Wahlrecht der Bockigen

Geschrieben von: am 21. Mrz 2023 um 13:23

Die Ampel-Koalition hat unter großem Protest der Opposition ein neues Wahlrecht durchgesetzt und damit fortgesetzt, was unter der Großen Koalition bereits begonnen worden ist. Die weitgehende Missachtung der Opposition. Nun droht aus purer Bockigkeit mit der nächsten Regierung eine abermalige Änderung des Wahlrechts zugunsten der dann gefundenen Mehrheit.

Die Debatte am vergangenen Freitag war gekennzeichnet vom Frust aller Beteiligten. Die Ampel-Koalition verteidigte ihr Gesetz vor allem damit, der CSU, die seit über zehn Jahren jede Reform blockiert habe, endlich eins auszuwischen. Der CDU-Vorsitzende Merz kündigte wiederum an, beim nächsten Mal, wenn die Union wieder in der Regierung ist, das Wahlrecht erneut ändern zu wollen, wenn vorher nicht schon Karlsruhe einschreitet.

Dort will auch die Linke hinziehen. Sie beklagt vor allem die kurzfristige Streichung der Grundmandatsklausel, die der Partei 2021 trotz des Scheiterns an der Fünf-Prozent-Hürde den Einzug in den Bundestag ermöglichte. Das gelang dank drei gewonnener Wahlkreise, die, folgt man der Wahlkreisprognose, erneut geholt werden könnten. Die Drohung mit dem Bundesverfassungsgericht (BverfG) ist durchaus ernst zu nehmen, da die Urteile der Karlsruher Richter berüchtigt sind und leider mit zum derzeitigen Wahlrechtsschlamassel beigetragen haben.

Das komplizierte Berechnungsverfahren von Ausgleichsmandaten, die durch Überhangmandate nach bisherigem Recht notwendig werden, ist eine Folge der Karlsruher Rechtsprechung von 2012. Damals urteilte das BVerfG, dass das von Union und FDP überarbeitete Wahlrecht verfassungswidrig sei. Es sah Überhangmandate ohne einen Ausgleich vor, was in der Konsequenz zu einer Verzerrung des Wahlergebnis geführt hätte, da vor allem die Union mehr Abgeordnete in den Bundestag entsenden dürfte, als ihr ihr dort nach der Zweitstimme an Sitzen zur Verfügung steht.

In der Folge ging es dann immer darum, den Vorteil der direkt gewonnenen Mandate über jede Reform abzusichern. Das Wahlrecht der Großen Koalition von 2021 sah zum Beispiel vor, drei Überhangmandate gar nicht auszugleichen, was wiederum allein der CSU in die Karten spielte, da die nur in Bayern antritt und daher Überhangmandate mit anderen Landeslisten nicht verrechnen kann. Mit den ersten Hochrechnungen nach der Bundestagswahl 2021 sah es bis zur Berliner Runde im Fernsehen sogar kurz danach aus, dass trotz eines besseren Zweitstimmenergebnisses für die SPD, die Union einen Sitz mehr im Bundestag erringen könnte. Grund: die drei unausgeglichenen Überhangmandate der CSU.

Markus Söder, der dieses kurze Fenster dreist dazu nutzte, einen Machtanspruch zu formulieren, beklagt sich jetzt darüber, dass die Ampel ein Wahlrecht zu ihrem eigenen Vorteil geschnitzt habe. Das hat sie möglicherweise, aber die Empörung des bayerischen Ministerpräsidenten ist wohlfeil. Wäre es nach seiner CSU gegangen, hätte man mit einer Erhöhung der Grundmandatsklausel von drei auf fünf die eigene „Existenz“ zwar locker gesichert, die Linke aber dennoch gnadenlos aus dem Parlament bugsiert. Es kam anders und Alexander Dobrindt wurde, man traute seinen Ohren kaum, plötzlich zum Anwalt der Linken.

Mit der Nichtzuteilung von Wahlkreisen wollen Sie CDU und CSU schaden. Durch die Abschaffung der Grundmandatsklausel wollen Sie Die Linke aus dem Parlament drängen und mit einer offensichtlichen Freude das Existenzrecht der CSU infrage stellen. Dieser Versuch der Wahlrechtsmanipulation verkleinert das Parlament, aber er dient einem anderen Ziel, nämlich den Machtanspruch der Ampel zu zementieren. Und Sie nennen das fair und demokratisch!

Alexander Dobrindt im Bundestag, 17.03.2023

Dabei ist die Debatte um die Direktmandate müßig, schließlich gilt nun für alle – bis auf Einzelbewerber und Minderheiten – die Fünf-Prozent-Hürde als Maßstab. Würde man ein Problem in der Repräsentanz tatsächlich sehen, wäre eine Diskussion um diesen Teil des Wahlrechts zielführender. Vielleicht wäre es angesichts der Differenzierungen in der Parteienlandschaft besser, die Sperrklausel auf 4 oder gar 3 Prozent herabzusetzen. Jedenfalls ist das Argument regionaler Besonderheit von einzelnen Parteien nicht besonders stichhaltig.

Die Linke hat in zwei Berliner und einem Leipziger Wahlkreis gewonnen. Zu behaupten, man vertrete auch heute noch die Menschen aus Ostdeutschland im Bundestag in besonderer Weise, wie Jan Korte in seiner Wutrede behauptete, ist angesichts des Wahlergebnisses von 2021 kaum haltbar. Die Linke verlor im Osten 7,4 Prozentpunkte und holte damit nur noch 10,4 Prozent der Zweitstimmen, im Westen waren es nur noch 3,7 Prozent (ein Minus von 3,7). Die SPD legte im Osten um 10,2 Prozentpunkte auf 24,1 Prozent zu und ist vor der AfD, die um 1,4 auf 20,5 Prozent absackte, stärkste Kraft im Osten.

Damit muss sich die Linke schon an die eigene Nase fassen. Nicht das Wahlrecht ist Schuld, wenn sie so viele Stimmen verliert, und dann auch noch im Osten, dass es nicht mehr für das Überspringen der Sperrklausel reicht. Mit einem Anschlag auf die Demokratie hat das überhaupt nichts zu tun, sondern eher etwas damit, dass die Linke immer weniger Menschen von sich und ihrer Politik überzeugt. Richtig ist aber, dass es der Abschaffung der Grundmandatsklausel überhaupt nicht bedurft hätte, um das eigentliche Ziel einer Verkleinerung des Bundestages zu erreichen.

Dieser Schritt erfolgte auf den letzten Drücker und war, wie bereits beschrieben, ein reines Revanchefoul an der CSU, die bislang jede Wahlrechtsdebatte mit Vorteilen für sich entschied. Doch auch dieses Mal könnte es für die Bayern gut ausgehen, weil sich so eine Unsportlichkeit wunderbar instrumentalisieren lässt. Die Ampel hat also nichts weiter als eine Vorlage für kommende Wahlkämpfe geliefert. Das könnte der Union als Ganzes und der CSU im Besonderen sehr nutzen. In Bayern wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt.


Bildnachweis: Michael Schwarzenberger auf Pixabay

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Jörg Wiedmann  März 21, 2023

    Das Wahlrecht je nach Gusto so zu gestalten, dass man als Partei davon am meisten profitiert um damit seinen Machtanspruch zu zementieren, ist eigentlich ein skandalöser Vorgang.
    Die derzeitige „Mischung“ aus Erststimme „Direktkandidat“ und Zweitstimme “ Listenkandidat“ funktioniert bei derzeit sieben im Bundestag vertretenen Parteien eben nicht mehr.
    Handeln war zwingend notwendig, aber nun gefunde Lösung ist wahrlich nicht „das gelbe vom Ei“
    Ich wäre dafür zu entscheiden ob man künftig nach dem Mehrheitswahlrecht oder nach dem Verhältnisswahlrecht wählen soll. Welches Wahlrecht man bevorzugt muss jeder für sich selbst entscheiden.
    Ich bin ganz klar für das Mehrheitswahlrecht auch wenn dadurch die Parteienvielfalt eingeschränkt wird.
    Aber in Zeiten wo alle Parteien -außer der AfD- komplett „ergrünt“ sind, im Endeffekt eigentlich das gleiche wollen und auch die selben Prioritäten setzen -ganz vorne und ganz wichtig der Kampf gegen den Klimawandel- ist es eigentlich egal welcher Partei der gewählte Abgeordnete angehört.
    Viel wichtiger wäre das endlich wieder Kompetenz in den Bundestag und die Regierung einzieht besonders im Wirtschafts- und Klimaministerium, wo die Wirtschaft leider nur noch eine sehr untergeordnete Rolle spielt.
    Die USA und China reiben sich die Hände und freuen sich über die deutsche Dummheit.