Was zu beweisen war

Geschrieben von: am 22. Jul 2021 um 20:57

Zwei Tage hat es gedauert, bis die Landesregierung eingesehen hat, was offensichtlich ist. Sie will nun doch ihren Stufenplan früher ändern, weil es sonst schneller als gedacht wieder zu Beschränkungen des öffentlichen Lebens kommt, die trotz aller Hysterie um Mutanten und Impfquoten einfach nicht mehr vertretbar sind. Damit geht es aber auch weiter planlos durch die Krise.

Es bleibe erst einmal bei der gültigen Verordnung und den Grenzwerten, sagte Regierungssprecherin Anke Pörksen am Dienstag in Hannover. „Das bedeutet auch, dass es gewisse Einschränkungen geben kann, wenn in einzelnen Orten die 35 und dann die 50 überschritten wird.“ Am Donnerstag ist klar, es war wieder nur hohles Geschwätz einer Regierung, die immer noch nicht weiß, wie sie angemessen zu handeln hat. Üblicherweise bemüht man in solchen Fällen die Metapher vom Fahren auf Sicht, wenn das nur nach der Kollision mit dem Eisberg nicht so furchtbar albern wäre.

Dass die Inzidenzwerte, immer noch das Maß aller Dinge, nun wieder rasch steigen würden, kann niemanden mehr überraschen, auch diesen jämmerlichen Krisenstab nicht. Der hat aber vermutlich wieder auf den Druck von außen gewartet, an dem man die Entscheidungen des vergangenen Jahres stets ausgerichtet hat. Als in Niedersachsen über die Abschaffung der Maskenpflicht laut nachgedacht wurde, gab es einen Shitstorm in den (a)sozialen Medien, die Regierung reagierte. Die Gesundheitsministerin Daniela Behrens persönlich griff ein und stellte auf Twitter klar.

Regieren auf Zuruf. Das ist das Gegenteil von dem, was man eigentlich von einer Exekutive erwartet, die sich anmaßt, am Parlament vorbeizuverordnen. Wieso wird auf Twitter debattiert und nicht im Landtag über Maßnahmen entschieden? Nun hat es in dieser Woche auch wieder Druck gegeben, diesmal von der Wirtschaft, die das Unheil Lockdown früher als gedacht auf sich zukommen sieht. Und wieder ändert diese Landesregierung binnen weniger Tage ihren Kurs. Das schafft Vertrauen.

Nur was bringt es jetzt, die Grenzwerte der Inzidenz zu verschieben, wenn doch offensichtlich die nackten Fallzahlen kaum noch eine Aussagekraft besitzen? Wäre es nicht klüger, diesen Unsinn gleich ganz zu lassen, bevor das exponentielle Wachstum das Produktionstempo der nächsten Verordnungsnovelle überholt? Wie passen die willkürlichen Grenzverschiebungen dann eigentlich noch zum Infektionsschutzgesetz, auf das sich alle Maßnahmen beziehen? Muss es nicht erst wieder geändert werden, der Bundestag also seine Sommerpause unterbrechen?

Nun ist es natürlich vollkommen richtig, das vorhandene Regelwerk zu überarbeiten, um die abermals drohende Einschränkung des öffentlichen Lebens zu vermeiden. Aber lustig ist das schon. Hat man vorher mit den Maßnahmen noch den Anstieg der Neuinfektionen bremsen wollen und fest an die Wirkung des Lockdowns geglaubt, fürchtet man sich nun vor dem selbst geschaffenen Monster und rennt davon. Damit ist dann auch bewiesen, dass die Maßnahmen sicherlich vieles abbremsen können, nur das Virus gehört nicht dazu.

q. e. d.


Bildnachweis: Screenshot HAZ, 22.07.2021

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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