Nur noch ein Nischenprodukt

Geschrieben von: am 13. Sep 2012 um 22:34

Das Grundgesetz ist zum Schirmständer des ESM geworden. So karikiert Klaus Stuttmann das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. In dieser Woche als Medien-Event angekündigt, entpuppt sich die alles-oder-nichts Entscheidung des BverfG bei genauerer Betrachtung doch als wenig spektakulär. Sicherlich dürfen jetzt nach oben hin begrenzte Mittel über den ESM an Staaten ausbezahlt werden. Doch welchen Sinn hat der begrenzte ESM überhaupt noch, wenn daneben die EZB damit droht, die Bazooka mit unbegrenzter Feuerkraft auszupacken? Hinter der Zentralbank verkommt der ESM zum reinen Nischenprodukt. Viel Lärm um Nichts, könnte man sagen.

Vielleicht will Bundesfinanzminister Schäuble ja deshalb gegen die EZB klagen, weil er um die Bedeutung eines hart erkämpften Mechanismus bangt, in dem die Bundesregierung noch das Sagen hat. Dabei will auch die EZB Staatsanleihen nur dann wirklich aufkaufen, wenn sich die Krisenländer an eine wie auch immer geartete Austeritätspolitik halten. Hier geht es doch nur um Spielchen, die den Wähler beeindrucken sollen. 

Man könnte ja auch zu der spannenden Frage kommen, wie ein verfassungskonformer Rettungsschirm mit Zahlungsverpflichtung zu einer ebenfalls verfassungskonformen Schuldenbremse passt. Die Antwort darauf liegt wie immer im Sozialetat, den zu kürzen bis jetzt noch jede Regierung als alternativlos betrachtet hat.

Das Grundproblem wird bei all dem Geschnatter über ESM und Fiskalpakt schlichtweg ausgeblendet. Wenn sich keiner an die vereinbarte Zielinflationsrate hält, funktioniert auch die Eurozone nicht. Wer Überschüsse für erstrebenswert und richtig hält, muss auch die Defizite der anderen akzeptieren. Doch der starre Blick auf nationale Haushalte und die Inlandsverschuldung, die, wenn man wollte, ja beherrschbar wäre, führt zu einer substanziellen Wahrnehmungsstörung.

Die Defizite der Krisenstaaten sind durch den Transfer von Auslandskapital ja überhaupt erst entstanden. Der freie Waren- und Kapitalverkehr gehört zu den Grundpfeilern der Europäischen Union. Innerhalb der Eurozone sind dann aber nicht nur die Kreditnehmer, sondern auch die Kreditgeber als Teil derselben Gleichung zu betrachten. Das ist sicher schlecht für deutsche Arbeitnehmer, denen jahrelang weisgemacht wurde, ihr Konsumverzicht hätte irgendeinen tieferen Sinn. Um die Illusion aber aufrecht zu erhalten, wonach ein Schuldschein mehr wert sei, als reale Waren und Güter, betreibt die Bundesregierung die größte Gläubigerrettungspolitik aller Zeiten.

Die Forderungen müssen ihren Wert behalten, damit der deutsche Michel am eingeschlagenen Irrweg ja nicht zweifelt und artig seinen Gürtel noch ein Stückchen enger schnallt. Immer in der Hoffnung, irgendwann einmal dafür belohnt zu werden. Bundespräsident Gauck faselte neulich bei starker Sonneneinstrahlung: „Wir stehen vor Unsicherheiten, aber nicht vor dem Abgrund“. Er kann das freilich behaupten, er stand ja nicht, sondern saß auf dem Podium.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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