Das neoliberale Weltbild bleibt intakt

Geschrieben von: am 09. Jan 2017 um 9:46

Deutschland sei Hüter der Spielregeln, während die anderen sie immer nur brechen. So retten die Italiener fröhlich ihre Banken, obwohl doch neuerdings die Anleger haften sollen und Portugals Linksregierung macht schon wieder Schulden ohne Ende, obwohl sie doch eigentlich eisern sparen sollte. Und die Griechen sind mal wieder bockig. Nur Deutschland sei ein Musterschüler, fahre Rekorde beim Export ein, schaffe ausgeglichene Haushalte mit schwarzer Null und halte eine Schuldenbremse vorbildlich ein. So oder so ähnlich hört man es schon wieder von deutschen Qualitätsjournalisten, die sich allenthalben darüber beklagen, dass Fakten immer seltener zur Kenntnis genommen würden. Dabei sind sie es, die einen Glauben predigen, nur um das neoliberale Weltbild über die Zeit zu retten.

So haben Journalisten das nächste Schicksalsjahr schon ausgerufen und ihre Blut, Schweiß und Tränen Elaborate vermutlich griffbereit in der Schublade liegen. Auf europäischer Bühne steht der Brexit bevor, dazu gibt es Wahlen in Frankreich und den Niederlanden. Ein Rechtsruck und das Ende der EU wird befürchtet. Auch in Deutschland liegen die Nerven des schreibenden Establishments blank. Die Demokratie meldet sich nämlich in diesem Jahr gleich mehrfach zurück und die Angst vorm Wähler steigt. Erst schreitet das Saarland (26. März) zur Urne, dann Schleswig-Holstein (7. Mai), schließlich NRW (14. Mai) und im heißen Herbst auch noch das komplette Bundesgebiet (Termin Ende September noch offen).

Ein alter Hut

Befürchtet wird nun ein Jahr voller Fake News und natürlich Angriffe russischer Hacker, die als Ursache für Wahlausgänge herhalten müssen, weil es den gut verdienenden Umfrageinstituten schon lange nicht mehr gelingt, treffsichere Prognosen abzuliefern. Ich sehe die Berliner Runde schon vor mir, wenn statt der üblich versammelten Parteienvertreter der zugeschaltete Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen zum Ausgang der Wahl befragt wird. Er wird dann vermutlich antworten, dass es immer noch viele Indizien (aber leider keine Beweise) gegen Russland gebe und der Wahlausgang dem Umstand fortlaufender Desinformation geschuldet sei.

Dabei haben die neoliberal geprägten Nachkommen der geistig-moralischen Wende die Desinformation quasi erst salonfähig gemacht. Indem sie zuletzt unter anderem behaupteten, die Bankenkrise sei eine Staatsschuldenkrise und die Austeritätspolitik eine erfolgversprechende Therapie. Sie behaupteten auch ein schlanker Staat, dessen Aufgaben möglichst umfassend privatisiert gehören, käme allen zugute, öffentliche Schulden wären ja furchtbar schlecht und ausgeglichene Haushalte Ausdruck einer soliden Finanzpolitik. Seit den 1980er Jahren prägen im Grunde Fake News die Agenda.

Apropos Agenda, die Version 2010 kann getrost als Mutter aller Falschnachrichten betrachtet werden. Bis heute wird die Schaffung eines wuchernden Niedriglohnsektors mit prekären Jobs in Leih- und Zeitarbeit als gelungene Flexibilisierung des Arbeitsmarktes gefeiert. Bis heute wird die Einführung der auf ganzer Linie gescheiterten Riester-Rente als richtiger Schritt bezeichnet und weiterhin so getan, als führe an der krisenanfälligen privaten Altersvorsorge trotz zunehmender Altersarmut auch künftig kein Weg vorbei. Bis heute wird den Beschäftigten bei jeder Tarifrunde klargemacht, Lohnsteigerungen hätten wenn überhaupt nur moderat zu erfolgen, egal, ob die Wirtschaft gerade wächst oder schrumpft.

Das alles war bisher Glaubenssache, da das Wissen und vor allem die Erfahrung als Alternative (siehe Endlosdebatte um den Mindestlohn) nie infrage kam. Kritik am Weltbild der Neoliberalen wird auch weiterhin als linkes Geschwätz abgetan. Und nun wächst die Furcht vor einer Partei, die die gepredigte Alternativlosigkeit wie keine zweite verinnerlicht hat und diese, nur in schärferen Tönen ausgerechnet als Alternative anzupreisen versteht. Das wäre gerade ein Treppenwitz der Geschichte, sollte es so kommen und die AfD weitere Wahlerfolge mit einem Programm erzielen, das im Grunde genommen bloß ein Abklatsch der „Altparteien“ ist, also Mainstream.

Ungenießbarer Einheitsbrei

Noch passt das den anderen ganz gut in den Kram. So fällt es der SPD angesichts der AfD-Erfolge leichter, links zu blinken – also eine linke Alternative bloß anzutäuschen -, um dann doch mit dem Wunschpartner Union aus diesmal wirklichen Mangel an Alternativen zu kooperieren. Bis heute müssen die Genossen ja erklären, warum sie nicht schon längst ihre Inhalte durchsetzen, die teilweise auch bei Grünen und Linken Zustimmung fänden. Die Mehrheit dazu wäre ja rechnerisch im Bundestag noch da. Stattdessen lamentieren Gabriel und Co lieber öffentlich herum, dass mit den „Schwatten“ leider nicht mehr möglich und die Linke nicht regierungsfähig sei.

Die Hardliner in der Union freuen sich natürlich auch. Denn was sich ja nicht ändert, ist die bornierte Wirtschafts- und Fiskalpolitik. Stattdessen werden jetzt Asyl- und Sicherheitsgesetze oder das Strafrecht im Akkord verschärft und zum Dauerthema des Wahlkampfes gemacht. Grundrechte werden ohne große Widerstände kurzerhand aus dem Weg geräumt, und unter dem Label „Stärkung der inneren Sicherheit“ wird an einem autoritäreren Staatsverständnis gearbeitet. Das aggressive Auftreten der AfD spielt so gesehen Ministern wie Schäuble und de Maizière in die Hände, deren radikale Gesetzesvorschläge, die sie schon immer im Köcher hatten, dann vergleichsweise mild erscheinen.

Der Erfolg der AfD nützt also denen, die eine wirklich linke Alternative verhindern wollen. Das zeigt die jüngst wieder neu entfachte Debatte um Aussagen von Sahra Wagenknecht, die erneut als AfD-nah bezeichnet wurden. In Wirklichkeit sitzen auch hier CDU/CSU, SPD und Grüne mit der AfD in einem Boot, um von ihrem politisch ungenießbaren Einheitsbrei abzulenken. Und dieser Einheitsbrei speist sich aus den neoliberalen Grundzutaten: schwacher Sozialstaat, Privatisierung von Renten und anderer öffentlicher Leistungen sowie Lohndumping. Schade ist, dass sich auch Teile der Linken an dieser Diffamierungskampagne gegen die eigene Spitzenkandidatin beteiligen und die Strategie der Mainstream-Meinungsmacher nicht durchschauen. So wird nie ein Politikwechsel gelingen, dafür werden aber Wahlerfolge der AfD um so wahrscheinlicher. Merkel wird es freuen. Sie bleibt Kanzlerin.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Gunther Sosna  Januar 9, 2017

    Eine durchaus treffende Beschreibung des Zustands, wenn sie verkürzt wird auf Parteien und deren vermeintliche Wichtigkeit. Der wirklich relevante Player wird durch die „neoliberalen Grundzutaten“ nur angedeutet: Das Kapital. Und das wird niemand abwählen, egal wer gewählt wird.