Die Woche: Nur ein Betriebsunfall

Geschrieben von: am 25. Feb 2012 um 22:26

Eine Woche ist seit der Nominierung Joachim Gaucks zum überparteilichen Präsidentschaftskandidaten vergangen. Inzwischen sind die ersten Jubelschreie verklungen und eine Debatte um die Person entbrannt. Lustigerweise geht es dabei mal wieder um Zitate und deren richtige Bewertung. Aus dem Zusammenhang gerissen, heißt es in der Presse, die sich schützend vor ihren Kandidaten der Herzen wirft. Vor einem Jahr musste dieselbe Journaille noch feststellen, dass ihr damaliger Superstar mit seinen geklauten Zitaten gar keinen eigenen Zusammenhang herzustellen vermochte. Aber sei’s drum.

Die Debatte um Joachim Gaucks Eignung für das Amt, seine Vergangenheit und seine Äußerungen ist aus meiner Sicht eher langweilig. Ein Grußonkel bleibt ein Grußonkel. Man kann seinen Reden zuhören, man kann es aber auch sein lassen. Es ist schließlich nicht Gauck, der regiert, sondern immer noch die ganz große Koalition unter der Leitung von Angela Merkel, gegen die, so wie es scheint, neuerdings nur Philipp Rösler mit harten Bandagen zu kämpfen vermag.

Über die Rolle des FDP-Parteichefs oder das Verhalten Angela Merkels bei der Kandidatenwahl ist ebenfalls viel spekuliert und gerätselt worden. Die ganz große Parteitaktik sei im Spiel gewesen. Keiner wollte Gauck, aber am Ende musste er es werden, weil die Liberalen mit ihm einen politischen Hebel in der Hand hatten. Das war es dann aber auch schon. Als sich Rösler den Vorstandsbeschluss besorgte, um der Festlegung auf Gauck das nötige Ausrufezeichen zu verpassen, rechnete er nicht damit, dass Merkel mit dem Platzen der Koalition drohen würde. Sie selbst wahrscheinlich auch nicht.

Warum aber Gauck? Die FDP betonte vorab, ohne eigenen Vorschlag und ergebnisoffen in die Verhandlungen mit der Union gehen zu wollen. Einzige Bedingung war nur, dass der Koalitionspartner die Liberalen ernst nehme. Zuvor beging Angela Merkel bei ihrer kurzen Ansprache nach Wulffs Rücktritt einen rhetorischen Fehler. Das ist nicht weiter verwunderlich, wenn man die Redekunst Merkels kennt. Ohne Not machte sie die Wahl eines geeigneten Nachfolgers im Amt des Bundespräsidenten von der Zustimmung der Opposition abhängig. Die Beratungen im eigenen Regierungslager erwähnte sie nur pro forma.

Rösler wie auch einzelne Abgeordnete der Union sahen sich nach Merkels Erklärung genötigt, darauf hinzuweisen, dass sich zunächst die Koalition auf einen Vorschlag verständigen würde, bevor man mit der Opposition darüber in Verhandlungen eintrete. Volker Kauder gab sogar zu Protokoll, dass man in der Bundesversammlung immer noch über eine eigene Mehrheit verfüge. Die tolle Idee vom Konsenskandidaten ging einfach nach hinten los und die FDP musste als Partner auf dem politischen Abstellgleis irgendwie reagieren. Die Zuspitzung der Lage am Sonntag war das Ergebnis eines Missverständnisses und die Nominierung Joachim Gaucks ein weiterer Betriebsunfall dieses Pannenkabinetts.

Nachdem eine Woche vergangen ist und am Aschermittwoch die Fastenzeit begonnen hat, verfliegt nun auch der Rausch um den Kandidaten der Herzen. Klarer sehen allerdings die wenigsten. Es ist richtig, dass Merkel eine weitere peinliche Episode ihrer Amtszeit mindestens unbeschadet überstehen wird. Aber das liegt nicht an ihrem taktischen Vermögen, das ihr schon wieder allenthalben zugeschrieben wird, sondern schlicht daran, dass es keine Alternative zu ihr gibt. Selbst die SPD wird sich bei der nächsten Wahl erneut nur um den Posten des Vizekanzlers bewerben wollen. Wer also denkt, Merkel habe aus machtpolitischen Erwägungen heraus den angedrohten Bruch der Koalition vermeiden wollen, irrt. Ohne sie funktioniert keine andere Koalition innerhalb des an sich geschlossen auftretenden neoliberalen Lagers.

Nur unter diesen Bedingungen bleiben politische Wendungen und eine katastrophale Regierungs- wie Oppositionsarbeit folgenlos. Da es keine demokratische Alternative mehr gibt, weil die veröffentlichte Meinung auch keine akzeptiert, muss dem irrationalen Handeln der neoliberalen Einheitspartei ab und zu auch etwas Sinniges abgewonnen werden. Es wäre ja blöd, wenn man zu dem erschreckenden Ergebnis kommen würde, dass die Bundesregierung, wie die sie mittragende Opposition aus SPD und Grünen, die Unberechenbarkeit zur Grundlage ihrer Entscheidungen machten.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Anonymous  Februar 25, 2012

    denke….
    wenn ein neuer chef dort einzieht…im tollen schloss
    dann sollte er / wird er / könnte er doch
    mal sooooo richtig gnädig sein…
    und
    – den HARTZ dort in wolfsburg mal schnell begnadigen…
    – die HARTZ 4- drückebergerei zusammen mit nun allen
    …..parteien rechts von der LINKEN angehen
    – den bundesbank-schriftsteller sarazzin vieleicht adeln ?

    irgendwie wirds wieder spannend hier im lande…
    und
    mal sehn….
    was dieser dann völlig unabhängige , der im gegensatz zu
    allen anderen ( außer mir …hahaha ) noch mit weit über 70 immer noch arbeitet und nicht rumschlunzt…
    dann soooo in den ersten 100 tagen bringen wird..

    denke…
    bei manchen werden die haare bündelweise rausfliegen

    feixe ich hier im norden
    jens

    gruß jens

  2. Anonymous  Februar 25, 2012

    Ja, die Woche war ereignisreich!
    Erst die offizielle Stellungnahme unserer Kanzlerin nach dem längst fälligen Rücktritt Wulffs. Man könnte meinen, sie hält die BürgerInnen für dumme Schäfchen, ihre Worte über sein würdiges Vertreten im In- und Ausland kann doch keiner glauben. Doch was soll sie sonst sagen?
    Und nun Gauck, nachdem Merkel sich zuvor doch so beharrlich gegen ihn aussprach. Eigentlich wundert es mich, dass er das Amt des Bundespräsidenten annehmen will.

  3. der-olli  Februar 25, 2012

    Ich versteh nur noch (Bahnhof) Merkelkratur!

  4. Ormuz  Februar 26, 2012

    Tja, da haben sich die Oppositionellen aber mal schön slber ins Knie geschossen, erst den Gauck aufstellen um die Kanzlerin zu ärgern und um ihr die Lange Nase zu drehen , obwohl sie ihn eigentlich ja auch gar nicht wollen und Gauck, der eitle Fatzke, hat nichts eiligeres zu tun als über all dem Possenprovinztheater auch noch zu selbstgefällig zu grinsen. Es ist einfach nur hochnotpeinlich.

  5. Einhard  Februar 26, 2012

    Keiner will ihn, alle kriegen ihn.

    Aber im Grunde kann es ja nur besser werden.