Diktat liberaler Unternehmenslogik leiden, wonach Kostenfaktoren immer vor dem Auftrag, Versorgungs- und Verkehrssicherheit zu gewährleisten, stehen, muss nun das arbeitslose Faulenzerherr ran und gefälligst Schippen gehen, damit auch der verbliebene Rest ordentlich bezahlter öffentlicher Arbeit betriebswirtschaftlich abgewickelt werden kann.

Findet sich bei den Liberalen eigentlich kein beschäftigungsloser Minderleister, der den geistigen Sondermüll des Vorsitzenden wegschippen könnte? Die haben in der Truppe doch alle keine Erfahrung mit praktischer Arbeit, sondern sind meist aus der Uni gleich in den Parteiapparat gewechselt. Da besteht doch Nachholbedarf oder nicht? Man könnte doch einiges lernen, wenn man unter dem Abfall scheinliberaler Worthampelei die Straße ins Verderben wiedererkennen könnte. Aber so wie es aussieht, nehmen die liberalen Freigeister doch eher rechtzeitig jene, für den öffentlichen Durchgangsverkehr gesperrte, frisch asphaltierte Ausfahrt nach Eldorado, die im Prozess der Arbeitsteilung vom angeblich so neidischen Straßenpöbel fertiggestellt und zudem vom selbigen auch bezahlt wurde.

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FDP-Vize Pinkwart fordert den Verfassungsbruch

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Glauben sie das jetzt nicht? Ist aber so. Lesen sie mal die Schlagzeile.

FDP-Vize Pinkwart fordert, Hartz-IV-Beziehern schneller die Stütze zu kürzen, wenn sie angebotene Jobs verweigern.

Nordrhein-Westfalens FDP-Landeschef Andreas Pinkwart heizt die Debatte um Hartz IV an und fordert ein härteres Vorgehen gegen „Leistungsverweigerer“: Wenn die Betreuung in den Jobcentern weiter verbessert werde, „müssen die Bezüge arbeitsfähiger Hartz-IV-Empfänger, die zumutbare Arbeit verweigern, auch konsequenter gekürzt werden“, sagte Pinkwart, der auch Vizechef der Partei ist. Wer arbeitsfähig sei, „sollte auf staatliche Hilfe grundsätzlich nur Anspruch haben, wenn er auch zur Gegenleistung bereit ist“, zitierte ihn die „Rheinische Post“.

Quelle: Spiegel-Online

Langsam glaube ich, die FDP-Idioten wurden nicht nur zu heiß gebadet, denen hat man auch gehörig ins Gehirn geschissen. Tschuldigung für den Ausdruck. Aber so dämlich und plump kann man doch nicht mehr sein. Gerade hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zu den Hartz-IV-Regelsätzen doch ganz klar festgestellt, dass staatliche Hilfe keine Leistung sein darf, an die der Gesetzgeber einfach so Bedingungen knüpfen kann. Der Bedürftige hat einen unmittelbaren verfassungsrechtlichen Leistungsanspruch, „da das Grundrecht die Würde jedes individuellen Menschen schützt“ (siehe Rdnr. 134 im Urteil)

Die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums muss durch einen gesetzlichen Anspruch gesichert sein. Dies verlangt bereits unmittelbar der Schutzgehalt des Art. 1 Abs. 1 GG. Ein Hilfebedürftiger darf nicht auf freiwillige Leistungen des Staates oder Dritter verwiesen werden, deren Erbringung nicht durch ein subjektives Recht des Hilfebedürftigen gewährleistet ist.

(siehe Rdnr. 136 im Urteil)

Und dann gibt es noch folgenden Absatz im Urteil der Karslruher Richter (Rdnr. 137):

Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt. Wenn der Gesetzgeber seiner verfassungsmäßigen Pflicht zur Bestimmung des Existenzminimums nicht hinreichend nachkommt, ist das einfache Recht im Umfang seiner defizitären Gestaltung verfassungswidrig.

Leistung nur gegen Gegenleistung wie Pinkwart es wohl gerne hätte, deckt sich nicht mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach dem Bedürftigen ein absoluter und unverfügbarer Anspruch auf verfassungsrechtlich konform ermittelte staatliche Hilfen zusteht. Dazu noch einmal der Wortlaut aus dem Urteil (Rdnr. 133):

Dieses Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat als Gewährleistungsrecht in seiner Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat.

Möglicherweise hätte eine deutliche Stellungnahme des Gerichts zum Sanktionsparagraphen § 31 SGB II mehr Klarheit in dieser Frage schaffen können. Aus dem Urteil des Verfassungsgerichts lässt sich aber meiner Meinung nach indirekt schließen, dass diese Sanktionsregelungen ebenfalls verfassungswidrig sein müssen, da sie gegen den vom Gericht aufgestellten „absolut wirkenden Anspruch“, der unverfügbar eingelöst werden müsse, streiten. Zumindestens dürfte die Forderung nach einer Verschärfung der Sanktionsregeln mit dem Urteil klar ausgeschlossen sein.

Den Hetzern aus der FDP scheint das aber völlig egal zu sein. Diese beklagen sich über eine angeblich sozialistische Gefahr und brechen gleichwohl als feine Demokraten verkleidet die eigene Verfassung, wo es nur geht. Da möchte man wirklich zum Dreschflegel greifen und dieser selbsternannten Elite die Arroganz aus dem Leistungsschädel prügeln. Nicht mal richtig lesen können diese Kasperköpfe.

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Der notorische Verfassungsbrecher Schäuble zu Hartz-IV

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Wer glaubt, dass mit Westerwelles verbal Tremolo die Debatte um Hartz-IV ein Ende gefunden hätte oder gar in eine andere Richtung laufen könnte, irrt sich gewaltig. Nun schlägt nämlich die Stunde derjenigen, die das gleiche wie Westerwelle sagen, aber dabei höflicher und diplomatischer auftreten. Erkennen sie die Strategie? Der politisch sehr erfahrene Finanzminister Wolfgang Schäuble z.B. dämpft via Frankfurter Rundschau die Hoffnungen auf höhere Sozialleistungen mit den Worten:

„Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich nicht gesagt, die Hartz-IV-Sätze seien unzureichend.

Wir dürfen den Grundgedanken von Hartz IV nicht aus den Augen verlieren: Die notwendigen Sozialleistungen dürfen die Aufnahme von Arbeit nicht unattraktiv machen.“

Das sind 1:1 dieselben Aussagen, die auch Westerwelle von sich gab. Freilich fehlt der Ausflug in die römische Geschichte, aber was macht das schon. Die Medien sehen jedenfalls Unterschiede. Zu Schäubles Wortmeldung leitet Welt Online wie folgt ein:

„Spätkapitalistischer Irrsinn“, der Außenminister ein „Esel“ – während die Diskussion über die Hartz-IV-Äußerungen von FDP-Chef Westerwelle weitere Runden dreht, versucht Finanzminister Schäuble (CDU) zum Kern des Themas zurückzukehren: mit einem strikten Nein zu einer Erhöhung der Hartz-IV-Bezüge.

Der seriöse Schäuble also, kehrt inhaltlich zum Kern des Themas zurück und sagt im Grunde nichts anderes wie Guido Westerwelle. Ausgerechnet Schäuble, der, die Medien haben das wahrscheinlich schon wieder vergessen, im letzten Jahr in seiner Rolle als Bundesinnenminister das Bundesverfassungsgericht ebenfalls angriff und bemängelte, dass sich die Karlsruher Richter zu sehr in die Gesetzgebung einmischen würden. Am 11. März 2009 druckte die FAZ dazu sogar ein Streitgespräch zwischen Schäuble und Winfried Hassemer, einem ehemaligen Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts, ab. Darin äußerte sich Schäuble u.a. so:

„Den einmaligen Kompetenzen des Verfassungsgerichts entsprechen eine ganz hohe Verantwortung und auch ein hohes Maß an Zurückhaltung mit öffentlichen Äußerungen. Da haben Politiker eine ganz andere Legitimation. Wir müssen in der öffentlichen Debatte ständig Position beziehen. Verfassungsrichter müssen Anspruch auf Respekt haben. Wer Gesetze gestalten will, sollte sich bemühen, Mitglied des Deutschen Bundestages zu werden.“

Quelle: FAZ

Mit anderen Worten: Das Bundesverfassungsgericht solle bitteschön so eine Art Grußonkel sein und sogar bei verfassungswidrigen Gesetzen die Klappe halten, da nur dem Gesetzgeber die Gestaltungshoheit in Sachfragen zustünde.

Aber zurück zum angeblich so sachlich auftretenden Schäuble, der sich zur Hartz-IV-Debatte äußert. Er spricht ja vom Grundgedanken, wonach Sozialleistungen die Aufnahme von Arbeit nicht unattraktiv machen dürften. Welche Arbeit denn? Vor allem schlecht bezahlte Arbeit. Denn ein Programm zur Beschäftigungssicherung bzw. zum Beschäftigungsaufbau sucht man auch in dieser Regierung vergebens. Ziel der Hartz-Gesetze war es ja auch, den größten Niedriglohnsektor innerhalb der EU zu schaffen (siehe NachDenkSeiten) und das unternehmerische Konjunkturrisiko auf den Arbeitnehmer zu verschieben.

Wer sich mal erklären lassen möchte, wie das in Deutschland mit dem Arbeitsmarkt auch nach fünf Jahren Hartz IV in Wirklichkeit aussieht, sollte sich die Zusammenfassung von Joachim Jahnke unbedingt anschauen („Die Lügenmärchen vom Arbeitsmarkt„).

Schäuble hingegen setzt auf die Wirkung dramtatisch klingender Zahlen. Rund eine Billion Euro gebe der Staat pro Jahr für Sozialleistungen aus, das seien pro Kopf 12.500 Euro. Wahrscheinlich will er damit zeigen, dass genug Masse zum Sparen da sei. Dabei wäre ein Konjunktur- und Beschäftigungsprogramm das beste Sparprogramm. Selbst die Kanzlerin hatte mal von antizyklischer Politik gesprochen, obwohl sie dann das Gegenteil in die Praxis umsetzen lies. Albrecht Müller von den NachDenkSeiten bringt es auf den Punkt:

Es muss ein neues Beschäftigungsprogramm her. Ein Element eines solchen Beschäftigungsprogramms ist der Zuwachs an Lohneinkommen und damit bessere Tarifabschlüsse. Die Gemeinden brauchen mehr Geld, um ihre Leistungen aufrechterhalten. Tatsächlich läuft alles dagegen: die Arbeitgeber im öffentlichen Dienst sperren sich gegen Lohnerhöhungen; die Gemeinden werden weiter ausgehungert; den hohen Einkommen sollen die Steuern gesenkt werden, wodurch nichts an zusätzlicher Nachfrage wächst und der Spielraum öffentlicher Ausgaben sinkt. Prozyklische Politik allerorten.

Es ist höchste Zeit, dass die herrschenden Kreise in Politik und Wissenschaft, Medien und Wirtschaft endlich begreifen, dass die makroökonomische Politik in der jetzigen Situation Vorrang hat. Dass dies nicht begriffen wird, hängt damit zusammen,

  • dass Juristen das Sagen haben,
  • dass den Neoliberalen eh nichts daran liegt, die Reservearmee an Arbeitslosen schrumpfen zu lassen,
  • und außerdem daran, einige maßgebliche Kräfte auf der linken Seite des Spektrums von Beschäftigungspolitik auch nichts halten, weil für sie der Kapitalismus in den siebziger Jahren schon gescheitert ist.
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Das Märchen vom Aufschwung entzaubert: Deutsche Wirtschaftsleistung stagniert

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Wie das statistische Bundesamt heute mitteilte, veränderte sich das Bruttoinlandsprodukt im vierten Quartal 2009 im Vergleich zum Vorquartal nicht.

Quelle: destatis

Die Erholung der deutschen Wirtschaft ist Ende 2009 ins Stocken geraten: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stagnierte im vierten Vierteljahr 2009 – preis-, saison- und kalenderbereinigt – auf dem Niveau des Vorquartals (+ 0,0%), teilt das Statistische Bundesamt (Destatis) mit. Damit hat sich der leichte Aufwärtstrend der Wirtschaft aus dem zweiten (+ 0,4%) und dritten Quartal 2009 (+ 0,7%) nicht fortgesetzt.

Aber viel wichtiger ist die Tatsache, dass im Vergleich zum letzten Vorkrisenquartal 01/2008 die gegenwärtige Wirtschaftsleistung ein Minus von 5,6 Prozent aufweist (siehe Jahnkes Infoportal). Konsumausgaben und Investitionen nahmen weiter ab. Lediglich der Außenhandelsbeitrag wuchs ein wenig an. Interessant an den Zahlen ist aber, dass selbst die Stagnation im Grunde nur ein statistischer Effekt ist, da die rückläufigen Importe sich positiv auf die Gesamtbilanz niederschlagen. Jahnke schreibt dazu:

Das heißt aber auch, daß ohne die rückläufigen Importe die Wirtschaftsentwicklung bei einem geringeren Außenbeitrag negativ und nicht stagnierend gewesen wäre oder anders ausgedrückt: selbst die Stagnation ist noch einer negativen Entwicklung zu verdanken.

Bei uns glaubte man indes weiter an das Märchen vom Aufschwung. Die dummen Ökonomen in ihren Instituten hatten bereits nach der Stagnations-Schätzung des statistischen Bundesamts vom Januar lauthals widersprochen und protestiert, dass man die Lage nicht so schwarz malen könne. Sie rechneten daher mit einem Zuwachs von 0,2 Prozent. Nun fallen sie mal wieder überrascht aus allen Wolken und werden Lügen gestraft. Andere Volkswirtschaften erholen sich dagegen auch statistisch nachweisbar. In Frankreich zum Beispiel trug ein gestiegener privater Konsum (+0,9 %) zum Gesamtwachstum auf Quartalssicht um 0,6 % bei.

Das füge ich nur deshalb an, weil es in Deutschland eine derzeit total verrückte Debatte gibt, wie viel Geld arbeitenden und nichtarbeitenden Menschen zusteht. Auch dem letzten politischen Hinterwäldler in diesem Land muss eigentlich klar sein, dass wir an einer chronischen Nachfrageschwäche leiden. Der private Konsum liegt am Boden und man tut nichts dagegen. Es wird eher dafür gesorgt, die Lage noch weiter zu verschärfen. Als die Krise ausbrach, haben alle politischen Kräfte im Chor das Lied vom privaten Konsum gesungen, der nach dem Wegbrechen des Exports zu einer Stütze der wirtschaftlichen Leistung werden könne und müsse. Doch mit jedem zurückgelegten Quartal musste man feststellen, dass gerade der private Konsum immer weiter einbrach.

Im Jahr 2010 beschließt der Gesetzgeber nun Steuersenkungen für Hotelbesitzer und Menschen, die über genug Einkommen verfügen, um dank der Steuerpolitik zusätzlich noch mehr sparen zu können. Geringverdiener und Sozialleistungsempfänger gehen dagegen weiterhin leer aus. Viele Beschäftigte der unterschiedlichsten Branchen werden im Augenblick medial darauf vorbereitet, dass sie bitteschön in den bevorstehenden Tarifverhandlungen nichts bis gar nichts zu erwarten hätten und den Gürtel lieber noch enger schnallen sollten, wenn sie denn an ihren Jobs hängen. Andernfalls könne man sich ja im angeblichen Luxus Hartz-IV einrichten.

Der Bundesaußenminister Guido Westerwelle, der gleichzeitig selbsternannter geistig politischer Vordenker in diesem Land sein will, fällt derzeit mächtig aus seiner diplomatischen Rolle. In dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Hartz-IV-Regelsätzen will Westerwelle sozialistische Züge entdeckt haben (Hat er es überhaupt gelesen?). Und ganz allgemein kommentierte er:

„Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein.“

Vergessen sie Westerwelle. Der Mann ist bereits politisch tot. Man könnnte jetzt alternativ auch das Geblubber von Frau von der Leyen, Frau Köhler oder sonst irgendwelchen Leuten anfügen, die meinen die sozialpolitische Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben. Tenor aller Wortmeldungen war jedenfalls, dass es nicht mehr Geld geben dürfe, das die Betroffenen, oh Schreck, einfach nur ausgeben könnten. Dabei wäre genau das der Weg, um aus der wirtschaftlichen Krise herauszukommen. Eine Stärkung der Massenkaufkraft und damit der Nachfrage. Kostet zuviel Geld heißt es da ermahnend aus den Politikerstuben, während man gleichzeitig ein Födergesetz verabschiedet, das Hotelbesitzer, Erben und Gutverdiener abermals reichlich beschenkt. Welche Nachfrage soll diese Gruppe eigentlich entwickeln, die sie nicht schon vorher dank ausreichender Mittel befriedigt hätte? Eine einfache Frage.

Die FDP würde jetzt darauf antworten, Leistung muss sich halt lohnen. Es lohnt sich aber volkswirtschaftlich überhaupt nicht, wenn man ganz bestimmte Leistungsträger staatlich belohnt, ihnen quasi spätrömische Dekandenz ermöglicht, so dass sie beispielsweise auf den noch immer unregulierten Kapitalmärkten verstärkt aktiv sein können. Auf der anderen Seite lohnt es sich volkswirtschaftlich auch nicht, von der großen Masse zu verlangen, diesen Belohnungsprozess auch noch solidarisch zu begleiten und brav die Rechnung zu bezahlen, wenn das ganze System einmal ins Wanken gerät.

Lesen sie dazu mal die Erklärung des Generalsekretärs der FDP, Christian Lindner:

„Die teils reflex- und teils flegelhaften Reaktionen auf Guido Westerwelle zeigen, dass Deutschland seinen inneren Kompass zu verlieren und sein Kraftzentrum in der Mitte der Gesellschaft zu beschädigen droht.

Faire Politik muss zwischen den Interessen der Leistungsgeber und den Interessen der Leistungsnehmer vermitteln. Solidarität fordern Liberale von den Starken, die die Bedürftigen unterstützen, genauso wie von den Schwachen, die Hilfe nur soweit als erforderlich in Anspruch nehmen sollten.“

Quelle: pressrelations

Die FDP scheint noch immer nicht begriffen zu haben, wie das mit der kapitalistischen Produktionsweise funktioniert. Deutschlands Wirtschaft schrumpft ja nicht, weil die Sozialleistungen zu hoch sind, sondern weil die herrschende Politik will, dass der Wohlstand der Masse weichen soll für das dekadente Bedürfnis einiger Weniger nach immer mehr Reichtum. Den innereren Kompass der FDP möchte ich mal sehen. Wahrscheinlich hat sich in deren Wirklichkeit das Magnetfeld umgedreht.

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Hartz IV Regelleistungen: Haben sie den Spruch der Verfassungsrichter kapiert?

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Ich jedenfalls nicht. Die Richter sagen einerseits, dass die Abweichung des Gesetzgebers von der an sich nicht zu beanstandenden Berechnungsmethode gegen Art. 1 in Verbindung mit Art. 20 Grundgesetz verstoße. Andererseits halten sie die Höhe der Regelsätze, die nun nach dem Spruch der Richter theoretisch auch niedriger liegen können, sofern die künftige Berechnung transparent und realitätsnah erfolge, nicht für einen Verstoß gegen die Menschenwürde (Leistungen seien nicht „evident unzureichend“). Wenn also in diesem Land Löhne und Gehälter sinken und der Ausbau des Niedriglohnsektors weiter voranschreitet, somit auch die Referenzgrößen für die Berechnung der Regelsätze nach unten fallen, dann wäre nach Auffassung der Richter die folglich zu ermittelnde niedrigere Regelsatzhöhe kein Verstoß gegen Art. 1 Grundgesetz. Das kapiere ich einfach nicht.

Als Betroffener haben sie also ein Recht auf eine faire Berechnung, weil eine sachlich unbegründete Abweichung von dieser gegen ihre Menschenwürde verstößt, aber sie haben kein Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Das stellen die Richter doch klar heraus?

Dem Gesetzgeber stünde bei der Sicherstellung des Existenzminimums ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Ob das nun Geld- oder Sachleistungen seien, ist den Verfassungsrichtern salopp formuliert egal. Da bleibt der schwarze Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier seiner Linie treu. Er selbst hält ja nicht viel vom Sozialstaat, wie er das in einem Interview mit der FAZ einmal unterstrich:

Ein Rückbau ist nicht verboten

„Die Grundlagen unserer Verfassung basieren auf dem Prinzip der Eigenverantwortung“ und „das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes belässt dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum.“

Mir kommt das gesamte Urteil so vor, als wolle das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber nur mitteilen, dass sie sich beim Rückbau des Sozialstaats bitteschön nicht so dämlich anstellen sollen. Deshalb gibt es auch keine Pflicht zur rückwirkenden Neufestsetzung von Regelleistungen für jene Betroffene, gegen deren Menschenwürde verstoßen wurde, sondern eine Gnadenfrist für den Gesetzgeber, den aus meiner Sicht höchstrichterlich tolerierten Verstoß gegen die Menschenwürde nunmehr mit dem Grundgesetz in Einklang zu bringen. Bis dahin darf der festgestellte Verstoß gegen das Grundgesetz und gegen die Menschenwürde mit Billigung des Bundesverfassungsgerichts fortgeführt werden. Die Logik erschließt sich mir nicht.

Wolfgang Lieb von den NachDenkSeiten sieht das ähnlich und stellt nach seiner wie immer sehr lesenswerten Analyse des Urteils abschließend fest:

Jubel ist fehl am Platze

Wie selbst Betroffene und Sozialverbände dieses Urteil als einen Erfolg für die Armen feiern können und warum gerade noch die mitverantwortliche Ministerin von der Leyen von einem „Sieg für die Bildung von Kindern“ reden können, verstehe ich nicht. Ich erkenne in dem Urteil nicht viele Ansatzpunkte dafür, wie sich dadurch die Situation der Armen im Lande verbessern würde.

Außer dass das Berechnungsverfahren für die Hartz-IV-Regelsätze nachgebessert werden muss, ist kaum etwas gewonnen.
Ja, die besonderen Belastungen müssen berücksichtigt werden und der Aufwand für die Schulbildung der Kinder muss nachvollziehbar berechnet werden. Daraus könnte sich aber bestenfalls die Hoffnung auf eine Erhöhung des Sozialgeldes für Kinder speisen. Doch selbst diese Erwartung dürfte sich nicht kampflos erfüllen lassen.

Und was nützt die schönste verfassungsrechtliche Begründung eines individuellen Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, wenn weiter Geringverdiener gegen Hartz-IV-Empfänger aufgehetzt werden und die sog. Leistungsträger Hilfsbedürftige als Schmarotzer abstempeln?

Immerhin müsste die Tatsache, dass nach dem Urteil gegen die Jobcenter nun auch noch die Bemessung der Regelsätze für verfassungswidrig erklärt worden ist, die Politik mit der Nase darauf stoßen, dass die Hartz-Gesetze insgesamt das Grundgesetz strapazieren und endlich eine grundlegende Korrektur erforderlich wäre. Eine Korrektur nämlich, die die Menschenwürde und das Sozialstaatsgebot endlich zu einem konkreten Rechtsanspruch erheben würde, wie das etwa im schwedischen Wohlfahrtsstaatsmodell der Fall ist.“

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Das Urteil im Wortlaut finden sie hier:
http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/ls20100209_1bvl000109.html

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Bei Hartz IV arbeiten sie alle zusammen

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Wenn sie noch daran zweifelten, dass wir in Wahrheit seit Ewigkeiten von einer ganz großen, kriminell zu nennenden, Konsenssoßen-Koalition regiert werden, bei der nur ab und zu und unter großem Getöse die Farbzusammenstellung wechselt, dann müssen sie sich mal die aktuelle Einigkeit zwischen Regierung und Opposition (namentlich SPD) bezüglich der angetrebten Verfassungsänderung bei der Hartz-IV-Verwaltung anschauen. Die gegenwärtige Mischverwaltung hat das Bundesverfassungsgericht vor geraumer Zeit klar für grundgesetzwidrig erklärt und dem Gesetzgeber aufgetragen, diesen Zustand bis Ende 2010 zu beenden.

Doch statt eine sachliche Diskussion zu führen, die vielleicht auch einen Beitrag zur Unsinnigkeit des gesamten Hartz-IV-Gesetzes hätte liefern können, kam lange nichts, bis der neuen Regierung plötzlich einfiel, dass man die gemeinschaftliche Betreuung einfach nur wieder aufheben müsse, um dem BverfG-Urteil zu genügen. In der Praqxis geht das natürlich nicht, weshalb man sich nun darauf geeinigt hat, die zweitleichteste Lösung zu nehmen. Verfassungsänderung. Diese Lösung funktioniert aber nur, wenn man im Bundestag eine zwei Drittel Mehrheit organisiert. D.h., Schwarz-Gelb allein kann so etwas nicht beschließen. Doch Oppositionsführer Frank-Walter Steinmeier bot schnell seine Unterstützung an.

Man könnte es auch zugespitzter formulieren. Die SPD-Führung macht mal wieder gemeinsame Sache mit dem hessischen Volksverhetzer und Hassprediger Roland Koch, der sein „erfolgreiches“ Modell der Optionskommunen für allgemeinverbindlich erklären möchte. Es ist wie zu Steinbrücks Zeiten. Der konnte in seiner Funktion als nordrhein-westfälischer Ministerpräsident und später Bundesfinanzminister erwiesenermaßen auch besser mit Roland Koch zusammenarbeiten als mit seiner eigenen Partei. Politische Gegner sehen anders aus. Warum fusionieren SPD und Union nicht einfach?

Nun also Verfassungsänderung. Egon W. Kreutzer schreibt dazu heute in seinem Tagebuch:

„Manchmal wünsche ich mir einen Strafrechtsparagraphen, der besagt: Wer die Verfassung nachmacht, oder verfälscht, oder eine nachgemachte oder verfälschte in Umlauf bringt, oder ein verfassungswidriges Gesetz einbringt und/oder an seiner Verabschiedung mitwirkt, wird mit Gefängnis nicht unter 10 Jahren bestraft.“

Mit einem Kopfschütteln zitiert er dazu den Paragraphen 129 des Strafgesetzbuchs, in dem die wichtigen Stellen durch Kreutzer hervorgehoben sind.

Kriminelle Vereinigung

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Attac-Aktion "Stoppt die Krisenköche! Vermögen umverteilen!"

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Attac-Deutschland wird in diesem Jahr zehn Jahre alt. Aber anstatt zu feiern, plant das Netzwerk neue Protestaktionen, die ich sehr unterstützenswert finde.

Quelle: Attac-Deutschland

„Wir werden 2010 erleben, wie die Umverteilung zu Lasten der Ärmsten voranschreitet. Politik und Wirtschaft werden von ‚Sachzwängen der Krise‘ sprechen, um von der Begünstigung ihrer Klientel abzulenken“, sagte Alexis Passadakis vom bundesweiten Attac -Koordinierungskreis. Zu erwarten seien eine steigende Arbeitslosigkeit und ein weiterer massiver Abbau der sozialen Sicherungssysteme. „Die Löcher, die die Koalition mit Steuergeschenken für Wohlhabende in die öffentlichen Haushalte reißt, will die FDP nun von Arbeitslosen und weniger wohlhabenden Familien stopfen lassen. International treibt die Bundesregierung eine Handelspolitik voran, die Hunger und Arbeitslosigkeit exportiert. Ohne Druck von unten werden sich diese Krisenköche nicht stoppen lassen.“

So soll es vom 9. bis zum 11. April in in der Berliner Volksbühne ein Bankentribunal geben, dass zum ersten Mal die Verantwortlichen wenigstens symbolisch einmal anklagt.

Ziel des Verfahrens ist es, die Finanzkrise und Bankenrettung kritisch zu durchleuchten und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. „Dieser Prozess ist überfällig. Weil Politik und Justiz ihn nicht anstrengen wollen oder können, nehmen wir das in die Hand“, sagte Jutta Sundermann vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis.

Ferner sind begleitende Protestaktionen zum Thema Kinderarmut mit Hinblick auf das in diesem Monat zu erwartende Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Höhe der Hartz-IV-Leistungen für Kinder geplant und das Thema Public Private Partnerships (PPP) steht ganz oben auf der Agenda.

„Mit aggressivem Lobbying umwerben Investoren und Berater vor allem Kommunalpolitiker und überreden sie, noch mehr Tafelsilber zu verscherbeln – mit verheerenden Folgen für viele Gemeinden, die so in die Schuldenfalle getrieben werden“, sagte Jutta Sundermann. Unterstützt werden die Privatisierer von der Bundesregierung. So hat die vom Finanzministerium 2008 gegründete „Partnerschaften Deutschland Gesellschaft“ (PDG) den Auftrag, den PPP-Anteil an den Investitionen der öffentlichen Hand bundesweit um 15 Prozent steigern.

Man muss sich das mal vorstellen. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat heute eindringlich davor gewarnt, die Steuersenkungspläne der schwarz-gelben Chaostruppe umzusetzen. Verbandspräsident Christian Schramm sagte, dass sich für das Jahr 2010 ein Defizit zwölf Milliarden Euro auftun werde:

„Die Städte und Gemeinden werden gezwungen, die Leistungen für die Bürger weiter einzuschränken, die Investitionen zurückzufahren und die Verschuldung zu erhöhen“

Quelle: N24

Mit anderen Worten, die Gebühren werden mit Sicherheit steigen und Leistungen weiter sinken, weil die Gemeinden Pleite sind. Und dennoch soll nach dem Willen unserer korrupten Politiker die Privatisierungsorgien fortgteführt werden, obwohl die Erfahrung aus der Finanzkrise eindeutig gezeigt hat, dass solche Projekte vor allem die öffentliche Hand ärmer machen. Gerade die Kommunen haben das im vergangenen Jahr schmerzlich erfahren müssen. Insofern ist es dringend geboten, das Thema Öffentlich Private Partnerschaften wieder in den Fokus einer kritischen Diskussion über den Zustand dieses Land zu ziehen.

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Ohje, der Soli ist verfassungswidrig

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Das niedersächsische Finanzgericht in Hannover hat den Solidaritätszuschlag für verfassungswidrig erklärt und die Klage eines Angestellten zur Klärung an das Bundesverfassungsgericht weitergegeben. Die Begründung für das Urteil ist einleuchtend. Der Charakter einer temporär begrenzten Ergänzungsabgabe decke sich nicht mit der Daueraufgabe „Deutsche Einheit“, die aus den Mitteln des Solidaritätszuschlags finanziert werden soll.

Richterin Georgia Gascard sagte, das tragende Motiv für die Einführung des Soli seien die Kosten für die deutsche Einheit gewesen. „Dabei handelt es sich aber um einen langfristigen Bedarf, der nicht durch die Erhebung einer Ergänzungsabgabe gedeckt werden durfte.“ Eine Ergänzungsabgabe wie der Solidaritätszuschlag diene jedoch nach den Vorstellung des Verfassungsgesetzgebers aus dem Jahr 1954 nur der Deckung vorübergehender Bedarfsspitzen, betonte Gascard.

Quelle: Spiegel

Etwa 13 Mrd. trägt der Soli zum Gesamtsteueraufkommen bei. Wenn die künftig wegfallen sollten, reißt das ein weiteres Loch in die Staatskasse. Die spannende Frage wird daher sein, wie die Politik den Ausfall kompensieren könnte. Da Steuererhöhungen bei den Einkommen ausgeschlossen sind, vor allem bei den oberen, und zudem zusätzliche Vermögensabgeben unter dem Stichwort „Neiddebatte“ ebenfalls obsolet sind, wird es wohl die Mehrwertsteuer treffen. Deshalb in der Überschrift „Ohje“. Nach der NRW-Wahl wird man dann eben nicht auf 25 Prozent erhöhen, sondern 26 Prozent. Was macht das schon… ;)

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SH: Eine weitere Schande für den Parlamentarismus

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Was ist los in Schleswig-Holstein? Um diese Frage beantwortet zu bekommen, sollten sie es tunlichst vermeiden, Zeitung zu lesen oder sonstige Nachrichtenquellen zu bemühen. Denn überall schlägt einem die immer gleiche Botschaft entgegen. Die SPD hat’s verbockt. Ich möchte das mal anhand der Kommentierung in der Neuen Presse Hannover demonstrieren. Am Donnerstag kommentiert Horst Schmuda die Krise in der Landesregierung so. Gleich der erste Satz macht deutlich, warum es zum Bruch der Koalition kommen musste.

„Wer einen wie Ralf Stegner zum Koalitionspartner hat, braucht keine Feinde mehr.“

Und die Begründung folgt gleich im Anschluss.

„Ungeduldig, von sich selbst bis zum Übermaß überzeugt, der Zweck heiligt stets die Mittel. Der Mangel an anderweitiger politischer Potenz unter den schleswig-holsteinischen Genossen macht es ihm leicht, den Sozi-König zu spielen. Kein Wunder, dass Peter Harry Carstensen, der Ministerpräsident und Stegner wie auch umgekehrt in tiefer Abneigung verbunden, endgültig die Nase voll hat von der Profilierungssucht des Koalitionspartners auf seine Kosten – Neuwahlen.“

Der Regierungschef Carstensen ist also ein Getriebener. Nur wegen persönlicher Gründe platzt also die Koalition. Die beiden können halt nicht miteinander, will uns der Hardcore Horst sagen. Komisch nur, dass Herrn Schmuda bei seiner Begründung gar nicht aufgefallen zu sein schien, dass Ralf Stegner überhaupt kein Mitglied der Regierung ist. So hätte man wenigstens die Frage stellen können, warum man einen Bruch der Koalition gerade jetzt verkündet. Das hätte man doch auch schon Ende 2007 haben können. Damals hat Carstensen ebenfalls aufgrund persönlicher Animositäten Stegner aufgefordert, die Landesregierung zu verlassen. Der tat das auch brav und verkündete im Frühjahr 2008, künftig als Spitzenmann der SPD für die Wahl im Jahr 2010 aufzutreten. Die Drohung von Stegner, eine Art von Dauerprofilierung durchzuziehen, war Herrn Carstensen und der Öffentlichkeit also bereits 2008 bekannt. Warum hat der Ministerpräsident nicht schon zu diesem Zeitpunkt eine Auflösung des Parlaments vorgeschlagen?

Aber Horst Schmuda kann natürlich nicht verschweigen, dass Carstensen selbst einen Teil zum Chaos beigetragen hat und auch so am Ende gewesen wäre.

„Natürlich wäre es jetzt einfach, Stegner allein den schwarzen Peter zuzuschieben. Doch dass Carstensen eigentlich niemanden braucht, der ihn ins Stolpern bringt, weil er das selbst auch ganz gut kann, ist der andere Teil der Wahrheit. Er wäre auch ohne Stegners Nickeligkeiten am Ende. Der goldene Handschlag für den HSH-Chef darf getrost als gelungene politische Selbstvernichtung gelten.“

Ah ja. Aber weil Horst Schmuda nicht viel vom schwarzen Peter versteht und lieber durch eine schwarz-gelbe Brille zu blicken scheint, ist die Weigerung Stegners, einer Auflösung des Landtags zuzustimmen, in seinen Augen ein „gewagtes Spiel“. Denn andersherum sehen die Karten für schwarz-gelb ziemlich sicher aus, wenn es denn zum Wunschwahltermin am 27. September käme. Dann nämlich könnte neben dem Bund auch in Schleswig-Holstein eine Koalition aus CDU und FDP antreten. Damit spart man sich ja auch eine mögliche Denkzettelwahl im Jahre 2010, falls die schwarz-gelbe Regierung unter Merkel und Westerwelle doch für Enttäuschungen bei dem ein oder anderen sorgen sollte.

Oder wie es Horst Schmuda abschließend auf seinen ganz eigenen schwarz-gelben moralischen Punkt bringt:

„Die Moral von der Geschicht: Das kommt davon, wenn der Wähler nicht für klare Mehrheiten sorgt.“

Wählerbeschimpfung in der Neuen Presse Hannover. Da unterscheidet sich Schmuda dann auch nicht vom rot-schwarzen Müntefering, der der wachsenden Gruppe von Nichtwählern vor kurzem deren politische Teilnahmslosigkeit zum Vorwurf machte. Wie soll man das nennen. Altersstarrsinn? Dummheit? Oder vielleicht ein Defizit beim Lesen von Wahlergebnissen? Der hessische Wähler zum Beispiel muss sich verarscht vorgekommen sein. Der hat sich eine neue Regierung bestellt und als Antwort bekommen, Modell leider nicht lieferbar. Nun machts der Koch halt wieder. Im Bund kann der Wähler auch wählen, was er will, er bekommt immer Ulla Schmidt als Gesundheitsministerin.

Und in Schleswig-Holstein sind die Mehrheitsverhältnisse eigentlich auch klar. CDU und FDP haben eindeutig keine Mehrheit im Landtag. Es wollte auch sonst keiner mit denen. Also gibt es rechnerisch eine andere und zwar aus SPD, Grüne und SSW. Aber auch da, hieß es gar viermal hintereinander, Modell nicht lieferbar. Einem Abgeordneten war damals der Preis für seine Stimme offenbar zu niedrig. Oder ein anderer hat mehr bezahlt. Wer weiß das schon.

Jedenfalls ist es für den Parlamentarismus eine erneute Niederlage, wenn man sich, weil die Zeiten gerade günstig scheinen, einfach so selbst auflöst und damit den Wählerwillen zur Farce erklärt. In Hessen wählte man bis es passte und in Schleswig-Holstein will man wählen lassen, weil es gerade passt. Das ist noch einmal eine Steigerung. Aber das sieht er Schmuda nicht. Claus Lingenauber in der heutigen Ausgabe der Neuen Presse übrigens auch nicht.

Denn auch in seinem Leitkommentar auf Seite 1 geht das SPD-Bashing munter weiter. Erster Satz:

„Es hat schon groteske Züge, wie hartnäckig sich die schleswig-holsteinische SPD gegen Neuwahlen stemmt und das Bündnis mit der CDU fortsetzen will.“

Das ist schon ein wenig abartig. Sich gegen Neuwahlen zu stemmen, ist also grotesk. Auch Lingenauber muss es natürlich so sehen. Denn sollte die SPD ihre Zustimmung zur Auflösung des Landtags verweigern, ginge das Ganze nur noch mit Hilfe einer „fingierten Vertrauensfrage“. Sie kennen das noch? Das hat Schröder 2005 im Bundestag auch so gemacht. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Blödsinn dann auch noch gebilligt. Das muss man sich mal vorstellen. „Fingierte Vertrauensfrage“, allein schon die Bezeichnung. Warum nennt man es nicht richtig. Vortäuschung falscher Tatsachen oder schlicht Betrug.

In diesem Zusammenhang verstehe ich die Rechtslage wirklich nicht. Wenn die Landesverfassung es vorschreibt, dass sich der Landtag nur mit der hohen Hürde Zweidrittelmehrheit selbst auflösen kann, wozu dann noch das Instrument der Vertrauensfrage, bei der es ausreicht, die Regierungsmehrheit nicht zu erhalten, um den Landtag auch auflösen zu können? Wenn man mit dem alten Regierungschef nicht mehr kann, wählt das Parlament halt einen Neuen. Das nennt man konstruktives Misstrauensvotum. Wo ist das Problem? Das steht auch so in dem Artikel der Landesverfassung, der die Vertrauensfrage regelt:

Artikel 36 – Vorzeitige Beendigung der Wahlperiode durch die
Ministerpräsidentin oder den Ministerpräsidenten

(1) Stellt die Ministerpräsidentin oder der Ministerpräsident in einem Antrag die Vertrauensfrage, ohne hierfür die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Landtages zu finden, so kann die Ministerpräsidentin oder der Ministerpräsident binnen zehn Tagen die Wahlperiode vorzeitig beenden. Zwischen dem Antrag und der Abstimmung müssen achtundvierzig Stunden liegen. Artikel 13 Abs. 3 ist anzuwenden.

(2) Das Recht der Ministerpräsidentin oder des Ministerpräsidenten zur vorzeitigen Beendigung der Wahlperiode erlischt, sobald der Landtag mit der Mehrheit seiner Mitglieder eine andere Ministerpräsidentin oder einen anderen Ministerpräsidenten wählt.

In meinen Augen ist die Vertrauensfrage das Einfallstor für die Manipulation des Wählerwillens. Ein Parlament muss in der Zusammensetzung tagen und Beschlüsse fassen können, wie es durch den Souverän in freier, geheimer und gleicher Wahl bestimmt worden ist. Das Beispiel Hessen hat gezeigt, dass das sogar ohne Regierung wunderbar funktioniert. Die Möglichkeit, des vorzeitigen Abbrechens von Wahlperioden scheint aktuell immer mehr in Mode zu kommen. Diese Entwicklung wird letztlich auch durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes bestärkt, Vertrauensfragen auch in fingierter Form zuzulassen.

Dass das ganze Chaos in Kiel natürlich nur ein Ablenkungsmanöver ist, um von der HSH-Nordbank Geschichte oder auch Krümmel abzulenken, dürfte eigentlich klar sein.

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