Militärische Austerität

Geschrieben von: am 02. Jun 2023 um 12:14

Puh, das ist ja noch einmal gut gegangen. In den USA haben sich Demokraten und Republikaner auf eine vorläufige Aussetzung der Schuldenobergrenze geeinigt. Da atmen vor allem deutsche Medien erleichtert auf, die sich wochenlang mit der albernen Frage beschäftigten, ob so etwas wie ein Zahlungsausfall, also Staatsbankrott drohe. Übrigens soll in Deutschland nun doch noch das Heizungsgesetz verabschiedet werden und damit ein Beschluss noch vor der Bekanntgabe irgendwelcher Eckwerte zum Haushalt erfolgen. Nur eins ist in allen Fällen klar. Es sollen Ausgaben des Staates konsequent gestrichen werden, außer fürs Militär. Die Zeitenwende besteht also künftig in militärischer Austerität.

Dieser wunderbare wie erschreckende Begriff taucht unter anderem hier auf, zusammen mit der zutreffenden Beschreibung, dass die europäische Wirtschafts- und Währungsintegration ein grundsätzlich antidemokratisches Projekt sei, eines, das darauf abziele, die Wirtschaftspolitik der Kontrolle der Wähler zu entziehen. Das äußere sich vor allem darin, dass die Aussetzung der strengen EU-Fiskalregeln im Zuge der Corona Pandemie nun wieder zurückgenommen werden. Es entbehre daher nicht einer gewissen Ironie, wenn die Europäische Kommission gerade jetzt den Abbau jener Schulden mit der technokratischen Brechstange verlange, die sie zuvor noch gefördert hat.

Doch das ist noch nicht alles. Denn während die Kommission von den Mitgliedsstaaten verlangt, die Ausgaben in den nationalen Budgets zu kürzen, fordert sie gleichzeitig die Regierungen auf, ihre Verteidigungshaushalte auf mindestens 2 Prozent des BIP zu erhöhen, um das Ausgabenziel der Nato einzuhalten. So etwas Ähnliches ist auch in den USA vereinbart worden. Die Schuldenobergrenze wird ausgesetzt unter der Bedingung, dass Ausgaben, vor allem im sozialen Bereich, begrenzt werden. Ausgenommen sind Ausgaben fürs Militär. Nüchtern betrachtet, kann man so etwas auch Kriegswirtschaft nennen, da es wichtiger ist, die Herstellung von Munition zu finanzieren, statt ausreichend Mittel zur Armutsbekämpfung bereitzustellen.

Hinzu kommt, dass die Politik die Grundlagen für ihr neuerliches Austeritätsprogramm selbst geschaffen hat. Eine zunehmende zeitliche Distanz, wie in Deutschland zu beobachten, verfolgt das Ziel, Ursache und Wirkung voneinander zu trennen. So hängt der Rückgang bei den zu erwarteten Steuereinnahmen, die plötzlich zu einem beklagenswerten Haushaltsloch führen, zweifellos mit dem Inflationsausgleichsgesetz der Ampel zusammen. Das sah Steuersenkungen für alle vor, also eine Kürzung der Staatseinnahmen, ohne Ausgleich, etwa durch eine Anhebung der Steuern auf Spitzeneinkommen oder Vermögen, wie es sinnvoll gewesen wäre, wenn man tatsächlich die unteren und normalen Einkommensgruppen dauerhaft entlasten will. Denn nun belastet man sie mit entsprechendem zeitlichen Verzug ja doch wieder, weil sie durch den Verzicht auf öffentliche Leistungen (Lindner verschickt Sparvorgaben) das Haushaltsloch zu schließen haben.

Klassenkampf im Armenhaus

Dafür werden dann auch Schuldige präsentiert, wie die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, die einen Tarifabschluss verhandelt haben, der wiederum höhere Kosten in den öffentlichen Haushalten verursacht. Darüber wird nun wie auf Bestellung laut geklagt. Somit bezahlen die Beschäftigten nicht nur mit Reallohnverlusten für Krieg und Krise, sie werden auch zu Sündenböcken gemacht. Der Finanzminister kommt dagegen mit dem Kunststück durch, Mittel und nochmals mehr Mittel für Militär auf jeden Fall im Haushalt abbilden zu können, während Ausgabenbegrenzungen bei allem anderen natürlich unerlässlich seien, um zu einer stabilitäts- und angebotsorientierten Finanzpolitik zurückzukehren. Also noch einmal. Dass es nun keine Kindergrundsicherung gibt oder die Kommunen Gebühren erhöhen oder Leistungen kürzen müssen, liegt letztlich an einem Tarifabschluss. Das heißt: Regierung und Medien bitten zum Klassenkampf im Armenhaus.

Denn während sie sich erleichtert darüber zeigen, dass die USA ihren Haushaltsstreit vorläufig beendet haben und weiter aus allen Rohren feuern können, wären sie hierzulande keinesfalls froh, wenn die Schuldenbremse erneut ausgesetzt würde, obwohl das ja bekanntlich schon dreimal aufgrund von Krisen geschah. Mit Unterstützung der Medien schaltet der zuständige Finanzminister jetzt auf stur. An der Schuldenbremse festzuhalten, auch wenn man daneben Sonderhaushalte mit bis zu 200 Milliarden für den Wirtschaftskrieg und 100 Milliarden für die Bundeswehr unterhält, gilt als ehrenwert. Da spielt es auch keine Rolle, dass die Wirtschaft gerade in die Rezession abgleitet. „So verfehlt die Bundesregierung wieder ihre Bauziele deutlich, die Bahn bleibt unpünktlich, Kinder lernen später lesen, weil sie in überfüllten Klassen sitzen, und ein Krankenhausaufenthalt wird wegen des drastischen Personalmangels zum Lebensrisiko“, schreibt Simon Zeise in der Berliner Zeitung. Dass die Leute besonders an Lebensmitteln und Getränken sparen müssten, sei ein Armutszeugnis für ein reiches Industrieland.

Dabei wurde die „grundlegende Beschreibung einer verantwortungsvollen Wirtschaftspolitik vor über 50 Jahren im Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StabG) mit dem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht, auch bekannt unter dem Stichwort „magisches Viereck“, gegeben“, erinnert die Volkswirtin Friederike Spiecker in einem Blogbeitrag. Die Ziele sind angemessenes Wirtschaftswachstum, Preisstabilität, hohes Beschäftigungsniveau und außenwirtschaftliches Gleichgewicht. Durch die Aufnahme der Schuldenbremse ins Grundgesetz sei aus diesem magischen Viereck jedoch die Verpflichtung zur Quadratur des Kreises geworden. Spiecker zieht daher den Schluss, dass nur eine Streichung der Schuldenbremse aus dem Grundgesetz Abhilfe schaffe. Andernfalls bliebe es bei einer logisch in sich widersprüchlichen Gesetzgebung und die könne auf Dauer nicht funktionieren.

Quadratur des Kreises

Konkret muss daher auch der Ampelkoalition eine Quadratur des Kreises gelingen. Es gilt einen Grundwiderspruch aufzulösen, der mit Bildung der Regierung weitgehend ausgeklammert worden war. Die Finanzierungsfrage. Während die FDP mit der Aussetzung der Schuldenbremse und der Bildung von Investitionsfonds aus ihrer Sicht schon ausreichend Beweglichkeit bewiesen hat, verlangen die Grünen noch größere Investitionsprogramme im Rahmen eines Green New Deals mit Hilfe von öffentlichen Krediten. Es hat ja einen Grund, warum das ideologisch getriebene Heizungsgesetz verabschiedet werden soll, noch bevor über Zuschüsse, sozialen Ausgleich oder eine kommunale Wärmeplanung verhandelt worden ist. Im Zweifel wird das nämlich alles an den bornierten Dogmen scheitern, wonach die Staatsfinanzen wie das Kassenbuch der Schwäbischen Hausfrau zu führen seien, mit Ausnahme jener Mittel für das Militärische, die auf wundersame wie unerklärliche Weise aus mehr Mitteln bestritten werden können.

Die Frage ist also, ob die Koalition an der Frage der militärischen Austerität zerbricht oder die Bevölkerung weiterhin bereit ist, diese Widersprüchlichkeit hinzunehmen. Laut ARD Deutschlandtrend ist nur noch jeder Fünfte mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden. Da aber die AfD auf 18 Prozent steigt und im Osten sogar schon stärkste Kraft ist, muss man sich mit der fragwürdigen Politik der Regierenden nicht lange auseinandersetzen. Denn es droht Gefahr aus einer „Mischszene von Verschwörungstheoretikern, Rechtsextremisten, Anhängern der Reichsbürgerszene, Corona-Leugnern und Querdenkern in den sozialen Medien“. Diese Szene nutze etwa den Ukraine-Krieg, die hohe Inflation und die gestiegenen Energiepreise als Vehikel, um ihre fundamentale Ablehnung des demokratischen Systems der Bundesrepublik Deutschland zu verbreiten.

Mit anderen Worten: Die Regierung selber kann die Demokratie ja gar nicht gefährden, auch wenn sie anordnen durfte, dass Ungeimpften auf dem Weihnachtsmarkt kein Glühwein ausgeschenkt oder weitergereicht wird. Die Regierung selber kann die Demokratie ja gar nicht gefährden, auch wenn sie eine Reihe von Sondervermögen schafft, um Unmengen an Waffen zu bezahlen, die in Kriegsgebieten den Frieden bringen sollen, obwohl die Ausgaben doch gekürzt werden müssen, um eine Regel des Grundgesetzes zu erfüllen. Die Regierung selber kann die Demokratie ja gar nicht gefährden, auch wenn sich die sie tragenden wie nicht tragenden Fraktionen in einer Kommission für das Ziel einsetzen, die reguläre Wahlperiode von vier auf fünf Jahre zu verlängern. Eine fünfjährige Wahlperiode hätte den Vorteil, dass die parlamentarische Arbeit stabiler wäre, heißt es. Das stimmt. Sie wäre sogar noch stabiler, wenn es gar keine Wahlen mehr gäbe.


Bildnachweis: André Tautenhahn

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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