Warum ist die AfD so stark?

Geschrieben von: am 05. Jun 2023 um 14:05

Weil die Demokratie funktioniert, könnte man sagen. Wenn eine Regierung versagt, wird die Opposition stärker. Ganz einfach. Das Problem ist nur, dass viele bürgerliche Wähler von falschen Annahmen ausgehen. Sie wähnen das Land von der Union bis zur Ampel in einem linken Klammergriff. Doch das ist falsch.

In der Wahrnehmung vieler bürgerlicher Wähler ist die AfD deshalb die einzige Oppositionspartei, weil sie als noch nicht nach links verschoben gilt. Behauptet wird nämlich, dass alle anderen Parteien neben der AfD, also vor allem Union und FDP schon längst nach links gewandert seien. Die Union unter Merkel und die FDP jetzt im Bündnis mit SPD und Grünen. In den bekannten Lagern gebe es damit eine Art Ungleichgewicht oder Übergewicht zugunsten der linken Seite, während die berühmte Mitte nichts weiter als eine hohle Phrase ist. Allenfalls der AfD wird angedichtet, die Leerstelle Mitte-rechts noch auszufüllen.

Märchen von der Sozialdemokratisierung

Dieses Koordinatensystem ist erstaunlich, weil es völlig losgelöst von den politisch relevanten Themen, die eine rechts-links Markierung erlauben, verbreitet wird. Konservative Wähler und solche die rechts der Mitte verortet sind, hätten nun mal keine Alternative mehr, seit Merkel die CDU stramm auf links getrimmt hat. Hier zeigt sich, wie erfolgreich die Erzählung von der Sozialdemokratisierung der Union immer noch in der Öffentlichkeit verankert ist, dabei stammt sie von den schwarzen Spindoktoren selbst, um das Wählerpotenzial der Union und deren Koalitionsoptionen ins klassische linke Lager hinein zu erweitern. Große Koalition oder Schwarz-Grün, das wäre heutzutage kein großer Widerspruch mehr, sondern völlig normal. Oder eben auch nicht, wie der Frust jener bürgerlichen Wähler zeigt, die an die sozialdemokratisierte Union glauben und ihr damit als Gegengewicht zur Ampel nicht sonderlich vertrauen.

Dabei wird das Märchen von der Sozialdemokratisierung bis hinein in stramm rechtskonservative Kreise geglaubt, beschworen und öffentlich vorgetragen. Festgemacht wird es in der Sache an eher belanglosen gesellschaftspolitischen Entscheidungen der letzten Jahre, wie etwa der Ehe für alle oder einer freundlichen Flüchtlingspolitik, die zur progressiven Imagebildung der Union beitrugen, wie Albrecht Müller in seinem Buch „Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst.“ schreibt. Nur könne von der Sozialdemokratisierung gar keine Rede sein, wenn man sich auf die wesentlichen Themenfelder konzentriert, wie Rüstung, Ost-West-Konflikt und Nato-Integration, rigorose Flüchtlingsabwehr, Privatisierung öffentlicher Lebensbereiche und Sozialsysteme sowie das Festhalten an neoliberalen Glaubenssätzen zu Schuldenbremse und Schwarzer Null.

Die Strategie, die Union linker erscheinen zu lassen, um bei SPD und Grünen anschlussfähiger zu sein, zahlt schon lange nicht mehr bei ihr, sondern der AfD ein, die die falsche Erzählung einfach weiterführt und so enttäuschte bürgerliche Wähler an sich bindet. Doch die AfD ist auch deshalb so stark, weil die Linke versagt und Themen den Rechten überlässt. Die Zeiten, in denen die Parteien der politischen Linken die Stimmen des kleinen Mannes waren, der inzwischen immer häufiger als Querdenker, Schwurbler oder Putintroll beschimpft wird, sind endgültig vorbei. Das zeigen die Wahlen und Analysen zum Abstimmungsverhalten ganz eindeutig. Vor allem in den klassischen Arbeitermilieus ist die AfD erfolgreich, im Osten sogar stärkste Kraft. Bei der Bundestagswahl wählten 21 Prozent der Arbeiter AfD, für die SPD stimmten immerhin noch 26 Prozent. Doch das dürfte im Augenblick nicht mehr der Fall sein. Außerdem machten 12,2 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder ihr Kreuz bei der AfD.

Warum ist das so? Doch nicht, weil es einen, der Erzählung nach, beispiellosen Linksruck im Land gegeben hätte und die Menschen, die klassischerweise linken Parteien zuneigen, von Union bis Linkspartei plötzlich eine so große Auswahl haben. Nein, richtig ist wohl eher, dass sämtliche Parteien, einschließlich der Linken, die sich mittlerweile auch für eine aggressive und teure Außenpolitik unter Nato-Oberkommando erwärmen kann, um endlich regierungsfähig zu sein, nach rechts gewandert sind. Es gibt daher ein Überangebot an rechten Parteien und Programmen, in denen sich viele Menschen nicht wiederfinden. Vor diesem Hintergrund müsste man eigentlich noch froh sein, dass die AfD als klassische Protestpartei bundesweit bei nur 18 Prozent steht.

Sinnlose Debatte

Das könnte sich aber ändern und die AfD weiter zulegen, wenn die Folgen der gedankenlosen Kriegs- und Sanktionspolitik so bewältigt werden, wie es derzeit beabsichtigt ist. So plant die EU beispielsweise die Wiedereinführung strenger Fiskalregeln, was knallharte Austeritätspolitik bedeutet und damit unweigerlich zu Kürzungen bei Infrastruktur- und Sozialausgaben führen wird, während es für militärische Aufwendungen und Hilfen an die Ukraine garantiert keine Obergrenze gibt. Der Bundesfinanzminister verschickt aktuell Briefe an seine Kabinettskollegen mit der Vorgabe, Ausgaben massiv einzuschränken. Das Verteidigungsministerium ist außen vor. Und die Medien erklären überzeugt, dass das ja richtig sei, weil die Sozialausgaben, die mal wieder als „staatliche Wohltaten“ verunglimpft werden, so hoch wie nie seien. Damit wird wieder so getan, als sei die bisherige Politik eigentlich immer nur links, obwohl doch inzwischen 17,3 Millionen Menschen in Deutschland, also rund ein Fünftel der Bevölkerung, von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen sind.

Auf diese Weise tragen somit auch die Medien ihren Teil dazu bei, dass eine falsche Erzählung immer wieder erneuert und weitertransportiert wird mit dem Ergebnis, dass nun wieder sinnlose Debatten über das Umfragehoch der AfD geführt werden. Die einen sagen, die Regierung sei an der Entwicklung schuld, weil diese ein chaotisches Bild abgebe und mit Bevormundungspolitik Wähler in die Arme der AfD treibe. Dabei ist es überhaupt nicht logisch, dass bisherige Grünen-Wähler, die sich für Klimaschutz interessieren auf einmal zur AfD wechseln. Die anderen wiederum erklären, dass die AfD deshalb immer stärker würde, weil sich die Union von ihr nicht abgrenze und sogar deren Vokabular übernehme. Eine pure Erfindung, da inzwischen hinreichend belegt ist, dass so eine Strategie gar keine Stimmen bringt. Die Union hat es ja versucht und Schiffbruch erlitten. Sie vertritt folglich Positionen, die sie schon immer vertreten hat.

Wieder andere erklären, dass die bloße Beschäftigung mit der AfD, der AfD nütze. Würde man sie gar nicht beachten, so geht die These wohl weiter, erledige sich das Problem von selbst. Das ist die Methode Augen zu, mit der Absicht, den Balken der AfD unter Sonstige zu fassen. So einfach ist es aber nicht. Der Kern des Problems ist, dass sich eben niemand mit den Folgen der vorherrschenden Politikagenda ernsthaft beschäftigen will. Deutschland befindet sich in der Rezession, das hat Gründe, die nicht im Heizungsstreit oder in einer Debatte über Gendersprache bestehen. Die Wirtschaft könnte sogar im gesamten Jahr 2023 einbrechen. Die Kaufkraft der Beschäftigten sinkt und Tarifabschlüsse, die das reale Minus kaum ausgleichen, werden als Kostentreiber gebrandmarkt. Im Ergebnis, so lässt sich nüchtern festhalten, bezahlen die Beschäftigten nicht nur mit Reallohnverlusten für Krieg und Krise, sie werden auch zu Sündenböcken gemacht. Das bewirkt doch etwas.

Ja, wir haben eine selbsternannte Fortschrittsregierung, die die Wirtschaft schädigt, Sozialleistungen nach alter neoliberaler Dogmatik kürzen will und obendrein noch Kriegsbereitschaft nach außen demonstriert, egal was die eigenen Wähler darüber denken. Über diesen ruinösen Kurs besteht aber gar kein Dissens mit den anderen nicht an der Regierung beteiligten Parteien, auch mit der AfD nicht, die zwar gegen Waffenlieferungen ist, aber durch und durch einen neoliberalen Kern besitzt. Das ist ja der Witz. Es hat daher gar keinen Sinn, über Lokführer zu philosophieren, wenn es auf dem selben Gleis Richtung Abgrund immer weitergehen soll, statt über eine Notbremsung und einen Richtungswechsel nachzudenken.


Bildnachweis: Michi S auf Pixabay

0

Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
  Verwandte Beiträge