Gewählt ist gewählt

Geschrieben von: am 23. Okt 2023 um 18:04

Oder wie die dreisten Drei von der Linkspartei plus Dietmar Bartsch ein demokratisches Prinzip auf den Kopf stellen wollen. Da erklären Gregor Gysi, Gesine Lötzsch und Sören Pellmann heute, der Schritt von zehn Bundestagsabgeordneten der eigenen Fraktion sei unmoralisch und eine Mandatsmitnahme Diebstahl. Hat man das eigentlich auch über Thomas Lutze gesagt, der neuerdings bei der SPD mitmacht? Huch, den hat man wohl vergessen, weil der ja auch gegen Sahra Wagenknecht ist. Vielleicht sollte die kümmerliche Rest-Linke einfach auch der SPD-Fraktion beitreten. Willkommen wären sie wohl.

„Die können gerne kommen“, sagte Sebastian Roloff, Co-Chef der SPD-Linken vor ein paar Tagen. Auch andere SPD-Fraktionsmitglieder geben sich offen, so ein Medienbericht. Damit wäre dann das Problem mit dem Fraktionsstatus geklärt. Es bliebe die Gruppe um Sahra Wagenknecht, die spätestens im Frühjahr ohnehin entstünde. Das ist das Tolle an der Demokratie und dem Bundestag. Da kann buchstäblich jeder machen, was er will, denn gewählt ist gewählt. Etwas schöner hatten es die Väter und Mütter des Grundgesetzes formuliert als sie schrieben:

Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

Grundgesetz, Art 38

Das darf man allerdings nicht allzu wörtlich nehmen, sondern nur dann, wenn Gewissensentscheidungen als solche offiziell erlaubt werden. Das sind nur, wie im übrigen Koalitionsverträge auch, nicht mehr als Absichtsbekundungen zur geregelten parlamentarischen Zusammenarbeit, die durchaus sinnvoll sind. Das Grundgesetz ist aber verbindlich, insofern können Mandate auch nicht gestohlen werden, wie die dreisten Drei mit Bartsch behaupten und dabei so tun, als hätten ihre Mandate ein ganz besonderes Gewicht. Das rührt aus dem Umstand her, dass die dreisten Drei ohne Bartsch jene Direktmandate errangen, die der Linken mit Bartsch und Wagenknecht überhaupt einen Einzug in den Bundestag ermöglichten. Nur sind die Mandate der einen nicht besser als die der anderen. Wenn die Rest-Linke da nun einen Unterschied ausmacht, ist es umso richtiger, dass mit der jüngsten Wahlrechtsänderung die Grundmandatsklausel gestrichen wurde.

Die ficht die Linke im übrigen vor dem Bundesverfassungsgericht mit der Begründung an, dass nicht die Art der Aufstellung eines Kandidaten darüber entscheiden dürfe, ob er in den Bundestag einzieht oder nicht. Also Einzelbewerber könnten nach neuem Recht ein Direktmandat erringen, wenn sie ihren Wahlkreis gewinnen, wohingegen Wahlkreisgewinner von Parteien nur dann einzögen, wenn ihre Partei beim Zweitstimmenanteil bundesweit auch über die 5-Prozent-Hürde kommt. Mit anderen Worten, Mandate sollen nicht ungleich behandelt werden. Nun tut aber ausgerechnet die Linke so, als wären die dreisten Drei mit ihren Mandaten etwas Besonderes. Sie sollten ihre Klage in Karlsruhe daher zurückziehen oder wenigstens auch Thomas Lutze öffentlich des Diebstahls bezichtigten und zur Rückgabe seines Mandats auffordern.

Die Rechtslage ist unterdessen klar und auch schon durch Enquetekommissionen sowie den wissenschaftlichen Dienst des Bundestages behandelt (Zum Verhältnis von Mandat und Parteizugehörigkeit, WD 3 – 3000 – 205/17, 3. November 2017). Darin heißt es unter anderem:

Ein Abgeordneter kann aus der Partei austreten. Der Gesetzgeber hat dies in § 10 Abs. 2 S. 3 Parteiengesetz (PartG) auch ausdrücklich geregelt. Danach ist ein Mitglied jederzeit zum sofortigen Austritt aus der Partei berechtigt. Ein Mandatsverlust infolge einer Veränderung der Parteizugehörigkeit ist gesetzlich nicht vorgesehen.

Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages

Sachlogisch müsse für einen Abgeordneten dasselbe gelten wie auch für Fraktionen oder Parteien, wenn diese im Verlauf einer Legislaturperiode ihre Haltung zu bestimmten Themen ändern oder sich neue Mehrheiten ergeben, mit denen der Souverän bei der Abgabe seiner Stimme noch nicht rechnen konnte. Schließlich ist die Wahlperiode begrenzt und damit die Möglichkeit gegeben, durch reguläre Wahl Unterstützung oder Missbilligung auszudrücken, was übrigens dagegen spricht, Wahlperioden von vier auf fünf Jahre zu verlängern. Und zu guter Letzt sollte noch erwähnt werden, dass auch mit der Zweitstimme keine Parteien, sondern Landeslisten mit von Parteien aufgestellten Bewerbern in einer bestimmten Reihenfolge gewählt werden. Man kann also auch vor diesem Hintergrund einer Partei keine Mandate stehlen. Der wissenschaftliche Dienst schreibt vielmehr:

Aufgrund des Umstandes, dass die Wählerstimmen nicht für Parteien, sondern stets für Bewerber abgegeben werden, schadet es nicht, wenn infolge eines Parteiübertritts nunmehr eine Partei im Parlament repräsentiert wird, die nach dem Wahlergebnis bisher nicht im Parlament vertreten war.

Oder platt ausgedrückt: Gewählt ist gewählt.


Bildnachweis: BPK, 23. Oktober 2023, via Phoenix

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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