Das Ende der Pandemie

Geschrieben von: am 01. Mai 2021 um 15:46

Das Ende der Pandemie naht. Der Chef des RKI wehrt sich zwar noch, aber inzwischen dürfte klar sein, Lothar Wieler wird seinen Stuhl bald räumen müssen. Die Behörde steht für eklatantes Versagen in der Corona-Pandemie. Seit einem Jahr gelingt es nicht, verlässliche Daten bereitzustellen oder zu erheben, auf deren Grundlage man brauchbare Aussagen tätigen oder Szenarien über den Fortgang der Pandemie entwickeln könnte. Die letzte Prognose, die Wieler und sein Team vorstellten, beschrieb eine Katastrophe. Inzwischen steht fest, das trifft nur auf die Projektion selbst zu.

Die zur Verfügung stehenden Daten über den Verlauf der Pandemie sind so mies, dass es für Politik, Wissenschaft und Verwaltung peinlich ist, urteilt der Journalist Jan-Martin Wiarda. Statt repräsentativer Stichproben gibt es Streit und Kaffeesatzleserei. Diese wird wiederum auf einem Niveau betrieben, das irgendwie nachdenklich und intellektuell daherkommt, aber ähnlich wie die Modellierungen des RKI eine schlichte Katastrophe ist. Vor allem hängen diese Diskussionen um Lichtjahre hinter der Wirklichkeit zurück. Dort wird inzwischen nach Pragmatismus verlangt, wie er in den Nachbarländern mit viel höheren Inzidenzen längst praktiziert wird. Doch hierzulande übt man sich ein bisschen in später DDR.

Während in Deutschland ernsthaft darüber gestritten wird, welche Rechte Geimpfte, Genesene oder Getestete in ein paar Wochen vielleicht beanspruchen dürfen, wird anderswo einfach für alle geöffnet. Einen anderen Weg gibt es auch nicht mehr. Die Glaubwürdigkeit der Behörden ist dahin und die der Wissenschaftler, die über virale Raketenantriebe fabulierten ebenso. Dennoch versucht die Bundesregierung erst einmal die Einschränkungen für Geimpfte und Genesene aufzuheben. Das muss sie auch tun, da es sonst die Gerichte erledigen. Der Weg ist dennoch falsch, da er ja bedeutet, den anderen diese Rechte weiter vorzuenthalten. Viel Spaß dabei, das sind ja auch Wähler. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil hat die Sprengkraft eines solchen Vorgehens wohl erkannt und sich daher letzte Woche dagegen ausgesprochen.

Doch auch er kommt um das einleuchtende juristische Argument nicht herum. Geimpfte stellen nach offizieller Lesart der Pandemie keine Gefahr mehr dar. Sie in ihren Rechten zu beschränken, ist daher weder angemessen, noch verhältnismäßig. Das es nun immer noch nicht genug Impfstoff für alle anderen gibt, ist kein Grund, der gegen diese Auffassung spräche, sondern vor allem eines: politisches Versagen. Die Impfstoff-Knappheit hätte vermieden werden können, stellt aber auch so kein großes Problem mehr dar, da die Risikogruppen davon nicht mehr betroffen sind. Auch das gehört zur Lesart der Pandemie. Der Schutz der Alten wird langsam abgeschlossen. Sie sind weitgehend imunisiert, nun so zu tun, als bestünde auch für alle anderen, mit Ausnahme der Vorerkrankten, eine außerordentliche Gefahr, ist unredlich. So hart es nun einmal klingt, aber dafür sterben aus diesen Altersgruppen einfach viel zu wenige.

Doch auch diese Diskussion hat sich erledigt, sobald die Priorisierung fällt, weil endlich genug Impfstoff für alle da ist und jeder, der möchte, sich auch impfen lassen kann. Spätestens dann gibt es keine Begründung mehr für die Einschränkung der Grundrechte. Es wird aber auch so nicht gelingen, das Maßnahmenregime für die ungeimpften Gesunden aufrecht zu erhalten und zwar genau aus dem Grund, den Stephan Weil zu Beginn der vergangenen Woche mit Sorge erfüllte, als die Runde der Ministerpräsidenten zum Thema Impfen wieder tagte. Die gesellschaftliche Spaltung. Sie wird rasch eintreten, wenn die Rechte für die Geimpften entweder per Richterspruch oder per Bundesverordnung zurückkommen werden.

Die niedersächsische Regierung passt sich dieser unausweichlichen Lage offenbar an und plant daher nun für den 10. Mai mit weitgehenden Lockerungen für alle. Die alberne Terminbuchung soll für den Einzelhandel fallen und die Testpflicht, für die man vielerorts auch wieder Termine braucht, vermutlich ebenso. Plötzlich spielen bei den Überlegungen die Erfahrungen aus Supermärkten, Drogerien und Co. eine Rolle, wo es das alles seit einem Jahr Pandemie nie gegeben hat. Ein Einfluss auf das Infektionsgeschehen ist nicht nachgewiesen. Und weil man das auch weiterhin nicht wissen will, gibt es auch keinen Grund mehr für pauschale Schließungen. Darauf haben ebenfalls die Gerichte bereits hingewiesen. Die bloße Behauptung oder Vermutung des Verordnungsgebers reicht nicht mehr aus, wenn durch eine bessere Erforschung von Infektionsumfeldern die erforderliche Klarheit geschaffen werden könnte.

Im Übrigen verläuft die gesellschaftliche Spaltung auch nicht zwischen Geimpften/Genesenen und Ungeimpften/Gesunden, sondern zwischen Arm und Reich. Das hat man lange auch nicht wissen wollen in dem Land, in dem die Kanzlerin mit freundlicher Unterstützung der SPD gut und gerne lebt. Die Erkrankung trifft Menschen aus einkommensschwachen Bevölkerungsschichten deutlich häufiger. Der Grund sind beengte Wohnverhältnisse und prekäre Jobs. An diesen Zuständen ändern dann auch noch viel härtere Lockdowns nichts. Die Stilllegung des öffentlichen Lebens, besonders perfide sichtbar beim Sperren von Spielplätzen, trägt nichts dazu bei, die Benachteiligten und Armen aus ihren prekären Verhältnissen zu befreien. Darüber sollte am 1. Mai gerade die woke Linke einmal nachdenken, die bei Lanz nur noch bedeutungsschwanger vor sich hin philosophiert und sich dann darüber wundert, dass sie in den Umfragen so schlecht dasteht.


Bildnachweis: Screenshot, Sendung Markus Lanz im ZDF, 29. April 2021

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Maki  Mai 1, 2021

    Das ist der Punkt, den ich nicht verstehe.
    Wir schützen seit über einem Jahr die alten und kranken.
    Jetzt sind diese durch mit dem impfen, aber offen ist nichts. Warum sind Schulen und Kindergarten noch zu? Arbeiten dort alte und kranke? Auch Erzieher, Lehrer etc sind schon mit Impfstoff versorgt.
    Komisch ist auch, dass es keinen hashtag gibt
    #wir bleiben daheim bis alle sich impfen konnten
    :)
    Als es darum ging, die alten und kranken zu schützen, galt doch #stay at Home.
    Und jetzt ist das Motto: ich hab die Impfung, warum soll ich noch leiden.

    • Tim  Mai 3, 2021

      Die Begründung der „Zeugen Coronas“ lautet: nur die Risikogruppen zu impfen reicht nicht, dann würden sich nach und nach zig-Millionen (eben nicht-Risiko-) Menschen infizieren, das Virus sich also zig-Millionenfach vermehren, immer mit der Gefahr (so die Behauptung) der Muationsbildung. Und diese Mutationen (je mehr Kopien des Virus, desto mehr Mutationen) KÖNNEN potentiell ansteckender und/oder gefährlicher (krankmachender/tödlicher) sein

  2. Michael U.  Mai 3, 2021

    Der Titel „Das Ende der 3. Welle“ wäre passender. Ein Ende der Pandemie wird es nicht geben. Das Virus war ja letzten Sommer auch „anscheinend verschwunden“. Was nächsten Winter kommt ist eine neue Mutation, gegen die es noch keine Impfung gibt. Was soll man da also machen? Lockdown!

  3. Egmont  Mai 3, 2021

    Das Ende der Pandemie und Rücktritt von Wieler …? Wie sagt man so schön … „Dein Wort in Gottes Ohr.“ Bisher kam immer, wenn man glaubte, nun müssten zwingend Lockerungen kommen, irgendwas, das immer noch dümmer, frustrierender und aussichtloser war.

    Man wünscht sich ja, die Pandemie hätte nicht in China angefangen. Dann wäre der Irrglaube, man könne Viren mit Lockdowns ausrotten, vielleicht hier nie entstanden. Vermutlich hätte es andere dumme Maßnahmen gegeben. Aber die wären vielleicht nicht so verheerend ausgefallen. Ich musste gerade kürzlich wieder an die Bilder von Anfang 2020 denken, als in China die Bürgersteige von Trupps in Schutzanzügen desinfiziert wurden, was Assoziationen von der Ausrottung der vier Plagen (https://de.wikipedia.org/wiki/Ausrottung_der_vier_Plagen) aufkommen ließ. Wohin die geführt hat, wissen wir ja. Die Bundesregierung scheint da auch nicht viel besser. Und das Problem ist nicht Corona, sondern beratungsresistente Politik.

  4. Stefan  Mai 4, 2021

    Wie sich nun zeigt, sind ja die Vorgaben aus Berlin nun auch bei Herrn Weil angekommen: Öffnungen ja, aber nur für Geimpfte, Genesene und Getestete. Die anderen sind ja alle nur potentielle Mörder, jedenfalls Gefährder? Oder wie will man so etwas begründen? Die Läden für die Gefährder jetzt wieder zu, die sollen also im Lockdown bleiben, bis sie weich sind und sich auch ganz schnell impfen lassen? Was für eine Haltung gegenüber den „Untertanen“ sich da zeigt ….. es gruselt, finde ich. Aber wir werden sehen, ob das lange so geht – welcher Gastronom möchte sich eigentlich als „Gesundheitskontrolleur“ aufspielen und dann noch hoffen, viele Kunden zu bekommen? Oder soll die Bundeswehr jetzt Kontrollhilfe leisten?

    • André Tautenhahn  Mai 5, 2021

      Die Öffnungen gelten für alle. Die Grenze bleibt aber die 100er Inzidenz. Ab da gilt die Bundesnotbremse, dann auch für alle. Der Zutritt zum geöffneten Einzelhandel ist mit Impfnachweis oder mit negativen Test möglich, wobei das in der niedersächsischen Regierung auch noch umstritten ist. Ich vermute, weil man sich bei der Begründung für die Öffnungen auf die Teile des Einzelhandels bezieht, die nie geschlossen waren und bei denen auch weiterhin keine Impfnachweise und Tests erforderlich sind. Die Sonderregelungen für andere Bereiche des Einzelhandels sind dann halt auch wieder angreifbar, aus meiner Sicht jedenfalls. Ob sich die schrullige Vorstellung mit dem gelben Büchlein oder dem positiven PCR-Test mit Quarantäneschreiben im Handtäschchen als Eintrittskarte lange durchhalten lässt, wage ich zu bezweifeln. Das wird in der Praxis mit Sicherheit nicht so laufen und in der Tat gibt es ein Kontrollproblem, schon jetzt übrigens bei click & meet oder click & collect. Die Realität hat da die politische Einfältigkeit schon längst überholt. ;-)

      • Stefan Carl em Huisken  Mai 5, 2021

        Diese Worte in Gottes oder der Regierenden Gehörgang. Bisher hat man ja auf der Herrschafts-Ebene noch immer einen Weg gefunden, als Lockerungen zu verkaufen, was eigentlich eine Verschärfung ist. Derzeit kann ich als normaler, gesunder Mensch vor Ort beim Baumarkt (soweit er nicht zu voll ist) spontan einen „Termin vereinbaren“ und einkaufen. Dann nicht mehr: Erstmal zum Testzentrum, eine halbe Stunde anstehen, 20 Minuten auf das Ergebnis warten, zurück zum Baumarkt, und dann … Oder: ich treffe auf der Straße einen Bekannten, wir möchten gerne auf der geöffneten Terrasse eines Eiscafés zusammen eine Cappucino trinken. Selbe Prozedur: Testzentrum, dann erst? Schade für die Gastronomen, von den Geimpften alleine werden sie wohl nicht wirkich etwas haben. Parlamentarier wissen ja auch nicht, wovon sie reden: für sie gelten weitreichende Ausnahmen von den Bevölkerungsqälungsregelungen. Also: ich bleibe skeptisch, die da oben sind zu gerissen und/oder verstehen einfach gar nicht, was sie anrichten.