Keine Nachspielzeit für politische Versager

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Wie bereits kurz nach dem Start der ersten Großen Koalition unter Angela Merkel beginnt auch jetzt wieder eine Diskussion um die Verlängerung der Wahlperiode von derzeit vier auf fünf Jahre. Viele finden den Vorschlag erneut charmant, weil sie denken, dass sich die Politiker, die ja nur von einem Wahlkampf zum nächsten spurten würden, dann endlich wieder auf die Belange der Wähler konzentrieren könnten. Alles Humbug.

Das Hauptargument für eine Verlängerung der Legislaturperiode ist zu schwach. Es stimmt einfach nicht, dass vier Jahre zu kurz seien, um sinnvolle Politik zu betreiben und Gesetze zu verabschieden. Einen 480 Milliarden Euro großen Rettungsschirm für die Banken setzten die Volksvertreter innerhalb von nur einer Woche per Eilgesetz durch. Und das, obwohl deutlich kleinere Beträge für Dinge wie Bildung, Infrastruktur oder Sozialleistungen zu diesem Zeitpunkt äußerst schwer im Haushalt zu finden waren und längere Debatten und Streitereien darum zur Normalität gehörten.

Wenn die gewählten Abgeordneten meinen, ihnen seien die Hände gebunden, weil sie sich erst einarbeiten und dann schon wieder ein Jahr lang Wahlkampf machen müssten, dann ist das doch nicht das Problem des Souveräns. Was ist, wenn sich die Politik entschlösse, zwei Jahre Wahlkampf zu betreiben, diskutieren wir dann über eine Verlängerung der Wahlperiode auf sechs Jahre? In diesem Fall sollte der Souverän mit seiner Stimme nach vier Jahren jenen die Legitimität einfach entziehen, die sich, statt zu regieren, nur um ihre Wiederwahl kümmern.

Eine Verlängerung der Legislaturperiode hat also einen viel simpleren Grund. Die sich selbst erwählenden Minister und Mitarbeiter würden noch ein Jahr länger im Amt verbleiben. Wahlverlierer, wie Steinmeier, Nahles oder Gabriel fordern ja wie selbstverständlich ihre Pöstchen ein. Andere, wie Dirk Niebel verwandeln ihr Ministerium gar in eine Parteizweigstelle. Will man wirklich diese unverschämte Selbstbedienungsmentalität weiter ausbauen und die staatliche Alimentierung von Politversagern unnötig verlängern?

Die ganze Diskussion lenkt eigentlich nur von der Regierungsunfähigkeit der Regierungen ab, die zwar mit dem Anspruch antreten, gestalten zu wollen, in Wahrheit aber damit zufrieden sind, ein Plätzchen am Tisch der Herrschenden ergattert zu haben. Die Diskussion zeigt aber auch, dass die Große Koalition eben nicht groß darin ist, Probleme zu lösen. Vielmehr blockieren sich die Partner gegenseitig und auf Dauer, wie man bereits ein paar Wochen nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages deutlich erkennen kann. Einig sind sie sich nur, wenn die wirklich Mächtigen in diesem Land in die Bredouille geraten und vom Staat gerettet werden müssen.

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Frohe Weihnachten und machen Sie sich Gedanken

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Ich wünsche allen Lesern ein schönes Weihnachtsfest. Meiden Sie die Weihnachtspredigt des Bundespräsidenten, der doch lieber Pastor hätte bleiben sollen. Er hat einfach nicht das Format für jenes Amt, das er bekleidet, aber nicht ausfüllt. Format hat hingegen Edward Snowden. Ein Mann, der die Verfassung seines Landes ernst genommen und jenen zu Recht Verfassungsbruch vorgeworfen hat, die nun über ihn richten wollen. Auch er zieht Bilanz und sagt:

“The oath of allegiance is not an oath of secrecy,” he said. “That is an oath to the Constitution. That is the oath that I kept that Keith Alexander and James Clapper did not.”

Heißt soviel wie:

“’Der Treueeid ist kein Eid zur Geheimhaltung. Es ist ein Treueeid auf die Verfassung. Diesen Schwur habe ich eingehalten, Keith Alexander und James Clapper nicht.”

Starke und wahre Worte, die sich stellvertretend auch unsere Politiker-Mischpoke hinter ihre Löffel schreiben sollte. Und wir Menschen da draußen sollten die etwas ruhigeren Tage nutzen, um nachzudenken. Vielleicht über diesen Satz Snowdens.

“Because, remember, I didn’t want to change society. I wanted to give society a chance to determine if it should change itself.”

Heißt soviel wie:

“Bedenken Sie, Ich habe nicht die Gesellschaft ändern wollen. Ich wollte der Gesellschaft die Möglichkeit geben, selbst herauszufinden, ob sie sich ändern möchte.”


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SPD muss schlechten Kompromiss jahrelang verteidigen

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Was die Mindestlohnregelung tatsächlich wert ist, wird schon ein paar Tage nach der freudetrunkenen Unterzeichnung des Koalitionsvertrages deutlich. Medien und politische Gegner arbeiten bereits kräftig an der Desavouierung des Punktes, der den Sozialdemokraten angeblich über alles geht (siehe auch hier im Blog). Die Genossen hätten wissen können, was auf sie zukommt und darauf bestehen müssen, den Mindestlohn sofort zu beschließen, anstatt häppchenweise irgendwann gegen Ende der Legislaturperiode. Stattdessen hat sich die SPD auf einen jahrelangen Abwehrkampf eingelassen, den sie mit der Union an ihrer Seite niemals gewinnen kann und damit die Wähler auch nicht beeindrucken wird.

Für Saisonarbeiter, Praktikanten, Ehrenamtliche und Rentner dürfe der Mindestlohn nicht gelten, so CSU-Chef Horst Seehofer wenig überraschend in der Welt am Sonntag. Seehofer wörtlich: “Ich möchte den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro. Ich werde aber aufpassen, dass er nicht zur Vernichtung von Arbeitsplätzen führt.” Heißt konkret, Seehofer möchte doch keinen Mindestlohn, weil dieser seiner Meinung nach der Lebenswirklichkeit vieler Menschen widerspricht. Diese besteht zum Beispiel darin, dass Rentner ihre aus Seehofers Sicht wohl üppigen Altersbezüge lediglich aufbessern möchten und daher ja gar keinen Mindestlohn bräuchten. Warum aber ein Rentner, der nach Definition eigentlich sein Einkommen ohne Arbeitsleistung erzielen müsste, weil er dafür schließlich auch versichert ist und Ansprüche erworben hat, dennoch arbeiten muss, beantwortet Seehofer nicht.

So normal ist es schon geworden, dass Rentner inzwischen wieder arbeiten gehen. Das müssten die späteren Rentner übrigens auch, wenn der Mindestlohn von 8,50 Euro Wirklichkeit werden würde. Er kommt viel zu spät und ist nach heutigen Maßstäben schon viel zu niedrig bemessen, um der Altersarmut zu entkommen. Ausnahmen wird es nicht geben, kontert Andrea Nahles und spricht von Fluchtfantasien auf Seiten der Union. Sie garantiere, dass ab dem 1. Januar 2017 niemand weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdienen werde. Von dieser Garantie ist in etwa so viel zu halten, wie von ihrem Wahlkampfversprechen, mit der Union kein Bündnis eingehen zu wollen. Das alles war vorhersehbar. Der demoskopisch festgestellten Freude über die Große Koalition dürfte recht bald die Ernüchterung folgen. Viele werden sich dann erinnern und sagen, die machen ja an der Stelle weiter, wo sie vor vier Jahren aufgehört hatten, als wir uns die GroKo zum Teufel wünschten.

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HDE vermutet mal wieder viele Last Minute Einkäufe

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Da ich gerade wieder etwas vom HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth lese, der zu jedem Weihnachtsgeschäft seine Aussagen vom Vorjahr recycelt, und bittere Realitäten durch das Prinzip Hoffnung ersetzt, gebe ich hier ebenfalls meinen Beitrag vom vergangenen Jahr noch einmal aus. Er hat, bis auf die Angaben zum Wetter, kaum an Aktualität verloren. Aber das ist wurscht. Deutschland ist ja trotz sinkender Reallöhne permanent im Kaufrausch.


Wie albern die Konsumpropaganda zu Weihnachten geworden ist, zeigen die wöchentlichen Wasserstandsmeldungen des Einzelhandelsverbandes (HDE), der seit Beginn der Adventszeit mal wieder von einem traumhaften Weihnachtsgeschäft fabuliert. Leider läuft es seit Jahren schon nicht rund, um nicht zu sagen, BESCHISSEN, was aber eigentlich klar sein müsste, wenn man die Statistik zu Einkommen der Deutschen und den Umsätzen im Einzelhandel ernst nimmt.

Vor einer Woche war es den Herrschaften vom Einzelhandelsverband noch zu kalt und sie baten um die Mithilfe des Winterdienstes, damit die Menschen ungehindert in die Läden strömen können. Diese Woche ist es auf einmal zu mild und verregnet, was die Geschäfte verhagelt. Jetzt hoffen die Händler auf die Last, Last, Last Minute Shopper an Heiligabend und natürlich auf die Einlösung der Gutscheine nach Weihnachten. Blöd nur, dass die Gutscheine schon bezahlt sind. Das Eintauschen gegen Ware führt also nicht zu höheren Einnahmen wie die Propagandamaschinerie suggeriert.

Bei all dem Gejammer dürfen wir aber nicht vergessen, dass die Innenstädte an jedem Wochenende brechend voll sind. Nur ist das eben keine relevante Größe. Was zählt, sind die harten Fakten und die Bilanzen der Unternehmen. Kauflaune hin oder her, der private Konsum wird auch in diesem Jahr allen Unkenrufen zum Trotz eine Bauchlandung hinlegen. Und das miserable Weihnachtsgeschäft wird nicht am Wetter zugrunde gegangen sein, sondern an fehlender Massenkaufkraft, deren Zerstörung Politik und Wirtschaft seit Jahren höchst selbst betreiben.


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Mit dem Firmenjet in die Freiheit

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Es ist schon erstaunlich, was alles außerhalb des Protokolls für einen verurteilten Kriminellen möglich ist. Ein schnelles Visum, ein Privatjet und offenbar eine gesicherte Eskorte vom Flughafen Schönefeld nach nirgendwo. Chodorkowski, der hierzulande von den Medien als politisch Verfolgter betrachtet wird, dem die Menschenrechte aberkannt worden seien, hat deutschen Boden betreten. Gleich nach seiner Entlassung hat ihn ein von Hans-Dietrich Genscher organisierter Privatjet nach Berlin geflogen, angeblich, so vermuteten es die Medien, damit er seine kranke Mutter besuchen könne. Die befindet sich aber gar nicht mehr in Deutschland, sondern in Moskau. Aus der rührseligen Story wird also erst einmal nix.

Wieso denke ich jetzt bloß an Edward Snowden, der ja wirklich ein politisch Verfolgter ist und, so irre das auch klingen mag, ausgerechnet beim Putin Asyl bekommen hat? Nicht in Deutschland. Da ließ das Außenministerium nach Rücksprache mit dem Innenministerium vermelden, dass Snowden kein politisch Verfolgter sei, damit die Voraussetzungen für eine Aufnahme fehlen würden und wenn überhaupt, er nur Asyl beantragen könne, wenn er sich im Land befände.

Hätten wir also den alten Kämpfer für Freiheit, Genscher, fragen sollen? Wohl kaum, denn der deutsche Oberliberale Christian Lindner meinte damals: “Die Gewährung von Asyl wäre das Kündigungsschreiben für die transatlantische Partnerschaft mit den USA.” Und die SPD, im November noch nicht in der Regierung, sondern in Verhandlung mit der Union, lieferte einen typischen Merkelsatz nach dem Muster: “Wir müssen auf europäischer Ebene eine gemeinsame Lösung finden.”

Ein Whistleblower ist eben etwas anderes als ein Kreml-Kritiker. Gregor Gysi hatte in seiner – inzwischen vom Seminar für Allgemeine Rhetorik der Eberhard Karls Universität Tübingen ausgezeichneten – Rede vor dem Deutschen Bundestag am 18. November wohl Recht, als er Christa Wolf zitierte:

“Und dass wir lieber den bestrafen, der die Tat benennt, als den, der sie begeht.”

Gregor Gysi, Deutscher Bundestag, 18. November 2013

Letzteren, einen verurteilten Straftäter, empfangen wir sogleich mit offenen Armen, weil er besser zu unserer Vorstellung einer marktkonformen Demokratie passt und zu unseren Interessen an Rohstoffen, die uns nicht gehören, die wir aber gerne hätten. Das kann der andere nicht bieten. Der hat nur brisante Informationen, unangenehme Informationen, mit denen er sich auch in Russland strafbar machen könnte, wenn er sie denn weiter preisgebe. Aber da haben wir ja kein Problem mit der zweifelhaften Menschenrechtslage in Putins Land, die wir im Fall Chodorkowskis so beklagen.

In den Tagesthemen wird Genscher nachher sagen, dass er zwar kein russisch verstehe, aber die Telefongespräche von Chodorkowski mit seinen Angehörigen ihm eine anrührende Szene im Auto bot. Er habe den Anwälten Chodorkowskis geholfen, weil es um eine humanitäre Maßnahme ging, die man immer und überall unterstützen müsse.

Jens Berger weist auf den NachDenkSeiten darauf hin, dass Chodorkowski nicht ausschließlich wegen Steuerhinterziehung, sondern wegen gewerbsmäßigen Betrugs, Unterschlagung und Geldwäsche eine lange Haftstrafe zu verbüßen hatte. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sah übrigens keine politische Motivation im Fall Chodorkowski und wies dessen Klage ab. Das russische Vorgehen gegen ihn sei allenfalls ungerecht gewesen, was auch bedeuten kann, dass gegen andere Oligarchen, die auf ähnliche Weise wie Chodorkowski zu Schürfrechten, Geld und Macht gekommen sind, keine Anklage erhoben wurde.

Unser neuer Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) scheint das alles nicht zu wissen oder öffentlichkeitswirksam auszublenden. Er sagte in Berlin zur Entlassung des Oligarchen: „Das ist eine gute Nachricht. Das ist aber auch eine Nachricht, die uns darauf hinweist, dass wir die Gespräche mit Russland über Rechtsstaat und Menschenrechte auch in den nächsten Jahren mit Engagement weiterführen müssen.“

Sehr interessant. Was will Steinmeier damit erreichen? Eine Haftverschonung für Leute, die nach unseren Gesetzen genauso hart bestraft worden wären, wie Chodorkowski für seine Vergehen in Russland? Steinmeier reklamiert Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Das sagt der Außenminister, der auch schon mal Kanzleramtschef war und eine zumindest zweifelhafte Rolle im Fall Murat Kurnaz spielte. Vielleicht sind wir auch nur, wie Albrecht Müller schreibt, auf den Weg zurück in den Kalten Krieg. Dann müsste man die Freilassung des Oligarchen als Art Agententausch verstehen. Jetzt müssen die USA nur noch sagen, den Snowden dürft ihr behalten.

Das wird aber nicht passieren. Wenn überhaupt sind wir in einem klimagewandelten Krieg, in dem sogar der Pilot der Maschine, die Chodorkowski ausflog, in den Online-Medien dieser Republik für sich und sein Unternehmen werben darf. Mit dem Firmenjet in die Freiheit, wenn man erstens die richtige Einstellung und zweitens die richtigen Kontakte hat. So etwas fehlt eben Leuten wie Snowden und Kurnaz.

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Verdrehte Überschriften

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Was fällt Ihnen beim Anblick dieser Überschrift in der FAZ ein?

Mindestohn_Furcht_Ökonomen

Sie ist falsch und müsste richtiger Weise lauten:

Mindestlohn fürchtet Ökonomen ohne Sachverstand

Besser ist natürlich die Überschrift von Arnold.

Ökonomen ohne Sachverstand fürchten Mindestlohn

Was hat der arme Mindestlohn nur getan? Den Ökonomen mit angeblichen Sachverstand gilt er als Massenvernichtungswaffe. “Der hohe Mindestlohn vernichtet Arbeitsplätze.” Schon allein diese Formulierung stößt sauer auf, da nicht der Mindestlohn, sondern der Arbeitgeber das Kündigungsschreiben unterzeichnet. Die “Ökonomen mit Sachverstand” im folgenden nur kurz ÖmS genannt, kritisieren die mangelnde Flexibilität des Mindestlohns. Sie vermissen also die bei Merkel bestellte flexible Lohnuntergrenze, die nach Branchen und Regionen gestaffelt zahlreiche Ausnahmetatbestände zulässt.

Zitat ÖmS: „Die Bundesregierung will ein Mittel verschreiben, von dem sie nicht weiß, wie es wirkt.” ÖmS weiß natürlich wie der Mindestlohn wirkt und führt nicht näher bestimmte theoretische und empirische Literatur zu Mindestlöhnen an. Darin steht, dass hohe Mindestlöhne Arbeitsplätze vernichten. Dann muss es also stimmen, obwohl kein Land dieser Welt, das Mindestlöhne hat, dies bestätigen könnte. Wenn die Arbeitslosigkeit wie im Süden Europas steigt, dann ganz sicher nicht wegen des Mindestlohns, sondern wegen einer Austeritätspolitik, die die Nachfrage rasiert.

Besonders schräg und zugleich menschenverachtend ist die Aussage von ÖmS: „Sie [eine Lohnkommission, Anm. tau) sollte auch einen Gestaltungsspielraum haben, bestimmte Gruppen durch Ausnahmeregeln zu schützen.“ Schutz wovor? Vor dem Vernichtungsfeldzug des Mindestlohns. Bestimmte Gruppen müssen vor allzu hoher Bezahlung beschützt werden, meint ÖmS. Das hat ja wirklich einen edlen Klang, ist aber nichts anderes als ein schäbiges Stück, das auch noch den Anspruch erhebt, wissenschaftlich zu sein. 

Gerade eben hat das Statistische Bundesamt einen Rückgang der Reallöhne verkündet. Und das mitten im Aufschwung und mitten in der alljährlich in den Köpfen von Leuten wie ÖmS stattfindenden Kaufrauschsause vor Weihnachten. Gleichzeitig präsentiert der Paritätische Wohlfahrtsverband eine neue Studie, die belegt, dass jeder siebte Haushalt als arm oder armutsgefährdet gilt. Doch das interessiert ÖmS nicht die Bohne, solange der Arme eine Arbeit hat. Deshalb fordert ÖmS auch ein Stimmrecht für sich und seinesgleichen in der geplanten Lohnkommission. Erst dann wäre die Unabhängigkeit gewahrt und eine vernunftbehaftete Entscheidung über den an sich gefährlichen Mindestlohn erst möglich.

Denn, so ÖmS, die Wissenschaft dürfe nicht von politischen Interessen instrumentalisiert werden. Auf welchem Instrument ÖmS wohl spielt, dürfte klar sein. Die SPD kann sich jetzt schon mal warm anziehen. Denn das Trommelfeuer gegen den Mindestlohn hat längst begonnen. Er wird es nicht überleben, auch wenn die Genossen das in ihre grenzenlosen Naivität, mit der sie am Rockzipfel der Kanzlerin hängen, sicherlich noch anders sehen.

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Verzerrte Wahrnehmung des verzerrten Wettbewerbs

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In ihrer Regierungserklärung sagte Merkel: „Ich sage ganz schlicht und ergreifend: Solange es europäische Länder gibt, in denen der Industriestrom billiger ist als in Deutschland, sehe ich nicht ein, warum wir zur Wettbewerbsverzerrung beitragen. Das werden wir ganz genau so vertreten.“

Diese Botschaft schaffte es in die Nachrichten. Merkel wirft sich schützend vor die deutsche Wirtschaft. Das ist verständlich. Schließlich geht es um die heilige Kuh Wettbewerbsfähigkeit und damit um unsere Arbeitsplätze. Es könne doch nicht im Sinne Europas sein, wenn dessen Musterschüler Jobs abbauen und an Zugkraft, von der angeblich alle profitieren, verlieren würde.

“Deshalb müssen wir, wenn es uns um Arbeitsplätze, um das Wohl der Bürgerinnen und Bürger in Europa geht, den Blick über Europa hinaus lenken. […] Hier geht es um Unternehmen, und wenn es um Unternehmen geht, geht es um Arbeitsplätze. Deshalb werden wir natürlich eng mit der Kommission zusammenarbeiten, aber wir werden auch deutlich machen, dass Europa nicht dadurch stärker wird, dass auch in Deutschland Arbeitsplätze gefährdet werden. Mit diesem Angang werden wir unsere Position dort sehr deutlich darlegen.”

Wie gesagt, die Haltung der Kanzlerin ist verständlich und dennoch im höchsten Maße unvernünftig, weil sie einmal mehr die Logik des internationalen Handels unterschlägt. In Deutschland dürfen keine Arbeitsplätze in Gefahr geraten. Doch warum die Arbeitsplätze in den anderen Staaten der Eurozone in Gefahr geraten sind, darüber klärt die Kanzlerin nicht auf. Sie und die weitgehend unkritische Öffentlichkeit begnügen sich mit der Feststellung, dass diese Staaten lange Zeit über ihren Verhältnissen gelebt und an Wettbewerbsfähigkeit verloren haben. Dass es auf der anderen Seite dann zwangsläufig jemanden geben muss, der unter seinen Verhältnissen gelebt und an Wettbewerbsfähigkeit hinzugewonnen hat, sehen sie nicht.

Der eigentliche Exportschlager der deutschen Wirtschaft sind nicht die Waren und Dienstleistungen, um deren Qualität ein chauvinistischer Hype veranstaltet wird, sondern die Arbeitslosigkeit. Denn die Jobs, die bei uns aufgrund des zunehmenden Exportüberschusses entstanden sind und den relativen Wettbewerbsvorteil begründen, fehlen in den Staaten, die für die entsprechende Nachfrage nach deutschen Gütern sorgen und sich dabei immer weiter verschulden müssen. Das war auch der Kern der amerikanischen Kritik an den anhaltend hohen Leistungsbilanzüberschüssen Deutschlands, die nun nicht mehr die zur Austerität verdonnerten Eurostaaten zu spüren bekommen, sondern Länder wie die USA, Russland und die Türkei.

Die inländische Nachfrage bleibt hinter der inländischen Produktion zurück. Das kümmert die Kanzlerin aber nicht weiter. Schließlich ist sie der Auffassung, dass Überschüsse etwas Gutes sind und sich alle anderen nur kräftig nach dem Vorbild Deutschlands anstrengen und ihre Haushalte in Ordnung bringen müssten, um genauso erfolgreich exportieren zu können wie wir. Das dauerhafte Exportüberschüsse auf der einen Seite auch dauerhafte Importüberschüsse auf der anderen Seite bedeuten, ignorieren die Kanzlerin, ihre Regierung, die deutsche Wirtschaft und große Teile der Öffentlichkeit. Den Defizitsündern stehen Exportsünder gegenüber.

Was hat das nun mit Wettbewerbsverzerrung zu tun, die von der EU-Kommission unterstellt und von Angela Merkel bestritten wird? Über die Sonderregelungen zur Ökostromumlage werden deutsche Unternehmen, die sich bereits durch die langsame Lohnstückkostenentwicklung der letzten Dekade einen relativen Wettbewerbsvorteil in der Eurozone auf Kosten der anderen haben erschleichen können,  noch einmal begünstigt. Wenn Angela Merkel und ihre Einflüsterer aus der Wirtschaft also die noch günstigeren Industriestromtarife in den Südländern als Begründung für die Rabatte hierzulande anführen, müssten sie auch über die auseinanderklaffende Lohnstückkostenentwicklung reden, die zu den Verwerfungen in der Leistungsbilanz geführt haben und eine sehr viel größere Wettbewerbsverzerrung widerspiegeln.

Das Gejammer über den teuren Strom in Deutschland ist unglaubwürdig. Ökostrom ist nämlich nicht teuer, sondern billiger als der herkömmlich produzierte Strom, worunter die Energiekonzerne an der Leipziger Strombörse arg zu leiden haben. Nun ist es aber so, dass der Preisvorteil, der mit Ökostrom am Markt erzielt wird nicht an die Verbraucher weitergegeben wird, die Kosten der per Gesetz festgelegten Ökostromumlage hingegen schon. Statt Brüssel aufs Korn zu nehmen, sollte Merkel die Bosse des Energieoligopols einbestellen und deren Gebahren unter Aufsicht stellen. Eine Strompreisaufsicht wäre dabei der richtigere Weg, als der, immer mehr Verbraucher die steigenden Stromrechnungen ihrer Arbeitgeber bezahlen zu lassen.

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Börse nimm dich in Acht

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Wer hat heute Börse vor Acht gesehen? Einfach zu schön, da die Entscheidung er US-Notenbank FED nicht mehr vor der Sendezeit fiel. So wagten die Börsenprofis bei der ARD mal wieder einen Schuss ins Blaue (nicht, dass die auch was anderes könnten) und interpretierten den Anstieg des DAX als Vorfreude der Anleger darauf, dass die FED ihr Anleihenaufkaufprogramm nicht drosseln und das billige Geld weiterhin sprudeln würde.

Und was soll ich sagen, es kam natürlich anders. Die FED kündigte an, ihre monatlichen Anleihekäufe zu reduzieren und die Nullzinspolitik solange beizubehalten, bis die Arbeitslosenquote unter eine bestimmte Schwelle fällt. Laut ARD Börsenstudio machte nun der Dow Jones einen Freudensprung. Offenbar haben die Anleger dort ganz fest mit dem Schritt gerechnet, obwohl die Journalisten jetzt vom Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik schreiben.

Gestern faselte Markus Gürne in der Börse vor Acht: Alles ist rosig. Das Stimmungsbarometer steigt, die Auftragsbücher sind voll, doch an der Börse tut sich nix. Es sei halt alles erwartet worden. Was hätte er wohl gesagt, wenn die Kurse gestiegen wären: „In freudiger Erwartung“ und wenn die Kurse gefallen wären: „In trauriger Erwartung“. Statt der Börse vor Acht sollte die ARD lieber die andere Werbung mit den Jingles senden. Da kommt inhaltlich mehr rüber.

Andererseits könnte man Börse vor Acht auch als Satire Magazin sehen. Dann würde ich den Machern aber empfehlen, die Sendung wegen der zu authentisch wirkenden Seriosität der Darsteller einzustellen. Damit ließe sich die Ersparnis beim Rundfunkbeitrag sicherlich noch deutlich erhöhen.

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Erwählte können nur Versagen

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Das Versagen war heute das bestimmende Thema des Tages. Wissen Sie, wie viele Abgeordnete des Bundestages der Kanzlerin ihre Stimme versagten. Die Meinungen gehen da weit auseinander. Die genaue Zahl der Abweichler schwankt von Medium zu Medium. Vielleicht bekommen wir das amtliche Endergebnis mit den Kommentaren von morgen serviert. Für die Versager und das Versagen im Amt findet sich hingegen kaum eine kritische Stimme. Es dominiert die Freude darüber, dass es nun endlich mit dem Regieren losgehen müsse. Auch diese Einschätzung weist auf ein Versagen hin.

Wie enttäuscht wohl die meisten sein werden, wenn sie herausfinden, dass sich die Regierungsarbeit kaum von der in den Koalitionsverhandlungen unterscheiden wird? Über das erste Thema, zu dem sich die wiedererwählte Bundeskanzlerin am Mittwoch im Bundestag erklären wird, ist außerdem gar nicht ernsthaft verhandelt worden. Merkel wird etwas zum Europäischen Rat in Brüssel vortragen, zu dem sie am Donnerstag aufbrechen wird. Egal ob mit der FDP oder mit der SPD an ihrer Seite, auf europäischer Ebene macht die Kanzlerin einfach so weiter wie bisher. Ihr Versagen wird einfach umgedeutet.

Der geplante Wettbewerbspakt soll weiter vorangetrieben werden. Die Staats- und Regierungschefs sollen sich auf ein deutsches Europa verpflichten und jedes Jahr neoliberale Reformen umsetzen, die von der EU-Kommission streng überwacht werden. Widerspruch von der SPD, die einmal forderte, dass die bisherige Krisenpolitik ein Ende haben und es auch so etwas wie einen Impuls für die wirtschaftliche Entwicklung geben müsse, sucht man vergebens. Deutet man das bereits vorab bekanntgewordene Abschlussdokument des noch stattfindenden Gipfels richtig, ist nicht weniger als eine Troika für alle das Ziel von Angela Merkel.

Kommt künftig ein Land in finanzielle Schwierigkeiten, muss es die Bedingungen der Kommission zunächst akzeptieren, um im Gegenzug Kredite und Hilfen zu erhalten. In diesem Szenario fällt den nationalen Parlamenten nur die Rolle von Beratern zu, deren Rat weder gebraucht noch an den Entscheidungen etwas ändern wird, die in Brüssel unter Ausschluss der gewählten Volksvertreter getroffen werden. Und wir regen uns über Putin auf, der der Ukraine billiges Gas und einen Rettungskredit ganz ohne Daumenschrauben in Aussicht stellt.

Merkel geht es natürlich bei ihrem Gerede um Wettbewerbsfähigkeit vor allem um Kontrolle, die sie mittels Schocktherapie in Europa erlangen will. Mit Demokratie hat das alles nichts mehr zu tun, obwohl die Bilder aus der Ukraine mit dem unverständlichen Boxer, der Präsident werden will, etwas anderes suggerieren. An der SPD geht das übrigens auch vorbei. Sie reiht sie wieder ein. Der neue Außenminister Steinmeier findet es empörend, wie Russland die Notlage der Ukraine ausnutze. Dabei sollte er sich über seine Kanzlerin empören, deren Ziel es ist, die Eurozone in den Würgegriff zu nehmen.

Kurz vor der Wahl forderte die SPD noch eine Entschuldigung von Angela Merkel für die Behauptung, die 150 Jahre alte Partei sei europapolitisch total unzuverlässig. Die Sozialdemokraten drohten gar ernsthafte Konsequenzen an und sprachen von zerstörten Brücken, die sie nun aber bereitwillig abstützen werden, während Merkel mit ihrem Panzer darüber rollt. Die Sozialdemokraten sind tatsächlich total unzuverlässig, aber nicht Merkel gegenüber, sondern den noch verbliebenen Wählern. Diese Totalversager werden auch weiterhin versagen, weil sie sich entgegen der Auffassung Brandts, auf den sie sich immer berufen, eben doch als Erwählte und nicht als Gewählte begreifen.

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Die Koalition der großen Coups

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Alle schreiben, das Gabriel und der SPD ein großer Coup gelungen sei. Trotz ihres Wahldebakels habe die Parteispitze ein aus SPD-Sicht gutes Verhandlungsergebnis erzielt, das auch die Basis überzeugen konnte. Bei der Vergabe der Ministerposten ernten die Spitzengenossen ebenfalls staunende Blicke. Die Union steht zu Beginn der 3. Großen Koalition als vermeintliche Verliererin da. Doch verlieren wird und kann auch nur die SPD.

Das Regieren unter Angela Merkel ist zu einem quälenden Prozess verkommen. Entscheidungen werden nicht getroffen, sondern so lange hinausgezögert, bis es nicht mehr anders geht. Warum sollte die SPD daran etwas ändern können, zumal die nächsten Wahlen ihre Schatten schon voraus werfen. Viele fragen, was die Union eigentlich aus ihrem Programm in den Koalitionsvertrag hat einbringen können. Die Antwort: Kaum etwas. Das ist aber keine Niederlage, sondern Absicht derer, die bloß so weitermachen wollen wie bisher. Der Union reicht Angela Merkel als unangreifbare Übermutti und ansonsten reicht es ihr, die SPD in ihrem Eifer auszubremsen.

Nicht nur Merkel, sondern auch Schäuble, der als Finanzminister über besondere Rechte in der Regierungsmannschaft verfügt, werden zu gegebener Zeit intervenieren. Die Vorboten treten bereits in Erscheinung. Die zu kurz gekommenen Jungpolitiker in der Union wie Mißfelder und Spahn kritisieren den Koalitionsvertrag ganz offen, obwohl sie ihn zum Teil selbst mit aushandelten. Über viele Dinge müsse im Verlauf der Legislaturperiode noch einmal gesprochen werden, so die Auffassung. Und das wird auch so geschehen mit Unterstützung der sogenannten Experten an ihrer Seite wie auch den Medien.

Glaube an den Weihnachtsmann

Die SPD hingegen glaubt fest an das Gegenteil und erweckt auch den Eindruck, sie könne in dieser Koalition politische Erfolge erringen. Die Sozialdemokraten scheinen immer noch nicht verstanden zu haben, wie politische Entscheidungen in diesem Land unter Merkel vorbereitet werden. Dabei hätten sie aus der beispiellosen Demontage ihres zunächst gefeierten Kandidaten Steinbrück etwas lernen können. Zu viel Lorbeeren und Bewunderung vom Gegner ist trügerisch. Dennoch nutzte die Parteispitze um Gabriel deren vergiftetes Lob erneut als Argument, um die eigenen Leute in einem aussichtslosen Kampf hinter sich zu scharren.

Politische Entscheidungen unter Merkel werden durch das öffentliche Klima bestimmt. Gerade beim Thema Rente ist der eisige Gegenwind schon deutlich zu spüren. Die Stimmungsmache läuft bereits in den Medien mit Begriffen wie „Wahlgeschenk“ oder „Wohltat“. Die SPD merkt das nicht, sondern sonnt sich noch im Lichte eines Koalitionsvertrages, der nicht das Papier wert sein wird, auf dem er geschrieben steht. Die Sozialdemokraten werden mit einer Union, die sich aufs Bremsen verständigt hat und die Medienmacht im Rücken weiß, um halbherzige sozialpolitische Korrekturen im Koalitionsausschuss ringen müssen, während die Opposition mit der Umsetzung eines viel besseren Pakets frohlockt.

Posten als Belohnung fürs Scheitern in Vergangenheit und Zukunft

Der erhoffte Glanz, von dem auch die Wähler Notiz nehmen würden, bleibt ein frommer Wunschtraum derer, die mit einem Pöstchen im großen Personalkarussell entlohnt worden sind. Union und SPD wollen insgesamt 33 Parlamentarische Staatssekretäre ernennen. Ein neuer Negativrekord. Hinzu kommen die beamteten Staatssekretäre wie der unsägliche Asmussen, der bei der EZB aufgrund seiner mittelmäßigen ökonomischen Fähigkeiten mehr oder weniger kaltgestellt, nun ausgerechnet ins Arbeitsministerium entsorgt werden muss (was genau dahinter steckt, hat Jens Berger etwas genauer analysiert).

Hinzu kommt noch das Bundestagspräsidium, das noch vor Abschluss der Koalitionsgespräche in einem Akt großer Einigkeit zwischen Union und SPD aufgestockt werden musste. Die Posse des Postengeschachers liefert aber die Chefin selbst. Auf ihrer Pressekonferenz kündigte Kanzlerin Angela Merkel eine neue Stelle in ihrer Machtzentrale an. Ein neuer Staatssekretär soll sich um die Belange der Geheimdienste kümmern. Und zwar wegen dem, was andere die NSA-Affäre nennen, sie aber lieber als Angelegenheit bezeichnen würde. Das ist Kanzlerinnen-Duktus und zu diesem passt dann auch Klaus-Dieter Fritsche, der offenbar als Entschädigung für die beim Postengeschacher arg zu kurz gekommene CSU befördert werden soll.

Bleibt eigentlich nur noch Ursula von der Leyen, die künftig das Verteidigungsressort leiten soll. Diese Personalentscheidung gilt als faustdicke Überraschung und als mehr oder weniger gelungener Coup der Kanzlerin. Was daran nun aber gelungen sein soll, erschließt sich wohl nur den Hauptstadtjournalisten. Auf die erste wirklich gute Frage von Günther Jauch (Verstehen sie etwas von Verteidigungspolitik?) antwortete die designierte Ministerin gestern mit einem sehr ausführlich vorgetragenen und bezeichnenden Nein.

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