Der Publizist und Nahostexperte Michael Lüders hat eine sehr interessante Einordnung der Debatte um Nord Stream 2 und des Falls Alexej Nawalny vorgenommen.
Er sagt, dass das Projekt Nord Stream 2 fertiggestellt würde, egal was einzelne Politiker forderten oder Leitartikler schrieben. Die Bundesregierung fährt zweigleisig. Es ist nur Bundesaußenminister Heiko Maas, der in Erwägung zieht, das Projekt zu beenden, während Bundesfinanzminister Olaf Scholz, Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und natürlich auch die Kanzlerin sich sehr zurückhaltend in der Sache äußern, obwohl sie alle den Angriff auf Nawalny im Scheinwerferlicht der Affäre ebenso überzeugt und scharf verurteilen.
Lüders meint, dass es sich die Bundesregierung nicht leisten könne, das Milliardenprojekt Nord Stream 2 wegen Nawalny zu beerdigen. Niemand würde je wieder Wirtschaftsverträge mit Deutschland abschließen, wenn klar wäre, dass die Amerikaner mit ihrer Sanktionspolitik, nun auch gegenüber befreundeten Partnern, Erfolg hätten. Es müsste dann ja immer damit gerechnet werden, dass man einen Menschenrechtsfall zum Vorwand nimmt, um ein vereinbartes Wirtschaftsprojekt zu beenden, so Lüders.
Das Auftreten der Bundesregierung im Fall Nawalny heißt nun aber gerade nicht, dass Nord Stream 2 auf der Kippe stünde, vielmehr ist damit die Botschaft verknüpft, in Zukunft keine ähnlichen Kooperationen mehr vornehmen zu wollen. Das können die Amerikaner wiederum als Erfolg verbuchen, die in erster Linie verhindern wollen, das Westeuropa und Russland, möglicherweise auch zusammen mit China und anderen, zu einem Wirtschaftsraum zusammenfinden, der den Niedergang der USA als bislang noch führende Macht weiter beschleunigt.
Deutschland sollte sich nach Auffassung von Lüders daher weder an die eine, noch an die andere Seite fest binden, sondern das tun, was in der Vergangenheit als außenpolitisches Konzept unter Willy Brandt und Egon Bahr erfolgreich war. Wandel durch Annäherung. Von der Logik Konfrontation und Abschreckung, wie sie derzeit wieder in Mode kommt, hat Deutschland dagegen nichts. Im Gegenteil. Für die amerikanische Sanktionspolitik, die sich gegen Dritte richtet, also beispielsweise gegen Russland oder Iran, bezahlen allein die Europäer den Preis.
OKT
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.