Versagen vor der Realität

Geschrieben von: am 09. Jan 2018 um 15:00

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Die Große Koalition macht weiter wie bisher. Das ist keine Neuigkeit, sondern auch so erwartet worden. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, hat nun die mögliche Abkehr von Union und SPD vom nationalen deutschen Klimaziel für 2020 scharf kritisiert und als ein großes Versagen vor der Realität bezeichnet. Sie sollte lieber vor der eigenen Haustür kehren.

Der Vorwurf an sich ist natürlich zutreffend. Sowohl Union als auch SPD haben in ihren Wahlaussagen festgehalten, dass sie das Klimaziel für 2020 einhalten wollen. Nun verhandeln beide miteinander und wie 2005 bei der Diskussion um die Mehrwertsteuer kommt etwas ganz anderes dabei heraus. Damals ergab 2 + 0 = 3. Heute bedeutet das unterschiedliche Festhalten an dem gleichen Ziel eben eine Verschiebung der Ziellinie um ein Jahrzehnt.

Quelle: Twitter

Doch nun zur Reaktion von Katrin Göring-Eckardt. Sie sagt im phoenix-Interview:

„Die erste Nachricht, die wir von den Verhandlungen einer großen Koalition bekommen, ist: Man schafft mal eben die Klimaziele ab. – Man schafft aber nicht die Klimakrise ab. Deswegen ist das ein großes Versagen vor der Realität.“

Die Grünen wiederum hätten bei den Sondierungen gezeigt, dass sie in der Lage seien, zu diesem Thema umsetzbare realistische Konzepte anzubieten. Das stimmt natürlich überhaupt nicht. Die Grünen haben sich vor allem an den Verhandlungstisch gekettet in der Absicht, bloß nicht als diejenigen zu gelten, die man hinterher für das Scheitern von Jamaika verantwortlich macht.

Reichtumsförderung statt Armutsbekämpfung

Dafür haben die Grünen die Angriffe des CSU-Kettenhundes Dobrindt mehr oder weniger ertragen und nach und nach, sogar bis zur Akzeptanz eines atmenden Rahmens in der Flüchtlingspolitik auch sämtliche Positionen geräumt. Das wird immer wieder vergessen. Sehr schnell und damit auch als erstes trennten sich die Grünen aber von ihren finanzpolitischen Vorstellungen. Ein Bekenntnis zur „Schwarzen Null“ und der Schuldenbremse sowie das Zugeständnis, keinerlei zusätzliche Substanzsteuern einführen zu wollen, war als Kompromisslinie schon nach der ersten Nacht verkündet. Der Satz oben müsste auf die Grünen gemünzt daher eigentlich so lauten:

Die erste Nachricht, die wir von den Verhandlungen einer Jamaika Koalition bekommen, ist: Man wischt mal eben die Überlegungen zu einer Vermögenssteuer beiseite. – Man schafft aber nicht die Armut ab. Deswegen ist das ein großes Versagen vor der Realität.

Reichtumsförderung statt Armutsbekämpfung, dafür stehen auch die Grünen und vor allem Katrin Göring-Eckardt, die ihre Ablehnung, Christoph Butterwegge als Präsidentschaftskandidaten gegen Frank-Walter Steinmeier zu unterstützen einmal so begründete:

„Ihr (der Partei Die Linke, Anm. tau) geht es nicht um das Amt des Bundespräsidenten, sondern darum, Steinmeier die Agenda 2010 als Klotz anzuhängen. Das ist reflexhaft.“

Göring-Eckardt hat bis heute nicht verstanden, dass man Agenda-Steinmeier den Klotz nicht umzuhängen braucht, er trägt ihn freiwillig und das voller Stolz. Wie die NachDenkSeiten einschlägig dokumentierten (hier und hier), brüstete sich Steinmeier vor Arbeitgebern als Architekt der Reformpolitik. Er sagte unter anderem:

„Deshalb sage ich jetzt ohne Larmoyanz, und die Entscheidungen liegen ja zehn Jahre hinter uns, wenn Sie sich in gerechter Weise zurückerinnern, dann hat es aber die entscheidenden Steuersenkungen und zwar in einem Volumen von mehr als 60 Milliarden Euro unter einer sozialdemokratischen Regierung gegeben:

  • Mit der Senkung des Spitzensteuersatzes,
  • mit der Senkung des Eingangssteuersatzes,
  • mit der Senkung der Unternehmenssteuern.

Sie haben bis dahin Ihre Kapitalzinsen nach dem Einkommensteuergesetz bezahlt, und seit der Zeit nur noch für die Hälfte ungefähr versteuert nach dem Abgeltungssteuergesetz.
Das war damals immerhin sozialdemokratische Steuerpolitik und ich finde bis heute ist das nicht so ganz schlecht. (Beifall)

Ich habe mir das selbst noch einmal in Erinnerung gerufen, weil (…) ich den Eindruck hatte, Sie fühlen sich alle bei dem Unionsteil einer möglichen Großen Koalition besser aufgehoben als beim sozialdemokratischen Teil einer Großen Koalition. Deswegen erinnere ich natürlich nicht nur an die Steuerpolitik, für die wir Verantwortung getragen haben, sondern ich sage mal dabei, daß auch die Reform der Arbeitsverwaltung, die Flexibilisierung der Arbeitszeiten, die Aufhebung der Spaltung am Arbeitsmarkt, die Halbierung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung – auch das waren Entscheidungen, die wir damals getroffen und durchgesetzt haben, mit denen wir miteinander – nicht Sie alleine – unter ökonomischen Gesichtspunkten ganz gut leben – miteinander. Und deshalb sage ich Ihnen auch entgegen manchem Verdacht, von dem ich auch in Zeitungen dieser Tage lese: Nachdem wir das alles durchgerungen haben, uns haben beschimpfen lassen, auch Wahlen verloren haben dafür, müssen Sie sich jetzt nicht vorstellen, dass wir das, was ökonomischen Erfolg in dieser Republik begründet hat, nachträglich auf irrsinnige Weise in Frage stellen, sondern wir wissen, was das für Mühe gekostet hat, dieses Land aus mancher Unbeweglichkeit zu befreien. Und deshalb kann ich mir auch nicht vorstellen, dass die Rückabwicklung sinnvoll und gut wäre.

Ich will Ihnen nur sagen, wenn man an der einen oder anderen Stelle trotzdem … versucht etwas zu korrigieren, was im Blick auf die letzten zehn Jahre trotz Reform aus dem Ruder gelaufen ist, etwa bei der Leiharbeit oder bei der Entwicklung der Aufstockerei für den Niedrigstlöhner, wenn man das versucht zu korrigieren, dann sollte das auch in Ihrem Interesse, im Interesse von Arbeitgebern, liegen, weil eigentlich doch keiner ein Interesse daran haben kann – wie ich unterstelle mal, Sie auch nicht – dass Zustimmung und Akzeptanz zur Marktwirtschaft aufgrund solcher Fehlentwicklungen, die wir einfach laufen lassen, dass Akzeptanz der Marktwirtschaft auf diese Weise erodiert.“

Warum steht das jetzt hier? Weil es den Kern einer fatalen Politik berührt, die schon längst kein Thema mehr zu sein scheint, egal welchen Regierungsbildungsversuch man sich auch anschaut. Denn was die angebliche Reformpolitik, der sich Steinmeier vor ein paar Jahren so rühmte, anbelangt, sind sie sich ja alle einig. Eine höhere Steuer für Reiche, um den Sozialstaat wieder herzustellen und die Ausfälle zu kompensieren, die durch eine rot-grüne, schwarz-rote² und scharz-gelbe Steuerpolitik der letzten fast 20 Jahre verursacht worden sind, wird es nicht geben.

Die Grünen haben ihr fehlendes Rückgrat in den Jamaika-Sondierungen mit Union und FDP bereits bewiesen. Nun kämpft die SPD um eine moderate Anhebung des Spitzensteuersatzes von 42 auf 45 Prozent, der offenbar ein Stück weit abfedern soll, was die höheren Einkommensbezieher durch wohl schon feststehende Entlastungen wie die Verschiebung des Spitzensteuersatzes von 55.000 auf 60.000 Euro Jahreseinkommen und den schrittweisen Abbau des Soli bekommen sollen.

Steinmeier hatte einst vor den Arbeitgebern so getan, als müssten sie eine schwindende Zustimmung und Akzeptanz zur Marktwirtschaft fürchten, wenn es keine Korrekturen an der ein oder anderen Stelle gebe. Das war nicht nur arrogant, sondern auch hochgradig naiv und falsch. Es ist ja die SPD, die dauernd verliert. Sie muss sich vor weiteren Verlusten bei den Zustimmungswerten fürchten, weil sie die Fehlentwicklungen, die sie selbst zu verantworten hat, bis heute als erfolgreiche Periode verantwortlichen Regierens feiert.

Das „Weiter so“, das sich auch diesmal wieder abzeichnet, steht daher für ein Versagen vor der Realität. Da wirkt es schon tragikomisch, wenn sich Andrea Nahles mit gebrochener Stimme (so als hätte sie das Schweigegelübde der Sondierer mit lautstarkem Gerede permanent missachtet) über das Durchstechen von Informationen und einen Jamaika-Modus beklagt. Der Modus ist doch aber immer derselbe. Die Reichen bekommen mehr, während das Armutsrisiko weiter steigt, auch wenn SPD auf einem neuen Koalitionsvertrag stehen sollte.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Hartmut Schwarz  Januar 10, 2018

    Differenzierter kann man unsere „Volkesvertretung“ in so wenigen Sätzen kaum darstellen.
    Und der Hinweis auf das „Weiter So „, beschreibt vermutlich die Privatisierungen unter Beihilfe von ÖPPs an Schulen, Krankenhäuser, Autobahnen… etc. Das Prinzip ÖPP, früher PPP genannt, dürfte wenig bekannt sein. Durch öffentliche Aufklärung ließen sich vermutlich die realen Zusammenhänge der ÖPPs, ins Rampenlicht des Bürgen projektieren.
    Erneut geplante Steuersenkungen für Besserverdienen und mit dem fortschreitenden Sozialstaatsraubbau,
    wird somit tatsächlich lediglich die Durchsetzung des Prinzips der Neoliberalpolitik beschrieben.