Geimpfte, Genesene, Grundrechte, Gesunde, Gefahr

Geschrieben von: am 27. Apr 2021 um 14:24

Manche haben sie vermisst. Gestern war es endlich wieder soweit. Eine neue Ausgabe der Ministerpräsidentenkonferenz. Beschlüsse waren nicht vorgesehen. Deshalb dauerte es auch nicht so lang wie üblich. Trotzdem gab es erschreckende Ergebnisse, denn die wesentliche Erkenntnis lautet: Wer nicht geimpft oder genesen ist, bleibt weiterhin gefährlich. 5G könnte man dieses Prinzip nennen: Geimpfte, Genesene, Grundrechte, Gesunde, Gefahr. Also hier ist nicht von einem neuen Mobilfunkstandard die Rede, sondern von einer neuen Gesellschaftsordnung. Denn mit dem Virus könne man ja nicht verhandeln, heißt, mit der Verfassung offenbar schon.

Nach der gesetzlichen Notbremse mit eingebautem Automatismus zur Einschränkung von Grundrechten auf Grundlage eines Inzidenzwertes, den die Regierung selbst beeinflussen und steuern kann, folgt nun eine Diskussion über die Gewährung von Freiheiten nach bestimmten Kriterien. Damit wird so ziemlich alles auf den Kopf gestellt, da immer klarer wird, dass nur die Geimpften/Genesenen eine Chance auf Privilegien haben, die so nicht genannt werden dürfen, aber natürlich trotzdem welche sind, solange die Ungeimpften/Gesunden nur einen Anspruch auf eine Art Grundversorgung haben.

Viele Jüngere, vor allem Familien mit Kindern, werden sich zurecht fragen, ob das Ergebnis der einjährigen Solidarität nun sein soll, den Älteren oder doppelt geimpften Singles und Paaren beim Urlaub am Strand aus dem Homeoffice zuschauen zu dürfen. Zudem dürfen sich Familien sogar noch auf weitere Einschränkungen einstellen, zumindest deutet das die Kanzlerin an, wenn sie unter 12-Jährige als Herausforderung für den Schulbetrieb im Herbst bezeichnet. Für die 12 bis 15-Jährigen zeichnet sich derweil ein sommerlicher Abenteuerausflug ins Impfzentrum ab und das, obwohl Kinder und Jugendliche eigentlich überhaupt nicht auffallend schwer erkranken.

Eine „MPK der Hoffnung“ soll es unterm Strich dennoch gewesen sein. Ohne diese übertriebenen Formulierungen kommt der bayerische Ministerpräsident nicht aus. Er sollte vielleicht seinen Redebeiträgen voranstellen: „Mein Name ist Markus Söder und ich bin Hütchenspieler…“ Denn der Kanzlerkandidat der Herzen (sic!) lenkt mit seinem Gequatsche von dem ab, was er mit seinen Händen tut. Sie wissen, bei Angela Merkel ist es anders herum. Sie lenkt mit den Händen, Stichwort Raute, von ihren rhetorischen Defiziten ab, analysierte einst der Kabarettist Volker Pispers. Doch was ist denn nun mit Hoffnung gemeint?

Prinzip Hoffnung

Hofft die Regierung, noch eine plausible Begründung für die Einschränkung der Grundrechte zu finden? Hofft die Regierung, dass durch die Bundesnotbremse nicht auffällt, wie der fünfmonatige Dauerlockdown inzwischen zu einer Karikatur geworden ist? Hofft die Regierung auf Rettung aus Indien? So weit muss man ja inzwischen gehen, um weiter Panik zu schüren. Die Menschen in Deutschlands Nachbarstaaten sitzen inzwischen wieder an den Tischen der Cafés und Restaurants, egal wie hoch der Inzidenzwert gerade ist, weil der eben nicht mehr die entscheidende Rolle spielt. In Deutschland werden dagegen weiterhin jeden Tag brav Zahlen zitiert, die nach wie vor auf archaischen Meldewegen, wenn überhaupt, zum RKI gelangen.

Die Regierung ist damit erneut nicht auf der Höhe der Zeit. Sie macht sich weiter Gedanken über Impfpriorisierungen und lässt deren mögliche Aufhebung für Anfang Juni als erlösende Eilmeldung verbreiten. Dabei wird einfach nur irgendwann der Punkt erreicht sein, an dem tatsächlich genug Impfstoff zur Verfügung steht. Und der ist, da kommt die Regierung nicht drumherum, durch eigenes Verschulden viel zu spät erreicht. Was eine Impfung gegen eine Atemwegserkrankung im Sommer noch bringen soll, wird sich ohnehin noch zeigen. Genauso fragwürdig ist die Diskussion um einen Impfnachweis, der zur Wahrnehmung von Freiheiten berechtigt, über die wiederum die Regierung exklusiv entscheidet. Schon jetzt deutet sich an, dass dieses Vorhaben in einem weiteren Desaster enden wird.


Bildnachweis: Screenshot ZDF heute live via YouTube

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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