Nichts gelernt, das Ziel bleibt "Minimalstaat"

Geschrieben von: am 11. Mai 2009 um 17:01

Das können sie sehr schön aus zwei Meldungen dieser Tage herleiten. Zum einen möchte Merkel in der Tradition der Chicago Boys, auch in der Krise die Steuern weiter senken und auf weitere staatliche Impulse zur Unterstützung der Konjunktur verzichten. Zum anderen möchte Innenminister Schäuble mit Billigung Merkels eine Grundgesetzänderung herbeiführen, die es künftig zulässt, dass die Bundeswehr auch polizeiliche Aufgaben übernehmen kann. Das Ganze läuft etwas verschleiert unter dem Schlagwort „Priatenabwehr“.

Aus diesen beiden Meldungen kann man nun die Grundkonzeption der Union beschreiben. Nach wie vor geht es hier um eine ganz bestimmte Vorstellung vom Staat. Es geht um den „Nachtwächterstaat“, dessen Kennzeichen idealerweise darin besteht, auf polizeiliche Aufgaben reduziert zu sein, zum Schutz von Personen und deren Eigentum. Die Schieflage bei der Verteilung von Eigentum und Vermögen interessiert dabei nicht, da die Verteilung per Definition ein Ergebnis von Selbstregulierung ist. So kann es auch nicht verwundern, dass Hilfsprogramme für die Verlierer der gesellschaftlichen Umverteilung im Ergebnis kritisch betrachtet werden. Folgt man zum Beispiel Albert O. Hirschman so bedeuten soziale Hilfsprogramme, dass sie die Armut verschlimmern, statt sie zu verringern (siehe Hirschman, The Rhetoric of Reaction, dt: Denken gegen die Zukunft)

Für die Chicago Boys um Milton Friedman ist der Kapitalismus stabil. Gerade das Eingreifen des Staates hat nach Auffassung dieser Denkschule die Destabilisierung verursacht. Sie finden diesen Ansatz in der Union, vor allem aber bei der FDP und auch in der SPD. Die Zurückhaltung Konjunkturprogrammen gegenüber fußt also auf dem theoretischen Verbot, massive staatliche Interventionen zur Überwindung von wirtschaftlichen Krisen zuzulassen. Denn wenn die staatliche Intervention notwendig ist, bedeutet das in der Konsequenz, dass der Kapitalismus instabil ist. Und das wäre für unsere marktgläubigen Anhänger die Desavouierung ihres Leitbildes. Das ist der Kern der Auseinandersetzung. Es geht also weniger um Staatsschulden und das Gerede vom Leben über Verhältnisse, als vielmehr um die Wahrung von Weltanschauungen, die durch ein Systemversagen, wie wir es gerade erleben, fundamental bedroht werden.

Die Geldpolitik ist der einzige Bereich, bei dem die Dogmatiker dem Staat Handlungsspielraum zugestehen. Die Aufgabe über die Geldmenge zu wachen, finden sie aktuell wieder bei unserem Starökonomen im Bundes-HRE-Ministerium. Peer Steinbrück lässt keine Gelegenheit aus, vor der Gefahr einer Inflation zu warnen, obwohl die Deflation so sichtbar vor der Türe steht. Die Geldmenge muss stabil bleiben, lautet die Botschaft. Und die EZB folgt dieser Parole schon seit Jahren nur allzu gern. Der „Minimalstaat“ ist nach wie vor das Ziel herrschender Politik. In dieser Konzeption ist es unausweichlich, dass der öffentliche Sektor noch grundsätzlicher zur Disposition gestellt werden wird, als es ohnehin schon der Fall war. Im Augenblick erleben wir in Deutschland den Versuch, die Erschütterung der dogmatischen Weltanschauung mittels einer konservativen Reaktion zu begegnen, die im Gewandt einer Täuschung daherkommt und die Chiffre „Neue Soziale Marktwirtschaft“ oder plump „Mitte“ trägt.

Die von schwarz-gelb favorisierte Steuer- und Sicherheitspolitik, die von der der Großen Koalition favorisierte Schuldenbegrenzungspolitik sind Merkmale dieser folgenschweren Reaktion und ein Alarmzeichen für die Beständigkeit der Begriffe öffentlich, Sozialstaat und Daseinsvorsorge. Die Bedeutung des „Privaten“ wird ganz im Sinne der Chicago Boys in erheblichem Umfange zunehmen. Das können sie aktuell an einem Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD unter dem Titel „Faire Wettbewerbsbedingungen für Öffentlich Private Partnerschaften schaffen“ erkennen. Die Förderung von PPP ist auch in der Krise noch immer eine zentrale Aufgabe dieser Regierung. Und das, obwohl die Rechnungshöfe bereits angemahnt haben, dass öffentlich private Partnerschaften vor allem den öffentlichen Partner viel kosten.

In Zukunft wird der Gesetzgeber die Frage beantworten müssen, wie die immensen Kosten der Krise finanziert werden sollen. Die Antwort wird zu Lasten der sozialen Sicherungssysteme ausfallen. Einmal mehr wird die Vorstellung bemüht, der Sozialstaat sei schädlich. Den Schwachen dürfe keine Hilfe zu Teil werden, da sie sonst zur Gewohnheit würde. So einfach wird die Begründung ausfallen, wenn die Dogmatiker des Monetarismus sich neu formieren, um dem Freihandelsextremismus, der Deregulierung und dem Wettbewerbsdenken abermals oder verschlüsselt das Wort zu reden.

Daneben wird bürgerliches oder zivilgesellschaftliches Engagement an die Stelle staalicher Verantwortlichkeit treten. Die Woche des Ehrenamts können sie gerade in der ARD bestaunen. Nicht, das daran etwas auszusetzen wäre. Nur liegt hier der Verdacht nahe, dass mit Hilfe der Diskussion um das bürgerliche Engagement, das künftige Zurückweichen des Staates vorbereitet werden soll. Gestern zum Beispiel bei Anne Will. Dort war Ursula von der Leyen wieder in der Sendung zu Gast. Laut Focus hält sich die Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend seit 2005 am Häufigsten von allen Politikern in solchen Talkrunden auf. Da kann man sich jetzt seinen Teil zu denken.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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