Die Hoffnung ist trügerisch

Geschrieben von: am 05. Aug 2021 um 10:46

Die Debatte um die Einschränkung von Ungeimpften folgt dem Prinzip Teile und herrsche. Das ist genauso klar wie langweilig, da im Grunde ablenkend. Interessant ist ja, worüber nicht so laut gesprochen werden soll. Mit einem neuen Papier will das Bundesgesundheitsministerium die Corona-Strategie für den Herbst aufzeigen, es beinhaltet im Kern aber nur ein Weiter so. Die Rücknahme von Maßnahmen ist nicht wirklich vorgesehen, sondern eine Neujustierung und Verlängerung. Die Hoffnung auf mehr Freiheiten bleibt daher trügerisch.

Wenn sich Geimpfte und Ungeimpfte in den sozialen Netzwerken oder in den Kommentarspalten der einschlägigen Nachrichtenportale darüber die Köpfe zerbrechen, ob es gerechtfertigt ist, dass man eine Gruppe ohne Gesundheitspass von den Annehmlichkeiten des Lebens ausschließen dürfe, ist ein politisches Ziel bereits erreicht. Der Nebenkriegsschauplatz. Er sorgt für die gewünschte Beschäftigung. Auf der anderen Seite fragt dann niemand mehr danach, wie die Regierung denn mit der Tatsache umzugehen gedenkt, dass es auch künftig Infektionen und schwere Krankheitsverläufe geben wird und zwar unabhängig vom Impfstatus des einzelnen oder der gesamten Gesellschaft.

Noch immer wird der Eindruck erweckt, alles würde sich schon fügen, wenn nur jeder das Impfangebot in Anspruch nehme. Aber das ist falsch. Hinter hohen Impfzielen und der Vorstellung, dadurch so etwas wie Herdenimmunität zu erreichen, verbirgt sich lediglich die Weigerung der Regierung, über die dringend angezeigte Beendigung der besonderen Notlage zu entscheiden. Die Formulierungen des Papiers wirken eher so, als suche die Regierung nach Gründen, den Ausnahmezustand noch einmal zu verlängern. Dafür werden auch ein weiteres Mal die Kinder in Stellung gebracht, die es zu schützen gilt, obwohl sie gar nicht zu den Risikogruppen gehören.

Die Risikogruppen, also vor allem Menschen über 60 Jahren sind bereits sehr gut durch die Impfung geschützt. Das zeigen die Daten des RKI. Rund 85 Prozent der über 60-Jährigen sind einmal und 80,4 Prozent zweimal geimpft (Stand 5. August). Das reicht den Behörden aber nicht. Sie verlangen eine Quote von 90 Prozent. Die sei Modellierungen zufolge notwendig, um die 7-Tage-Inzidenzen unter 100 beziehungsweise 50 Fälle pro 100.000 Personen zu halten. Nur, wie wird diese Quote eigentlich erhöht, wenn die Regierung mehr Energie darauf verschwendet, Kinder und Jugendliche im Alter von 12 bis 17 Jahren mit einem Impfangebot zu versorgen, auch ohne Empfehlung der STIKO?

Die Regierung handelt unlogisch und widersprüchlich. Auch sie betreibt Nebenkriegsschauplätze, um davon abzulenken, dass die epidemische Lage von nationaler Tragweite und damit die staatliche Fürsorgepflicht in dem Moment endet, wo genügend Impfstoff zur Verfügung steht und jeder selbst entscheiden kann, ob er sich damit zusätzlich schützen will oder nicht. Die Herdenimmunität, die idealtypisch weitere Infektionen mehr oder weniger ausschließt, ist dagegen reine Illusion, aber noch nicht so recht Konsens in der Politik. „Man wird nie eine vollständige Immunisierung erreichen, und man wird auch immer wieder Neueinträge aus der Umgebung, aus anderen Ländern oder vielleicht sogar von Tieren haben“, sagt der ehemalige Chefvirologe der Charité Detlev Krüger. Er spricht in diesem Zusammenhang auch von politisch motivierten Zahlen, die derzeit die Debatte prägen.

Und hier liegt im Grunde auch das Kernproblem. Geimpfte gehen zurecht davon aus, dass ihre Rechte vollumfänglich wiederhergestellt werden. Veranstalter gehen davon aus, dass ihre Rechte ebenfalls vollumfänglich wiederhergestellt werden und sie beispielsweise Konzerte ohne Einschränkungen und unter voller Auslastung organisieren dürfen. Dafür bieten sie an, Ungeimpfte aktiv auszuschließen. Das kann man auch als Test verstehen, wie ernst die Politik es mit der Rückgabe von Freiheiten tatsächlich meint. Das Herumgeeiere deutet aber darauf hin, dass es so leicht nicht werden wird. Und das hat einen Grund. Die Regierung will sich nicht entscheiden, ob sie Infektionen, die es heute und morgen sicher geben wird, nun toleriert oder nicht. Mit der Floskel von flatten the curve 2.0 wird aber bereits ein Hinweis gegeben. Im Zweifel lieber weiter einschränken, regulieren und bevormunden, statt zulassen. Mit anderen Worten: Auch die nächste Corona-Verordnung wird lang, widersprüchlich und anstrengend.


Bildnachweis: Gerd Altmann auf Pixabay

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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