Journalistisches Herdenverhalten

Geschrieben von: am 09. Mai 2012 um 15:08

Jens Berger schreibt in seinem Artikel, Die Angst der Eliten vor dem Volk, über die Furcht der deutschen Presselandschaft, die eine Berichterstattung ganz im Sinne der von Merkel propagierten “marktkonformen Demokratie” betreibe.

Jede Art von Politik, die „die Märkte verunsichern“ könnte, wird verteufelt, Kritik an der neoliberalen Agenda ist unerwünscht. […]

Kann es jedoch auch sein, dass der Terminus „Finanzmärkte“ in diesem Kontext nur ein Synonym für die Meinung der „200 reichen Leute“, die „Eliten“, ist, die Sethe anführt?

Das mag schon stimmen, allerdings ist die Meinungsmache doch wohl eher einem Herdenverhalten von Journalisten geschuldet und weniger einem aktiv zum Ausdruck gebrachten Verleger-Willen. Ich glaube, die “200 reichen Verleger-Leute” müssen ihre Tintenknechte gar nicht mehr instruieren und auf Linie bringen. Denn wie an der Börse folgt die Herde inzwischen einem Trend und jeder noch verbliebene statt marktkonform verblichene Journalist schreibt vom anderen ab.

Es geht ja auch gar nicht mehr anders, wenn man bedenkt, dass Kosteneinsparungen und das Ausdünnen von Redaktionen auch zum betriebswirtschaftlichen Optimierungskonzept der Meinungsmacher zählen.

Wie an der Börse kommt es bei den Schreibenden nur darauf an, eine Geschichte glaubhaft zu machen und schon springt der Rest auf den fahrenden Zug mit auf. An der Börse bestimmen Gerüchte den Kursverlauf und die volkswirtschaftliche Realität tritt eher in den Hintergrund. In der Presse läuft es ähnlich. Wenn alle schreiben, dass eine Zunahme der Verschuldung nur eine Staatsschuldenkrise sein kann, die ihren Ursprung in einer zu lasch betriebenen Haushaltspolitik habe, trifft das ja auch spontan auf die Zustimmung der Kundschaft, die schon immer fest daran glaubte, dass der Staat viel zu viel Geld ausgebe und zu wenig spare.

Eine differenzierte Betrachtungsweise über die Unterschiede und die Notwendigkeit von Verschuldung findet nicht statt. Stattdessen macht sich die Politik die Haltung der Presse wiederum im Wahlkampf zunutze, um eine absurde Zuspitzung der Lage und der Lager zu erzielen. So möchte Norbert Röttgen in NRW zum Beispiel die anstehende Landtagswahl zu einer Abstimmung über Merkels Europakurs umfunktionieren, der nach der Wahl in Frankreich in Gefahr geraten sei. Merkel brauche für ihre Politik die Rückendeckung aus dem bevölkerungsreichsten Bundesland – statt einer fortgesetzten rot-grünen Schuldenpolitik, heißt es.

Selbst die FDP, die ohne Schulden im eigenen Parteihaushalt gar nicht mehr auskommt (8,5 Millionen allein bei der Bundespartei), beklagt eine Schuldenabhängigkeit des Staates, die von rot-grün weiter vorangetrieben würde und propagiert gebetsmühlenartig eine Konsolidierungspolitik, die ab einem bestimmten Zeitpunkt gänzlich auf die Aufnahme neuer Schulden verzichten soll. Das ist durchaus revolutionär, weil es Banken überflüssig machen würde. Die Forderungen nach einer Schuldenbremse, Schuldenfreiheit und einem ausgeglichenen Haushalt ohne neue Schulden sind aber mit dem Wirtschaftssystem, dass die freiheitsliebenden Parteien für alternativlos halten, einfach nicht vereinbar.

Das müsste eigentlich jeder normale Mensch spüren und wissen, dem der Begriff und die Bedeutung einer Investition geläufig ist. Die kann nämlich nur getätigt werden, wenn ein anderes Wirtschaftssubjekt spart, was nichts anderes als den Verleih von Geld bedeutet, für den es logischerweise auch Zinsen gibt. Ohne Staatsschulden oder mit einer Begrenzung derselben, wäre auch die von den gleichen politischen Kräften immer wieder propagierte private Altersvorsorge hinfällig. Es gebe ja dann keine Anlagemöglichkeit mehr, um Erspartes theoretisch in die Zukunft zu transferieren, was praktisch ohnehin nicht möglich ist. Aber das steht ja nicht zur Debatte, sondern die Widersprüchlichkeit in der neoliberalen Politik, die gerade den Medienschaffenden auffallen müsste.

Journalistisches Herdenverhalten ist daher kein Beleg für eine gezielt abgesprochene Meinungsmache, sondern viel eher ein Beweis für mangelnde Qualität. Zum Glück, und das stellt Berger richtig fest, interessiert unseren “Qualitätsjournalismus” trotz leichten Zugangs im Ausland niemanden.    

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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