Nichts gelernt, das Ziel bleibt "Minimalstaat"

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Das können sie sehr schön aus zwei Meldungen dieser Tage herleiten. Zum einen möchte Merkel in der Tradition der Chicago Boys, auch in der Krise die Steuern weiter senken und auf weitere staatliche Impulse zur Unterstützung der Konjunktur verzichten. Zum anderen möchte Innenminister Schäuble mit Billigung Merkels eine Grundgesetzänderung herbeiführen, die es künftig zulässt, dass die Bundeswehr auch polizeiliche Aufgaben übernehmen kann. Das Ganze läuft etwas verschleiert unter dem Schlagwort „Priatenabwehr“.

Aus diesen beiden Meldungen kann man nun die Grundkonzeption der Union beschreiben. Nach wie vor geht es hier um eine ganz bestimmte Vorstellung vom Staat. Es geht um den „Nachtwächterstaat“, dessen Kennzeichen idealerweise darin besteht, auf polizeiliche Aufgaben reduziert zu sein, zum Schutz von Personen und deren Eigentum. Die Schieflage bei der Verteilung von Eigentum und Vermögen interessiert dabei nicht, da die Verteilung per Definition ein Ergebnis von Selbstregulierung ist. So kann es auch nicht verwundern, dass Hilfsprogramme für die Verlierer der gesellschaftlichen Umverteilung im Ergebnis kritisch betrachtet werden. Folgt man zum Beispiel Albert O. Hirschman so bedeuten soziale Hilfsprogramme, dass sie die Armut verschlimmern, statt sie zu verringern (siehe Hirschman, The Rhetoric of Reaction, dt: Denken gegen die Zukunft)

Für die Chicago Boys um Milton Friedman ist der Kapitalismus stabil. Gerade das Eingreifen des Staates hat nach Auffassung dieser Denkschule die Destabilisierung verursacht. Sie finden diesen Ansatz in der Union, vor allem aber bei der FDP und auch in der SPD. Die Zurückhaltung Konjunkturprogrammen gegenüber fußt also auf dem theoretischen Verbot, massive staatliche Interventionen zur Überwindung von wirtschaftlichen Krisen zuzulassen. Denn wenn die staatliche Intervention notwendig ist, bedeutet das in der Konsequenz, dass der Kapitalismus instabil ist. Und das wäre für unsere marktgläubigen Anhänger die Desavouierung ihres Leitbildes. Das ist der Kern der Auseinandersetzung. Es geht also weniger um Staatsschulden und das Gerede vom Leben über Verhältnisse, als vielmehr um die Wahrung von Weltanschauungen, die durch ein Systemversagen, wie wir es gerade erleben, fundamental bedroht werden.

Die Geldpolitik ist der einzige Bereich, bei dem die Dogmatiker dem Staat Handlungsspielraum zugestehen. Die Aufgabe über die Geldmenge zu wachen, finden sie aktuell wieder bei unserem Starökonomen im Bundes-HRE-Ministerium. Peer Steinbrück lässt keine Gelegenheit aus, vor der Gefahr einer Inflation zu warnen, obwohl die Deflation so sichtbar vor der Türe steht. Die Geldmenge muss stabil bleiben, lautet die Botschaft. Und die EZB folgt dieser Parole schon seit Jahren nur allzu gern. Der „Minimalstaat“ ist nach wie vor das Ziel herrschender Politik. In dieser Konzeption ist es unausweichlich, dass der öffentliche Sektor noch grundsätzlicher zur Disposition gestellt werden wird, als es ohnehin schon der Fall war. Im Augenblick erleben wir in Deutschland den Versuch, die Erschütterung der dogmatischen Weltanschauung mittels einer konservativen Reaktion zu begegnen, die im Gewandt einer Täuschung daherkommt und die Chiffre „Neue Soziale Marktwirtschaft“ oder plump „Mitte“ trägt.

Die von schwarz-gelb favorisierte Steuer- und Sicherheitspolitik, die von der der Großen Koalition favorisierte Schuldenbegrenzungspolitik sind Merkmale dieser folgenschweren Reaktion und ein Alarmzeichen für die Beständigkeit der Begriffe öffentlich, Sozialstaat und Daseinsvorsorge. Die Bedeutung des „Privaten“ wird ganz im Sinne der Chicago Boys in erheblichem Umfange zunehmen. Das können sie aktuell an einem Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD unter dem Titel „Faire Wettbewerbsbedingungen für Öffentlich Private Partnerschaften schaffen“ erkennen. Die Förderung von PPP ist auch in der Krise noch immer eine zentrale Aufgabe dieser Regierung. Und das, obwohl die Rechnungshöfe bereits angemahnt haben, dass öffentlich private Partnerschaften vor allem den öffentlichen Partner viel kosten.

In Zukunft wird der Gesetzgeber die Frage beantworten müssen, wie die immensen Kosten der Krise finanziert werden sollen. Die Antwort wird zu Lasten der sozialen Sicherungssysteme ausfallen. Einmal mehr wird die Vorstellung bemüht, der Sozialstaat sei schädlich. Den Schwachen dürfe keine Hilfe zu Teil werden, da sie sonst zur Gewohnheit würde. So einfach wird die Begründung ausfallen, wenn die Dogmatiker des Monetarismus sich neu formieren, um dem Freihandelsextremismus, der Deregulierung und dem Wettbewerbsdenken abermals oder verschlüsselt das Wort zu reden.

Daneben wird bürgerliches oder zivilgesellschaftliches Engagement an die Stelle staalicher Verantwortlichkeit treten. Die Woche des Ehrenamts können sie gerade in der ARD bestaunen. Nicht, das daran etwas auszusetzen wäre. Nur liegt hier der Verdacht nahe, dass mit Hilfe der Diskussion um das bürgerliche Engagement, das künftige Zurückweichen des Staates vorbereitet werden soll. Gestern zum Beispiel bei Anne Will. Dort war Ursula von der Leyen wieder in der Sendung zu Gast. Laut Focus hält sich die Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend seit 2005 am Häufigsten von allen Politikern in solchen Talkrunden auf. Da kann man sich jetzt seinen Teil zu denken.

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Aufruf: "Wir zahlen nicht für Eure Krise"

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Es ist schon seltsam mit uns Deutschen. Es scheint uns nicht sonderlich zu jucken, was um uns herum passiert. Da sind Banken eigentlich pleite, doch wir finanzieren mit unseren Steuergeldern und Renten die immer größer werdenden Verluste mit, ohne irgend einen Protest. Finanzminister Steinbrück darf seine Meinung so oft ändern wie er will und dennoch halten wir ihn für einen klugen Steuermann. Schon wieder braucht die HRE 20 Mrd. Euro. Man fragt sich verzweifelt, wann der Finanzminister endlich den tatsächlichen Finanzbedarf dieser einen Bad Bank herausgefunden hat. Stattdessen feilscht man um den Begriff „Enteignung“. Und das bei einer Bank, die wir mit unseren Steuergeldern bereits 444 mal gekauft haben, wie Volker Pispers neulich herausgefunden hat.

Ist unsere scheinbare Teilnahmslosigkeit die sprichwörtliche Disziplin? Stimmen am Ende sogar diese unsäglichen völkischen Zuschreibungen? Na ja, dass wir nicht besonders Protestgeil sind, ist kein Geheimnis. Das hat aber mehr mit gesellschaftlicher Erfahrung zu tun, als mit anthropologischen Eigenarten. Die einzige bürgerliche Erfahrung, die wir gemacht haben, ist die von der Niederlage. Damals am 19. März 1848 hätte man dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV die Rübe abschlagen müssen, anstatt seine Anteilnahme auf dem Schlossplatz in Berlin gegenüber den Märzgefallenen, dessen Tod er zu verantworten hatte, einfach hinzunehmen. Heute bauen wir zum Dank sein Stadtschloss wieder auf. Da ist man halt lieber Untertan als ein selbstbewusster Bourgeois.

Als Letzterer verstand sich Max Weber, der gemeinhin als größter deutscher Soziologe bezeichnet wird. Dabei war er Ökonom und interessierte sich auch für sein Land. Zum Beispiel als er die Bedingungen der polnischen Landarbeiter in den ostelbischen Gebieten untersuchte. Und er brachte die Deutsche Misere schon damals auf den Punkt, als er sagte, dass die Schwäche des deutschen Bürgertums darin begründet liege, es nie vollbracht zu haben, einem Hohenzollern den Kopf abzuschlagen.

In Frankreich gehen derweil Millionen auf die Straße, um ihren abgebrochenen Präsidenten die Stirn zu zeigen, und um ihre hart erkämpften sozialen wie auch bürgerlichen Rechte zu verteidigen. Die können das vor allem deshalb, weil sie in dem Selbstverständis erfolgreicher Revolutionen aufgewachsen sind. Während sich bei uns Deutschen die Ohnmacht durch die Geschichte zieht, ist in Frankreich der Protest eine staatsbürgerliche Selbstverständlichkeit. Das ist es, was einen citoyen überhaupt ausmacht.

Und Deutschland? Die Deutschen konstituierten sich als nationale Bewegung ausgerechnet gegen Frankreich. Deutsche Burschenschaften warfen auf der Wartburg 1817 den Code Napoléon – also das bürgerliche Gesetzbuch – einfach gedankenlos ins Feuer. Statt die universelle Gültigkeit bürgerlicher Rechte zu erkennen, entschied man sich für den Sonderweg, um eine Nation aus dem zersprengten Flickenteppich kleiner Staaten zu schmieden. Zugegeben ein Vorteil für Frankreich, denn das war schon vor der Großen Revolution 1789 als staatliche Einheit vorhanden – Deutschland eben nicht. Bis 1871 gab es Deutschland nicht. Auch das sollte Guido Knopp endlich einmal zur Kenntnis nehmen, anstatt dem Nazi-Mythos vom 1000 Jährigen Reich noch nachträglich mit seinen Sendungen über „Die Deutschen“ das Wort zu reden. Deutschland bleibt die verspätete Nation.

Die bürgerlichen Rechte und der Kampf dafür trat immer hinter eine Art von Selbstfindung zurück. Noch heute wird man überall mit Halbgarem und Etiketten wie Identität, Leitkultur und bürgerlichem Lager regelrecht gequält. Man ist so mit der Beschreibung von Dingen beschäftigt, dass man gar nicht mehr das Wesen und dessen Erscheinung wahrzunehmen vermag. Dann würde man nämlich sofort erkennen, dass Westerwelle nur ein jämmerlicher Schaumschläger ist, der sich einbildet, ein großer Liberaler in der Tradition Friedrich Naumanns zu sein. Dabei war dessen „Verein für Sozialpolitik“ im 19. Jh. gegründet worden, um eine Kritik am Kapitalismus zu formulieren.

Das Denken war doch mal die große Stärke derer, die keine Nation hatten, in der sich der bürgerliche Staat und die Demokratie verwirklichen ließen. Das Potential war dagegen sehr viel ausgeprägter und die Tiefe des Gedankens so weit fortgeschritten, dass die Prognose auf der Grundlage theoretischer Überlegungen zu einem Teil der Wahrheit werden konnte.

Nicht umsonst waren die deutschen Universitäten, bevor sie zu Horten des Antisemitismus wurden, führend auf der Welt. Damals kamen sogar die Amerikaner, um bei uns zu studieren, um teilzuhaben, am Humboldtschen Bildungsideal. Nehmen sie nur Robert E. Park, den Begründer der modernen Sozialökologie. Seine Vorstellung vom melting pot wäre ohne die direkte Erfahrung der Arbeiten von Georg Friedrich Knapp an der Strassburger Universität über die Rolle der Ökologie in der Ökonomie gar nicht denkbar. Der Urbanisierungsprozess unter den Bedingungen von Zeit und Raum als soziale Kategorien, darauf fußt die spätere Chicago school und ihr weltweit anerkannter Ruf auf dem Gebiet der Soziologie (Bitte nicht verwechseln mit den Chicago Boys).

Heute tun wir alles, um das zu zerstören, auch im Namen der sog. bürgerlichen Parteien. Ein Treppenwitz. Denn diese Angestellten wie Westerwelle, Merkel, Steinbrück und Co. sind im Grunde nur damit beschäftigt, ihr Image zu pflegen, ihre Fassade zu erhalten, anstatt der bürgerlichen Pflicht nachzukommen, die Lebensbedingungen der Bürger zu verbessern. Nehmen sie aktuell Herrn Rüttgers, der aus den USA hinüberruft, er hätte im Fall Opel alles zum Besseren gewendet und sein persönlicher Einsatz sei ursächlich dafür. Wer genau hinschaut, wird feststellen, dass überhaupt nichts erreicht wurde. Rüttgers hätte sich den Tripp und uns ein weiteres Kapitel Schmierentheater ersparen können.

Man kann das alles nur verstehen, wenn man sich anschaut, was aus dem Bürger inzwischen geworden ist. Er hat sich unter anderem zum Kunden machen lassen. Zum Amt geht er nun nicht mehr als Bürger mit Rechten, deren Beachtung zu den Pflichten des Apparates gehört, sondern als Kunde, den man im Zweifelsfall für dumm verkaufen kann. Doch diese Entwicklung ist brüchig. Die Bürger wehren sich von unten – auch in Deutschland – und die sog. „bürgerlichen Parteien“ reagieren mit einem weiteren Abbau von bürgerlichen Rechten. Denn unsere Regierung steht nicht im Dienste des Bürgers, sondern einer kleinen Obrigkeit, die es sich sogar erlauben darf, heulend an den eigenen Beschäftigten wie Könige vorbeizuziehen, um so zu tun, als sei die Bettelei beim Staat der wirklich allerletzte Ausweg. Dabei hätte wahrscheinlich der Wert von Frau Schaefflers Taschentuch ausgereicht, um die Krise des Unternehmens ein wenig zu lindern. Aber reingerotzt ist nunmal reingerotzt.

Deshalb kann man das Motto „Wir zahlen nicht für Eure Krise!“ eines bundesweiten Aktionsbündnisses aus Gewerkschaftsgliederungen, Erwerbslosen- und Sozialprotestorganisationen, dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac und anderen Gruppen sowie der Partei Die Linke nur begrüßen und darauf hoffen, dass am 28. März viele Menschen dem Aufruf zu Demonstrationen in Berlin und Frankfurt am Main folgen werden.

Protest ist eine wirksame Waffe! In Island ist eine Regierung auf Druck von unten zurückgetreten…

In diesem Sinne. Écrasez l’infame!

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