Kanzlerin interviewt sich selbst

Geschrieben von: am 03. Feb 2021 um 12:29

Einen Tag nach dem Impfgipfel, pardon Impf-Gespräch, hatte die Kanzlerin offenbar noch weiteren Redebedarf. So etwas kann sich die ARD-Hauptstadtredaktion natürlich nicht entgehen lassen und verkündete stolz, das Programm zur Primetime nach der Tagesschau und vor dem DFB-Pokal Achtelfinale für die Regierungschefin extra freizuräumen. Doch warum macht man ein Interview zum Thema Impfen? Die Antworten auf alle Fragen, wie die nach dem Ende des Sommers, waren doch schon bekannt und wurden nur noch einmal wiederholt.

Man hätte doch auch über andere Dinge sprechen können, über Untersuchungsausschüsse zum Beispiel und das Versagen der Minister Scheuer (Maut) und Scholz (Wirecard) oder über von der Leyen, deren Berateraffäre auch Gegenstand eines Untersuchungsausschusses in dieser Wahlperiode war, was aber keinen Einfluss auf ihre Berufung zur EU-Kommissionspräsidentin hatte. In dieser Funktion setzt sich die abermals von Beratern vorangetriebene Serie der Fehlleistungen fort. So drohte von der Leyen zuletzt, ohne nachzudenken, ein Exportverbot von Nordirland nach England (Nordirland-Klausel im Brexit-Vertrag) an. Eine Katastrophe, die aus Sicht der Briten einer Kriegserklärung gleichkam. Inzwischen fordern viele in Europa von der Leyens Rücktritt.

Schützende Wagenburg

Merkels Kabinett und Merkels Regierung böte also viel Anlass für kritische Nachfragen. Sie trägt die politische Verantwortung oder anders formuliert: Sie ist die Mutter aller Probleme. Doch unter diesen Bedingungen hätte die Kanzlerin wohl kaum einem TV-Interview zugestimmt, das sie sonst eher selten gibt. Es sollte ein weiteres Schaulaufen werden, zur besten Sendezeit. Kostenlose Werbung für die Regierungschefin, die nach wie vor an der Spitze sämtlicher Beliebtheitsskalen steht, auch weil die Medien mit ihr sehr zaghaft umgehen. Da läuft im Großen und Ganzen ja nichts schief, auch wenn die neoliberalen Claqueure in den Redaktionen mal einen schönen längeren Merkeltext verfassen oder ein paar kurze Zeilen der Empörung niederschreiben. Nach dem Auftritt bei den Kollegen Hassel und Becker blieb auch nichts anderes übrig.

Die beiden hätten das Interview anders führen oder einfach ablehnen sollen. Stattdessen setzte sich fort, was bezeichnend für diese Corona-Krise ist. Die deutsche Medienlandschaft schart sich geradezu dicht ums Kanzleramt und zwar nicht, um die Mächtigen zu belagern, sondern im Gegenteil, als schützende Wagenburg, schreibt der Feuilletonchef von Welt und Welt am Sonntag, Andreas Rosenfelder, im Freitag. Statt einfach zu gehen und die Kameras abzuschalten, wartet man lieber stundenlang vor einer leeren blauen Wand. Das bisschen Kritik an der Kanzlerin ist dann auch nichts im Vergleich zu den „unvernünftigen Bürgern“, die ihre Maske beim Rodeln nicht richtig tragen. Die sind doch letztlich verantwortlich dafür, dass die Alten in den Heimen sterben und der Rest im Lockdown weiter ausharren muss. Oder etwa nicht?

Man berichtet doch viel lieber über den „Covidioten“ von nebenan, als eine in der Sache berechtigte Kritik an der planlos vor sich hin stolpernden Bundesregierung zuzulassen. Möglicherweise ändert sich das jetzt. Doch wer die Maßnahmen bislang in Frage stellte, wurde schnell als Corona-Leugner oder Skeptiker diffamiert. Das lenkt ab und schont die Verantwortlichen. Der Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier erklärt mal eben, dass die Veräußerung staatlichen Eigentums jetzt geprüft werden sollte, weil man den Erlös für Zukunftsinvestitionen gut gebrauchen könne. Privatisierung als Vorschlag, das wirkt reichlich weltfremd, angesichts eines kaputtgesparten Gesundheitssystems, dem die Bundeswehr inzwischen zu Hilfe eilen muss. Aber der Minister glaubt auch an die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft. Das würde wiederum erklären, warum die versprochenen Corona-Hilfen noch immer nicht bei den betroffenen Unternehmen ankommen. Wozu wird der Minister eigentlich noch gebraucht?

Zu viel Bewunderung

Das gleiche gilt für Gesundheitsminister Jens Spahn, der in dieser Krise mit allem überfordert ist, der aber dennoch oft bewundert wird. Er handelte immer erst dann, als es bereits zu spät war. Die Warnungen vor einem Mangel an Schutzausrüstung für medizinisches Personal schlug er vor einem Jahr in den Wind. Die chaotische Beschaffung, übrigens auch ein Ergebnis von eilig eingekauften Beratern, geriet zum Debakel. Statt die alten Menschen rechtzeitig mit FFP2-Masken auf dem Postweg zu versorgen, blieb der Minister bis kurz vor Weihnachten untätig und ließ nun fälschungssichere Coupons verschicken sowie den Apotheken eine beinahe schon obzöne Steuersubvention zukommen. Dagegen fiel der Schutz der Bedürftigen erst einmal wieder unter den Tisch. Vorausschauend agiert Spahn dagegen nur bei der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite, die laut Bundestagsbeschluss im März 2021 endet. Da will er eine Verlängerung und mehr Befugnisse erreichen, wie aus einer „Formulierungshilfe“ für einen Gesetzesvorschlag hervorgeht, der den Fraktionen bereits zugeleitet worden ist.

Ein weiterer Punkt: Wann legt die Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner, die von Nestlé und Co. angehimmelt wird, ihre Lobbytermine offen? Beim Verwaltungsgericht Köln ist jetzt eine Klage der Verbraucherschutzorganisation foodwatch anhängig. Zuvor hatte das Ministerium einen Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz abgelehnt. Läuft da im Großen und Ganzen auch nichts schief? Was ist mit der Haltung der Bundesregierung zum Atomwaffenverbotsvertrag der UNO, der seit Januar Völkerrecht ist? Über 50 Staaten haben ihn ratifiziert, Deutschland aber nicht. Die Begründung ist ein Ausdruck der Missachtung gegenüber dem Willen der Völker. Man leugnet einfach die Gefahr, die von den nuklearen Arsenalen ausgeht und behauptet irreführend, dass der Vertrag die Abrüstungsbemühungen schwäche.

Für die Anbiederung an NATO-Interessen zeichnet wiederum Außenminister Heiko Maas verantwortlich. Er hat es geschafft, das Ansehen Deutschlands in der Welt vollends zu ramponieren, auch weil er dubiose Selbstdarsteller wie Juan Guaidó aus Venezuela, Jair Bolsonaro aus Brasilien, Joshua Wong aus Hongkong oder Alexej Nawalny aus Russland hofiert und bewundert. Merkel lässt das alles zu und hat jetzt im Gespräch mit der ARD nicht mehr als Durchhalteparolen zu bieten. Sie ist nicht nur eine miserable Krisenmanagerin, sondern auch einfach eine schlechte Kanzlerin, die bislang nur von der Bewunderung lebte, die ihr die Medien, weite der Teile der Öffentlichkeit und auch die Opposition im Deutschen Bundestag zuteil werden ließen. Das muss sich nach 15 Jahren nun endlich mal ändern.


Bildnachweis: Screenshot, tagesschau.de vom 2. Februar 2021

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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