Inszenierte Konflikte

Geschrieben von: am 01. Dez 2020 um 9:37

Am Montag sollte eigentlich der letzte Tag eines „Lockdown light“ gewesen sein. Doch aus dem befristeten leichten ist wenig überraschend ein langes Vorhaben mit Endloscharakter geworden, das auch wegen der zunehmenden Kosten immer mehr Unverständnis hervorruft. Und weil der Rückhalt schwindet, auch unter denjenigen, die Lockdowns eigentlich ganz richtig finden, ist ein inszenierter Streit sehr hilfreich.

Der Unions-Fraktionschef im Deutschen Bundestag, Ralph Brinkhaus, hat in der vergangenen Woche Bundes- und Landesregierungen scharf kritisiert „Und plötzlich rechnet Merkels Helfer ab“, war da in den Medien zu lesen. Brinkhaus erwarte, dass die Länder nicht immer nur Beschlüsse fassen und dann dem Bund die Rechnung präsentieren. Am Montag gab es die harte Antwort im virtuellen CDU-Präsidium. Man fordere den Fraktionschef auf, sich künftig zu mäßigen. Was steckt dahinter?

Abwehrhaltung

Mit Sicherheit kein Streit unter Parteifreunden, sondern eine Methode zur Abwehr einer Diskussion, die im Superwahljahr 2021 potenziell gefährlich werden könnte. Es geht um die Kosten der Krise und wer diese bezahlen soll. Forderungen nach einer Besteuerung von hohen Einkommen oder der Vorschlag einer zeitlich befristeten Vermögensabgabe lassen sich inzwischen sehr gut begründen, da die Corona Pandemie die finanzielle Spaltung der Gesellschaft enorm beschleunigt hat. Milliardäre sind nach jeder Krise reicher (siehe auch Die Reichen werden immer reicher). Der von der SPD geforderte Corona-Soli hat die Ministerpräsidentenkonferenz erwartungsgemäß aber nicht überlebt. Schon der Name war ein Griff ins Klo, da Verwechslungsgefahr mit jenem ungeliebten Soli bestand, der im kommenden Jahr weitgehend abgeschafft wird.

So bleibt dem SPD-Kanzlerkandidaten und amtierenden Finanzminister Olaf Scholz nichts anderes übrig, als sich zurückzuziehen und anzukündigen, im Fall eines Sieges bei der Bundestagswahl, die Steuern für Besserverdienende erhöhen zu wollen. Damit machen sich die lahmen Sozialdemokraten erneut einen schlanken Fuß und tun, mangels eigener Wählerschaft, auch niemanden mehr sonderlich weh. So verhalten sich eben Juniorpartner, die es auch bleiben wollen. Für die Union ist es dagegen wie in den vergangenen Jahren ein Leichtes, gegen Steuererhöhungen, die angeblich Familienbetriebe und Mittelschicht (Rückgrat der deutschen Wirtschaft) enorm belasten oder Omas Häuschen gefährden würden, zu polemisieren und Wahlen zu gewinnen.

Schlauer machen es da die Linken, die mit ihrem Vorschlag einer zeitlich befristeten Vermögensabgabe für das oberste Prozent goldrichtig liegen, auch argumentativ. So bestätigt eine DIW-Studie die Angemessenheit der Vorschläge. Nun könnte man einwenden, dass diese Untersuchung von der Bundestagsfraktion selbst in Auftrag gegeben worden ist, doch überzeugt auch so das Ergebnis. Denn der Staat könnte jedes Jahr Milliardeneinnahmen generieren, ohne dass die Superreichen tatsächlich ärmer würden. Deren Vermögen wachsen nämlich weiter, aber nicht mehr so schnell, wie bisher. Eine Vermögensbremse hätte möglicherweise sogar das Zeug dazu, ein populärer Wahlkampfschlager zu werden.

Schwarzer Peter

Das Modell wäre immerhin ein Einstieg in eine gerechtere Lastenverteilung. Es ist nämlich nicht vermittelbar, warum die Quandt und Klattens in diesem Corona-Jahr rund 770 Millionen Euro Dividende für ihre BMW-Beteiligung einstreichen konnten, während die Corona-Helden erneut auf Einkommen verzichten müssen oder als Lohnersatz ausgerechnet Reisegutscheine erhalten. Und weil diese Ungerechtigkeit immer deutlicher zu Tage tritt, bedarf es eines Nebenkriegsschauplatzes, bei dem es so aussieht, als stritten sich die Bundestagsfraktion der Union und die CDU regierten Bundesländer um eine Lastenverteilung, die keine ist. Denn für die Schulden der Länder haftet letztlich der Bund. Der Aufschrei von Brinkhaus ist also reine Spiegelfechterei, wie auch das Interview im Bericht aus Berlin zeigt. Viel kommt da nicht.

Im Kern geht es um etwas anderes. Ab dem Jahr 2022 soll die schreckliche Schuldenbremse wieder gelten. Sicher ist aber auch, dass die Staatseinnahmen dann immer noch geringer sein werden als vor Corona. Steuererhöhungen will die Union aus ideologischen Gründen aber partout nicht vornehmen, bleibt also nur das bekannte Schwarze Peter Spiel. Ausgabenkürzungen sind dann unvermeidlich, werden so aber nicht genannt. Vielmehr ist von Prioritätensetzung die Rede. Es gibt aber auch Buchhalter, wie den Finanzminister Niedersachsens, Reinhold Hilbers, der eine offene Diskussion mit den Menschen darüber führen will, welche Dinge man sich noch leisten wolle und welche man vielleicht in Zukunft nicht mehr leisten könne. Er macht also keinen Hehl daraus, dass es zu einer einseitigen Lastenverschiebung auf große Teile der Bevölkerung kommen muss, obwohl die aber auf öffentliche Leistungen noch mehr als bisher angewiesen sein werden.

Der inszenierte Konflikt lenkt also ab vom eigentlichen Konflikt Arm gegen Reich, bei dem die Klasse der Reichen selbst in der Krise immer obszönere Geländegewinne verbuchen darf. Den Schwarzen und Roten Nullen in der Regierung sei dank. Albrecht Müller schreibt in seinem Buch „Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst.“: „Konflikte werden immer wieder inszeniert oder auch nur genutzt, um gewünschte Botschaften unter die Leute zu bringen.“


Bildnachweis: Screenshot, Bericht aus Berlin, ARD, 29.11.20

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Dieter  Dezember 1, 2020

    Wichtig ist, der Vorschlag von den Linken, ist keine typische Idee von Linken !
    Schauen wir in die große Weltwirtschaftskrise des letzten Jahrhunderts zurück.
    Der Präsident der USA Franklin Delano Roosevelt setzte folgende Maßnahmen durch
    1. Erhöhung der Mindestlöhne um den Binnenmarkt anzukurbeln
    2. Spitzensteuersatz auf 70 %, zwecks Lastenverteilung
    3. Strikte Gesetze gegen Spekulation
    siehe dazu
    „Die Gewinner der Krise – BlackRock und Co. kassieren gleich doppelt“
    https://www.nachdenkseiten.de/?p=59569
    4. Bankenregulierung
    Professor Sinn, der ehemalige Chef vom Ifo Institut sagte, die deutsche Bank hat real 3,5 % Eigenkapital, das ist
    doch so gut wie Nichts ! Er nannte das Kasinokapitalismus. Es wird das große Glücksrad gedreht, wenn es gut
    geht gibt es riesige Rendite. Wenn es schief geht, haftet der Steuerzahler.

    Der Spitzensteuersatz blibt in den USA bis Anfang der 80ziger Jahre immer bei mindestens 70 %.
    Ameriakner die im Ausland wohnten, den wurde bereits bezahlte Steuern im ausland angerechnet, die Differenz musste in den USA bezahlt werden.
    Die Neuverschuldung lag über Jahrzehnte in Höhe der Inflation.
    Unter der neoliberalen Politik von Reagan wurden die Sozialleistungen massiv gekürzt, die Spitzensteuersätze mehrfach gesenkt. Seit dem explodiert die Neuverschuldung in der USA.

    Dazu sagte der Multimilliardär und Finanzguru George Soros. das Festhalten am Marktfundamentalismus seit Thatcher und Reagan hat zu einer Superblase geführt, die nun zu platzen drohe. Der Marktfundamentalismus baseire auf einem Irrtum, Finanzmärkte streben kein Gleichgewicht an.

    Zur sozaieln marktwirtschaft siehe auch Ideen von Lord William Beverridge und „Wohlstand für Alle“ von Ludwig Erhard.

    siehe auch
    „Ich will Ludwig Erhard zu Ende denken“
    https://www.sahra-wagenknecht.de/de/article/987.ich-will-ludwig-erhard-zu-ende-denken.html