Mit Pendelquarantäne zu #ZeroCovid?

Geschrieben von: am 25. Jan 2021 um 11:00

Derzeit findet eine Diskussion über einen absurden Vorschlag statt, der als #ZeroCovid bezeichnet wird. Befürworter verteidigen die radikale Idee als Konsequenz aus dem bisherigen Scheitern der Pandemiebekämpfung, obwohl der Wunsch nach immer härteren Lockdowns stets erfüllt worden ist. Doch auch dieser Aufruf kommt an der bitteren Realität nicht vorbei, die derzeit noch absurdere Verfahrensweisen hervorbringt. Die Pendelquarantäne ist so eine Entwicklung, die gerade für Mitarbeiter eines Berliner Klinikums verfügt worden ist, weil die sich mit einer neuen Mutante des Coronavirus infiziert haben.

Die Krankenhäuser sind gut gefüllt und die Patienten müssen weiter versorgt werden. Was also tun, wenn Ausbrüche des Coronavirus in den Kliniken festgestellt werden, frisches Personal als Ersatz aber gerade nicht zur Verfügung steht. Man lässt die Infizierten, die sonst ganz schnell als Erkrankte, die abzusondern sind, in der Statistik geführt worden wären, einfach weiterarbeiten. So war es eigentlich schon immer während dieser Pandemie, bei der weniger das Virus und seine Mutanten die Probleme bereiten, als vielmehr die Folgen des neoliberalen Gesellschaftsmodells mit seiner betriebswirtschaftlichen Logik der maximalen Verwertbarkeit bei minimalen Kosteneinsatz.

Unter diesen Bedingungen entsteht dann auch so etwas wie Pendelquarantäne, bei der die Beschäftigen mit dem Bus nicht mehr zum Einkaufen fahren können, um sich selbst und ihre Kinder zu versorgen, dafür aber zur Arbeit, um dort Patienten weiter zu pflegen. Zunächst war unklar, ob der Weg zwischen Wohnung und Krankenhaus auch mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden dürfe, was natürlich in Vorstellung und Umsetzung noch absurder gewesen wäre. Schließlich haben Nachfragen ergeben, dass spezielle Fahrdienste für die rund 1.700 betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingerichtet werden sollen. An dem grundsätzlichen Problem ändert das aber nichts.

Die Strategie eines noch härteren Lockdowns mit anschließender Positivagenda, also kollektiver Feier wie in Melbourne Australien (übrigens nach 4 Monaten Dauerlockdown) klingt hübsch, ist hier aber nicht umsetzbar. Selbst die australischen Experten halten ihre „erfolgreiche“ Strategie eigentlich nicht auf Europa übertragbar. Folgt man deutschen Top-Virologinnen auf Twitter müsste das dann aber auch als „bla, bla, bla“ eingeordnet werden. Doch vielleicht schaut man auch deshalb nach Australien, um sich mit den konkreten Barrieren hierzulande nicht weiter auseinandersetzen zu müssen. So wird beispielsweise „Homeoffice, wo möglich“ vorgeschlagen. Wo ist das aber möglich? Gerade viele Ämter haben auf Nachfrage signalisiert, das gar nicht umsetzen zu können, weil die erforderliche Hardware fehlt und die Sache mit der Digitalisierung immer noch in den Kinderschuhen steckt. Da die Behörden als Vorbilder selbst ausfallen, werden die Unternehmen eine verordnete Pflicht nicht unbedingt konstruktiv begleiten.

Jeder ambitionierte Vorschlag scheitert also immer an derselben unumstößlichen Tatsache. Schwarze Null und Schuldenbremse haben dazu geführt, dass öffentliche Leistungen, die man für ein derartiges staatliches Eingreifprogramm benötigen würde, gar nicht vorhanden sind. Durch das Fehlen der erforderlichen öffentlichen Ressourcen werden die Maßnahmen dann eben offiziell durch so etwas wie eine „Pendelquarantäne“ unterlaufen oder inoffiziell durch Friseure, die in Kellern Haare schneiden. Das Verhalten der Menschen ist immer noch maßgeblich für den Erfolg einer jeden Strategie. Doch hier zeigt sich eindeutig, je härter die Maßnahmen werden, desto geringer fällt die Unterstützung für diese aus, auch weil die Politik ständig mit einer Positivagenda operiert, das Versprechen am Ende aber nie einlöst.

Zu glauben, dass es nun mit der Forderung nach einem richtig harten Lockdown oder was auch immer besser würde, ist naiv, dient aber vielleicht auch dazu, die Fehler, die bislang gemacht worden sind und die damit einhergehende Verantwortung ein Stück weit auszublenden. So ist immer behauptet worden, ein Schutz der Risikogruppen allein sei nicht möglich. Folglich ist auch nie der Versuch ernsthaft unternommen worden, erst im Dezember folgte ein Umdenken, das aber nicht zu konsequenteren Handeln führte. Im Ergebnis haben die bisherigen Lockdowns daher nicht dazu beigetragen, dass die Infektionen in der älteren Bevölkerungsgruppe abklingen, sondern im Gegenteil sogar noch zugenommen haben. Von diesem Versagen wollen die Initiativen, die jetzt lautstark auftreten, offenbar ablenken. Es bleibt dennoch die Frage, warum so etwas wie ZeroCovid mit allen Konsequenzen für die Gesellschaft auf einmal funktionieren können soll, wo doch der speziellere Schutz der Risikogruppen schon als nicht machbar abgelehnt worden war.

Ist nicht ein ganz anderer Aufruf angebrachter? Und zwar einer, der die jahrelange Sparpolitik verurteilt und ein Umdenken bei der Finanzierung und Ausstattung der öffentlichen Infrastruktur sowie Daseinsvorsorge einfordert? Was wird getan, um den seit Ewigkeiten bestehenden Mangel an Personal in systemrelevanten Berufen zu beheben? Wann werden die Arbeitsbedingungen endlich verbessert? Warum wird schon wieder über Haushaltskonsolidierung gesprochen, obwohl die Lockdown-Logik fortbesteht, die weitere Schäden in Milliardenhöhe zur Folge hat? Müsste der Aufruf statt #ZeroCovid nicht eher #StopNeoliberalism heißen?


Bildnachweis: Screenshot rbb24, 25.01.2021

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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