Machtproben: Spieglein, Spieglein an der Wand

Geschrieben von: am 08. Feb 2022 um 12:09

Egal ob Washington oder München, die neue Ampel-Koalition wird außen- wie innenpolitisch mächtig unter Druck gesetzt. Es sind Machtproben, um zu testen, wie stark die neue Regierungsmannschaft tatsächlich ist. Hinzu kommen die Spitzen aus den eigenen Reihen. Denn auch unter den drei Partnern gibt es ein ständiges Kompetenzgerangel. Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der Mächtigste in unserem Land?

Bundeskanzler Olaf Scholz absolviert in Washington gerade seinen Antrittsbesuch beim lieben Joe. Der stellte in der gemeinsamen Pressekonferenz am Abend klar, dass die Amerikaner die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 zu verhindern wissen, sollte Russland in die Ukraine einmarschieren. Die USA entscheiden also darüber, wie Deutschland seine Energieversorgung organisiert? Ein Affront, nein natürlich nicht, denn deutsche Medien fragen sich schließlich auch, warum die Bundesregierung nicht bereit ist, den Ast abzusägen, auf dem das Land heiztechnisch sitzt. Scholz ließ das erwartungsgemäß unkommentiert und sagte nur, dass man im Falle des Falles mit den Freunden gemeinsam entscheiden werde. Gabor Steingart meint heute morgen in seinem Briefing, „Olaf Scholz bleibt Olaf Scholz. Er zeigt sich, aber gibt sich nicht zu erkennen.“

Er zeigt sich, das stimmt, sogar im Pullover, worüber das Land dank kompetenter Medienfachleute, die wissen, wie man ein Smartphone als Fotoapparat in Flugzeugen benutzt, ebenfalls diskutiert. Aus Mangel an inhaltlichen Erkenntnissen bleiben eben nur noch Äußerlichkeiten. Nicht, dass ein Leser hinterher noch sagt, der üppig ausgestattete Pressetross hinterlasse als bleibenden Beitrag kaum etwas mehr, als einen schmeichelhaften CO2-Fußabdruck. Wenn das die Aktivisten der letzten Generation wüssten, die mit Transparenten nicht den Start von Regierungsmaschinen behindern, sondern normale Bürger auf dem Weg zur Arbeit, sehe die woke Welt vermutlich noch etwas grüner aus. Apropos, die moralische Blasiertheit von Grünen und Roten wird innenpolitisch immer mehr zum Problem. Der Habitus, der mit reichlich Gequatsche über Solidarität angereichert wird, passt nicht zum Spiel der Macht. Die dunkle Seite hat nämlich von Moral noch nie etwas gehalten und ist damit immer sehr gut gefahren. Auch jetzt wieder.

Nach dem Motto getrennt marschieren, gemeinsam schlagen, bläst die Union zum Angriff auf die Ampel, wobei im Falle der Impfpflicht, das getrennte marschieren gar nicht mehr notwendig ist, allenfalls ein paar Honoratioren mit Nähe zur Union spielen ihre Empörung über die jüngste Volte des bayerischen Ministerpräsidenten ihren Followern vor. Der hatte gestern angekündigt, die einrichtungsbezogene Impfpflicht großzügigst (sic!) ignorieren zu wollen. Der neue CDU-Vorsitzende Friedrich Merz forderte danach ebenfalls eine Aussetzung für ganz Deutschland und der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Tino Sorge, begründete, im Moment sei eine Impfpflicht gar nicht umsetzbar. Das ist auch vollkommen korrekt. Schließlich hatte der grüne Lauterbach-Ersatz für Talkshow-Auftritte, Janosch Dahmen, naiverweise angekündigt, das eigene Gesetz wegen einer offenkundigen Fehlwirkung nachschärfen zu wollen. Ein gefundenes Fressen für gestandene Machtpolitiker, zu denen der grüne Expertendarsteller eindeutig nicht gehört.

Fehlende Rationalität

Dafür erhält er nun viel Unterstützung aus den eigenen Reihen. Das gebietet die Solidarität. Nur sie nutzt nichts gegen die normative Kraft des Faktischen. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht kommt zu spät, hätte somit gar keinen Einfluss auf die aktuelle Welle mehr. Selbst wenn das Argument des Fremdschutzes zuträfe, träfe es doch konkret nicht zu. Selbst der oberste Patientenschützer hält nichts von einer Impfpflicht. Die Ampel vorzuführen ist damit keine große Kunst mehr, auch deshalb, weil sie innerhalb der Koalition gar keine Mehrheit für irgend eine Impfpflicht mehr besitzt. Die FDP versucht gerade, den Leiter des RKI abzuschießen, weil irgend jemand die Verantwortung für das Scheitern der gesamten Corona Politik übernehmen muss. Die Beschimpfung von Teilen der Bevölkerung zieht kaum noch und der Protest gegen die zunehmenden Coronaproteste ist mit seltsam noch freundlich umschrieben. Grüne und SPD stecken in einem Dilemma, weil sie erkennen müssen, dass Moralapostel wie sie vielleicht noch unbeliebter werden könnten, als notorische Impfverweigerer.

Jedenfalls sinken die Umfragewerte der Ampelmänner und Frauen deutlich. Das wird auch so bleiben, wenn die Politik weiter auf das Mittel der Rationalität verzichtet. Eine Impfpflicht braucht zum Beispiel Wirksamkeitsbelege, also nicht irgend ein haltloses Gerede über Fremdschutz, sondern einen belastbaren Beweis, dass dadurch die Impfquote auch tatsächlich erhöht werden kann. Das ist mehr als zweifelhaft, da seit Einführung von Maßnahmen wie 2G und insbesondere 3G am Arbeitsplatz eine Impfpflicht durch die Hintertür seit mehreren Wochen de facto existiert. Wie hat sich diese indirekte Impfpflicht nun auf die Impfquote ausgewirkt? Und ist es plausibel, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht an dieser Rate noch etwas ändert oder doch wie mittlerweile befürchtet, nur für Unruhe sorgt, die niemandem etwas bringt, vor allem den zu Schützenden nicht? Noch ist Zeit für eine Korrektur. Die zur Schau gestellte Empörung bei gleichzeitiger Entschlossenheit bleibt ohnehin unglaubwürdig, wenn sich dieselbe Regierung bei der allgemeinen Impfpflicht in großzügigster Zurückhaltung übt.

Statt mehr Fortschritt zu wagen, hat sich die Ampel aus purer Dummheit in Rückzuggefechte drängen lassen. Das lernt auch der Superminister Robert Habeck gerade, der nach der Aussetzung eines KfW-Programms seines Vorgängers einen größeren Shitstorm erlebte. Klimaschutzminister kappt die Förderung für energieeffiziente Häuser? Skandal! Ja, das klingt blöd, allerdings bedient das Programm tatsächlich eher Mitnahmeeffekte. Mit anderen Worten. Neue Einfamilienhäuser würden auch ohne die Staatsgelder entstehen, da die Investitionssummen entsprechend hoch sind. Von den Mieten her gedacht, ergeben staatliche Förderungen natürlich immer Sinn. Nur dann muss man das auch entsprechend steuern, etwas dass die dunkle Seite der Macht aber eher selten im Sinn hat. Obwohl die Union nicht mehr regiert, regiert sie dann in solchen Fragen immer noch mit. Die Ampel muss also noch zeigen, wie mächtig sie tatsächlich ist.


Bildnachweis: JensG auf Pixabay

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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