Nun sprechen die Falken. Nach der Erklärung Putins vom gestrigen Tage fühlen sie sich in ihren Annahmen rundherum bestätigt. Zwar haben sie beim Datum wiederholt daneben gelegen, aber das spielt ja keine Rolle. Das Feindbild ist vollendet. Nur was macht man nun damit?
Eine gewisse Ratlosigkeit breitet sich aus, dabei ist es noch gar nicht so lange her, als Bundeskanzler Olaf Scholz in den USA ankündigte, bereit zu sein, notfalls „alle nötigen Schritte“ zu gehen. Putin wisse, dass er für eine Aggression gegen die Ukraine einen sehr hohen Preis zahlen müsse. Es lägen „alle Optionen auf dem Tisch“. Er wolle dies aber nicht genauer ausführen. Notwendig sei „strategische Doppeldeutigkeit“, damit Russland sich nicht genau ausrechnen könne, welchen Preis es bei einem Einmarsch zahlen müsste. Das klang nicht nur nach leeren Worten, es sind auch welche. Bis zuletzt betonten deutsche Politiker, wie einig sich der Westen sei. Das Gegenteil ist vermutlich wieder der Fall.
In Wirklichkeit ist Europa schwach und uneins. Es lässt sich nicht von Putin, sondern von Amerikanern und Briten vorführen, die immer dann an der Eskalationsschraube drehen, wenn vorsichtige Töne der Entspannung gesendet werden. Das war nach den Initiativen von Macron wie auch von Scholz in diesem Monat der Fall. Beide sind bzw. waren Akteure des sogenannten Normandie-Formats, eine Konstruktion, die eine Perspektive bot und mit dem Abkommen Minsk II eine entsprechende Grundlage hatte. Doch statt zusammenzufinden und die Chancen einer gemeinsamen europäischen Sicherheitsarchitektur mit Russland zu ergreifen, setzen sich auch unter der neuen Bundesregierung die transatlantischen Falken durch. Rolf Mützenich ist der einsame Rufer im sozialdemokratischen Walde, der sich noch an die Entspannungspolitik der eigenen Partei zu erinnern scheint. Er wäre wohl der bessere Kanzler gewesen.
Aber auch das Kräfteverhältnis innerhalb der Europäischen Union hat sich verschoben. Wo früher Madame No (Merkel) und Schäuble, später Scholz mit einer zerstörerischen Finanzpolitik, die nur die Interessen des „Exportweltmeisters“ Deutschlands im Blick hatte, die Richtung vorgaben, steigt nun Frankreich auf. Die anhaltenden Demütigungen durch Deutschland haben ein Ende. Nach dem Abschied von Merkel schickt sich Macron mit Unterstützung des europäischen Südens an, die dominierende Rolle zu übernehmen und genau die Führung zu liefern, die man bei Olaf Scholz angeblich bestellen kann. Deutschland ist nicht nur abhängig von russischem Gas, sondern mittlerweile auch vom französischen Strom aus der inzwischen als grün und nachhaltig gelabelten Atomkraft. Den Militäreinsatz in Mali beendet auch nicht der Deutsche Bundestag, weil die Mission (welche eigentlich) erfüllt ist, sondern Frankreich, hinter dem eine dilettierende deutsche Verteidigungsministerin nur hertrotteln kann. Deutschland ist unfähig und zunehmend isoliert, erwartet aber weiterhin großmäulig Kooperation, weil es früher eben selbst diktierte. Dabei erntet es jetzt das, was Merkel in 16 Jahren mit freundlicher Unterstützung der deutschen Sozialdemokratie sähte.
Die eigentliche Nachricht des gestrigen Tages ist, dass Washington und London den europäischen Einigungsversuch mit Russland erfolgreich torpediert haben. Putin musste erkennen, dass die in Aussicht gestellten Verhandlungen wertlos sind, wenn sich Europa, das weiterhin uneinig ist, nicht einer möglichen Vereinbarung, die im Normandie-Format hätte getroffen werden können, verpflichtet fühlt, sondern ausschließlich den Doktrinen der USA. Die neue Bundesregierung steht bereits vor einem Scherbenhaufen, weil es nicht gelungen ist, die eigenen, wie auch die europäischen Interessen in Zusammenarbeit mit Russland zu betonen. Den Transatlantikern ist hingegen gelungen, einen Keil zwischen EU-Europa und Russland zu treiben. Nun eskaliert Russland eben auch und dieser Konflikt schadet vor allem der EU und insbesondere Deutschland, das von der einen Abhängigkeit in die nächste stolpert, wohingegen die Geschäfte zwischen Russland und den USA weiterhin blendend laufen. Daher dürfte vor allem die Energie aus dem Westen hierzulande noch viel teurer werden. Doch nicht die Falken in Politik und Medien werden dafür bezahlen, sondern die normalen Menschen. Und daran ist nicht allein Russland schuld.
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FEB
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.