Relative Erfolglosigkeit

Geschrieben von: am 16. Dez. 2025 um 7:54

Obwohl es kaum Bewegung in der Sache gibt, bewerten die Europäer die laufenden Ukraine-Gespräche in Berlin deutlich optimistischer. Sie seien schwierig, aber produktiv. Auch das Wort vom Waffenstillstand macht schon wieder die Runde. Tatsächlich aber scheinen die Ukraine und die USA noch weit von einer Einigung entfernt. Dabei geht es vor allem um territoriale Fragen. Hier ist die Ukraine nicht bereit, den Forderungen nach einem Abzug aus Gebieten im Osten der Ukraine nachzukommen, wenngleich plötzlich Volksabstimmungen darüber möglich sein sollen. Für die US-Delegation scheint der Punkt der Gebietsabtretung sehr wichtig, wohingegen die Europäer mehr an der Frage der Sicherheitsgarantien Interesse zu haben scheinen.

Da hätten die Amerikaner Beachtliches auf den Tisch gelegt, wird Kanzler Merz zitiert. Gemeint sind Verpflichtungen zum Beistand, die dem Artikel 5 des NATO-Vertrages nahekommen. Das ist aus zwei Gründen nicht sonderlich überzeugend. Erstens: Dieses Zugeständnis liegt offenbar nur befristet auf dem Tisch. Sollte es in den Verhandlungen keine Fortschritte geben, könne dieses Angebot auch wieder zurückgezogen werden, heißt es. Zweitens: Sowohl der Artikel 5 des NATO-Vertrages wie auch ein ihm ähnlicher Mechanismus leiden unter dem inzwischen immer größer werdenden Problem der Glaubwürdigkeit. Niemand ist bereit für die Ukraine zu kämpfen. Jetzt nicht und auch in Zukunft nicht. Deutlich wird das auch wieder in einer gemeinsamen Erklärung einzelner Europäer, der sich weitere Staaten anschließen können („This statement remains open for other countries to join“). Da steht:

A European-led ‘multinational force Ukraine’ made up from contributions from willing nations within the framework of the Coalition of the Willing and supported by the US. It will assist in the regeneration of Ukraine’s forces, in securing Ukraine’s skies, and in supporting safer seas, including through operating inside Ukraine.

Eine solche Truppe ist unrealistisch, nicht nur weil die Russen das vermutlich gar nicht akzeptieren, sondern weil es auch keine willing nations gibt. Wäre es anders, stünde es da nicht. Zudem ist diese fiktive Truppenidee an den Support der USA geknüpft, den es nicht geben wird (siehe The Guardian: „US officials declined to give specific details of what that security package would include and who would defend Ukraine if Russia resumed its invasion after a peace deal was reached. They confirmed the US would not put boots on the ground in Ukraine as part of the deal.). Auf der anderen Seite des Atlantiks ist man eher der Meinung, dass die Ukraine auch noch die Generation der 18-Jährigen an der Front verheizen möge.

Das alles sollte vor allem den NATO-Staaten zu denken geben, die sich von der Beistandsverpflichtung eine große Abschreckungswirkung versprechen. Sie hat Risse bekommen. In einigen Fällen hat die NATO-Mitgliedschaft folglich auch nicht zu einer verbesserten Sicherheitslage geführt. Finnland, das vorher neutral war, ist jetzt Frontstaat des Westens. Doch die Amerikaner werden keine Truppen an die Ostflanke entsenden. Sie teilen auch nicht die hysterische Befürchtung der Europäer vor einer wachsenden russischen Bedrohung. Vermutlich schöpfen sie diese Gewissheit aus der Tatsache direkter Gespräche mit Moskau. Dialog ist allerdings etwas, dem die Europäer seit längerer Zeit nicht mehr nachgehen.

Und so wirkt die vorliegende Erklärung gerade nicht wie ein großer diplomatischer Schritt nach vorn, sondern erneut wie ein Versuch, tatsächliche Friedensbemühungen zu behindern und auszubremsen. Es geht vor allem darum, die pendelnden Amerikaner auf die eigene Seite zu ziehen und symbolisch vor einen hübschen Fähnchenkreis zu platzieren.

Es passt den Europäern nicht, dass Washington fast freundschaftlich mit Moskau umgeht und am liebsten wieder fröhlich Handel treiben will, während sich an den geschlossenen Grenzen des neuen europäischen Frontstaates Unzufriedenheit wegen wirtschaftlicher Nachteile ausbreitet. Dass hier etwas in Schieflage geraten ist, stört die europäischen Moralweltmeister allerdings wenig. Sobald eine Verständigung zwischen Washington und Moskau droht, melden sie sich wort- und beinahe tränenreich zurück. Die jüngste Initiative hat die That is the way out of the conflict-Fraktion aufgeschreckt und zu einem weiteren fragwürdigen Plan animiert. Der Umgang mit den eingefrorenen russischen Vermögenswerten. Die Amerikaner wollen sie als Verhandlungsmasse auf dem Weg zum Frieden nutzen, die Europäer lieber stehlen. Sie brauchen schließlich Geld für ihr Ansinnen, Moskau weiter unter Druck zu setzen („Leaders agreed to continue to increase pressure on Russia to bring Moscow to negotiate in earnest“).

Doch auch hier herrscht bislang Erfolglosigkeit. Das Lager der Gegner wächst (hier und hier) und die russische Zentralbank hat inzwischen den belgischen Finanzdienstleister Euroclear auf Schadenersatz in Höhe von 18,2 Billionen Rubel (rund 195 Milliarden Euro) verklagt. Aber die juristischen Erfolgsaussichten der Russen werden hierzulande bekanntlich als gering eingeschätzt. Der Spiegel schrieb kürzlich: „Für den unwahrscheinlichen Fall, dass Russland vor einem Gericht nach dem Krieg recht bekommt, soll es in der EU Garantien für Belgien geben, so der Plan.“ Es ist diese Art von Wahrnehmung, die aus tatsächlicher Erfolglosigkeit buchstäblich Wunder werden lässt.

Auf der anderen Seite kommt der offiziellen Wahrnehmung eine große Bedeutung zu. Denn auch der Unterlegene braucht gute Presse, um sein Scheitern nicht eingestehen zu müssen. Deshalb könnten „robuste Sicherheitsgarantien“, die in Wahrheit keine sind, eben auch ein Türöffner für die Beilegung des Konflikts unter der Annahme umfangreicher Gebietsabtretungen sein. Und der vorgebliche Zugriff auf russisches Staatsvermögen könnte ein Versuch sein, es so aussehen zu lassen, als ließe man dem Aggressor seinen militärischen Erfolg nicht durchgehen, wenngleich bei näherer Betrachtung des angekündigten Diebstahls deutlich wird, dass es nur um einen Finanzierungsmechanismus geht, der in der Beschreibung das in Rede stehende Staatsvermögen unangetastet lässt, aber die europäischen Mitgliedsstaaten fahrlässig ins Risiko setzt, für die möglichen Kreditausfälle zu bürgen, die in Talkshows bar jeder Kenntnis vorsorglich wieder als unwahrscheinlich heruntergespielt werden.

Klar ist aber: Für die Rentner, die zunehmend unter Altersarmut leiden, wird der Kanzler dann keine Träne mehr verdrücken.


Bildnachweis: KI generiertes Bild / Grok

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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