Zurück in den Lockdown

Geschrieben von: am 20. Jul 2021 um 18:01

Die Landesregierung Niedersachsen hält an der Inzidenz als maßgebliches Kriterium fest, wird sich aber bald korrigieren müssen. Denn beim gegenwärtigen Infektionstempo sind die Grenzwerte schnell erreicht, die weitere Beschränkungen des öffentlichen Lebens auslösen. Dieser Automatismus ist aber nicht mehr zu rechtfertigen, weshalb das Virus laufen zu lassen, die einzige Option ist. Nein! Doch! Ohh!

Genau das passiert nämlich, wenn sich Menschen wieder häufiger begegnen und miteinander Dinge tun, die vorher per Verordnung untersagt waren. Etwas anderes zu erwarten, ist seltsam. Dennoch findet sich in der gleichen Zeitung wie oben verlinkt folgende Schlagzeile.

Natürlich darf die Delta-Variante nicht fehlen, so als ob das beschriebene Setting „Party, junge Leute, Kneipe“ bei anderen Virus-Varianten zu ebenfalls anderen Ergebnissen führte. Die Virusvariante dient hier wieder nur als dramatisches Beiwerk, um überhaupt noch eine Pseudobegründung vorweisen zu können, die annähernd brauchbar erscheint. In Wirklichkeit aber, spielt das Virus keine Rolle mehr. Es ist einmal mehr die Pandemiepolitik, die ins Zwielicht wankt, da sich nunmehr zeigt, dass ein Stufenplan, der über Inzidenzen geschaltet wird, völliger Blödsinn ist. Da hilft es nichts, nun wieder darüber zu lamentieren, dass die Infektionszahlen steigen, weil Menschen unvorsichtig werden. Die Menschen, die ihre Rechte und Freiheiten in Anspruch nehmen, die ihnen gnädigerweise über seitenlange Verordnungen dann doch mal eingeräumt werden, sind nicht das Problem. Es ist die Unentschiedenheit der Politik, die nicht weiß, ob sie nun Infektionen tolerieren soll oder nicht.

Häufig ist vom Team Vorsicht die Rede. Aber was heißt das überhaupt? Ist die Rücknahme von Einschränkungen etwa gar nicht ernst gemeint? Zu dieser Ansicht muss man wohl kommen, wenn man sich das alltägliche Kasperletheater dieses Krisenstabes vor Augen führt. In der vergangenen Woche verkündete der nach Absprache mit den Länderkollegen einen neuen Paragrafen für Großveranstaltungen. Die wären wieder möglich, sofern unter anderem sichergestellt ist, dass Zuschauer nur mit Abstand im Schachbrettmuster angeordnet teilnehmen. Die Vorstellung der neuen Freiheit dauerte rund 15 Minuten und wurde mit der Frage, wie denn ein Rockkonzert unter diesen Bedingungen stattfinden sollte, gleich ad absurdum geführt. Antwort des Krisenstabes: Den Veranstaltern fällt schon etwas ein.

Team Vorsicht oder doch Team Plemplem

Die müssen sich mit ihrer Kreativität allerdings sputen, da sich das Zeitfenster für Veranstaltungen, die unter diesen fragwürdigen Bedingungen hätten organisiert werden dürfen, schon wieder schließt. Denn über einer Inzidenz von 35 ist das alles wieder hinfällig. So wird es vermutlich gar nicht erst zu Planungen kommen oder weitere Absagen die Folge sein. Die Veranstalter der Infa haben heute bekanntgegeben, die Verbrauchermesse im Oktober nicht stattfinden zu lassen. Begründung: Planungsunsicherheit. „Wir können den Ausstellern und Besuchern aktuell nicht garantieren, dass wir die Infa in gewohnter Größe und Vielfalt durchführen dürfen“, sagt Bereichsleiterin Carola Schwennsen. Da steht dürfen, nicht können. Die Absage ist also nicht in Abhängigkeit eines Virus erfolgt, dessen Gefahr man möglicherweise weiterhin hoch einschätzt, sondern weil die Politik die Sache mit der Verlässlichkeit einfach nicht auf die Reihe bekommt.

Liegt das nun wiederum am Virus, Stichwort Delta, Gamma oder was auch immer? Das wäre natürlich praktisch. „Die Inzidenz war für die Politik eben sehr bequem“, sagt der Medizinstatistiker Gerd Antes. Das diese Einschätzung zutrifft, beweist neben der niedersächsischen Landesregierung, die ja SPD-geführt ist, auch die SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken, die sich erneut für die Bundesnotbremse ausgesprochen hat, falls die Inzidenzen weiter steigen. Ist das nun Team Vorsicht oder doch eher Team Plemplem? Was will man erreichen? Wenig Fälle? Dann muss man aber alles verbieten, auch bei niedrigen Inzidenzen. Man muss weiter Jagd auf Maskenmuffel machen und die Polizei die Haushaltszugehörigkeit von Personen in Gruppen auf Schritt und Tritt kontrollieren lassen. Man könnte aber auch endlich mal zur Besinnung kommen und sich fragen, was da beim Festival in Utrecht mit 20.000 Besuchern gelaufen ist, die geimpft, genesen oder getestet waren. Rund 1000 Infizierte hat es gegeben, obwohl ein Hygienekonzept galt mit zeitlich versetztem Zugang, Maskenpflicht und Kontaktdatenerfassung.

Was ist also schiefgelaufen? Oder ist vielleicht gar nichts schiefgelaufen, weil sich Infektionen bei Veranstaltungen dieser Größenordnung einfach nicht verhindern lassen. Entweder man will, dass sich Menschen wieder treffen, zum Beispiel auf Veranstaltungen, dann akzeptiert man auch ein Infektionsrisiko oder man lässt es eben bleiben. Eine Fortsetzung des Paragrafenirrsinns ist jedenfalls keine Option, auch deshalb nicht, weil die Erkrankung kaum noch jemanden aus den Risikogruppen betrifft. Wie die Landesregierung selbst festgestellt hat, tut sich in den Kliniken trotz steigender Fallzahlen kaum noch etwas. Das deckt sich wiederum mit den Erfahrungen aus dem Vereinigten Königreich, wo seit Tagen und Wochen Inzidenzen von über 400 gemeldet werden, eine beunruhigende Zunahme schwer Erkrankter oder gar Verstorbener aber nicht. Die Strategie, Infektionen auf Biegen und Brechen zu vermeiden, neuerdings auch wieder mit Einreiseregeln, führt zu nichts. Die Landesregierung wird daher ihre Haltung entgegen der heutigen Äußerungen schneller wieder anpassen müssen. Das Virus bleibt ja berechenbar, die Politik dagegen nicht.


Bildnachweis: Screenshot Youtube

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Dieter  Juli 20, 2021

    Inzidenz oder andere aktuelle Werte helfe nur bedingt !
    Professor Kekule sagte, das ist als wenn ich eine Tagestour machen möchte und aus dem Fenster schaue, ob die Straße naß ist.
    Die Voraussagen sind aber wichtig zum agieren und das machte unsere Regierung nicht.
    Nicht bei Corona, nicht bei Hochwasser, nicht im gesundheitswesen, nicht im Bildungswesen, nicht bei der Infrastruktur usw.

    Das ganze ist sehr Journalisten freundlich !
    Die Problem sind immer die gleichen, alle Warnungen von Experten ignoriert, keinen Plan, keine Struktur, halbherzige nicht durchdachte Maßnahmen, kein Management, keine Strategie, kein agieren und reagieren wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen.

    Der Journalist braucht eigentlich nur das aktuelle Ereignis, mit Kopie + Paste das versagen einfügen, was im Prinzip immer das gleiche ist und dann ein paar aktuelle Fakten aufzählen.

    mehr zum hochinterssanten Video
    „Podcast – Kekulés Corona-Kompass #208: Einreiseregeln sind inkonsequent | MDR“https://www.youtube.com/watch?v=R2O6fQQoxQU&t=300s

  2. Cetzer  Juli 21, 2021

    „dass Zuschauer nur mit Abstand im Schachbrettmuster angeordnet teilnehmen“
    Gartenschach statt Pogo-Tanzen
    „Team Vorsicht oder doch eher Team Plemplem?“
    Team Hemmschuh, verstärkt durch eine Auswahl des mittelalterlichen Teams Daumenschraube
    „Die Strategie, Infektionen auf Biegen und Brechen zu vermeiden,“
    Wir mussten das Dorf zerstören, um es zu retten – Jetzt gibt es keine Infektionen mehr, nie mehr!