Das Kontaktparadoxon

Geschrieben von: am 15. Dez 2020 um 8:00

Das Ziel des Lockdowns ist, Kontakte zu reduzieren. Es gehe darum, alle nicht notwendigen Begegnungen mit anderen Menschen zu vermeiden, deshalb müsse man auch Schließungen vornehmen, so in etwa die Position der Regierung. Es habe ja keinen Sinn, wenn die Leute im Theater auf zwei Meter Abstand säßen, dann aber dicht gedrängt in Bus und Bahn unterwegs seien. Auf dem Papier klingt das plausibel, so leicht ist es in der Wirklichkeit aber nicht.

Die Sperrung von öffentlichen Räumen führt nur in der Theorie zu einer Reduktion der Kontakte. Provoziert werden aber auf der anderen Seite mehr Kontakte im privaten Bereich. Das zeigt der gescheiterte November-Lockdown, der wiederholt verschärft worden war, aber kaum bis keine Wirkung entfaltete. Obwohl Restaurants, Freizeit- und Kultureinrichtungen geschlossen waren, verharren die Infektionszahlen auf einem hohen Niveau und nehmen mal zu und wieder ab. Welchen Einfluss hatten also diese Betriebe, die auf den herkömmlichen Publikumsverkehr verzichten mussten, tatsächlich auf das Infektionsgeschehen? Untersucht wird das leider nicht.

Ist es nun wahrscheinlich, dass für die jüngste Entwicklung die noch geöffneten Geschäfte verantwortlich zeichnen? Die Politik erweckt den Eindruck. Die Frage ist aber eher die, ob man kontrollierte öffentliche Räume, in denen behördlich genehmigte Hygienekonzepte existieren, einfach so aufgeben oder jetzt unter weiteren Infektionsdruck setzen sollte. Denn bis Mittwoch wird es ja bestimmt noch einmal einen Run auf die Geschäfte geben. Auf der anderen Seite gelten für den Privatbereich zwar auch Einschränkungen, die kann oder will aber niemand überprüfen. Das heißt, die Lage dort bleibt unübersichtlich und vom Prinzip Hoffnung getragen, dass sich die Bevölkerung doch an die Regeln hält.

So betrachtet, müsste man eigentlich für mehr öffentlich regulierte Räume plädieren, bevor die Partys irgendwo unkontrolliert im Keller stattfinden. Richtig ist aber auch, dass überfüllte Busse und Bahnen ein Problem darstellen. Nur weiß das niemand genau, weil auch das einfach nicht untersucht wird. Der Bundesverkehrsminister brüstet sich dennoch mit einer Studie aus dem Sommer, als die Bahnen halb leer waren und behauptet, hier sei alles in bester Ordnung. Diese Studie hatte zudem nur die Belastung des Zugpersonals untersucht, aber Scheuer übertrug das einfach mal auf die Fahrgäste. Ist das ein sorgfältiger Umgang mit Wissenschaft? Nein, das ist Politik.

Und nur darum geht es. Die Regierung hat keine richtige Strategie und setzt allein auf den Versuch, sämtliche Kontakte zu reduzieren. Doch das ist gescheitert. Verordnungen, die kaum länger als eine Woche Bestand haben, tragen eher zu noch mehr Verunsicherung und Spaltung bei. Die Bereitschaft der Bevölkerung, sich an strikte Regeln zu halten, sinkt in dem Maße, wie die Politik ihre eigenen Ankündigungen wieder kassiert. Die schlichte Fortsetzung der Methode Holzhammer ist daher wenig zielführend, sie auch noch Wissenschaft zu nennen, skandalös. Geboten wäre dagegen eine Strategie, die gesellschaftliche Realitäten endlich anerkennt und den Schutz der Risikogruppen stärker in den Mittelpunkt rückt.


Bildnachweis: Gerd Altmann auf Pixabay

0

Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
  Verwandte Beiträge