Oh Schreck: Griechenland hat keine Verwaltung mehr

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Das Geheule der deutschen Wirtschaft und der Presse über die plötzlich entdeckten Defizite in der griechischen Verwaltung ist skandalös und zynisch zugleich. Keine Woche ist es her, da haben alle noch auf die Durchsetzung des Sparpaketes bestanden, in dem klar vorgesehen ist, 15.000 Staatsangestellte sofort zu entlassen. Bis 2015 soll die Zahl der Entlassungen im öffentlichen Dienst auf 150.000 steigen.

Heute Morgen beklagte sich BDI-Präsident Keitel im Deutschlandfunk über mangelnde Verwaltungsstrukturen. Deutsche Unternehmen würden gern in Griechenland investieren, fänden aber mit Blick auf Steuerverwaltung und Katasterwesen kein funktionstüchtiges Staatswesen mehr vor. Deutsche Unternehmer bräuchten aber Planungssicherheit und verlässliche Rahmenbedingungen, so Keitel weiter.

Zum bisherigen Rettungsverfahren sagte der BDI-Präsident aber, dass die Voraussetzungen für eine Sanierung geschaffen worden sein. Da fragt man sich doch entsetzt, wer hier wen für dumm verkaufen will. Von außen müsse sichergestellt werden, dass Griechenland die versprochenen Anstrengungen auch tatsächlich unternehme. Die ganze Hilfe nütze dann ja nichts, hält der BDI-Präsident fest.

Und da hat er Recht, denn die 130 Mrd. Euro nützen den Griechen und ihrer Wirtschaft auch nichts, weil sie ohne Umweg zur Schuldentilgung eingesetzt werden müssen. Dafür soll zudem ein Sperrkonto sorgen, auf dessen Einrichtung bei den Verhandlungen vor allem der deutsche Finanzminister bestanden hat.

Um eine funktionierende Verwaltung wiederherstellen zu können, die nach Keitels Aussage auch in der Vergangenheit schon nicht bestanden habe,

“Nur das ganze ist unter der Staatsverkrustung irgendwo aus unserem Blick verschwunden.”  

braucht es Personal, dass sich durch die vielen Aktenberge wühlt und für die sprichwörtliche Ordnung sorgt, auf die vor allem die Deutschen so erpicht sind. Das ändert nur nichts an der Tatsache, dass mit den Sparpaketen das Gegenteil bewirkt wird. Dennoch versuchen Schäuble und Co. der deutschen Öffentlichkeit weiszumachen, dass diese Maßnahmen notwendig seien, um die beliebten Strukturreformen durchführen zu können.

Absurderweise wurde vor dem Bekanntwerden der Missstände, die angeblich unter einer “Staatsverkrustung” verborgen lagen, immer behauptet, die griechische Staatsverwaltung sei viel zu überdimensioniert. In feinstem neoliberalen Neusprech sollte der Eindruck vermittelt werden, der öffentliche Dienst in Griechenland stünde beispielhaft für ein Leben über den Verhältnissen. Nun stellt Keitel selbstkritisch fest, dass man die Begebenheiten in Griechenland wohl eher als charmantes Mittelmeerproblem betrachtet habe. Dennoch bleibt er dabei, dass sich ein Land keine Verwaltung leisten könne, die sich nur mit sich selbst beschäftige.

Das ist auch richtig. Allerdings bedarf es mit Sicherheit einer Verwaltung, in der auch Menschen beschäftigt sind.

EDIT: Das Interview kann hier nachgelesen werden:
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1683495/

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Die Erde ist wieder eine Scheibe

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Vor einem Jahr gab Steffen Kampeter (CDU), parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, dem Deutschlandradio Kultur ein Interview, in dem er die neue Leitlinie europäischer Politik auf eine für die Zeit typische Parole brachte:

“Solidarität gibt’s nur im Austausch für Solidität”

Inzwischen ist diese durch und durch undemokratische und grundrechtsfeindliche Vorstellung bei Kampeter und der gesamten Bundesregierung weiter ausformuliert und mit Leben gefüllt worden. Abmachungen zwischen Regierungschefs werden bereits als national und bilateral bindend angesehen, noch bevor die zuständigen Parlamente über die geschlossenen Vereinbarungen abgestimmt haben. Der verfassungsgemäße Ratifizierungsprozess, die Einbeziehung der Legislative und die geforderte Auseinandersetzung mit den Vorschlägen der Regierung,  ist unter der verbalen Peitsche der “Alternativlosigkeit” zu einer reinen Schauveranstaltung verkommen. Demokratie findet nicht mehr statt. Aus Sicht der Exekutive gilt die parlamentarische Zustimmung inzwischen als bloße Formsache. Eine Kontrolle braucht sie zudem nicht zu fürchten.

Warum schreibe ich das? Weil ich entsetzt darüber bin, wie sich Steffen Kampeter heute morgen im Deutschlandfunk zur Griechenlandpolitik geäußert hat. Die Entmündigung von Staaten sei unter dem entleerten Schlagwort “Reformen” einfach hinzunehmen. Die Risikoabsicherung der Kapitalgeber sowie die Meinung ihrer Vertreter aus EU-Kommission, EZB und IWF (genannt Troika) sei unter Preisgabe volkswirtschaftlicher Vernunft und des innergesellschaftlichen wie europäischen Friedens einfach höher zu bewerten. Auf die Frage des Moderators Peter Kapern, wie ein Land, das Hunderttausende arbeitslos mache, wieder auf den Wachstumspfad zurückkommen solle, antwortete Kampeter zweimal nicht, sondern spuckte nacheinander den schon oft gelöffelten, aber nicht verdaubaren neoliberalen Dogmenbrei ins Mikrofon. 

“Reformen” müssen umgesetzt werden, unabhängig von Inhalt und Wirkung der verordneten Dosis. Denn Zweifel am Umsetzungswillen darf es nicht geben. Das beunruhigt schließlich Märkte und lasse auf einen Mangel an Verlässlichkeit schließen. Folglich wird der politische Streit und der Widerstand, den Romantiker und linke Sektierer als letzte demokratische Zuckungen wahrscheinlich missverstehen, auch als hinderlich und überflüssig betrachtet.

“Dass es darüber politischen Streit, politische Diskussion und auch Widerstand in Griechenland gibt, finde ich politisch wie menschlich nachvollziehbar, aber ich sehe keine realistische Alternative, dass die Griechen die Fehlentscheidungen der vergangenen Jahre jetzt aufarbeiten müssen.” 

Menschlichkeit ist für Kampeter nachvollziehbar, aber Unmenschlichkeit offensichtlich “alternativlos”. Politischer Streit und politische Diskussionen sowie der Protest, kurz gesagt: die Demokratie ist für Kampeter gerade noch nachvollziehbar, die Durchsetzung des Gegenteils aber alternativlos.

Obwohl die Wissenschaft durch simple Beobachtung belegt hat, dass die Erde rund ist, behauptet Kampeter und die Bundesregierung, sie sei eine Scheibe. So wie Kampeter reden und antworten nur mittelalterliche Priester und Inquisitoren, denen Aufklärung fremd ist und die Demokratie als Hort der Ketzerei betrachten. Deshalb bauen sie auch auf die Lüge, um ihren schwachen, nein, widerlegten Argumenten demagogische Schlagkraft zu verleihen.

Kapern: Widerstand gibt es zum Beispiel gegen die Forderung der Troika, die Löhne und Gehälter zu kürzen. Widerstand von den Arbeitnehmern, das verwundert noch weniger, aber es gibt auch den Widerstand der Arbeitgeber. Haben die denn alle keine Ahnung von Wirtschaftspolitik?

Kampeter: “Es geht nicht darum, dass hier jetzt Ahnung von Wirtschaftspolitik zu bewerten ist, sondern die Entscheidung, sich auf das Votum der Troika zu verlassen, hat etwas damit zu tun, dass wir uns auf die Kompetenz der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds stützen. Diese Institutionen haben bei der Restrukturierung vergleichbarer Probleme in der Vergangenheit Erfolg gehabt, ich verweise insbesondere auf den Internationalen Währungsfonds, und das ist ein Maßstab, der die Debatte eben aus dem politischen Streit herausführen soll – insoweit, als dass wir dieses Expertenvotum zur Grundlage der politischen Entscheidung machen.”

Der internationale Währungsfonds hat seit 30 Jahren erfolglos Restrukturierungsprogramme an Ländern praktiziert. Immer wieder scheiterte die Strategie des Sparens. Auch mit Blick auf Griechenland ist das bereits sichtbar, wenn man nicht mit verschlossenen Augen oder der Überzeugung eines Wanderpredigers wie Kampeter durch die Welt stolziert. Als Gläubiger einer Irrlehre muss er natürlich eine Erhöhung der Dosis fordern, um von dem verabreichten Gift und der Inkompetenz abzulenken, die auf einer speziellen deutschen Variante wirtschaftspolitischer Scharlatanerie beruht. 

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Mal wieder ahnungslos und offensichtlich manipuliert

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Ich finde es gut, dass im Deutschlandfunk über den Tag verteilt viele Interviews geführt werden. Ich stelle aber auch immer wieder eine Ahnungslosigkeit auf Seiten der Moderatoren fest, die in deren Fragestellungen mehr als deutlich zu Tage tritt. Heute Mittag interviewte Jasper Barenberg den Fraktionsvize der Linken im Bundestag, Jan van Aken, zum Thema Iran. Dabei zeigte sich in den Fragestellungen Barenbergs seine überaus schlechte Sachkenntnis.

 Barenberg: Noch mal zurück, Herr van Aken, zu dem Bericht der IAEO, der Internationalen Atomenergiebehörde. Sie sagen, es gibt keine Informationen darin über ein aktuell laufendes militärisches Atomprogramm. Sie haben aber gleichwohl gesagt, es gibt gute Hinweise, gute Belege für ein solches Programm in der Vergangenheit. Aber dass es keine Indizien für laufende Programme gibt, heißt doch nicht, dass es das nicht mehr gibt?

Barenberg weigert sich zur Kenntnis zu nehmen, dass in dem aktuell diskutierten IAEA-Bericht keinerlei Belege über ein iranisches Atomwaffenprogramm zu finden sind und behauptet stattdessen, dass man aus dem fehlenden Nachweis nicht schließen könne, dass es kein Programm gibt. Super Rechtsverständnis. Im Umkehrschluss ist dann die Tatsache, dass dem Angeklagten die Tat nicht nachgewiesen werden kann, nicht einmal Indizien vorhanden sind, trotzdem ausreichend, um ihn zu verurteilen, weil er die Tat theoretisch begangen haben könnte. In keinem Fall ist er aus Mangel an Beweisen freizusprechen, weil auch schon die Unschuldsvermutung in diesem Fall außer Kraft gesetzt wurde.

In diktatorischen Systemen ist diese Rechtsauffassung vielleicht normal, zu einer Demokratie passt sie nicht!

Barenberg: Nach meiner Wahrnehmung oder nach meiner Kenntnis hat der Iran Gesprächsangebote und Angebote dieser Art, was die Anreicherung von Uran angeht, ja ein ums andere Mal wieder abgelehnt. Also immer der Vorschlag, das zu tun. Und wenn es dann konkret wurde, wurde daraus nichts. Ist das nicht ein Teufelskreis, aus dem wir gar nicht mehr herauskommen?

Hier zeigt sich die totale Unkenntnis in der Sache. Es war der Iran, der zusammen mit den Vermittlern Brasilien und Türkei einen Kompromissvorschlag erarbeitet hat, den der Westen partout nicht akzeptieren wollte und daher die Gespräche immer wieder scheitern ließ. Van Aken gibt die richtige Antwort auf diese ausgesprochen dämliche Frage:

Also, man muss auch sehen, dass Verhandlungen nicht heißen kann, ich stelle eine Forderung und Ahmadinedschad knickt ein oder wir verhandeln nicht weiter. So funktionieren Verhandlungen nicht. 

Doch Barenberg setzt noch einen drauf und recycelt einen Satz, den Ahmadinedschad angeblich gesagt haben soll.

Barenberg: Was die Rationalität des iranischen Präsidenten angeht, da gehen die Meinungen sicherlich weit auseinander. Es gibt andere, die immer wieder verweisen auf die Anwürfe, die es in Richtung Israel gibt, auf die Formulierung, wonach man Israel ins Meer treiben will und die Israelis. Da gibt es sicherlich unterschiedliche Meinungen.

Zunächst einmal ist der falsche Satz schon falsch von Barenberg wiedergegeben. Angeblich gesagt haben soll Ahmadinedschad nämlich, dass Israel von der Landkarte getilgt werden müsse. Und diese Formulierung ist als falsche Übersetzung westlicher Nachrichtenagenturen bereits dokumentiert worden. Ein alter Hut sozusagen. Dennoch muss man dem iranischen Diktator keine feine Kinderstube attestieren. Seine Worte und seine Haltung gegenüber Israel sind da schon klar genug. Ihn und sein Regime aus westlicher Überheblichkeit heraus aber für blöd und irrational zu halten, zeugt jedoch von eigener Dummheit und mangelnder Sachkenntnis.

Dafür ist das Ergebnis irrational, wenn man offen, wie Philipp Mißfelder aus einer Laune heraus – denn Sachkenntnis kann es nicht gewesen sein – mit Krieg droht.

Barenberg: Angesichts der Unsicherheit, Herr van Aken, wir wissen nicht, ob es ein militärisches Programm gibt, ob es wieder angestrebt wird, ist es nicht eine gute Idee, den militärischen Druck aufrecht zu erhalten? 

Was für eine seltsame Logik? Ist es nicht irrational wegen des eigenen Unwissens – also ohne Grund, einem anderen Land Gewalt anzudrohen?

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Interview mit einem “Politikberater” – Oder die Angst der Image-Macher

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Über den Deutschlandfunk muss ich mich heute doch sehr wundern. Erst durfte Wolfgang Gerhard seine Ahnungslosigkeit verbreiten und nun kommt mit Klaus-Peter Schmidt-Deguelle auch noch einer zu Wort, der als Politikberater vorgestellt wird. Die Nähe zum Begriff des Politikwissenschaftlers sollte wohl den Eindruck vermitteln, hier spreche einer, der etwas Substanzielles zur Krisenbewältigung beitragen könnte. Dabei wurde hier jemand befragt, dessen Job das Aufpolieren von Images ist. Der also aus einem Hanswurst einen Sparhans macht, siehe das Beispiel Hans Eichel. Zuletzt wollte Schmidt-Deguelle das ramponierte Image von Carsten Maschmeyer wiederherstellen und scheint auch Erfolg damit zu haben. Aus den Negativschlagzeilen scheint der Drückerkönig aus Hannover inzwischen verschwunden zu sein.  

Schmidt-Deguelle, der beim Deutschlandfunk vor einem Jahr noch als Medienberater galt, durfte nun mit Blick auf die Bundesregierung die Botschaft verbreiten:

„Man hätte die Leute mitnehmen müssen und man hätte sie auch mitnehmen können“

Da stellt sich die Frage, wobei? Die Verdummung des Wahlvolks kann ja nur funktionieren, wenn das Wahlvolk nicht versteht, worum es geht. Der Rösler kann eben nicht einfach hergehen und von Pleite sprechen. Das versteht ja jeder. Er muss lernen, Herrschaftssprache oder PR-Deutsch zu sprechen, wie die Kanzlerin. Bei Schmidt-Deguelle klingt das dann so:

Rösler darf das fordern, aber Rösler ist der Wirtschaftsminister dieser Regierung und nicht nur der Parteivorsitzende. Was ein Gerede, das nicht substanziell begründet ist, auslöst, haben wir gesehen in den letzten Tagen. Es sind Milliarden vernichtet worden, weil ein deutscher Wirtschaftsminister, über dessen Funktion im Ausland sowieso wenig bekannt ist und dessen Bedeutung, damit einmal kurz die Märkte irritiert hat.

Natürlich kann Griechenland Pleite gehen. Natürlich kann Griechenland umgeschuldet werden. Dieser Prozess wird ja auch vorbereitet. Aber er kann nicht so eingeläutet werden, dass das einfach herbeigeredet wird, sondern es muss geordnet gehen. Dafür gibt es im Moment nicht die Instrumente, und die Folgen, die eine Umschuldung Griechenlands für den gesamten Finanzsektor, für die Bedrohung der übrigen schwachen Euro-Länder hat, die müssen händelbar sein, und dafür ist zum Beispiel die Umstrickung, die Umwandlung des Rettungsschirms, des EFSF, und dann die Einrichtung des permanenten Rettungsschirms, des ESM, ja gedacht. Aber das braucht noch seine Zeit. Und jetzt sozusagen im Hauruckverfahren aus Angst vor dem Wahltermin diese Paniksituation heraufzubeschwören, ist absolut unverantwortlich.

Haben sie das verstanden? Falls nicht, hat Schmidt-Deguelle seinen Job gut gemacht. Griechenland kann Pleite gehen und der Prozess wird vorbereitet. Aha. Man dürfe nur nicht einfach so ungeordnet drüber reden. Man brauche erst Instrumente – das heißt einen PR-Berater, der die richtigen Sätze erfindet – um dann geordnet die Menschen in die Irre zu führen.

Der Parteichef – und das gilt in dem Fall auch für die Parteichefin der CDU – hätten von Anfang an anders kommunizieren müssen. Sie hätten kommunizieren müssen, dass dieses Europa ein Projekt ist, das mit diesem Euro steht und fällt. Das haben sie gesagt, aber sie haben nicht gesagt, wie es zu retten ist. Man hat sich von Entscheidung zu Entscheidung gehangelt, ohne es zu kommunizieren.  

Auch dieser Nonsens ist nicht leicht zu entschlüsseln. Kommuniziert wurde ziemlich deutlich, wie “es” nicht zu retten ist, um dann immer genau anders zu entscheiden. Im Grundsatz sagt der “Politikberater” an dieser Stelle aber, dass alle Entscheidungen richtig gewesen seien und nur die Art der Vermittlung falsch war. Das kennen wir zu Genüge. Die SPD glaubt heute noch, ihre Agendapolitik sei richtig gewesen, aber den Menschen nicht gut erklärt worden.

Schmidt-Deguelle hat natürlich etwas gegen das populistische Gehabe von FDP und CSU. Der stumpfsinnige Populismus macht nämlich stumpfsinnige, aber sehr lukrative, Beratung überflüssig.  

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Unerschütterliche Marktgläubigkeit

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In diesen Tagen scheint die Vernunft vollends über Bord zu gehen. Nationale Egoismen, Chauvinismus und billiger Populismus bestimmen das öffentliche Bild. Und Journalisten stehen entweder teilnahmslos daneben oder lassen sich einspannen in die Hetze gegen alles, was Auflage verspricht. Einige glauben auch, die Bildung eines deutschen “Tea-Party” Pendants geortet zu haben. Ich sehe das noch nicht, weil es dafür auch einer breiten Bewegung bedarf. Doch weder die Neonazis aus Meck-Pomm konnten bei den Menschen punkten, noch die Rechtsradikalen aus der FDP werden mit ihrer Haltung über Denkverbote auch nur eine sicher verlorene Stimme retten können. Dafür sitzt bei den Betroffenen die Erkenntnis, gar kein Hotel zu haben, doch noch zu tief.    

Wolfgang Gerhard, der Vorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung und ehemaliger FDP-Chef wurde heute Morgen vom Deutschlandfunk interviewt. Er ist sicherlich kein Rechtsradikaler, aber ein schlichtes und merkbefreites Gemüt von gestern, an dessen liberalen Zwangsgeist die Krise von 2008 buchstäblich vorbeigegangen ist. Er wird in den Nachrichten bloß mit der Aussage zitiert, dass die Debatte um die Griechenland-Hilfe kein Sprengsatz für die schwarz-gelbe Koalition in Berlin sei. Dabei hat er beiläufig das offen ausgesprochen, woran unsere politische Führungselite noch immer leidet. Marktgläubigkeit!    

Im Übrigen haben ja die Märkte eigentlich die desolate Situation in einigen Mitgliedsstaaten der Euro-Zone aufgedeckt, von der sich die Politik oft zurückgehalten hat, sie klar zu bewerten. Es wird bei uns so oft kritisch über Marktwirtschaft geredet. Der Markt deckt politische Fehlleistungen konsequent auf, und das ist in Griechenland klar geschehen. Dort haben Regierungen, gleich welcher Zusammensetzung, nicht die geringste Fähigkeit entwickelt, wirklich mit dem Euro etwas Positives an Chancen für ihr Land zu entwickeln.

Quelle: dradio

Wer nach IKB-Pleite, Lehman-Pleite, HRE-Pleite, Commerzbank-Pleite, der Bildung zahlreicher Bad Banks und einem riesigen Rettungsschirm für die Finanzmarktbranche noch mit seinem gelb lackierten Wagen angebraust kommt und behauptet, der Markt decke politische Fehlleistungen konsequent auf, der muss so furchtbar schnell unterwegs gewesen sein und so wenig von der Außenwelt mitbekommen haben, dass ihm der Flächenbrand auf den Märkten entgehen konnte.

Die politische Fehlleistung besteht doch wohl darin, dass permanente Marktversagen schlicht zu leugnen. Das Auf und Ab an den Börsen hat doch überhaupt nichts mit einem rationalen Verhalten zu tun. Wenn sogar so ein unterdurchschnittlicher Politiker wie Rösler mit einer Bemerkung über Denkverbote die Märkte in Bewegung versetzen kann, ist das ein vollkommen absurder Vorgang. Noch hirnrissiger ist allerdings die Reaktion der Regierungschefin, die ihre Koalitionspartner dazu aufrief, das Sprechen in verständlichen Worten und Sätzen wieder einzustellen und zum bewährten Sprechblasenkonzept zurückzukehren, bei dem selbst die Märkte daran scheitern, den Pudding an die Wand zu nageln.

Aber weil aus Sicht des liberalen Blindfahrers Gerhard die griechischen Regierungen in der Vergangenheit keine Fähigkeit entwickelt hätten, mit dem Euro etwas Positives anzufangen, muss man das Volk dafür bestrafen. Vielleicht will er ja doch noch mit Brüderle, Lindner und Rösler rechts abbiegen, um die zu unrecht kritisch beäugte Marktwirtschaft zu retten. Doch wer lediglich an den Markt glaubt, beweist nur, dass er die Marktwirtschaft nicht verstanden hat. 

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Eurokrise: Wenn Journalisten nicht verstehen, worum es geht

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Im Deutschlandradio gab es heute ein Interview mit dem Grünen-Politiker Sven Giegold über die Eurokrise und seine Vorstellung von einer echten Wirtschaftsunion. Der Moderator Dirk Müller, nicht zu verwechseln mit „Dirk of the DAX“, hat einfach nicht begriffen, worum es Giegold eigentlich ging und was die Ursachen der Krise sind. Prinzipiell ist aggressives Nachfragen gut und erwünscht, allerdings wirkt es in diesem Fall so, als würde der Moderator die Haltung der gängigen Irrlehre unbedingt verteidigen wollen. Deshalb gebe ich hier die Fragen des Moderators wieder und streife nur am Rande die Antworten Giegolds:

Müller: “Herr Giegold, da kann einem ja Angst und Bange werden. Dann haben wir demnächst einen portugiesischen Finanzminister und einen italienischen Wirtschaftsminister. Dann können wir in Deutschland auch gleich einpacken.” 

Was will Müller damit zum Ausdruck bringen? Jetzt haben wir mit Schäuble einen Finanzminister, der nachweislich in die Spendenaffäre der Union verwickelt war und mit Philipp Rösler einen Wirtschaftsminister, der das nur ist, um seine Position als FDP-Vorsitzender zu festigen, ansonsten qualifiziert ihn nichts. Mit diesem armseligen Personal können wir doch heute schon einpacken.

Herr Müller hätte zum Beispiel ein Interview mit Wolfgang Schäuble, das sein Sender ebenfalls heute geführt hat, noch einmal nachlesen können und sich folgende Falschaussage des Finanzministers etwas genauer ansehen sollen:

Schäuble: “Die Euro-Zone ist in einer schwierigen Situation, weil die zu hohen Schulden in einigen Mitgliedsländern das Vertrauen in die Euro-Zone als ganzes gefährden, und deswegen müssen wir gemeinsam handeln und deswegen müssen die Ursachen dieser Vertrauenskrise beseitigt werden. Das sind die zu hohen Defizite in einzelnen Mitgliedsländern.”

Die Ursachen sind eben nicht die zu hohen Defizite. Sie sind bloß Symptome. Die Ursachen sind die fortwährenden Handelsungleichgewichte innerhalb des Währungsraums, die zu beseitigen vor allem eine Aufgabe der Deutschen sein müsste, die mit ihren Exportüberschüssen die anderen Volkswirtschaften erst dazu zwingen, sich permanent zu verschulden. Der Zusammenhang, ohne Verschuldung, kein Exportüberschuss, wird einfach nicht verstanden. Auch von Moderator Dirk Müller nicht, der Sven Giegold in ätzender Weise Vorhaltungen macht, statt kompetente Fragen zu stellen.

Müller: “Herr Giegold, das wird in Deutschland aber nicht so gut ankommen, denn die Deutschen haben alles einigermaßen im Griff. Wir setzen das in Anführungszeichen: Auch wir haben unsere Schuldenkrise, unsere Schuldenprobleme, im Vergleich zu vielen anderen ist das aber politisch produktiv und zu lösen, wie es im Moment der Fall scheint. Die europäischen Interessen lagen, auch die europäischen Auffassungen in der Finanz- und Wirtschaftspolitik gehen doch so weit auseinander, dass Ihr Vorschlag – das sagen die Kritiker – sehr naiv klingt.”[…]

“Haben Sie schon mit den Vorstandschefs von BMW und Daimler gesprochen, dass die Produkte zu gut sind, weil sie dann Exportüberschüsse erzielen?”

Zunächst einmal hat es überhaupt nichts damit zu tun, dass deutsche Produkte zu gut für die Welt sind. Das ist ein beliebtes Argument der Exportfetischisten, um einer unangenehmen Diskussion über Lohnentwicklung und Kostensenkungen aus dem Weg zu gehen. Mal abgesehen von der dramatisch auseinanderklaffenden Lohnstückkostenentwicklung innerhalb der EU, erklärt die Beliebtheit deutscher Produkte im Ausland eben nicht, warum die deutschen Verbraucher eine so krasse Kaufzurückhaltung üben. Sven Giegold weißt darauf hin, dass die deutsche Kaufkraft gestärkt werden müsse, damit andere Volkswirtschaften davon profitieren können, so wie Deutschland umgekehrt davon profitiert hat, dass sich die Schwachländer den Konsum deutscher Waren und Dienstleistungen auf Kredit geleistet haben.

Sven Giegold weist ebenfalls darauf hin, dass ein Kreditgeschäft immer zwei Parteien braucht, Schuldner und Gläubiger. Die Rolle der Gläubiger wird aber immer vernachlässigt. Dabei finanzieren die Exportüberschüsse, für die die deutschen Arbeitnehmer den Gürtel haben enger schnallen müssen, Stichwort Wettbewerbsfähigkeit, den Konsum der Defizitländer. Das heißt, während deutsche Arbeitnehmer auf ihren Anteil am Gewinn durch Lohnmoderation verzichten mussten, wurden erst die Mittel frei für den kreditfinanzierten Konsum der Defizitländer.

Am Ende haben die deutschen Arbeitnehmer dann umsonst verzichtet, weil die Forderungen nicht mehr bedient werden können. Aber selbst das kapiert Moderator Dirk Müller nicht, wenn er einen rigorosen Schuldenschnitt fordert und meint, damit das Fass ohne Boden irgendwie abdichten zu können.

Müller: “Herr Giegold, wir haben vor einigen Monaten bereits begonnen mit der Euro-Krise. Im Grunde ist das ja schon seit über einem Jahr so. Da haben wir begonnen mit Irland, dann kam Portugal dazu, kommt Griechenland dazu. Dann hat man irgendwann gesagt, wir müssen das jetzt machen, wir brauchen den Rettungsschirm, 750 Milliarden Euro, gestern tauchten andere Zahlen auf, bis 1,5 Billionen wurde da gefordert, offenbar von Seiten der Europäischen Zentralbank. Es ist ein Fass ohne Boden, so stellt sich das im Moment dar, und es gibt offenbar keine politische Lösung. Wann wird ein klarer Schnitt gemacht?”[…]

“Entschuldigung, wenn ich Sie unterbreche. Wie oft sollen wir das denn machen? Wir können das doch nicht demnächst für 15 Länder machen. Wir haben das schon für drei getan.”

Dem Moderator Müller wird angesichts der Zahlen und der Horrorvorstellung einer Transferunion ganz schwindelig, und er übersieht dabei das eigene Wohnzimmer. Wie viel hat denn wohl die deutsche Einheit gekostet, die ähnlich katastrophal gemacht wurde wie die europäische Währungsunion? Der teuerste Sonderfonds, umgangssprachlich Sondervermögen oder Schattenhaushalt genannt, war der zur deutschen Einheit mit umgerechnet über 82 Mrd. Euro. Insgesamt flossen seit der Einigung etwa 1,2 Billionen Euro aus Gesamtdeutschland, den Soli zahlen auch die Ossis, in den Osten.

Wer innerhalb eines Währungsraums unterschiedlich entwickelte Volkswirtschaften zusammenfasst, bekommt immer eine Transferunion, weil die schwächere Wirtschaft keine eigene Währung mehr hat, die sie abwerten könnte, um den Wettbewerbsvorteil der anderen auszugleichen. Wer also eine Währungsunion begründet, muss auch eine Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik betreiben, die der Union als Ganzes und nicht nur den wirtschaftlichen Partikularinteressen des einzelnen Teilstaats nützt. Praktisch hieße das, dass sich die Union einem gemeinsamen Inflationsziel verpflichtet und dass die Zentralbank nicht nur auf eine Abweichung von dieser Marke nach oben sondern auch nach unten reagiert.

Denn während die Südländer das gemeinsame Inflationsziel deutlich überschritten haben, hat es Deutschland bis zum Ausbruch der Krise permanent unterschritten. Wenn die Zentralbank nun im Falle einer geringfügig höheren Inflationsrate aus Gründen der Preisstabilität ständig eingreift und mit Anhebung der Zinsen die Konjunktur bremst, vor allem in Ländern wie Deutschland, die ohnehin eine niedrige Teuerungsrate aufweisen, dann müsste sie gleichfalls beschäftigungspolitisch aktiv werden, wenn das Inflationsziel unterschritten wird. Konkret hätte die EZB viel früher die Ungleichgewichte innerhalb des Währungsraums erkennen und entsprechend handeln müssen. Auf die schwache Entwicklung der deutschen Lohnstückkosten (Arbeitskosten korrigiert um Produktivitätszuwächse) hätte frühzeitig reagiert werden müssen.

Quelle: Hans Böckler Stiftung 

Diese Entwicklung ist ein ungerechtfertigter Wettbewerbsvorteil für Deutschland, den man sinnvoller Weise nur dann wieder ausgleichen kann, wenn die deutschen Löhne mittelfristig stärker steigen und die der Schwachländer deutlich schwächer. An dieser Stelle muss noch einmal betont werden, dass dieser Anpassungsvorgang zwischen Ländern mit unterschiedlicher Währung ständig passiert und zwar durch Auf- oder Abwertung der jeweiligen Zahlungseinheit, ablesbar am Wechselkurs. Diesen gibt es innerhalb eines Währungsraums wie der Eurozone aber nicht, weshalb die Anpassung über die Entwicklung der Löhne erfolgt. Der Vorgang ist aber derselbe, weil letztlich in dem einen wie in dem anderen Fall die Kaufkraft entweder stärker oder schwächer wird.

Es ist also völlig deplatziert, wenn so getan wird, als würde man den Deutschen etwas wegnehmen wollen. Besonders albern wird es aber, wenn von den Schuldnerländern eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit gefordert wird, man aber gleichzeitig daran festhält von seiner eigenen Position nichts abgeben zu wollen. Da irrt letztlich auch Sven Giegold:

Giegold: “Das Problem ist nicht, dass die Produkte zu gut sind, sondern das Problem ist, dass die Menschen nicht mehr die Erträge dafür bekommen. Das heißt, es geht nicht, dass ist ein völlig falscher Diskurs zu behaupten, wir müssten weniger wettbewerbsfähig werden. Im Gegenteil: es ist gut, dass Deutschland wettbewerbsfähig ist. Was aber nicht gut ist, ist, dass die Arbeitnehmer in Deutschland 25 Prozent inzwischen im Niedriglohnsektor arbeiten. Würden die ordentlich bezahlt, hätten wir einen gesetzlichen Mindestlohn und würden in die Bildung investieren. Dann würden wir auch wieder mehr importieren und die anderen Länder würden nicht darunter leiden, dass wir gut sind, sondern hätten eben auch was davon.”

Das ist ein Widerspruch. Wenn wir mehr importieren, verlieren wir automatisch Wettbewerbsanteile, es sei denn, wir steigern die Ausfuhren um die Zunahme der Einfuhren. Dann wäre aber nichts gewonnen, sondern das Problem von Überschüssen und Defiziten besteht fort.

In der jetzigen Situation muss Deutschland eine Zeit lang selber Defizite in der Handelsbilanz zulassen, damit die Schuldnerstaaten durch eigene Überschüsse aus der wirtschaftlichen Krise hinauswachsen können. Das bedarf der Steuerung und vor allem der Vernunft. Letztlich ist es die Frage, wem wir mehr vertrauen. Den Finanzmärkten, die ein Land nach dem anderen gegen die Wand spielen oder dem Staat, der zwar von unfähigem Personal gesteuert wird, über das man aber als Souverän wenigstens noch ein Stück weit selbst entscheiden kann.

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Deutschlandradio Kultur, eine Glosse von Tim Lang: "Das Leben ist eine Laufzeit"

Geschrieben von:

Die Glosse von Tim Lang lief vorhin auf Deutschlandradio Kultur. Ein sehr schöner Text über das aktuelle politische Geschehen. Sportlich aufgearbeitet sozusagen. Das sollte man gehört haben. Nicht nur weil alle politischen Irrlichter wie Merkel, zu Guttenberg, Westerwelle, Roland Koch und Thilo Sarrazin, ja sogar die Atom-Lobby drin vorkommen, sondern weil der Autor sich richtig Mühe gegeben hat, einen Radiobeitrag zu machen, bei dem man nicht gleich nach zehn Sekunden gedanklich abschaltet.

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