Übereilt und unsichtbar

Geschrieben von: am 10. Feb 2021 um 9:18

Entspannt sich die Corona-Lage? Es sieht danach aus, doch der Eindruck täuscht, wie die Bundesregierung trotz sinkender Fallzahlen betont. Die Virologen haben da wieder so eine Modellrechnung gemacht. Kurzum: Das sieht nicht gut aus. Und so warnt die Obrigkeit vor übereilten Lockerungen – nach fast vier Monaten! – und vor einer unsichtbaren Welle mit gefährlichen Turbo-Mutanten. Man müsse daher weiterhin vorsichtig sein, was konkret bedeutet, dass aus der versprochenen Öffnungsstrategie, die das Kanzleramt mit den Chefs der Staatskanzleien eigentlich verhandeln sollte, erneut nichts wird. Das wäre wohl auch übereilt gewesen und bleibt daher vorerst ebenfalls unsichtbar.

Was Deutschland gut kann, ist Krisenstäbe einzurichten. Dort werden viele Maßnahmen besprochen, seitenlange Verordnungstexte ausgearbeitet, auch mal rechtswidrige Vorschriften erlassen oder ambitionierte Stufenpläne entworfen. Letztere dienen aber nur als Diskussionsgrundlage, nicht fürs Parlament, sondern für die Bund-Länder-Runde, dieses inoffizielle Beschlussgremium, bei dem schon mal vor lauter Langeweile Candy Crush gespielt wird. Am heutigen Mittwoch dürfte es für ein dürftiges Ergebnis zum Thema Schulen und Kitas erneut stundenlange Beratungen geben. Evidenz oder die Sorgen der Betroffenen spielen dabei keine Rolle, allenfalls Sturheit und Mutlosigkeit.

Diese Kritik am Coronakurs der Kanzlerin stammt übrigens nicht vom Autor dieses Textes, sondern von Abgeordneten der eigenen Bundestagsfraktion. Zeit wird es, auch wenn das eher verhaltene Gemecker hinter verschlossenen Türen kaum etwas am bisherigen Kurs ändern wird. Eine Regierung, die Teile der Wissenschaft für ihre politische Agenda einspannt, hat sämtliche Maßstäbe verloren. Wissenschaft wird benutzt, um politische Verantwortlichkeit zu verschleiern. Anfangs dachte man noch, Leute wie Drosten seien naiv, weil sie nicht erkannten, wie die Politik sie zu einem der ihren und damit zur Zielscheibe machte. Doch mittlerweile muss man davon ausgehen, dass sich Teile der Wissenschaft gern für politische Zwecke einspannen lassen, die enorme Öffentlichkeit genießen und mittlerweile selbst gern Aktivisten sind.

Beraten Wissenschaftler oder machen sie inzwischen Politik, weil die Aufmerksamkeit hoch und das Selbstbewusstsein massiv gestiegen ist? Immerhin gehen Journalisten-Kollegen dieser wichtigen Frage nach. Schaut man heute auf einige prominente Wissenschaftler und deren Output in der Öffentlichkeit, respektive den sozialen Medien, würde es ihnen gut anstehen, ihren Lehrstuhl zu verlassen und sich stattdessen um einen Sitz im Parlament zu bewerben. Dort können sie dann ganz transparent mit denen koalieren, die eine bestimmte Richtungsentscheidung wollen und glauben, dafür eine Mehrheit organisieren zu können. Falsch ist es hingegen, ein durch und durch politisches Programm als Wissenschaft zu verkaufen.

Der Virologe Drosten hat mal gesagt, dass seine, aber auch andere Disziplinen Empfehlungen abgeben. Nur wenn die Regierung denen nicht folge, also eine andere Richtung einschlage, habe sie sich dann auch gegen die Wissenschaft entschieden. Er sagte das im Zusammenhang mit den ad-hoc Stellungnahmen der Leopoldina aus Halle, die umstrittene Papiere verfasste, die wiederum die Kanzlerin in ihre Regierungserklärungen einbaute. Die Bild-Zeitung behauptet nun (siehe u.a. hier), dass der Kanzleramtsminister eine dieser Ausarbeitungen bestellt habe. Treffen die Anschuldigungen zu, welches Licht wirft das auf die zahlreichen Unterzeichner des jüngsten Appells? Das Kanzleramt will jedenfalls die Bildungseinrichtungen geschlossen halten, weil es eine weitere Ausbreitung des Virus befürchtet. Von der Hand zu weisen ist das ja nicht, nur werden die richtigen Gründe verschwiegen und stattdessen falsche Behauptungen konstruiert.

Richtig ist, dass in maroden Schulgebäuden mit großen Klassen, in denen die Schüler dicht an dicht sitzen, kaum ein Hygienekonzept verlässlich umgesetzt werden kann. Richtig ist auch, dass das Personal, seien es nun Lehrer oder Erzieher, noch immer nicht ausreichend geschützt werden. Masken, Schnelltests, Hygieneartikel, die Beschäftigten werden mit diesen Fragen allein gelassen. Sie hören nur Versprechungen. Überhaupt fehlt das Personal. Es fehlen Lehrer, es fehlen Erzieher. Es fehlt Geld. Kurzum: Die Bildungslandschaft ist schon in Normalzeiten nicht krisenfest aufgestellt und das, obwohl die Kanzlerin auf dem Dresdner Bildungsgipfel vor rund 12 Jahren erklärte, ab 2015 zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Bildung und Forschung investieren zu wollen. Das war wohl übereilt. Es ist und bleibt ein katastrophales politisches Versagen, das mit dem einfachen Zusperren und Verbieten sowie der Hysterie vor Turbo-Mutanten bloß unsichtbar gemacht werden soll.


Bildnachweis: André Tautenhahn

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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