Gescheitertes Experiment

Geschrieben von: am 06. Nov 2023 um 11:07

Die jüngsten Äußerungen von Robert Habeck und Boris Pistorius gilt es einzuordnen. Sie betreiben derzeit Wahlkampf in eigener Sache. Das hat einen Grund. Die Unzufriedenheit mit der Ampel-Regierung ist groß. Laut einer Umfrage im Oktober wünscht sich eine Mehrheit der Deutschen Neuwahlen. SPD, Grüne und FDP kommen aktuell nur noch auf etwa ein Drittel der Stimmen. Das Ampel-Experiment ist damit gescheitert.

Die AfD wird dagegen immer größer und liegt derzeit stabil über 20 Prozent. Für diesen Aufstieg ist die „Fortschrittskoalition“ direkt verantwortlich. Der andauernde Versuch, die Partei ausschließlich durch Dämonisierung auf Distanz zu halten oder gar kleinzukriegen, ist misslungen. In ihrer Not vertreten daher nun sogar die Grünen zunehmend Positionen, die sie vorher als rechtsradikal diffamiert haben. Eine inhaltliche Auseinandersetzung findet aber immer noch nicht statt. Das dürfte einen weiteren Verlust an Glaubwürdigkeit nach sich ziehen.

Vizekanzler Robert Habeck macht unterdessen mit einer Rede auf sich aufmerksam, die in den Medien und den entsprechenden Multiplikatoren als kanzlertauglich gefeiert wird. Das Video dazu lässt der Minister übrigens über die Plattform Twitter/X verbreiten, also jenem sozialen Netzwerk, von dem er sich selbst vor langer Zeit verabschiedet hatte. Das zeigt, es ging dem Vizekanzler nicht um irgend eine Sache, sondern um die maximal mögliche Aufmerksamkeit in der innenpolitischen Debatte und konkret um viel Applaus von berechenbaren Medien. Das Ausland wundert sich dagegen einmal mehr, vor allem über peinliche Versuche der deutschen Botschaft, das Habeck-Video als Lehrbeispiel zu benutzen.

Die Reaktionen sind entsprechend. Der Guardian schreibt: „Germany’s bond with Israel has been admirable – but it is becoming a straitjacket“. Tatsache ist, dass sich Deutschland mit seiner Haltung im Nahost-Konflikt zunehmend isoliert, Staatsräson hin oder her. Der Historiker Per Leo hält die Ansprache Habecks daher auch für ein „Desaster“. Sie fixiere das Land auf dessen Vergangenheitsbewältigung. So könne Deutschland nichts zur Lösung des Nahost-Konflikts beitragen. Ein Minister, der politisch eigentlich schon erledigt war, richte sich demnach an der deutschen Erinnerungspolitik wieder auf.

Dabei lässt Habeck es an Differenziertheit vermissen. So kennt der deutsche Rechtsstaat zum Beispiel keine Pflicht zum Gesinnungsgehorsam, wie es der Minister mit seinem Hinweis auf die „Staatsräson“ in Richtung Muslime andeutet.

Da wäre zum Beispiel sein wohl vor allem an muslimische Migranten gerichteter Hinweis, dass das Grundgesetz eben nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten kenne, die von allen in Deutschland zu erfüllen seien. Habeck sagte das im Kontext seines Plädoyers dafür, dass Israels staatliche Integrität zur deutschen „Staatsräson“ gehöre. Was Habeck da behauptete, war schlicht falsch. Der deutsche Rechtsstaat kennt keine Pflicht zum Gesinnungsgehorsam. Das Grundgesetz kennt zwar Grundrechte, aber eben keine Grundpflichten. Im Kern macht dieses „Ungleichgewicht“ sogar seinen freiheitlichen Charakter aus.

Cicero

Dass aus dem Gesagten ohnehin nichts folgt, ist bei Nachfragen in der Bundespressekonferenz herausgearbeitet worden. Habecks Sprecherin erklärte sinngemäß, dass der Minister halt öfter mal meinungsbeladene Monologe aufzeichnet und ins Netz stellt. Konkrete Politik ist damit offenbar nicht verbunden. Der Erfolg des Videos ergibt sich allein durch seine Verbreitung. Vielen Dank, das Sie es erwähnt und eingeschaltet haben. Wir wollen nur bessere Umfragewerte, dafür ist uns das Ansehen und die Glaubwürdigkeit Deutschlands egal.

Die Ampel kämpft ums Überleben, merkt aber nicht, dass sie mit ihrem widersprüchlichen Hypermoralismus die innenpolitische Debatte weiter vergiftet.

Noch irritierender war die Tatsache, wie groß er ohne Not den Bogen des Antisemitismus zog. Da Putin sich mit der Hamas und iranischen Machthabern ablichten ließe, die ihrerseits Antisemiten seien, würden „Putins Freunde“ in Deutschland „gewiss keine Freunde der Jüdinnen und Juden“ sein. Wer sich in Deutschland also – egal aus welchen Gründen – gegen Waffenlieferungen an die Ukraine wendet, gerät über transnationale Verdachtsketten in den Ruch, selbst ein Antisemit zu sein. Das dürfte Habeck am Ende wohl gemeint haben. Zur gesellschaftlichen Verständigung kann das kaum beigetragen haben.

Cicero

Am Ende ist es dann nur ein Profilierungsversuch, vor allem auch im internen Machtkampf der Grünen um die nächste Kanzlerkandidatur. Mit schwindenden Umfragewerten musste sich ebenso der Shootingstar der Ampelregierung, Boris Pistorius, herumschlagen. „Der Stern des beliebten Bundesverteidigungsministers von der SPD drohte schon wieder zu sinken, doch dann gab Boris Pistorius dem ZDF ein Interview – und der Applaus der einschlägig bekannten Militär- und Sicherheitsexperten ist sicher“, schreibt Wolfgang Michal im Freitag. Es ist dasselbe Kalkül. Politiker der Ampel vertrauen auf Claqueure, die in der deutschen Öffentlichkeit reichlich zu finden sind.

Der hell und steil aufgegangene Stern des Boris Pistorius drohte also schon wieder zu sinken. Zudem schienen die erforderlichen Personalaufstockungen bei der Bundeswehr an der hartnäckigen Wehrunwilligkeit der jungen Generation zu scheitern und nur wenige Soldaten meldeten sich freiwillig für den öden Garnisonsdienst in Litauen – in dieser höchsten Not wählte der frustrierte Sozialdemokrat Pistorius die Vorwärtsverteidigung in Form einer Ruck-Rede. Mit durchschlagendem Erfolg. Sein „Kriegs“-Interview in der ZDF-Sendung Berlin direkt beschäftigt seither eine ganze Brigade von Interpretationskünstlern, an vorderster Front Leitartikler, Sicherheitsexperten, TalkmasterInnen und Mikrofonhaltungsjournalisten.

Wolfgang Michal in der Freitag

Man müsse sich wieder an den Gedanken gewöhnen, dass die Gefahr eines Krieges in Europa drohen könnte. Und das bedeute, kriegstüchtig zu werden, wehrhaft zu sein und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufzustellen. Nur wie das eigentlich aussehen soll, danach fragen die Claqueure nicht. Sie stimmen dem Minister vorbehaltlos zu und freuen sich darüber, dass da mal wieder jemand einen Ruck fordert. Dass aus den vielen Ankündigungen des Ministers zuletzt nichts geworden ist und er sich gegen den Finanzminister bei den Haushaltsberatungen nicht durchsetzen konnte, gerät dann in den Hintergrund. Mit anderen Worten. Lass mich mal eine gewohnt schneidige, aber dusselige Kriegsrede halten, um das Scheitern der Ampel zu kaschieren.

Worum es eigentlich geht, macht der Niedersachse Stephan Weil gerade wieder deutlich. Er stellt vor dem Bund-Länder-Treffen einmal mehr die Schuldenbremse in Frage, weil er um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands fürchtet. Die Schuldenbremse gehört ohne Zweifel zum entscheidenden Konstruktionsfehler der Ampel, der letztlich auch dazu beiträgt, dass Parteien wie die AfD immer größer werden. Man bekommt beispielsweise beim Thema Migration zwangsläufig ein Problem, wenn die Länder mit dem Bund um Mittel für die Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen mit Verweis auf die Haushaltslagen feilschen, während gleichzeitig zu wenig Wohnraum geschaffen, dafür aber schier Unmengen an Geld und Waffen in Kriegsgebiete transferiert wird.

Trotz der Kritik aus Niedersachsen setzt die Ampel entgegen aller Vernunft und Logik auf Kürzungen der Staatsausgaben sowie eine Erhöhung von Mehrwertsteuern auf Fernwärme und Gas zum Jahreswechsel. Da war selbst die bleierne Kanzlerin mit ihrer antizyklischen Politik während der Finanzkrise bedeutend fortschrittlicher als die selbsternannte „Fortschrittskoalition“ heute. SPD, Grüne und FDP agieren rückwärtsgewandt und viel dogmatischer als jede andere Regierung. Sie bewegen sich gern in Sackgassen hinein und belehren dann die Wand, vor der sie zwangsläufig zum Stehen kommen, mit moralischen Vorträgen, in der Hoffnung, dass der Wähler den Widerhall goutiert. Bislang ist aber das Gegenteil der Fall.


Bildnachweis: Deutschlandtrend, 2. November 2023

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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